die Auflösung völlig bestimmt werden, daß keine Frage mehr darüber entstehen kann. Plautus hat verschiedentlich gegen diese Vollständigkeit der Auflösung gefehlt. So hat sein Stük, das er Mostellaria genennt hat, eine so unvollständige Auflösung, daß das Ende davon ganz abgeschmakt wird.
Es ist zwar eben nicht nöthig, wie einige mey- nen, daß die Auflösung zuletzt alle Personen auf die Bühne vereinige: genug wenn dieselbe nur alle weitere Unternehmung hemmt, und unsre Erwar- tung über die Personen befriediget, sie seyn zugegen oder nicht.
Endlich muß die Auflösung zu rechter Zeit ge- schehen; nämlich, wenn unsre Erwartung auf das höchste gekommen ist. Nicht eher, weil sie sonst nicht Reizung genug hat; daher bisweilen eine (*) S. Auf- haltung.Aufhaltung nothwendig ist; (*) nicht später, damit die Lebhaftigkeit der Erwartung nicht wieder ab- nehme. Beydes ist sehr wichtig, weil die Lebhaf- tigkeit der Vorstellungen bey der Auflösung die stärksten Eindrüke im Gemüthe zurük läßt.
Vom Ausgange, der durch die Auflösung be- würkt wird, ist besonders gesprochen worden. S. Ausgang.
Will man gegen die Wichtigkeit aller dieser An- merkungen, so wie gegen alles, was die Regeln der Vollkommenheit eines Werks betrifft, einwenden, daß viele Stüke sehr gefallen, darin diese Vor- schriften nicht beobachtet sind; so kann man ein- mal für alle dieses zur Antwort nehmen, daß jene Stüke noch mehr gefallen würden, wenn dabey auch noch diese Regeln wären beobachtet worden.
Was hier von der Auflösung der dramatischen Handlung angemerkt ist, kann auch auf die epische Handlung angewendet werden. Die Kunstrichter haben davon weniger geschrieben, weil der Dichter in dieser weniger Zwang fühlt, und also allen Fo- derungen leichter genug thun kann.
Auflösung der Dissonanz in der Musik. Hier wird das Wort Auflösung in einer ganz besondern engen Bedeutung genommen; denn nicht eine jede Herstellung der völligen Harmonie, sondern nur eine gewisse Gattung derselben bekömmt den Na- nien der Auflösung. Jn den beyden hiebey ge- schriebenen Beyspielen
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Auf
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wird die Harmonie durch Dissonanzen zerstöhrt, da in dem zweyten und vierten Viertel des ersten Takts zwey Dissonanzen anstatt der Consonanzen stehen, so gleich aber wieder in Consonanzen durch steigen oder fallen, eintreten; in dem andern Bey- spiel aber werden gar alle Consonanzen in Dis- sonanzen verwandelt, die aber gleich wieder in die Consonanzen zurük treten. Dergleichen Fälle aber werden nicht zu den Auflösungen gerechnet. (*)(*) S. Durch- gang, Ver- wechslung. Diese Dissonanzen erscheinen ohne Vorbereitung und verschwinden auch plötzlich wieder; in dem sie nur in geschwinden Bewegungen statt haben, wo das Ohr kaum Zeit hat sich wieder nach der rei- nen Harmonie zu sehnen. Die eigentlichen Auflö- sungen betreffen nur diejenigen Dissonanzen, die durch Bindungen vorbereitet worden und folg- lich wieder entbunden oder aufgelöst werden müssen. Weil diese Dissonanzen entweder wegen ihrer län- gern Dauer, oder wegen des darauf liegenden Nachdruks merklichen Eindruk machen, und dem Gehör ein würkliches Verlangen nach der Herstel- lung der Ordnung erweken; so muß diese Herstel- lung auf eine befriedigende Weise geschehen. Da- her sind die Regeln von der Auflösung der Dis- sonanzen entstanden. Je langsamer die Bewegung ist, und je daurender oder nachdrüklicher der Ein- druk der Dissonanzen gewesen ist, je genauer muß man sich bey ihrer Auflösung an diese Regeln bin- den. Ein kleines Versehen dabey wird einem wolgeübten Ohr sehr empfindlich.
Diese Regeln sind von den ältern Tonsetzern größtentheils für die langsamen Choräle und für die nachdrükliche Allabreve Bewegung erfunden worden, wo die Harmonie mit großer Genauigkeit will behandelt seyn. Daß große Meister in ge- schwinden Sachen, und in dem, was man die ga- lante Schreibart nennt, sich nicht allemal pünktlich an diese Regeln binden; (wie wol auch da die größ- ten Meister, sich am wenigsten Freyheiten erlau- ben) soll Anfänger oder minder geübtere nicht zur Nachläßigkeit verleiten. Es ist allemal sicherer, sich
die
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die Aufloͤſung voͤllig beſtimmt werden, daß keine Frage mehr daruͤber entſtehen kann. Plautus hat verſchiedentlich gegen dieſe Vollſtaͤndigkeit der Aufloͤſung gefehlt. So hat ſein Stuͤk, das er Moſtellaria genennt hat, eine ſo unvollſtaͤndige Aufloͤſung, daß das Ende davon ganz abgeſchmakt wird.
Es iſt zwar eben nicht noͤthig, wie einige mey- nen, daß die Aufloͤſung zuletzt alle Perſonen auf die Buͤhne vereinige: genug wenn dieſelbe nur alle weitere Unternehmung hemmt, und unſre Erwar- tung uͤber die Perſonen befriediget, ſie ſeyn zugegen oder nicht.
Endlich muß die Aufloͤſung zu rechter Zeit ge- ſchehen; naͤmlich, wenn unſre Erwartung auf das hoͤchſte gekommen iſt. Nicht eher, weil ſie ſonſt nicht Reizung genug hat; daher bisweilen eine (*) S. Auf- haltung.Aufhaltung nothwendig iſt; (*) nicht ſpaͤter, damit die Lebhaftigkeit der Erwartung nicht wieder ab- nehme. Beydes iſt ſehr wichtig, weil die Lebhaf- tigkeit der Vorſtellungen bey der Aufloͤſung die ſtaͤrkſten Eindruͤke im Gemuͤthe zuruͤk laͤßt.
Vom Ausgange, der durch die Aufloͤſung be- wuͤrkt wird, iſt beſonders geſprochen worden. S. Ausgang.
Will man gegen die Wichtigkeit aller dieſer An- merkungen, ſo wie gegen alles, was die Regeln der Vollkommenheit eines Werks betrifft, einwenden, daß viele Stuͤke ſehr gefallen, darin dieſe Vor- ſchriften nicht beobachtet ſind; ſo kann man ein- mal fuͤr alle dieſes zur Antwort nehmen, daß jene Stuͤke noch mehr gefallen wuͤrden, wenn dabey auch noch dieſe Regeln waͤren beobachtet worden.
Was hier von der Aufloͤſung der dramatiſchen Handlung angemerkt iſt, kann auch auf die epiſche Handlung angewendet werden. Die Kunſtrichter haben davon weniger geſchrieben, weil der Dichter in dieſer weniger Zwang fuͤhlt, und alſo allen Fo- derungen leichter genug thun kann.
Aufloͤſung der Diſſonanz in der Muſik. Hier wird das Wort Aufloͤſung in einer ganz beſondern engen Bedeutung genommen; denn nicht eine jede Herſtellung der voͤlligen Harmonie, ſondern nur eine gewiſſe Gattung derſelben bekoͤmmt den Na- nien der Aufloͤſung. Jn den beyden hiebey ge- ſchriebenen Beyſpielen
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wird die Harmonie durch Diſſonanzen zerſtoͤhrt, da in dem zweyten und vierten Viertel des erſten Takts zwey Diſſonanzen anſtatt der Conſonanzen ſtehen, ſo gleich aber wieder in Conſonanzen durch ſteigen oder fallen, eintreten; in dem andern Bey- ſpiel aber werden gar alle Conſonanzen in Diſ- ſonanzen verwandelt, die aber gleich wieder in die Conſonanzen zuruͤk treten. Dergleichen Faͤlle aber werden nicht zu den Aufloͤſungen gerechnet. (*)(*) S. Durch- gang, Ver- wechslung. Dieſe Diſſonanzen erſcheinen ohne Vorbereitung und verſchwinden auch ploͤtzlich wieder; in dem ſie nur in geſchwinden Bewegungen ſtatt haben, wo das Ohr kaum Zeit hat ſich wieder nach der rei- nen Harmonie zu ſehnen. Die eigentlichen Aufloͤ- ſungen betreffen nur diejenigen Diſſonanzen, die durch Bindungen vorbereitet worden und folg- lich wieder entbunden oder aufgeloͤſt werden muͤſſen. Weil dieſe Diſſonanzen entweder wegen ihrer laͤn- gern Dauer, oder wegen des darauf liegenden Nachdruks merklichen Eindruk machen, und dem Gehoͤr ein wuͤrkliches Verlangen nach der Herſtel- lung der Ordnung erweken; ſo muß dieſe Herſtel- lung auf eine befriedigende Weiſe geſchehen. Da- her ſind die Regeln von der Aufloͤſung der Diſ- ſonanzen entſtanden. Je langſamer die Bewegung iſt, und je daurender oder nachdruͤklicher der Ein- druk der Diſſonanzen geweſen iſt, je genauer muß man ſich bey ihrer Aufloͤſung an dieſe Regeln bin- den. Ein kleines Verſehen dabey wird einem wolgeuͤbten Ohr ſehr empfindlich.
Dieſe Regeln ſind von den aͤltern Tonſetzern groͤßtentheils fuͤr die langſamen Choraͤle und fuͤr die nachdruͤkliche Allabreve Bewegung erfunden worden, wo die Harmonie mit großer Genauigkeit will behandelt ſeyn. Daß große Meiſter in ge- ſchwinden Sachen, und in dem, was man die ga- lante Schreibart nennt, ſich nicht allemal puͤnktlich an dieſe Regeln binden; (wie wol auch da die groͤß- ten Meiſter, ſich am wenigſten Freyheiten erlau- ben) ſoll Anfaͤnger oder minder geuͤbtere nicht zur Nachlaͤßigkeit verleiten. Es iſt allemal ſicherer, ſich
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[88/0100]
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die Aufloͤſung voͤllig beſtimmt werden, daß keine
Frage mehr daruͤber entſtehen kann. Plautus
hat verſchiedentlich gegen dieſe Vollſtaͤndigkeit der
Aufloͤſung gefehlt. So hat ſein Stuͤk, das er
Moſtellaria genennt hat, eine ſo unvollſtaͤndige
Aufloͤſung, daß das Ende davon ganz abgeſchmakt
wird.
Es iſt zwar eben nicht noͤthig, wie einige mey-
nen, daß die Aufloͤſung zuletzt alle Perſonen auf die
Buͤhne vereinige: genug wenn dieſelbe nur alle
weitere Unternehmung hemmt, und unſre Erwar-
tung uͤber die Perſonen befriediget, ſie ſeyn zugegen
oder nicht.
Endlich muß die Aufloͤſung zu rechter Zeit ge-
ſchehen; naͤmlich, wenn unſre Erwartung auf das
hoͤchſte gekommen iſt. Nicht eher, weil ſie ſonſt
nicht Reizung genug hat; daher bisweilen eine
Aufhaltung nothwendig iſt; (*) nicht ſpaͤter, damit
die Lebhaftigkeit der Erwartung nicht wieder ab-
nehme. Beydes iſt ſehr wichtig, weil die Lebhaf-
tigkeit der Vorſtellungen bey der Aufloͤſung die
ſtaͤrkſten Eindruͤke im Gemuͤthe zuruͤk laͤßt.
(*) S. Auf-
haltung.
Vom Ausgange, der durch die Aufloͤſung be-
wuͤrkt wird, iſt beſonders geſprochen worden. S.
Ausgang.
Will man gegen die Wichtigkeit aller dieſer An-
merkungen, ſo wie gegen alles, was die Regeln der
Vollkommenheit eines Werks betrifft, einwenden,
daß viele Stuͤke ſehr gefallen, darin dieſe Vor-
ſchriften nicht beobachtet ſind; ſo kann man ein-
mal fuͤr alle dieſes zur Antwort nehmen, daß jene
Stuͤke noch mehr gefallen wuͤrden, wenn dabey
auch noch dieſe Regeln waͤren beobachtet worden.
Was hier von der Aufloͤſung der dramatiſchen
Handlung angemerkt iſt, kann auch auf die epiſche
Handlung angewendet werden. Die Kunſtrichter
haben davon weniger geſchrieben, weil der Dichter
in dieſer weniger Zwang fuͤhlt, und alſo allen Fo-
derungen leichter genug thun kann.
Aufloͤſung der Diſſonanz in der Muſik. Hier
wird das Wort Aufloͤſung in einer ganz beſondern
engen Bedeutung genommen; denn nicht eine jede
Herſtellung der voͤlligen Harmonie, ſondern nur
eine gewiſſe Gattung derſelben bekoͤmmt den Na-
nien der Aufloͤſung. Jn den beyden hiebey ge-
ſchriebenen Beyſpielen
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wird die Harmonie durch Diſſonanzen zerſtoͤhrt,
da in dem zweyten und vierten Viertel des erſten
Takts zwey Diſſonanzen anſtatt der Conſonanzen
ſtehen, ſo gleich aber wieder in Conſonanzen durch
ſteigen oder fallen, eintreten; in dem andern Bey-
ſpiel aber werden gar alle Conſonanzen in Diſ-
ſonanzen verwandelt, die aber gleich wieder in die
Conſonanzen zuruͤk treten. Dergleichen Faͤlle aber
werden nicht zu den Aufloͤſungen gerechnet. (*)
Dieſe Diſſonanzen erſcheinen ohne Vorbereitung
und verſchwinden auch ploͤtzlich wieder; in dem ſie
nur in geſchwinden Bewegungen ſtatt haben, wo
das Ohr kaum Zeit hat ſich wieder nach der rei-
nen Harmonie zu ſehnen. Die eigentlichen Aufloͤ-
ſungen betreffen nur diejenigen Diſſonanzen, die
durch Bindungen vorbereitet worden und folg-
lich wieder entbunden oder aufgeloͤſt werden muͤſſen.
Weil dieſe Diſſonanzen entweder wegen ihrer laͤn-
gern Dauer, oder wegen des darauf liegenden
Nachdruks merklichen Eindruk machen, und dem
Gehoͤr ein wuͤrkliches Verlangen nach der Herſtel-
lung der Ordnung erweken; ſo muß dieſe Herſtel-
lung auf eine befriedigende Weiſe geſchehen. Da-
her ſind die Regeln von der Aufloͤſung der Diſ-
ſonanzen entſtanden. Je langſamer die Bewegung
iſt, und je daurender oder nachdruͤklicher der Ein-
druk der Diſſonanzen geweſen iſt, je genauer muß
man ſich bey ihrer Aufloͤſung an dieſe Regeln bin-
den. Ein kleines Verſehen dabey wird einem
wolgeuͤbten Ohr ſehr empfindlich.
(*) S.
Durch-
gang, Ver-
wechslung.
Dieſe Regeln ſind von den aͤltern Tonſetzern
groͤßtentheils fuͤr die langſamen Choraͤle und fuͤr
die nachdruͤkliche Allabreve Bewegung erfunden
worden, wo die Harmonie mit großer Genauigkeit
will behandelt ſeyn. Daß große Meiſter in ge-
ſchwinden Sachen, und in dem, was man die ga-
lante Schreibart nennt, ſich nicht allemal puͤnktlich
an dieſe Regeln binden; (wie wol auch da die groͤß-
ten Meiſter, ſich am wenigſten Freyheiten erlau-
ben) ſoll Anfaͤnger oder minder geuͤbtere nicht zur
Nachlaͤßigkeit verleiten. Es iſt allemal ſicherer, ſich
die
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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/100>, abgerufen am 16.02.2025.
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