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Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.

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von Nizza nach Deutschland.
es in einer solchen Wüste erwartet, und wird durch
einen mitten durchfließenden sehr breiten Bach in zwey
Hälften getrennt. Das etliche hundert Schritt breite,
aber ganz seichte und beynahe trockene steinige Bett die-
ses Baches, nimmt beynahe die ganze Breite dieses
zwischen hohen Bergen sich durchschlängelnden
Thales ein. An beyden Borten des Baches sind
schmale Streifen von Wiesen- und Ackerland. Die
anliegenden Berge sind, nach hiesiger Landesart, mehr
oder weniger hoch heran in Terrassen abgetheilet,
und dienen zum Korn- Wein- und Oelbau. Die
Olivenbäume stehen hier noch in großer Menge. Wie
wichtig aber den hiesigen Einwohnern eine Hand voll
Korn seyn müsse, siehet man aus der erstaunlichen
Mühe, die sie sich geben es zu gewinnen. Jch habe
hoch an den Bergen und weit von dem Orte abgelegen,
sehr mühsam aufgemauerte Terrassen angetroffen, die
nur etwa vier bis fünf Quadratruthen Landes einfaß-
ten, das dabey noch rauh und steinig war, auch ohne
Dünger schwerlich konnte genutzt werden. Dünger
heraufzuschleppen, muß aber hier höchst beschwerlich
seyn.

Hier siehet man also überzeugend, wie eine große
Lehrmeisterinn die Noth sey, um die Menschen erfin-
derisch und arbeitsam zu machen. Vermuthlich haben
ähnliche Beobachtungen einige Politiker auf die unge-
räumte Maxime geführet, daß der Landmann beyna-
he über Vermögen mit Abgaben müsse beschwert wer-
den, damit er aus Noth fleißig und arbeitsam werde.
Jch nenne diese Maxime ungereimt, weil Erfahrung
und Kenntniß der Menschen uns lehren, daß diese
aus Unterdrückung erzeugte Noth jene gute Wirkung

nicht

von Nizza nach Deutſchland.
es in einer ſolchen Wuͤſte erwartet, und wird durch
einen mitten durchfließenden ſehr breiten Bach in zwey
Haͤlften getrennt. Das etliche hundert Schritt breite,
aber ganz ſeichte und beynahe trockene ſteinige Bett die-
ſes Baches, nimmt beynahe die ganze Breite dieſes
zwiſchen hohen Bergen ſich durchſchlaͤngelnden
Thales ein. An beyden Borten des Baches ſind
ſchmale Streifen von Wieſen- und Ackerland. Die
anliegenden Berge ſind, nach hieſiger Landesart, mehr
oder weniger hoch heran in Terraſſen abgetheilet,
und dienen zum Korn- Wein- und Oelbau. Die
Olivenbaͤume ſtehen hier noch in großer Menge. Wie
wichtig aber den hieſigen Einwohnern eine Hand voll
Korn ſeyn muͤſſe, ſiehet man aus der erſtaunlichen
Muͤhe, die ſie ſich geben es zu gewinnen. Jch habe
hoch an den Bergen und weit von dem Orte abgelegen,
ſehr muͤhſam aufgemauerte Terraſſen angetroffen, die
nur etwa vier bis fuͤnf Quadratruthen Landes einfaß-
ten, das dabey noch rauh und ſteinig war, auch ohne
Duͤnger ſchwerlich konnte genutzt werden. Duͤnger
heraufzuſchleppen, muß aber hier hoͤchſt beſchwerlich
ſeyn.

Hier ſiehet man alſo uͤberzeugend, wie eine große
Lehrmeiſterinn die Noth ſey, um die Menſchen erfin-
deriſch und arbeitſam zu machen. Vermuthlich haben
aͤhnliche Beobachtungen einige Politiker auf die unge-
raͤumte Maxime gefuͤhret, daß der Landmann beyna-
he uͤber Vermoͤgen mit Abgaben muͤſſe beſchwert wer-
den, damit er aus Noth fleißig und arbeitſam werde.
Jch nenne dieſe Maxime ungereimt, weil Erfahrung
und Kenntniß der Menſchen uns lehren, daß dieſe
aus Unterdruͤckung erzeugte Noth jene gute Wirkung

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[267/0287] von Nizza nach Deutſchland. es in einer ſolchen Wuͤſte erwartet, und wird durch einen mitten durchfließenden ſehr breiten Bach in zwey Haͤlften getrennt. Das etliche hundert Schritt breite, aber ganz ſeichte und beynahe trockene ſteinige Bett die- ſes Baches, nimmt beynahe die ganze Breite dieſes zwiſchen hohen Bergen ſich durchſchlaͤngelnden Thales ein. An beyden Borten des Baches ſind ſchmale Streifen von Wieſen- und Ackerland. Die anliegenden Berge ſind, nach hieſiger Landesart, mehr oder weniger hoch heran in Terraſſen abgetheilet, und dienen zum Korn- Wein- und Oelbau. Die Olivenbaͤume ſtehen hier noch in großer Menge. Wie wichtig aber den hieſigen Einwohnern eine Hand voll Korn ſeyn muͤſſe, ſiehet man aus der erſtaunlichen Muͤhe, die ſie ſich geben es zu gewinnen. Jch habe hoch an den Bergen und weit von dem Orte abgelegen, ſehr muͤhſam aufgemauerte Terraſſen angetroffen, die nur etwa vier bis fuͤnf Quadratruthen Landes einfaß- ten, das dabey noch rauh und ſteinig war, auch ohne Duͤnger ſchwerlich konnte genutzt werden. Duͤnger heraufzuſchleppen, muß aber hier hoͤchſt beſchwerlich ſeyn. Hier ſiehet man alſo uͤberzeugend, wie eine große Lehrmeiſterinn die Noth ſey, um die Menſchen erfin- deriſch und arbeitſam zu machen. Vermuthlich haben aͤhnliche Beobachtungen einige Politiker auf die unge- raͤumte Maxime gefuͤhret, daß der Landmann beyna- he uͤber Vermoͤgen mit Abgaben muͤſſe beſchwert wer- den, damit er aus Noth fleißig und arbeitſam werde. Jch nenne dieſe Maxime ungereimt, weil Erfahrung und Kenntniß der Menſchen uns lehren, daß dieſe aus Unterdruͤckung erzeugte Noth jene gute Wirkung nicht

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/287>, abgerufen am 25.11.2024.