Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.Tagebuch von einer nach Nizza man immer nur wenige Schritte vor sich, sieht allesmit gräulichen Felsen versperrt, und glaubt, dort, wo man ihn nicht weiter sehen kann, werde man in ein tiefes Loch herabstürzen. Dieser sonderbare Weg ist übrigens gemächlich Wenn man durch diesen Paß heraus ist, kommt An dem Ausgange dieses Thales gegen die Ebene Von
Tagebuch von einer nach Nizza man immer nur wenige Schritte vor ſich, ſieht allesmit graͤulichen Felſen verſperrt, und glaubt, dort, wo man ihn nicht weiter ſehen kann, werde man in ein tiefes Loch herabſtuͤrzen. Dieſer ſonderbare Weg iſt uͤbrigens gemaͤchlich Wenn man durch dieſen Paß heraus iſt, kommt An dem Ausgange dieſes Thales gegen die Ebene Von
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Tagebuch von einer nach Nizza
man immer nur wenige Schritte vor ſich, ſieht alles
mit graͤulichen Felſen verſperrt, und glaubt, dort,
wo man ihn nicht weiter ſehen kann, werde man in
ein tiefes Loch herabſtuͤrzen.
Dieſer ſonderbare Weg iſt uͤbrigens gemaͤchlich
genug, wenigſtens gar nicht holprig, und etwa eine
Viertelmeile lang. Bey dieſer Durchfahrt fiel mir
der Wunſch ein, daß Homer moͤchte durch eine ſol-
che Kluft gereiſet ſeyn. Was fuͤr ein erſtaunliches Ge-
maͤlde wuͤrde er nicht irgendwo in der Odyſſee daraus
gemacht haben! Jch fuhr bey dem ſchoͤnſten hellſten
Wetter hier durch, und hatte folglich, da die Felſen
weißgrau ſind, uͤberall ein gutes Tageslicht. Aber
ich ſtelle mir vor, wie es bey truͤbem Himmel, wenn
es regnet und ſtuͤrmt, auch allenfalls noch donnert,
hier ausſehen muͤſſe.
Wenn man durch dieſen Paß heraus iſt, kommt
man in ein zwar immer noch ganz ſchmales und tiefes,
aber fruchtbares mit vielen ungemein ſchoͤnen Olivenbaͤu-
men bepflanztes Thal, das an ſich eine Wildniß iſt,
jetzt aber, nachdem man aus dieſer hoͤlliſchen Kluft in
die Oberwelt kommt, als ein Paradies erſcheint.
An dem Ausgange dieſes Thales gegen die Ebene
von Toulon liegt die kleine Stadt Ollioules, die
durch die aͤrgerliche Geſchichte des Jeſuiten Girard
mit der Nonne Cadiere beruͤhmt geworden. Es
ſind hier betraͤchtliche Seifenſiedereyen, wozu meiſt
alles hierherum gepreßte Oel gebraucht wird. Jm
Durchfahren durch das Staͤdtchen ſah ich, daß die
Leute hier vermittelſt tragbarer, wiewohl ziemlich groſ-
ſer Preſſen, den Wein vor ihren Haͤuſern auf der
Straße keltern.
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