Uebrigens ist das weibliche Geschlecht hier wohl- gebildet. Der Kopf ist klein, nach einem sehr schö- nen Oval gerundet, von einem wirklich edeln Profil. Die Nasen sind besonders sehr wohl gebildet, mit ei- ner sehr sanften Erhöhung von der Stirn gegen die Spitze, welche genau das Mittel hält zwischen dem, was man eine spitzige und eine stumpfe Nase nennt. Die Augen sind meistens schwarz und von lebhaftem, witzigem, sogar etwas muthwilligem Blick. Offen- bar hat dieses Landvolk eine Nationalbildung, die ohn- gefähr dieselbe ist, die man in der Provence sieht. Jn der Stadt aber wird man sie nicht gewahr.
Das Landvolk scheinet durchgehends höflich, dienst- fertig und gegen Vornehmere sehr ehrerbietig, und wä- re ohne Zweifel in der Bildung sehr viel schöner, und im Charakter munterer, wenn es den Druck der Dürftigkeit weniger fühlte, und bessere Nahrung hät- te. Man muß sich in der That wundern, daß es bey seinen elenden Umständen noch so schön und so munter ist. Dieses kann nur von dem Clima herrühren.
Landesgüter
Ueber die hiesigen Landesgüter, als den eigent- lichen Reichthum des Landes, und dessen Verhältniß gegen die Bedürfnisse der Einwohner, habe ich fol- gendes erfahren.
Oel.
Das Hauptsächlichste der hiesigen Landesgüter, wie schon aus dem bisher Gesagten abzunehmen, ist das Oel. Jch glaube versichern zu können, daß in dem Lande um Nizza herum so viel Olivenbäume ste- hen, als es bey den übrigen Umständen zu pflanzen möglich war. Man trifft auf allen umliegenden Ber- gen keinen Platz an, wo noch einer könnte gesetzt wer- den. Hingegen findet man sehr viele, die ihre Stelle
und
Tagebuch von einer nach Nizza
Uebrigens iſt das weibliche Geſchlecht hier wohl- gebildet. Der Kopf iſt klein, nach einem ſehr ſchoͤ- nen Oval gerundet, von einem wirklich edeln Profil. Die Naſen ſind beſonders ſehr wohl gebildet, mit ei- ner ſehr ſanften Erhoͤhung von der Stirn gegen die Spitze, welche genau das Mittel haͤlt zwiſchen dem, was man eine ſpitzige und eine ſtumpfe Naſe nennt. Die Augen ſind meiſtens ſchwarz und von lebhaftem, witzigem, ſogar etwas muthwilligem Blick. Offen- bar hat dieſes Landvolk eine Nationalbildung, die ohn- gefaͤhr dieſelbe iſt, die man in der Provence ſieht. Jn der Stadt aber wird man ſie nicht gewahr.
Das Landvolk ſcheinet durchgehends hoͤflich, dienſt- fertig und gegen Vornehmere ſehr ehrerbietig, und waͤ- re ohne Zweifel in der Bildung ſehr viel ſchoͤner, und im Charakter munterer, wenn es den Druck der Duͤrftigkeit weniger fuͤhlte, und beſſere Nahrung haͤt- te. Man muß ſich in der That wundern, daß es bey ſeinen elenden Umſtaͤnden noch ſo ſchoͤn und ſo munter iſt. Dieſes kann nur von dem Clima herruͤhren.
Landesguͤter
Ueber die hieſigen Landesguͤter, als den eigent- lichen Reichthum des Landes, und deſſen Verhaͤltniß gegen die Beduͤrfniſſe der Einwohner, habe ich fol- gendes erfahren.
Oel.
Das Hauptſaͤchlichſte der hieſigen Landesguͤter, wie ſchon aus dem bisher Geſagten abzunehmen, iſt das Oel. Jch glaube verſichern zu koͤnnen, daß in dem Lande um Nizza herum ſo viel Olivenbaͤume ſte- hen, als es bey den uͤbrigen Umſtaͤnden zu pflanzen moͤglich war. Man trifft auf allen umliegenden Ber- gen keinen Platz an, wo noch einer koͤnnte geſetzt wer- den. Hingegen findet man ſehr viele, die ihre Stelle
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Tagebuch von einer nach Nizza
Uebrigens iſt das weibliche Geſchlecht hier wohl-
gebildet. Der Kopf iſt klein, nach einem ſehr ſchoͤ-
nen Oval gerundet, von einem wirklich edeln Profil.
Die Naſen ſind beſonders ſehr wohl gebildet, mit ei-
ner ſehr ſanften Erhoͤhung von der Stirn gegen die
Spitze, welche genau das Mittel haͤlt zwiſchen dem,
was man eine ſpitzige und eine ſtumpfe Naſe nennt.
Die Augen ſind meiſtens ſchwarz und von lebhaftem,
witzigem, ſogar etwas muthwilligem Blick. Offen-
bar hat dieſes Landvolk eine Nationalbildung, die ohn-
gefaͤhr dieſelbe iſt, die man in der Provence ſieht. Jn
der Stadt aber wird man ſie nicht gewahr.
Das Landvolk ſcheinet durchgehends hoͤflich, dienſt-
fertig und gegen Vornehmere ſehr ehrerbietig, und waͤ-
re ohne Zweifel in der Bildung ſehr viel ſchoͤner, und
im Charakter munterer, wenn es den Druck der
Duͤrftigkeit weniger fuͤhlte, und beſſere Nahrung haͤt-
te. Man muß ſich in der That wundern, daß es bey
ſeinen elenden Umſtaͤnden noch ſo ſchoͤn und ſo munter
iſt. Dieſes kann nur von dem Clima herruͤhren.
Ueber die hieſigen Landesguͤter, als den eigent-
lichen Reichthum des Landes, und deſſen Verhaͤltniß
gegen die Beduͤrfniſſe der Einwohner, habe ich fol-
gendes erfahren.
Das Hauptſaͤchlichſte der hieſigen Landesguͤter,
wie ſchon aus dem bisher Geſagten abzunehmen, iſt
das Oel. Jch glaube verſichern zu koͤnnen, daß in
dem Lande um Nizza herum ſo viel Olivenbaͤume ſte-
hen, als es bey den uͤbrigen Umſtaͤnden zu pflanzen
moͤglich war. Man trifft auf allen umliegenden Ber-
gen keinen Platz an, wo noch einer koͤnnte geſetzt wer-
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Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/232>, abgerufen am 21.11.2024.
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