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Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.

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Tagebuch von der Rückreise
Zeichner Geßner zu Originalen seiner poetischen
Schilderungen und malerischen Zeichnungen gedient
haben.

Je näher man gegen Zürich kommt, je lebhaf-
ter wird die Straße. Auf der letzten Stunde des
Weges ist sie zu beyden Seiten fast durchaus mit Häu-
sern besetzt, deren schöne Lage, Bauart, Reinlichkeit
und ganze Einrichtung etwas mehr als Wohnungen
des Landmanns anzeigen. Man bemerkt nicht nur
Wohlstand, sondern Reichthum an vielen dieser Häu-
ser. Eben so sind auch die Dörfer, die längst an den
beyden Ufern des Sees liegen. An keinem Orte ha-
be ich Landvolk angetroffen, dem man den Wohlstand
und sogar den Reichthum und Ueberfluß deutlicher an-
gesehen hätte, als diesem. Und dadurch wird die
ganze Gegend um Zürich herum, wenigstens auf ei-
ne Stunde Weges weit, gegen jede Seite hin, zu ei-
ner der herrlichsten, die man sich in der Einbildungs-
kraft vorstellen kann. Um Genf herum ist die Ge-
gend an Gärten und Gebäuden prächtiger; aber diese
Gebäude sind da Landsitze reicher Bürger der Stadt.
Hier aber ist es der Landmann, der Unterthan der Re-
publik selbst, der so wohnet und in solchem Wohlstan-
de lebt.

Man kann auch dieses Landvolk eigentlich nicht für
Bauren halten. Denn ob sie gleich sich etwas mit
dem Landbau abgeben, so beschäfftigen sich die mei-
sten überdem noch mit Fabrikarbeiten für die Hand-
lungshäuser der Stadt; andere sind Factoren dersel-
ben; noch andere treiben für sich selbst eine Art Han-
del, indem sie gesponnenes baumwollen Garn im Lan-
de aufkaufen u. s. f. obgleich das eigentliche Fabrici-

ren

Tagebuch von der Ruͤckreiſe
Zeichner Geßner zu Originalen ſeiner poetiſchen
Schilderungen und maleriſchen Zeichnungen gedient
haben.

Je naͤher man gegen Zuͤrich kommt, je lebhaf-
ter wird die Straße. Auf der letzten Stunde des
Weges iſt ſie zu beyden Seiten faſt durchaus mit Haͤu-
ſern beſetzt, deren ſchoͤne Lage, Bauart, Reinlichkeit
und ganze Einrichtung etwas mehr als Wohnungen
des Landmanns anzeigen. Man bemerkt nicht nur
Wohlſtand, ſondern Reichthum an vielen dieſer Haͤu-
ſer. Eben ſo ſind auch die Doͤrfer, die laͤngſt an den
beyden Ufern des Sees liegen. An keinem Orte ha-
be ich Landvolk angetroffen, dem man den Wohlſtand
und ſogar den Reichthum und Ueberfluß deutlicher an-
geſehen haͤtte, als dieſem. Und dadurch wird die
ganze Gegend um Zuͤrich herum, wenigſtens auf ei-
ne Stunde Weges weit, gegen jede Seite hin, zu ei-
ner der herrlichſten, die man ſich in der Einbildungs-
kraft vorſtellen kann. Um Genf herum iſt die Ge-
gend an Gaͤrten und Gebaͤuden praͤchtiger; aber dieſe
Gebaͤude ſind da Landſitze reicher Buͤrger der Stadt.
Hier aber iſt es der Landmann, der Unterthan der Re-
publik ſelbſt, der ſo wohnet und in ſolchem Wohlſtan-
de lebt.

Man kann auch dieſes Landvolk eigentlich nicht fuͤr
Bauren halten. Denn ob ſie gleich ſich etwas mit
dem Landbau abgeben, ſo beſchaͤfftigen ſich die mei-
ſten uͤberdem noch mit Fabrikarbeiten fuͤr die Hand-
lungshaͤuſer der Stadt; andere ſind Factoren derſel-
ben; noch andere treiben fuͤr ſich ſelbſt eine Art Han-
del, indem ſie geſponnenes baumwollen Garn im Lan-
de aufkaufen u. ſ. f. obgleich das eigentliche Fabrici-

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[390/0410] Tagebuch von der Ruͤckreiſe Zeichner Geßner zu Originalen ſeiner poetiſchen Schilderungen und maleriſchen Zeichnungen gedient haben. Je naͤher man gegen Zuͤrich kommt, je lebhaf- ter wird die Straße. Auf der letzten Stunde des Weges iſt ſie zu beyden Seiten faſt durchaus mit Haͤu- ſern beſetzt, deren ſchoͤne Lage, Bauart, Reinlichkeit und ganze Einrichtung etwas mehr als Wohnungen des Landmanns anzeigen. Man bemerkt nicht nur Wohlſtand, ſondern Reichthum an vielen dieſer Haͤu- ſer. Eben ſo ſind auch die Doͤrfer, die laͤngſt an den beyden Ufern des Sees liegen. An keinem Orte ha- be ich Landvolk angetroffen, dem man den Wohlſtand und ſogar den Reichthum und Ueberfluß deutlicher an- geſehen haͤtte, als dieſem. Und dadurch wird die ganze Gegend um Zuͤrich herum, wenigſtens auf ei- ne Stunde Weges weit, gegen jede Seite hin, zu ei- ner der herrlichſten, die man ſich in der Einbildungs- kraft vorſtellen kann. Um Genf herum iſt die Ge- gend an Gaͤrten und Gebaͤuden praͤchtiger; aber dieſe Gebaͤude ſind da Landſitze reicher Buͤrger der Stadt. Hier aber iſt es der Landmann, der Unterthan der Re- publik ſelbſt, der ſo wohnet und in ſolchem Wohlſtan- de lebt. Man kann auch dieſes Landvolk eigentlich nicht fuͤr Bauren halten. Denn ob ſie gleich ſich etwas mit dem Landbau abgeben, ſo beſchaͤfftigen ſich die mei- ſten uͤberdem noch mit Fabrikarbeiten fuͤr die Hand- lungshaͤuſer der Stadt; andere ſind Factoren derſel- ben; noch andere treiben fuͤr ſich ſelbſt eine Art Han- del, indem ſie geſponnenes baumwollen Garn im Lan- de aufkaufen u. ſ. f. obgleich das eigentliche Fabrici- ren

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/410>, abgerufen am 21.11.2024.