Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.gethanen Reise. vor dem Thore der Stadt ab, und blieb nur eineNacht in demselben. Also hatten diese Leute eben kei- nen Genuß von mir. Dennoch fand ich die ganze Zeit meines hiesigen Aufenthalts hindurch die Wirthin, ein altes gutes Mütterchen, ihre Tochter, ein ange- nehmes Mädchen, und ihren Sohn, der der Koch im Hause ist, so ausnehmend dienstfertig, als wenn ich ihr nächster Anverwandter gewesen wäre. Jch konnte über alles, was ich nur nöthig hatte, ihnen nur einen Wink geben, so gaben sie sich gleich alle Mühe, es mir zu schaffen. So war die Köchinn, die man für mich gemiethet hatte, ein zartes schwäch- liches Mädchen von 20 Jahren; so die Leute, wel- che ein kleines Nebengebäude des Hauses bewohnten, in dem ich mich aufhielt. Nirgend habe ich so viel herzliche Dienstfertigkeit angetroffen als hier. Jch kann mich nicht enthalten, noch ein Beyspiel muß- J 2
gethanen Reiſe. vor dem Thore der Stadt ab, und blieb nur eineNacht in demſelben. Alſo hatten dieſe Leute eben kei- nen Genuß von mir. Dennoch fand ich die ganze Zeit meines hieſigen Aufenthalts hindurch die Wirthin, ein altes gutes Muͤtterchen, ihre Tochter, ein ange- nehmes Maͤdchen, und ihren Sohn, der der Koch im Hauſe iſt, ſo ausnehmend dienſtfertig, als wenn ich ihr naͤchſter Anverwandter geweſen waͤre. Jch konnte uͤber alles, was ich nur noͤthig hatte, ihnen nur einen Wink geben, ſo gaben ſie ſich gleich alle Muͤhe, es mir zu ſchaffen. So war die Koͤchinn, die man fuͤr mich gemiethet hatte, ein zartes ſchwaͤch- liches Maͤdchen von 20 Jahren; ſo die Leute, wel- che ein kleines Nebengebaͤude des Hauſes bewohnten, in dem ich mich aufhielt. Nirgend habe ich ſo viel herzliche Dienſtfertigkeit angetroffen als hier. Jch kann mich nicht enthalten, noch ein Beyſpiel muß- J 2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="diaryEntry" n="2"> <p><pb facs="#f0151" n="131"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">gethanen Reiſe.</hi></fw><lb/> vor dem Thore der Stadt ab, und blieb nur eine<lb/> Nacht in demſelben. Alſo hatten dieſe Leute eben kei-<lb/> nen Genuß von mir. Dennoch fand ich die ganze<lb/> Zeit meines hieſigen Aufenthalts hindurch die Wirthin,<lb/> ein altes gutes Muͤtterchen, ihre Tochter, ein ange-<lb/> nehmes Maͤdchen, und ihren Sohn, der der Koch<lb/> im Hauſe iſt, ſo ausnehmend dienſtfertig, als wenn<lb/> ich ihr naͤchſter Anverwandter geweſen waͤre. Jch<lb/> konnte uͤber alles, was ich nur noͤthig hatte, ihnen<lb/> nur einen Wink geben, ſo gaben ſie ſich gleich alle<lb/> Muͤhe, es mir zu ſchaffen. So war die Koͤchinn,<lb/> die man fuͤr mich gemiethet hatte, ein zartes ſchwaͤch-<lb/> liches Maͤdchen von 20 Jahren; ſo die Leute, wel-<lb/> che ein kleines Nebengebaͤude des Hauſes bewohnten,<lb/> in dem ich mich aufhielt. Nirgend habe ich ſo viel<lb/> herzliche Dienſtfertigkeit angetroffen als hier.</p><lb/> <p>Jch kann mich nicht enthalten, noch ein Beyſpiel<lb/> hievon anzufuͤhren. Denn ſo gering dieſe Dinge<lb/> ſcheinen, ſo gehoͤren ſie wirklich unter die merkwuͤrdig-<lb/> ſten Beobachtungen eines Reiſenden. Jch hatte mich<lb/> eines Tages mit meinem Bedienten auf einem Spa-<lb/> ziergange ziemlich weit von der Stadt in den Bergen<lb/> ſo verirret, daß ich nirgends einen Weg mehr vor mir<lb/> ſah. Von der Hoͤhe herunter wurde ich eine kleine<lb/> Huͤtte gewahr, auf die ich herunter zu kommen ſuch-<lb/> te, um von dort aus wieder auf einen guten Weg<lb/> nach der Stadt zu gelangen. Es war ſchwer, den<lb/> Berg herunter zu kommen, weil man an verſchiede-<lb/> nen Orten ploͤtzlich an jaͤhe Felſen kam, uͤber die nicht<lb/> herunter zu kommen war. Jch kam endlich an be-<lb/> bautes Land herunter, und befand mich alſo mitten in<lb/> dem kleinen zu bemeldeter Huͤtte gehoͤrigen Guͤtchen,<lb/> <fw place="bottom" type="sig">J 2</fw><fw place="bottom" type="catch">muß-</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [131/0151]
gethanen Reiſe.
vor dem Thore der Stadt ab, und blieb nur eine
Nacht in demſelben. Alſo hatten dieſe Leute eben kei-
nen Genuß von mir. Dennoch fand ich die ganze
Zeit meines hieſigen Aufenthalts hindurch die Wirthin,
ein altes gutes Muͤtterchen, ihre Tochter, ein ange-
nehmes Maͤdchen, und ihren Sohn, der der Koch
im Hauſe iſt, ſo ausnehmend dienſtfertig, als wenn
ich ihr naͤchſter Anverwandter geweſen waͤre. Jch
konnte uͤber alles, was ich nur noͤthig hatte, ihnen
nur einen Wink geben, ſo gaben ſie ſich gleich alle
Muͤhe, es mir zu ſchaffen. So war die Koͤchinn,
die man fuͤr mich gemiethet hatte, ein zartes ſchwaͤch-
liches Maͤdchen von 20 Jahren; ſo die Leute, wel-
che ein kleines Nebengebaͤude des Hauſes bewohnten,
in dem ich mich aufhielt. Nirgend habe ich ſo viel
herzliche Dienſtfertigkeit angetroffen als hier.
Jch kann mich nicht enthalten, noch ein Beyſpiel
hievon anzufuͤhren. Denn ſo gering dieſe Dinge
ſcheinen, ſo gehoͤren ſie wirklich unter die merkwuͤrdig-
ſten Beobachtungen eines Reiſenden. Jch hatte mich
eines Tages mit meinem Bedienten auf einem Spa-
ziergange ziemlich weit von der Stadt in den Bergen
ſo verirret, daß ich nirgends einen Weg mehr vor mir
ſah. Von der Hoͤhe herunter wurde ich eine kleine
Huͤtte gewahr, auf die ich herunter zu kommen ſuch-
te, um von dort aus wieder auf einen guten Weg
nach der Stadt zu gelangen. Es war ſchwer, den
Berg herunter zu kommen, weil man an verſchiede-
nen Orten ploͤtzlich an jaͤhe Felſen kam, uͤber die nicht
herunter zu kommen war. Jch kam endlich an be-
bautes Land herunter, und befand mich alſo mitten in
dem kleinen zu bemeldeter Huͤtte gehoͤrigen Guͤtchen,
muß-
J 2
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |