Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Süssmilch, Johann Peter: Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts aus der Geburt, Tod und Fortpflanzung desselben. Berlin, 1741.

Bild:
<< vorherige Seite

des Menschlichen Geschlechts.
Bayle meinet dagegen, es sireite solches wider die
Erfahrung, indem bekand, daß keiner mehr Kinder
habe als die Armen. Die Auflagen beschwereten
keinen so als den Bauer und Handwercks-Mann,
gleichwohl sehe man fast keinen unverheyratheten
unter ihnen. Die so sich aus Furcht, um nicht
arme Kinder zu haben, nicht verheyratheten, wären
solche, die gerne in der Welt was vorstellen wolten.
Es ist wahr, man wird selten auf dem Lande alte
Jungfern oder Hagestoltze, so wie in denen Städ-
ten, finden. Ich wolte aber doch nicht gerne der
Armuth oder vielmehr dem Bürger- und Bauren-
Stand alle Uberlegung absprechen. Sie haben
nicht so viele Bedencklichkeiten als die Vornehmern,
aber sie überschlagen doch wohl zur Noth, ob sie
für sich und ihre Kinder Brod gewinnen können,
weil sich ein jeder zu betteln schämet. Hält es nun
um das tägliche Brod sehr schwer, ist wegen der
grossen Auflagen oder Abgaben wenig zu verdienen:
so bedencket sich der Bauer so gut als ein andrer, ehs
er sich verheyrathet. Wird also das Heyrathen
gleich nicht gantz verhindert, so wird es doch sehr
verzögert, und die Leute kommen spät zusammen,
wenn die Zeit zum Kinderzeugen bald verstrichen.
Dis scheinet mir der Erfahrung sehr gemäß zu seyn,
und also hat Leti nicht gantz Unrecht. Es thut was
und in einem Lande mehr als in einem andern, nur
ist es keine Haupt-Hinderniß.

Die 3te Ursach, weshalb Europa jetzt nicht so
volckreich als sonst, soll die Vorsichtigkeit des Adels
seyn, indem man nemlich das Ansehen des Hauses
erhalten und nicht gerne theilen will, daher man

denn
D 2

des Menſchlichen Geſchlechts.
Bayle meinet dagegen, es ſireite ſolches wider die
Erfahrung, indem bekand, daß keiner mehr Kinder
habe als die Armen. Die Auflagen beſchwereten
keinen ſo als den Bauer und Handwercks-Mann,
gleichwohl ſehe man faſt keinen unverheyratheten
unter ihnen. Die ſo ſich aus Furcht, um nicht
arme Kinder zu haben, nicht verheyratheten, waͤren
ſolche, die gerne in der Welt was vorſtellen wolten.
Es iſt wahr, man wird ſelten auf dem Lande alte
Jungfern oder Hageſtoltze, ſo wie in denen Staͤd-
ten, finden. Ich wolte aber doch nicht gerne der
Armuth oder vielmehr dem Buͤrger- und Bauren-
Stand alle Uberlegung abſprechen. Sie haben
nicht ſo viele Bedencklichkeiten als die Vornehmern,
aber ſie uͤberſchlagen doch wohl zur Noth, ob ſie
fuͤr ſich und ihre Kinder Brod gewinnen koͤnnen,
weil ſich ein jeder zu betteln ſchaͤmet. Haͤlt es nun
um das taͤgliche Brod ſehr ſchwer, iſt wegen der
groſſen Auflagen oder Abgaben wenig zu verdienen:
ſo bedencket ſich der Bauer ſo gut als ein andrer, ehs
er ſich verheyrathet. Wird alſo das Heyrathen
gleich nicht gantz verhindert, ſo wird es doch ſehr
verzoͤgert, und die Leute kommen ſpaͤt zuſammen,
wenn die Zeit zum Kinderzeugen bald verſtrichen.
Dis ſcheinet mir der Erfahrung ſehr gemaͤß zu ſeyn,
und alſo hat Leti nicht gantz Unrecht. Es thut was
und in einem Lande mehr als in einem andern, nur
iſt es keine Haupt-Hinderniß.

Die 3te Urſach, weshalb Europa jetzt nicht ſo
volckreich als ſonſt, ſoll die Vorſichtigkeit des Adels
ſeyn, indem man nemlich das Anſehen des Hauſes
erhalten und nicht gerne theilen will, daher man

denn
D 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0097" n="51"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">des Men&#x017F;chlichen Ge&#x017F;chlechts.</hi></fw><lb/>
Bayle meinet dagegen, es &#x017F;ireite &#x017F;olches wider die<lb/>
Erfahrung, indem bekand, daß keiner mehr Kinder<lb/>
habe als die Armen. Die Auflagen be&#x017F;chwereten<lb/>
keinen &#x017F;o als den Bauer und Handwercks-Mann,<lb/>
gleichwohl &#x017F;ehe man fa&#x017F;t keinen unverheyratheten<lb/>
unter ihnen. Die &#x017F;o &#x017F;ich aus Furcht, um nicht<lb/>
arme Kinder zu haben, nicht verheyratheten, wa&#x0364;ren<lb/>
&#x017F;olche, die gerne in der Welt was vor&#x017F;tellen wolten.<lb/>
Es i&#x017F;t wahr, man wird &#x017F;elten auf dem Lande alte<lb/>
Jungfern oder Hage&#x017F;toltze, &#x017F;o wie in denen Sta&#x0364;d-<lb/>
ten, finden. Ich wolte aber doch nicht gerne der<lb/>
Armuth oder vielmehr dem Bu&#x0364;rger- und Bauren-<lb/>
Stand alle Uberlegung ab&#x017F;prechen. Sie haben<lb/>
nicht &#x017F;o viele Bedencklichkeiten als die Vornehmern,<lb/>
aber &#x017F;ie u&#x0364;ber&#x017F;chlagen doch wohl zur Noth, ob &#x017F;ie<lb/>
fu&#x0364;r &#x017F;ich und ihre Kinder Brod gewinnen ko&#x0364;nnen,<lb/>
weil &#x017F;ich ein jeder zu betteln &#x017F;cha&#x0364;met. Ha&#x0364;lt es nun<lb/>
um das ta&#x0364;gliche Brod &#x017F;ehr &#x017F;chwer, i&#x017F;t wegen der<lb/>
gro&#x017F;&#x017F;en Auflagen oder Abgaben wenig zu verdienen:<lb/>
&#x017F;o bedencket &#x017F;ich der Bauer &#x017F;o gut als ein andrer, ehs<lb/>
er &#x017F;ich verheyrathet. Wird al&#x017F;o das Heyrathen<lb/>
gleich nicht gantz verhindert, &#x017F;o wird es doch &#x017F;ehr<lb/>
verzo&#x0364;gert, und die Leute kommen &#x017F;pa&#x0364;t zu&#x017F;ammen,<lb/>
wenn die Zeit zum Kinderzeugen bald ver&#x017F;trichen.<lb/>
Dis &#x017F;cheinet mir der Erfahrung &#x017F;ehr gema&#x0364;ß zu &#x017F;eyn,<lb/>
und al&#x017F;o hat Leti nicht gantz Unrecht. Es thut was<lb/>
und in einem Lande mehr als in einem andern, nur<lb/>
i&#x017F;t es keine Haupt-Hinderniß.</p><lb/>
          <p>Die 3te Ur&#x017F;ach, weshalb Europa jetzt nicht &#x017F;o<lb/>
volckreich als &#x017F;on&#x017F;t, &#x017F;oll die Vor&#x017F;ichtigkeit des Adels<lb/>
&#x017F;eyn, indem man nemlich das An&#x017F;ehen des Hau&#x017F;es<lb/>
erhalten und nicht gerne theilen will, daher man<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D 2</fw><fw place="bottom" type="catch">denn</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[51/0097] des Menſchlichen Geſchlechts. Bayle meinet dagegen, es ſireite ſolches wider die Erfahrung, indem bekand, daß keiner mehr Kinder habe als die Armen. Die Auflagen beſchwereten keinen ſo als den Bauer und Handwercks-Mann, gleichwohl ſehe man faſt keinen unverheyratheten unter ihnen. Die ſo ſich aus Furcht, um nicht arme Kinder zu haben, nicht verheyratheten, waͤren ſolche, die gerne in der Welt was vorſtellen wolten. Es iſt wahr, man wird ſelten auf dem Lande alte Jungfern oder Hageſtoltze, ſo wie in denen Staͤd- ten, finden. Ich wolte aber doch nicht gerne der Armuth oder vielmehr dem Buͤrger- und Bauren- Stand alle Uberlegung abſprechen. Sie haben nicht ſo viele Bedencklichkeiten als die Vornehmern, aber ſie uͤberſchlagen doch wohl zur Noth, ob ſie fuͤr ſich und ihre Kinder Brod gewinnen koͤnnen, weil ſich ein jeder zu betteln ſchaͤmet. Haͤlt es nun um das taͤgliche Brod ſehr ſchwer, iſt wegen der groſſen Auflagen oder Abgaben wenig zu verdienen: ſo bedencket ſich der Bauer ſo gut als ein andrer, ehs er ſich verheyrathet. Wird alſo das Heyrathen gleich nicht gantz verhindert, ſo wird es doch ſehr verzoͤgert, und die Leute kommen ſpaͤt zuſammen, wenn die Zeit zum Kinderzeugen bald verſtrichen. Dis ſcheinet mir der Erfahrung ſehr gemaͤß zu ſeyn, und alſo hat Leti nicht gantz Unrecht. Es thut was und in einem Lande mehr als in einem andern, nur iſt es keine Haupt-Hinderniß. Die 3te Urſach, weshalb Europa jetzt nicht ſo volckreich als ſonſt, ſoll die Vorſichtigkeit des Adels ſeyn, indem man nemlich das Anſehen des Hauſes erhalten und nicht gerne theilen will, daher man denn D 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/suessmilch_ordnung_1741
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/suessmilch_ordnung_1741/97
Zitationshilfe: Süssmilch, Johann Peter: Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts aus der Geburt, Tod und Fortpflanzung desselben. Berlin, 1741, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/suessmilch_ordnung_1741/97>, abgerufen am 27.11.2024.