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Süssmilch, Johann Peter: Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts aus der Geburt, Tod und Fortpflanzung desselben. Berlin, 1741.

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und ihrer Verhältniß.
sen daraus, ihre zarten Unterpfänder durch die Hu-
ren-Milch um das Leben zu bringen? Es ist so die
Mode, welche öfters sündliche Dinge privilegiret,
und durch die also die meisten sich Dispensation von
ihren Pflichten ertheilen lassen. (Siehe oben §. 34.)
Von Leuten, die die Noth dazu treibet, ist hier die
Rede nicht, solchen aber wird es nicht leicht, sondern
schwehr, wenn sie ihre Kinder einer Amme überge-
ben sollen. Den deutlichsten Beweiß von dem al-
len gibt die Anzahl der Kinder, die von Ammen
größtentheils gantz offenbahrlich umgebracht worden.
Graunt hat in seiner Liste 529 Kinder, die von Am-
men entweder erdrückt oder die wegen Mangel der
Nahrung verschmachten müssen, overlaid and star-
ved at nurse
heißt die Rubrique, in der neuern Li-
ste steht nur allein overlaid, das ist, erdruckt, und
sind deren unglückseligen Creaturen 1013 gewesen.
Ich gestehe zu, daß auch die Mütter Kinder erdrü-
cken, aber so leicht geschicht es nicht, weil sie viel be-
hutsamer und wachsamer mit denen Kindern umge-
hen. Verhungern werden sie selbige nicht lassen.
Doch genug hievon. Die Mode wird wohl so blei-
ben wie sie ist, der Schade mag auch noch so groß
seyn. Ich glaube aber, die Sache sey von der Wich-
tigkeit, daß eine hohe Obrigkeit sich damit könne und
solle abgeben. Es würden gewiß jährlich mehr Kin-
der leben bleiben, und das ist ein hinlänglicher Grund.

Man halte mir zu gute, daß ich so frey die
Wahrheit gegen diese schlimme Gewohnheit schreibe.
Die Empfindungen sind zu groß, die durch das be-
wiesene Unglück der Kinder erreget werden, sie lassen
einen nicht schweigen. Doch ich will mich mit des
Steele Gedancken schützen, der lange vor mir die

Kinder-

und ihrer Verhaͤltniß.
ſen daraus, ihre zarten Unterpfaͤnder durch die Hu-
ren-Milch um das Leben zu bringen? Es iſt ſo die
Mode, welche oͤfters ſuͤndliche Dinge privilegiret,
und durch die alſo die meiſten ſich Diſpenſation von
ihren Pflichten ertheilen laſſen. (Siehe oben §. 34.)
Von Leuten, die die Noth dazu treibet, iſt hier die
Rede nicht, ſolchen aber wird es nicht leicht, ſondern
ſchwehr, wenn ſie ihre Kinder einer Amme uͤberge-
ben ſollen. Den deutlichſten Beweiß von dem al-
len gibt die Anzahl der Kinder, die von Ammen
groͤßtentheils gantz offenbahrlich umgebracht worden.
Graunt hat in ſeiner Liſte 529 Kinder, die von Am-
men entweder erdruͤckt oder die wegen Mangel der
Nahrung verſchmachten muͤſſen, overlaid and ſtar-
ved at nurſe
heißt die Rubrique, in der neuern Li-
ſte ſteht nur allein overlaid, das iſt, erdruckt, und
ſind deren ungluͤckſeligen Creaturen 1013 geweſen.
Ich geſtehe zu, daß auch die Muͤtter Kinder erdruͤ-
cken, aber ſo leicht geſchicht es nicht, weil ſie viel be-
hutſamer und wachſamer mit denen Kindern umge-
hen. Verhungern werden ſie ſelbige nicht laſſen.
Doch genug hievon. Die Mode wird wohl ſo blei-
ben wie ſie iſt, der Schade mag auch noch ſo groß
ſeyn. Ich glaube aber, die Sache ſey von der Wich-
tigkeit, daß eine hohe Obrigkeit ſich damit koͤnne und
ſolle abgeben. Es wuͤrden gewiß jaͤhrlich mehr Kin-
der leben bleiben, und das iſt ein hinlaͤnglicher Grund.

Man halte mir zu gute, daß ich ſo frey die
Wahrheit gegen dieſe ſchlimme Gewohnheit ſchreibe.
Die Empfindungen ſind zu groß, die durch das be-
wieſene Ungluͤck der Kinder erreget werden, ſie laſſen
einen nicht ſchweigen. Doch ich will mich mit des
Steele Gedancken ſchuͤtzen, der lange vor mir die

Kinder-
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[283/0331] und ihrer Verhaͤltniß. ſen daraus, ihre zarten Unterpfaͤnder durch die Hu- ren-Milch um das Leben zu bringen? Es iſt ſo die Mode, welche oͤfters ſuͤndliche Dinge privilegiret, und durch die alſo die meiſten ſich Diſpenſation von ihren Pflichten ertheilen laſſen. (Siehe oben §. 34.) Von Leuten, die die Noth dazu treibet, iſt hier die Rede nicht, ſolchen aber wird es nicht leicht, ſondern ſchwehr, wenn ſie ihre Kinder einer Amme uͤberge- ben ſollen. Den deutlichſten Beweiß von dem al- len gibt die Anzahl der Kinder, die von Ammen groͤßtentheils gantz offenbahrlich umgebracht worden. Graunt hat in ſeiner Liſte 529 Kinder, die von Am- men entweder erdruͤckt oder die wegen Mangel der Nahrung verſchmachten muͤſſen, overlaid and ſtar- ved at nurſe heißt die Rubrique, in der neuern Li- ſte ſteht nur allein overlaid, das iſt, erdruckt, und ſind deren ungluͤckſeligen Creaturen 1013 geweſen. Ich geſtehe zu, daß auch die Muͤtter Kinder erdruͤ- cken, aber ſo leicht geſchicht es nicht, weil ſie viel be- hutſamer und wachſamer mit denen Kindern umge- hen. Verhungern werden ſie ſelbige nicht laſſen. Doch genug hievon. Die Mode wird wohl ſo blei- ben wie ſie iſt, der Schade mag auch noch ſo groß ſeyn. Ich glaube aber, die Sache ſey von der Wich- tigkeit, daß eine hohe Obrigkeit ſich damit koͤnne und ſolle abgeben. Es wuͤrden gewiß jaͤhrlich mehr Kin- der leben bleiben, und das iſt ein hinlaͤnglicher Grund. Man halte mir zu gute, daß ich ſo frey die Wahrheit gegen dieſe ſchlimme Gewohnheit ſchreibe. Die Empfindungen ſind zu groß, die durch das be- wieſene Ungluͤck der Kinder erreget werden, ſie laſſen einen nicht ſchweigen. Doch ich will mich mit des Steele Gedancken ſchuͤtzen, der lange vor mir die Kinder-

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Zitationshilfe: Süssmilch, Johann Peter: Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts aus der Geburt, Tod und Fortpflanzung desselben. Berlin, 1741, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/suessmilch_ordnung_1741/331>, abgerufen am 24.11.2024.