Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch] Aus und verehrte die Götter.| Dieses that sie ohne Wei-nen, und ohne einen Seufzer hören zu lassen. Jhr schönes Gesicht zeigte keine Spuhr des ihr bevor- stehenden Schiksals. "Als sie aber hierauf in ihr Zimmer und an ihr "Denn warf sie sich auf das Bette hin, küßte "Jhre Kinder hiengen an ihrem Gewand, und "Alle Bediente des Hauses weinten, und beklag- Dieses ist ohne Zweifel ein Muster eines vollkom- Eine sorgfältige Ueberlegung verdienet auch die Aus den. Es wird genug seyn, einige Beyspiele davonanzuführen. Zur Ausbildung der Personen thun gewisse be- -- # (*)(*) Il. #. v. 148. 149. Der Dichter stellt uns hier zwey neue Personen vor, Eine besondere glükliche Ausbildung ist die, de- Bey allen Arten der Ausbildung hat man sich Ausdruk. (Schöne Künste.) Man braucht dieses Wort in der Kunstsprache, werden,
[Spaltenumbruch] Aus und verehrte die Goͤtter.| Dieſes that ſie ohne Wei-nen, und ohne einen Seufzer hoͤren zu laſſen. Jhr ſchoͤnes Geſicht zeigte keine Spuhr des ihr bevor- ſtehenden Schikſals. „Als ſie aber hierauf in ihr Zimmer und an ihr „Denn warf ſie ſich auf das Bette hin, kuͤßte „Jhre Kinder hiengen an ihrem Gewand, und „Alle Bediente des Hauſes weinten, und beklag- Dieſes iſt ohne Zweifel ein Muſter eines vollkom- Eine ſorgfaͤltige Ueberlegung verdienet auch die Aus den. Es wird genug ſeyn, einige Beyſpiele davonanzufuͤhren. Zur Ausbildung der Perſonen thun gewiſſe be- — # (*)(*) Il. #. v. 148. 149. Der Dichter ſtellt uns hier zwey neue Perſonen vor, Eine beſondere gluͤkliche Ausbildung iſt die, de- Bey allen Arten der Ausbildung hat man ſich Ausdruk. (Schoͤne Kuͤnſte.) Man braucht dieſes Wort in der Kunſtſprache, werden,
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Aus
Aus
und verehrte die Goͤtter.| Dieſes that ſie ohne Wei-
nen, und ohne einen Seufzer hoͤren zu laſſen. Jhr
ſchoͤnes Geſicht zeigte keine Spuhr des ihr bevor-
ſtehenden Schikſals.
„Als ſie aber hierauf in ihr Zimmer und an ihr
Bette gegangen war, floſſen haͤufige Thraͤnen, und
man hoͤrte ſie folgendes ſagen: Du eheliches Bett,
in dem ich den jungfraͤulichen Guͤrtel fuͤr den Mann
aufgeloͤſt habe, fuͤr den ich itzt ſterbe, ſey mir zum
letzten male gegruͤßt; noch haſſe ich dich nicht, wie-
wol du mich umbringſt. Von dir wird eine andre
Frau Beſitz nehmen, nicht keuſcher, noch treuer,
als ich — aber wol gluͤklicher.
„Denn warf ſie ſich auf das Bette hin, kuͤßte
und benetzte es mit ihren Thraͤnen — denn muͤde
vom Weinen ſtund ſie auf, verließ das Zimmer,
kam wieder zuruͤke, und ſo gieng ſie oft aus und
ein, und warf ſich oft auf das Bette hin.
„Jhre Kinder hiengen an ihrem Gewand, und
weinten. Sie nahm eines um das andre in den
Arm, kuͤßte ſie oft, und ſo, als wenn jeder Kuß
der letzte waͤre.
„Alle Bediente des Hauſes weinten, und beklag-
ten ihre Gebieterin; ſie reichte jedem die Hand,
nennte jeden, auch den geringſten mit Namen,
gruͤßte ſie, und wurde von jedem gegruͤßt.‟
Dieſes iſt ohne Zweifel ein Muſter eines vollkom-
men ausgebildeten Gemaͤhldes.
Eine ſorgfaͤltige Ueberlegung verdienet auch die
Ausbildung der Perſonen und der Charaktere, ſo
wol in Gedichten, als in Gemaͤhlden. Von
Hauptperſonen iſt hier nicht die Rede, weil dieſe
entweder zum voraus hinlaͤnglich bekannt ſind, oder,
da ſie durch die ganze Handlung am oͤfterſten er-
ſcheinen, natuͤrlicher Weiſe uns hinlaͤnglich bekannt
werden. Aber ſolche, die fremd ſind, die nur in
epiſodiſchen Stuͤken, oder als Nebenperſonen vor-
kommen, dieſe muͤſſen durch eine geſchikte Ausbil-
dung intereſſant werden. Der Kuͤnſtler muß uns
Gelegenheit geben, mit dem Auge ſo lange auf ih-
nen zu verweilen, bis wir ihre Perſon und ihren
Charakter hinlaͤnglich gefaßt haben. Keine Perſon
muß im Gedichte fluͤchtig, wie ein Schattenbild,
vor den Augen voruͤber fahren, noch in dem Ge-
maͤhlde ſo muͤßig ſeyn, daß wir nicht eine Zeitlang
bey ihr verweilen. Hiezu hat der Kuͤnſtler man-
cherley Mittel, die nicht alle koͤnnen entwikelt wer-
den. Es wird genug ſeyn, einige Beyſpiele davon
anzufuͤhren.
Zur Ausbildung der Perſonen thun gewiſſe be-
ſondere Umſtaͤnde, die man nicht vermuthet, und
die das Anſehen geheimer Nachrichten haben, wel-
che die Franzoſen Anecdoten nennen, eine ange-
nehme Wuͤrkung. Jn dieſem Kunſtgriff iſt Klop-
ſtok insgemein ſehr gluͤklich. Homer iſt ganz voll
ſolcher Ausbildungen, deren ganze Wuͤrkung wir
aber nicht fuͤhlen, weil die Zeiten, fuͤr die er ge-
ſchrieben hat, zu weit von uns entfernt ſind. Jſt
es Zufall oder Abſicht dieſes Dichters, daß in fol-
gender Stelle der zweyte Vers ſo reich an Sylben
und an Ton iſt?
— # (*)
Der Dichter ſtellt uns hier zwey neue Perſonen vor,
von denen er nichts anders zu ſagen hat, als daß
ihr Vater, Eurydamas, ein Traumdeuter geweſen
ſey. Dieſe kleine Anekdote ſchleppt er durch einen
langen ſehr wol klingenden Vers durch, und ſcheinet
uns Gelegenheit geben zu wollen, die Perſonen recht
ins Geſichte zu faſſen.
Eine beſondere gluͤkliche Ausbildung iſt die, de-
ren ſich Milton bedient, da er Perſonen, die uns
fremd ſcheinen, durch gewiſſe Umſtaͤnde auf einmal
als bekannt vorſtellt. Verſchiedene ſeiner aufruͤh-
reriſchen Geiſter, von denen wir anfaͤnglich nichts,
als die Namen wiſſen, kommen uns hernach ploͤtz-
lich als bekannte Goͤtzen vor, die das Heidenthum
angebetet hat.
Bey allen Arten der Ausbildung hat man ſich
uͤberhaupt vor dem uͤberfluͤßigen in Acht zu neh-
men, wodurch Ovidius faſt allezeit fehlt, und das
ihn ſo ofte matt oder froſtig macht. Jn Handlungen,
wo der Dichter fort eilen muß, werden ſie gefaͤhr-
lich, und muͤſſen mit der Kunſt des Homers be-
handelt werden; wo die Handlung natuͤrlicher
Weiſe etwas aufgehalten wird, da kann man nach
Homers und Virgils Beyſpiel ſich in etwas um-
ſtaͤndlichere Ausbildungen einlaſſen.
Ausdruk.
(Schoͤne Kuͤnſte.)
Man braucht dieſes Wort in der Kunſtſprache,
wenn man von Vorſtellungen ſpricht, die vermit-
telſt aͤußerlicher Zeichen in dem Gemuͤthe erregt
werden,
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