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Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.

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von Nizza nach Deutschland.
läuftigen Ausführung bedürfen, wozu sich dieses Ta-
gebuch nicht schicket.

Es ist Zeit, daß ich von dieser Ausschweifung
wieder zurückkomme. Jch habe von diesem wilden
Orte, la Giandola, nur noch einen Umstand anzu-
merken. Jch sah eine seltsame Art hoher und sehr
schmaler Gebäude von Stein, die sowohl auf einigen
Anhöhen als in dem Thale herum zerstreut stunden.
Sie sahen aus wie hohe aus der Erde herauskom-
mende Schornsteine; doch waren hier und da kleine
Oeffnungen in der Mauer, wie Fenster. Es war
mir unmöglich, die Bestimmung dieser Gebäude zu
errathen. Jch erfuhr von meinem Wirth, daß sie
zu Einfangung junger wilder Tauben dienten. Die
Alten machen ihre Nester in gedachten Oeffnungen,
und geben also Gelegenheit, die Jungen auszunehmen,
ehe sie ausfliegen können.

Den 4 May. Reise von Giandola über den Colle
di Tenda
nach Limone.

Von Giandola bis an das Städtchen Tenda istVon Gian-
dola nach Li-
mone.

der Weg von fünftehalb Stunden fast durchaus eben,
weil er unvermerkt in die Höhe steigt; er geht durch
ein sehr enges Thal, das oft nur eine Kluft ist, fast
gerade von Süden nach Norden. Man siehet ganz
deutlich, daß die Roja, ein sehr rauschendes Wasser,
sich dieses tiefe Thal allmählig ausgehöhlt hat. Die
Berge, zwischen denen dieser Strom durchläuft, ste-
hen so nahe an einander, daß man mit einer Pistole
von den Gipfeln der rechter Hand liegenden auf
die Gipfel der linker Hand liegenden herüber schießen
könnte.

Durch
S 3

von Nizza nach Deutſchland.
laͤuftigen Ausfuͤhrung beduͤrfen, wozu ſich dieſes Ta-
gebuch nicht ſchicket.

Es iſt Zeit, daß ich von dieſer Ausſchweifung
wieder zuruͤckkomme. Jch habe von dieſem wilden
Orte, la Giandola, nur noch einen Umſtand anzu-
merken. Jch ſah eine ſeltſame Art hoher und ſehr
ſchmaler Gebaͤude von Stein, die ſowohl auf einigen
Anhoͤhen als in dem Thale herum zerſtreut ſtunden.
Sie ſahen aus wie hohe aus der Erde herauskom-
mende Schornſteine; doch waren hier und da kleine
Oeffnungen in der Mauer, wie Fenſter. Es war
mir unmoͤglich, die Beſtimmung dieſer Gebaͤude zu
errathen. Jch erfuhr von meinem Wirth, daß ſie
zu Einfangung junger wilder Tauben dienten. Die
Alten machen ihre Neſter in gedachten Oeffnungen,
und geben alſo Gelegenheit, die Jungen auszunehmen,
ehe ſie ausfliegen koͤnnen.

Den 4 May. Reiſe von Giandola uͤber den Colle
di Tenda
nach Limone.

Von Giandola bis an das Staͤdtchen Tenda iſtVon Gian-
dola nach Li-
mone.

der Weg von fuͤnftehalb Stunden faſt durchaus eben,
weil er unvermerkt in die Hoͤhe ſteigt; er geht durch
ein ſehr enges Thal, das oft nur eine Kluft iſt, faſt
gerade von Suͤden nach Norden. Man ſiehet ganz
deutlich, daß die Roja, ein ſehr rauſchendes Waſſer,
ſich dieſes tiefe Thal allmaͤhlig ausgehoͤhlt hat. Die
Berge, zwiſchen denen dieſer Strom durchlaͤuft, ſte-
hen ſo nahe an einander, daß man mit einer Piſtole
von den Gipfeln der rechter Hand liegenden auf
die Gipfel der linker Hand liegenden heruͤber ſchießen
koͤnnte.

Durch
S 3
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[277/0297] von Nizza nach Deutſchland. laͤuftigen Ausfuͤhrung beduͤrfen, wozu ſich dieſes Ta- gebuch nicht ſchicket. Es iſt Zeit, daß ich von dieſer Ausſchweifung wieder zuruͤckkomme. Jch habe von dieſem wilden Orte, la Giandola, nur noch einen Umſtand anzu- merken. Jch ſah eine ſeltſame Art hoher und ſehr ſchmaler Gebaͤude von Stein, die ſowohl auf einigen Anhoͤhen als in dem Thale herum zerſtreut ſtunden. Sie ſahen aus wie hohe aus der Erde herauskom- mende Schornſteine; doch waren hier und da kleine Oeffnungen in der Mauer, wie Fenſter. Es war mir unmoͤglich, die Beſtimmung dieſer Gebaͤude zu errathen. Jch erfuhr von meinem Wirth, daß ſie zu Einfangung junger wilder Tauben dienten. Die Alten machen ihre Neſter in gedachten Oeffnungen, und geben alſo Gelegenheit, die Jungen auszunehmen, ehe ſie ausfliegen koͤnnen. Den 4 May. Reiſe von Giandola uͤber den Colle di Tenda nach Limone. Von Giandola bis an das Staͤdtchen Tenda iſt der Weg von fuͤnftehalb Stunden faſt durchaus eben, weil er unvermerkt in die Hoͤhe ſteigt; er geht durch ein ſehr enges Thal, das oft nur eine Kluft iſt, faſt gerade von Suͤden nach Norden. Man ſiehet ganz deutlich, daß die Roja, ein ſehr rauſchendes Waſſer, ſich dieſes tiefe Thal allmaͤhlig ausgehoͤhlt hat. Die Berge, zwiſchen denen dieſer Strom durchlaͤuft, ſte- hen ſo nahe an einander, daß man mit einer Piſtole von den Gipfeln der rechter Hand liegenden auf die Gipfel der linker Hand liegenden heruͤber ſchießen koͤnnte. Von Gian- dola nach Li- mone. Durch S 3

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/297>, abgerufen am 24.11.2024.