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Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.

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von Nizza nach Deutschland.
zu denken, daß wir hier aller Wahrscheinlichkeit nach
unglücklich geworden wären, wenn das Pferd meines
Begleiters nicht klüger als der Reiter gewesen wäre.
Das Schneegewölbe würde, da es schon so dünne
war, ohnfehlbar unter uns eingestürzt seyn.

Dieses war der letzte gefährliche Schritt auf dem
sonderbaren Wege, den ich heute gemacht habe.
Denn bald nachher kamen wir ganz auf die Ebene her-
unter, wo ich wieder Wiesen und eine Menge schöner
Obstbäume antraf. Nach sieben Uhr langte ich glück-
lich zu Am Stäg an, das ganz in der Ebene, gerade
vor dem Eingange des Schlundes liegt, durch wel-
chen ich herunter gekommen war.

Jch kann mich nicht enthalten, ehe ich die AlpenBetrachtun-
gen bey Rei-
sen über hohe
Gebürge.

verlasse, noch ein paar allgemeine Anmerkungen über
die Reisen durch solche hohe Gebürge zu machen. Seit-
dem ich in meiner Jugend durch einen Theil der Alpen
gereiset, habe ich oft gedacht, daß der, welcher nie
in solchen Gebürgen gewesen ist, das Größte, das
Wunderbarste und Merkwürdigste in der leblosen Na-
tur nicht gesehen habe; und jetzt bin ich wieder aufs
neue in dieser Meinung bestärkt worden. Alle Be-
griffe von Macht und Größe und unwiderstehlicher Ge-
walt, die man sich bey Gelegenheit der menschlichen
Anstalten gemacht hat, verschwinden hier wie Wasser-
blasen; und von den großen Veranstaltungen der Na-
tur zur allgemeinen Oekonomie dieses Erdbodens be-
kommt man da ganz andre Begriffe und Einsichten,
als durch langes Forschen und Studieren im Cabinett.
Diese Anmerkungen scheinen mir einiger Entwickelung
werth zu seyn.

Die
A a 3

von Nizza nach Deutſchland.
zu denken, daß wir hier aller Wahrſcheinlichkeit nach
ungluͤcklich geworden waͤren, wenn das Pferd meines
Begleiters nicht kluͤger als der Reiter geweſen waͤre.
Das Schneegewoͤlbe wuͤrde, da es ſchon ſo duͤnne
war, ohnfehlbar unter uns eingeſtuͤrzt ſeyn.

Dieſes war der letzte gefaͤhrliche Schritt auf dem
ſonderbaren Wege, den ich heute gemacht habe.
Denn bald nachher kamen wir ganz auf die Ebene her-
unter, wo ich wieder Wieſen und eine Menge ſchoͤner
Obſtbaͤume antraf. Nach ſieben Uhr langte ich gluͤck-
lich zu Am Staͤg an, das ganz in der Ebene, gerade
vor dem Eingange des Schlundes liegt, durch wel-
chen ich herunter gekommen war.

Jch kann mich nicht enthalten, ehe ich die AlpenBetrachtun-
gen bey Rei-
ſen uͤber hohe
Gebuͤrge.

verlaſſe, noch ein paar allgemeine Anmerkungen uͤber
die Reiſen durch ſolche hohe Gebuͤrge zu machen. Seit-
dem ich in meiner Jugend durch einen Theil der Alpen
gereiſet, habe ich oft gedacht, daß der, welcher nie
in ſolchen Gebuͤrgen geweſen iſt, das Groͤßte, das
Wunderbarſte und Merkwuͤrdigſte in der lebloſen Na-
tur nicht geſehen habe; und jetzt bin ich wieder aufs
neue in dieſer Meinung beſtaͤrkt worden. Alle Be-
griffe von Macht und Groͤße und unwiderſtehlicher Ge-
walt, die man ſich bey Gelegenheit der menſchlichen
Anſtalten gemacht hat, verſchwinden hier wie Waſſer-
blaſen; und von den großen Veranſtaltungen der Na-
tur zur allgemeinen Oekonomie dieſes Erdbodens be-
kommt man da ganz andre Begriffe und Einſichten,
als durch langes Forſchen und Studieren im Cabinett.
Dieſe Anmerkungen ſcheinen mir einiger Entwickelung
werth zu ſeyn.

Die
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[373/0393] von Nizza nach Deutſchland. zu denken, daß wir hier aller Wahrſcheinlichkeit nach ungluͤcklich geworden waͤren, wenn das Pferd meines Begleiters nicht kluͤger als der Reiter geweſen waͤre. Das Schneegewoͤlbe wuͤrde, da es ſchon ſo duͤnne war, ohnfehlbar unter uns eingeſtuͤrzt ſeyn. Dieſes war der letzte gefaͤhrliche Schritt auf dem ſonderbaren Wege, den ich heute gemacht habe. Denn bald nachher kamen wir ganz auf die Ebene her- unter, wo ich wieder Wieſen und eine Menge ſchoͤner Obſtbaͤume antraf. Nach ſieben Uhr langte ich gluͤck- lich zu Am Staͤg an, das ganz in der Ebene, gerade vor dem Eingange des Schlundes liegt, durch wel- chen ich herunter gekommen war. Jch kann mich nicht enthalten, ehe ich die Alpen verlaſſe, noch ein paar allgemeine Anmerkungen uͤber die Reiſen durch ſolche hohe Gebuͤrge zu machen. Seit- dem ich in meiner Jugend durch einen Theil der Alpen gereiſet, habe ich oft gedacht, daß der, welcher nie in ſolchen Gebuͤrgen geweſen iſt, das Groͤßte, das Wunderbarſte und Merkwuͤrdigſte in der lebloſen Na- tur nicht geſehen habe; und jetzt bin ich wieder aufs neue in dieſer Meinung beſtaͤrkt worden. Alle Be- griffe von Macht und Groͤße und unwiderſtehlicher Ge- walt, die man ſich bey Gelegenheit der menſchlichen Anſtalten gemacht hat, verſchwinden hier wie Waſſer- blaſen; und von den großen Veranſtaltungen der Na- tur zur allgemeinen Oekonomie dieſes Erdbodens be- kommt man da ganz andre Begriffe und Einſichten, als durch langes Forſchen und Studieren im Cabinett. Dieſe Anmerkungen ſcheinen mir einiger Entwickelung werth zu ſeyn. Betrachtun- gen bey Rei- ſen uͤber hohe Gebuͤrge. Die A a 3

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/393>, abgerufen am 22.11.2024.