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Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.

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von Nizza nach Deutschland.

Gleich über diesen Ort ist das Thal beynahe durch
die zusammenstoßenden Berge versperrt, und würde
es ganz seyn, wenn nicht der hier gewaltig rauschende
Ticin sich ein Bett ausgehöhlt hätte. Der Weg
geht an der Höhe neben dem Flusse, und ist hier steil
und beschwerlich. Weiterhin öffnet sich das Thal wie-
der um etwas weiter. Hier trifft man ungeheuer
große vom Berge abgerissene Stücke Felsen an, deren
ein einziges zu Erbauung mehrerer Häuser genug
Steine geben würde. Jch vermuthe, daß dergleichen
an den Bergen Ossa und Pelion in Thessalien häu-
fig liegen müssen, und daß dieses zu der Fabel der
himmelstürmenden Giganten Gelegenheit gegeben ha-
be. Das Volk, das nicht tief in die Natur forscht,
bildet sich bey solchen Scenen leicht etwas übernatürli-
ches ein. Hievon trifft man auf dem Wege über den
Gotthard auch Proben an. Nicht weit von der Teu-
felsbrücke liegt auch ein so ungeheurer Felsenklumpen
em Wege, den, nach der Sage der dortigen Ein-
wohner, der Teufel von einem Berge abgebrochen
hat, um damit seine Brücke, wegen eines Verdruf-
ses, den man ihm wegen derselben gemacht hatte, wie-
der einzuwerfen. Aber ein Heiliger verhinderte es
durch eine Beschwörung. Diese Fabel wird nie so be-
rühmt werden, als die von den Titanen, ob sie gleich
weniger ungereimt, und übrigens gerade desselben Ur-
sprungs ist.

Noch weiter hinauf hat das zwar immer schmale
Thal fürtreffliche Wiesen; und nun nehmen die Berge
schon die eigentliche Alpenart an: das ist, sie sind
nicht so dichte mit Bäumen und Gesträuch bewachsen,
und haben hier und da weite freye mit Gras bewachse-

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von Nizza nach Deutſchland.

Gleich uͤber dieſen Ort iſt das Thal beynahe durch
die zuſammenſtoßenden Berge verſperrt, und wuͤrde
es ganz ſeyn, wenn nicht der hier gewaltig rauſchende
Ticin ſich ein Bett ausgehoͤhlt haͤtte. Der Weg
geht an der Hoͤhe neben dem Fluſſe, und iſt hier ſteil
und beſchwerlich. Weiterhin oͤffnet ſich das Thal wie-
der um etwas weiter. Hier trifft man ungeheuer
große vom Berge abgeriſſene Stuͤcke Felſen an, deren
ein einziges zu Erbauung mehrerer Haͤuſer genug
Steine geben wuͤrde. Jch vermuthe, daß dergleichen
an den Bergen Oſſa und Pelion in Theſſalien haͤu-
fig liegen muͤſſen, und daß dieſes zu der Fabel der
himmelſtuͤrmenden Giganten Gelegenheit gegeben ha-
be. Das Volk, das nicht tief in die Natur forſcht,
bildet ſich bey ſolchen Scenen leicht etwas uͤbernatuͤrli-
ches ein. Hievon trifft man auf dem Wege uͤber den
Gotthard auch Proben an. Nicht weit von der Teu-
felsbruͤcke liegt auch ein ſo ungeheurer Felſenklumpen
em Wege, den, nach der Sage der dortigen Ein-
wohner, der Teufel von einem Berge abgebrochen
hat, um damit ſeine Bruͤcke, wegen eines Verdruf-
ſes, den man ihm wegen derſelben gemacht hatte, wie-
der einzuwerfen. Aber ein Heiliger verhinderte es
durch eine Beſchwoͤrung. Dieſe Fabel wird nie ſo be-
ruͤhmt werden, als die von den Titanen, ob ſie gleich
weniger ungereimt, und uͤbrigens gerade deſſelben Ur-
ſprungs iſt.

Noch weiter hinauf hat das zwar immer ſchmale
Thal fuͤrtreffliche Wieſen; und nun nehmen die Berge
ſchon die eigentliche Alpenart an: das iſt, ſie ſind
nicht ſo dichte mit Baͤumen und Geſtraͤuch bewachſen,
und haben hier und da weite freye mit Gras bewachſe-

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[359/0379] von Nizza nach Deutſchland. Gleich uͤber dieſen Ort iſt das Thal beynahe durch die zuſammenſtoßenden Berge verſperrt, und wuͤrde es ganz ſeyn, wenn nicht der hier gewaltig rauſchende Ticin ſich ein Bett ausgehoͤhlt haͤtte. Der Weg geht an der Hoͤhe neben dem Fluſſe, und iſt hier ſteil und beſchwerlich. Weiterhin oͤffnet ſich das Thal wie- der um etwas weiter. Hier trifft man ungeheuer große vom Berge abgeriſſene Stuͤcke Felſen an, deren ein einziges zu Erbauung mehrerer Haͤuſer genug Steine geben wuͤrde. Jch vermuthe, daß dergleichen an den Bergen Oſſa und Pelion in Theſſalien haͤu- fig liegen muͤſſen, und daß dieſes zu der Fabel der himmelſtuͤrmenden Giganten Gelegenheit gegeben ha- be. Das Volk, das nicht tief in die Natur forſcht, bildet ſich bey ſolchen Scenen leicht etwas uͤbernatuͤrli- ches ein. Hievon trifft man auf dem Wege uͤber den Gotthard auch Proben an. Nicht weit von der Teu- felsbruͤcke liegt auch ein ſo ungeheurer Felſenklumpen em Wege, den, nach der Sage der dortigen Ein- wohner, der Teufel von einem Berge abgebrochen hat, um damit ſeine Bruͤcke, wegen eines Verdruf- ſes, den man ihm wegen derſelben gemacht hatte, wie- der einzuwerfen. Aber ein Heiliger verhinderte es durch eine Beſchwoͤrung. Dieſe Fabel wird nie ſo be- ruͤhmt werden, als die von den Titanen, ob ſie gleich weniger ungereimt, und uͤbrigens gerade deſſelben Ur- ſprungs iſt. Noch weiter hinauf hat das zwar immer ſchmale Thal fuͤrtreffliche Wieſen; und nun nehmen die Berge ſchon die eigentliche Alpenart an: das iſt, ſie ſind nicht ſo dichte mit Baͤumen und Geſtraͤuch bewachſen, und haben hier und da weite freye mit Gras bewachſe- ne Z 4

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/379>, abgerufen am 22.11.2024.