Süssmilch, Johann Peter: Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts aus der Geburt, Tod und Fortpflanzung desselben. Berlin, 1741.
des Menschlichen Geschlechts. unter dem Augustus volckreicher als jetzo. Sindaber nicht andere Länder anjetzo volckreicher als ehedem? Der ehelose Stand der Geistlichen hat in etliche 100. Jahren die Vermehrung sehr zurück gehalten, war denn aber Europa vor der Einfüh- rung dieses Verbothes volckreicher als jetzo? wo habe ich davon richtige Verzeichnisse, die uns ja jetzo noch gar zu sehr fehlen? keine Muthmassungen sind so unsicher als die so mit Zahlen zu thun haben, wovon hin und wieder in dieser Schrifft Beweis- thümer vorkommen werden. Einer vergrössert alles aus Eigenliebe gegen sein Land oder Stadt. Isaac Voßius verkleinerte alles aus Liebe zum Alterthum und zu frembden Völckern. Rom und China machten, daß er gantz Europa nur 30. Millionen Menschen gab. Wenn Lety dem Voßius gefolget, ist es ihm nicht zu verdencken, daß er geglaubet, Europa sey ehedem volckreicher gewesen als anjetzo. Doch ich mag aus Mangel hinlänglicher Gründe hierinn keinen Richter abgeben, ich will nur noch des Lety seine anführen. Seine erste Ursach ist, weil der Concubinat unter Christen abgeschaffet und denen Geistlichen der Ehestand verbothen. Daß dieses Verbot grossen Schaden anrichte, habe ich vorher bewiesen, und es ist kein Zweiffel, daß nicht Teutschland volckreicher seyn müste, wenn nicht seit dem Gregorianischen Verbot im 11ten Säculo denen Priestern alle Weiber genommen wären. Man müste denn sagen, daß der Concubinat der Priester diesen Schaden ersetze, indem bekand ist, daß ehedem jeder Priester zwar nicht eine Frau, wohl aber eine wo nicht mehrere Beyschlafferinnen gehabt. Die teutschen Fürsten klagten im Jahr 1522. Cap. II. D
des Menſchlichen Geſchlechts. unter dem Auguſtus volckreicher als jetzo. Sindaber nicht andere Laͤnder anjetzo volckreicher als ehedem? Der eheloſe Stand der Geiſtlichen hat in etliche 100. Jahren die Vermehrung ſehr zuruͤck gehalten, war denn aber Europa vor der Einfuͤh- rung dieſes Verbothes volckreicher als jetzo? wo habe ich davon richtige Verzeichniſſe, die uns ja jetzo noch gar zu ſehr fehlen? keine Muthmaſſungen ſind ſo unſicher als die ſo mit Zahlen zu thun haben, wovon hin und wieder in dieſer Schrifft Beweis- thuͤmer vorkommen werden. Einer vergroͤſſert alles aus Eigenliebe gegen ſein Land oder Stadt. Iſaac Voßius verkleinerte alles aus Liebe zum Alterthum und zu frembden Voͤlckern. Rom und China machten, daß er gantz Europa nur 30. Millionen Menſchen gab. Wenn Lety dem Voßius gefolget, iſt es ihm nicht zu verdencken, daß er geglaubet, Europa ſey ehedem volckreicher geweſen als anjetzo. Doch ich mag aus Mangel hinlaͤnglicher Gruͤnde hierinn keinen Richter abgeben, ich will nur noch des Lety ſeine anfuͤhren. Seine erſte Urſach iſt, weil der Concubinat unter Chriſten abgeſchaffet und denen Geiſtlichen der Eheſtand verbothen. Daß dieſes Verbot groſſen Schaden anrichte, habe ich vorher bewieſen, und es iſt kein Zweiffel, daß nicht Teutſchland volckreicher ſeyn muͤſte, wenn nicht ſeit dem Gregorianiſchen Verbot im 11ten Saͤculo denen Prieſtern alle Weiber genommen waͤren. Man muͤſte denn ſagen, daß der Concubinat der Prieſter dieſen Schaden erſetze, indem bekand iſt, daß ehedem jeder Prieſter zwar nicht eine Frau, wohl aber eine wo nicht mehrere Beyſchlafferinnen gehabt. Die teutſchen Fuͤrſten klagten im Jahr 1522. Cap. II. D
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0095" n="49"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">des Menſchlichen Geſchlechts.</hi></fw><lb/> unter dem Auguſtus volckreicher als jetzo. Sind<lb/> aber nicht andere Laͤnder anjetzo volckreicher als<lb/> ehedem? Der eheloſe Stand der Geiſtlichen hat<lb/> in etliche 100. Jahren die Vermehrung ſehr zuruͤck<lb/> gehalten, war denn aber Europa vor der Einfuͤh-<lb/> rung dieſes Verbothes volckreicher als jetzo? wo<lb/> habe ich davon richtige Verzeichniſſe, die uns ja jetzo<lb/> noch gar zu ſehr fehlen? keine Muthmaſſungen ſind<lb/> ſo unſicher als die ſo mit Zahlen zu thun haben,<lb/> wovon hin und wieder in dieſer Schrifft Beweis-<lb/> thuͤmer vorkommen werden. Einer vergroͤſſert alles<lb/> aus Eigenliebe gegen ſein Land oder Stadt. Iſaac<lb/> Voßius verkleinerte alles aus Liebe zum Alterthum<lb/> und zu frembden Voͤlckern. Rom und China<lb/> machten, daß er gantz Europa nur 30. Millionen<lb/> Menſchen gab. Wenn Lety dem Voßius gefolget,<lb/> iſt es ihm nicht zu verdencken, daß er geglaubet,<lb/> Europa ſey ehedem volckreicher geweſen als anjetzo.<lb/> Doch ich mag aus Mangel hinlaͤnglicher Gruͤnde<lb/> hierinn keinen Richter abgeben, ich will nur noch<lb/> des Lety ſeine anfuͤhren. Seine erſte Urſach iſt,<lb/> weil der Concubinat unter Chriſten abgeſchaffet<lb/> und denen Geiſtlichen der Eheſtand verbothen. Daß<lb/> dieſes Verbot groſſen Schaden anrichte, habe ich<lb/> vorher bewieſen, und es iſt kein Zweiffel, daß nicht<lb/> Teutſchland volckreicher ſeyn muͤſte, wenn nicht ſeit<lb/> dem Gregorianiſchen Verbot im 11ten Saͤculo<lb/> denen Prieſtern alle Weiber genommen waͤren.<lb/> Man muͤſte denn ſagen, daß der Concubinat der<lb/> Prieſter dieſen Schaden erſetze, indem bekand iſt,<lb/> daß ehedem jeder Prieſter zwar nicht eine Frau,<lb/> wohl aber eine wo nicht mehrere Beyſchlafferinnen<lb/> gehabt. Die teutſchen Fuͤrſten klagten im Jahr<lb/> <fw place="bottom" type="sig">Cap. <hi rendition="#aq">II.</hi> D</fw><fw place="bottom" type="catch">1522.</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [49/0095]
des Menſchlichen Geſchlechts.
unter dem Auguſtus volckreicher als jetzo. Sind
aber nicht andere Laͤnder anjetzo volckreicher als
ehedem? Der eheloſe Stand der Geiſtlichen hat
in etliche 100. Jahren die Vermehrung ſehr zuruͤck
gehalten, war denn aber Europa vor der Einfuͤh-
rung dieſes Verbothes volckreicher als jetzo? wo
habe ich davon richtige Verzeichniſſe, die uns ja jetzo
noch gar zu ſehr fehlen? keine Muthmaſſungen ſind
ſo unſicher als die ſo mit Zahlen zu thun haben,
wovon hin und wieder in dieſer Schrifft Beweis-
thuͤmer vorkommen werden. Einer vergroͤſſert alles
aus Eigenliebe gegen ſein Land oder Stadt. Iſaac
Voßius verkleinerte alles aus Liebe zum Alterthum
und zu frembden Voͤlckern. Rom und China
machten, daß er gantz Europa nur 30. Millionen
Menſchen gab. Wenn Lety dem Voßius gefolget,
iſt es ihm nicht zu verdencken, daß er geglaubet,
Europa ſey ehedem volckreicher geweſen als anjetzo.
Doch ich mag aus Mangel hinlaͤnglicher Gruͤnde
hierinn keinen Richter abgeben, ich will nur noch
des Lety ſeine anfuͤhren. Seine erſte Urſach iſt,
weil der Concubinat unter Chriſten abgeſchaffet
und denen Geiſtlichen der Eheſtand verbothen. Daß
dieſes Verbot groſſen Schaden anrichte, habe ich
vorher bewieſen, und es iſt kein Zweiffel, daß nicht
Teutſchland volckreicher ſeyn muͤſte, wenn nicht ſeit
dem Gregorianiſchen Verbot im 11ten Saͤculo
denen Prieſtern alle Weiber genommen waͤren.
Man muͤſte denn ſagen, daß der Concubinat der
Prieſter dieſen Schaden erſetze, indem bekand iſt,
daß ehedem jeder Prieſter zwar nicht eine Frau,
wohl aber eine wo nicht mehrere Beyſchlafferinnen
gehabt. Die teutſchen Fuͤrſten klagten im Jahr
1522.
Cap. II. D
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
| URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/suessmilch_ordnung_1741 |
| URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/suessmilch_ordnung_1741/95 |
| Zitationshilfe: | Süssmilch, Johann Peter: Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts aus der Geburt, Tod und Fortpflanzung desselben. Berlin, 1741, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/suessmilch_ordnung_1741/95>, abgerufen am 27.11.2024. |
