Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch]
Aus im Band 3 zu 5. in der Glokenleiste 4 -- 5. Die besondern Ausladungen in den Gebälken, Haupt- Auslaufung. (Baukunst.) Die Weite, um welche der äußerste Rand eines Ausrufung. (Redekunst.) Eine Figur der Rede, welche eine Art des Ge- Die Ausrufung entspringt also ganz natürlich Aus heres Wesen zur Hülfe oder zum Zeugen anruft.Jhr Götter! Himmel! oder wie Haller thut: O Bern! O Vaterland! O Worte! Die Ausrufung dienet demnach die Stärke der Der Redner oder Dichter, der in der Sprache O! edler Lohn für meine Müht, Diese Figur thut ihre beste Würkung, wenn der permit-
[Spaltenumbruch]
Aus im Band 3 zu 5. in der Glokenleiſte 4 — 5. Die beſondern Ausladungen in den Gebaͤlken, Haupt- Auslaufung. (Baukunſt.) Die Weite, um welche der aͤußerſte Rand eines Ausrufung. (Redekunſt.) Eine Figur der Rede, welche eine Art des Ge- Die Ausrufung entſpringt alſo ganz natuͤrlich Aus heres Weſen zur Huͤlfe oder zum Zeugen anruft.Jhr Goͤtter! Himmel! oder wie Haller thut: O Bern! O Vaterland! O Worte! Die Ausrufung dienet demnach die Staͤrke der Der Redner oder Dichter, der in der Sprache O! edler Lohn fuͤr meine Muͤht, Dieſe Figur thut ihre beſte Wuͤrkung, wenn der permit-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0126" n="114"/> <cb/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Aus</hi> </fw><lb/> <list> <item>im <hi rendition="#fr">Band</hi> <hi rendition="#et">3 zu 5.</hi></item><lb/> <item>in der <hi rendition="#fr">Glokenleiſte</hi> <hi rendition="#et">4 — 5.</hi></item> </list><lb/> <p>Die beſondern Ausladungen in den Gebaͤlken, Haupt-<lb/> geſimſen und andern Verzierungen der verſchiedenen<lb/> Ordnungen, werden durch die Beſtimmung der <hi rendition="#fr">Aus-<lb/> laufung</hi> und in den Artikeln, darin dieſe Theile ins-<lb/> beſondre beſchrieben ſind, angegeben.</p> </div><lb/> <div n="2"> <head><hi rendition="#g">Auslaufung.</hi><lb/> (Baukunſt.)</head><lb/> <p><hi rendition="#in">D</hi>ie Weite, um welche der aͤußerſte Rand eines<lb/> Gliedes von der Achſe der Saͤule heraus tritt. Die<lb/> Beſtimmungen der Auslaufung der verſchiedenen<lb/> Glieder werden bey Beſchreibung der Saͤulenord-<lb/> nungen gegeben.</p> </div><lb/> <div n="2"> <head><hi rendition="#g">Ausrufung.</hi><lb/> (Redekunſt.)</head><lb/> <p><hi rendition="#in">E</hi>ine Figur der Rede, welche eine Art des Ge-<lb/> ſchreyes iſt, wodurch man die Heftigkeit einer Lei-<lb/> denſchaft durch die Staͤrke des Tones, an |den Tag<lb/> legt. Die Sprache hat zweyerley Mittel die Lei-<lb/> denſchaften auszudruͤken; die Worte, als beden-<lb/> tende Zeichen deſſen, was in uns vorgeht; und denn<lb/> bloße Toͤne, die keine deutliche Begriffe mit ſich<lb/> fuͤhren, ſondern bloß durch die Heftigkeit der Em-<lb/> pfindung mechaniſch ausgeſtoßen werden, wie die<lb/> Toͤne O! und Ach! Jn heftigen Leidenſchaften be-<lb/> ſtrebt ſich die Seele ihre Empfindung auf alle moͤg-<lb/> liche Weiſe an den Tag zu legen, und fuͤhlt waͤhren-<lb/> der Rede ofte, daß die willkuͤhrlichen Zeichen dazu<lb/> nicht hinreichen; daher ſtoͤßt ſie gleichſam ſolche<lb/> Toͤne aus, die uͤberhaupt die Heftigkeit des Gefuͤhls<lb/> natuͤrlicher Weiſe anzeigen.</p><lb/> <p>Die Ausrufung entſpringt alſo ganz natuͤrlich<lb/> aus allen ſtarken Empfindungen, ſie ſeyen ange-<lb/> nehm oder widrig. Die Toͤne, welche die Natur in<lb/> ſolchen Umſtaͤnden aus uns erpreßt, ſind nach der<lb/> Beſchaffenheit der Empfindung verſchieden. Es<lb/> giebt Toͤne des Schmerzens, der Freude, der Be-<lb/> wunderung, der Verſchmaͤhung. Die deutſche<lb/> Sprache iſt in dieſem Stuͤk eine der aͤrmſten; die<lb/> griechiſche aber die reichſte. Außer dem ange-<lb/> fuͤhrten O! und Ach! haben wir ſelten andre Aus-<lb/> rufungstoͤne. Die Reuern haben das Hah! zum<lb/> Ausdruk des Zorns hinzu gethan. Der Mangel<lb/> ſolcher charakteriſirten Toͤne wird bisweilen durch<lb/> die Apoſtrophe erſezt; wenn man ploͤtzlich ein hoͤ-<lb/><cb/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Aus</hi></fw><lb/> heres Weſen zur Huͤlfe oder zum Zeugen anruft.<lb/> Jhr Goͤtter! Himmel! oder wie Haller thut:</p><lb/> <cit> <quote>O Bern! O Vaterland! O Worte!</quote> </cit><lb/> <p>Die Ausrufung dienet demnach die Staͤrke der<lb/> Leidenſchaft, oder vielmehr in derſelben die lebhaf-<lb/> teſten Augenblike, die heftigſten Stiche der Empfin-<lb/> dung anzuzeigen, indem ſie uns eine ſehr lebhafte<lb/> Vorſtellung von ihrer Gewalt giebt, die den<lb/> Redenden zwingt die ordentliche Rede in eine Art<lb/> des Geſchreyes zu verwandeln. Man ſiehet aber<lb/> hieraus zugleich, daß ſie in den redenden Leiden-<lb/> ſchaften nur ſelten vorkommen koͤnne. Sie iſt<lb/> einiger maaßen mit dem Blitze zu vergleichen, der<lb/> waͤhrendem Rollen des Donners die Empfindung<lb/> ploͤtzlich ruͤhret und gleich wieder verſchwindet.<lb/> Sie muß nur da angebracht werden, wo die Be-<lb/> griffe, die in der Sprache liegen, nicht mehr hin-<lb/> laͤnglich ſind, die Heftigkeit der Empfindung aus-<lb/> zudruͤken, oder wo die Empfindung ſo ploͤtzlich ent-<lb/> ſteht, daß man nicht Zeit haben kann, ſich auf<lb/> Worte zu beſinnen.</p><lb/> <p>Der Redner oder Dichter, der in der Sprache<lb/> der Leidenſchaften redet, muß ſich wol in Acht neh-<lb/> men, die Ausrufung nicht allzu ſehr zu haͤufen, noch<lb/> ſie anderswo, als in den heftigſten Augenbliken, an-<lb/> zubringen; denn durch den Mißbrauch derſelben<lb/> faͤllt man in das froſtige. Es iſt ganz wider die<lb/> Natur, daß die uͤberwaͤltigende Anfaͤlle der Leiden-<lb/> ſchaft ofte kommen, oder lange anhalten. So<lb/> bald man aber merkt, daß ein Scribent den Man-<lb/> gel der Begriffe mit Ausrufen erſetzen will, ſo wird<lb/> man kalt. Sie wuͤrken nur alsdenn, wenn man<lb/> uns ſo viel verſtaͤndliches von der Gemuͤthslage ge-<lb/> ſagt hat, daß wir die Staͤrke der Empfindung begreif-<lb/> fen. Daher koͤmmt es, daß die Ausruſung bisweilen<lb/> ihre Natur ganz veraͤndert, und ironiſch wird, ſo<lb/> wie in dieſer Stelle aus Hallers Ode, uͤber die<lb/> Ehre:</p><lb/> <cit> <quote>O! edler Lohn fuͤr meine Muͤht,<lb/> Wenn ich mich in der Zeitung ſehe,<lb/> Bey einem Schelmen, oben an.</quote> </cit><lb/> <p>Dieſe Figur thut ihre beſte Wuͤrkung, wenn der<lb/> Redner ſeinen Satz aufs aͤußerſte gebracht hat, und<lb/> denn dadurch alles von neuem beſtaͤtiget. Z. E.<lb/><hi rendition="#aq">Illud queror, tam me ab iis eſſe contemptum, ut<lb/> haec portenta, me Conſule potiſſimum cogitarent.<lb/> Atque in omnibus his agris aedificiisque vendendis</hi><lb/> <fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#aq">permit-</hi></fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [114/0126]
Aus
Aus
im Band 3 zu 5.
in der Glokenleiſte 4 — 5.
Die beſondern Ausladungen in den Gebaͤlken, Haupt-
geſimſen und andern Verzierungen der verſchiedenen
Ordnungen, werden durch die Beſtimmung der Aus-
laufung und in den Artikeln, darin dieſe Theile ins-
beſondre beſchrieben ſind, angegeben.
Auslaufung.
(Baukunſt.)
Die Weite, um welche der aͤußerſte Rand eines
Gliedes von der Achſe der Saͤule heraus tritt. Die
Beſtimmungen der Auslaufung der verſchiedenen
Glieder werden bey Beſchreibung der Saͤulenord-
nungen gegeben.
Ausrufung.
(Redekunſt.)
Eine Figur der Rede, welche eine Art des Ge-
ſchreyes iſt, wodurch man die Heftigkeit einer Lei-
denſchaft durch die Staͤrke des Tones, an |den Tag
legt. Die Sprache hat zweyerley Mittel die Lei-
denſchaften auszudruͤken; die Worte, als beden-
tende Zeichen deſſen, was in uns vorgeht; und denn
bloße Toͤne, die keine deutliche Begriffe mit ſich
fuͤhren, ſondern bloß durch die Heftigkeit der Em-
pfindung mechaniſch ausgeſtoßen werden, wie die
Toͤne O! und Ach! Jn heftigen Leidenſchaften be-
ſtrebt ſich die Seele ihre Empfindung auf alle moͤg-
liche Weiſe an den Tag zu legen, und fuͤhlt waͤhren-
der Rede ofte, daß die willkuͤhrlichen Zeichen dazu
nicht hinreichen; daher ſtoͤßt ſie gleichſam ſolche
Toͤne aus, die uͤberhaupt die Heftigkeit des Gefuͤhls
natuͤrlicher Weiſe anzeigen.
Die Ausrufung entſpringt alſo ganz natuͤrlich
aus allen ſtarken Empfindungen, ſie ſeyen ange-
nehm oder widrig. Die Toͤne, welche die Natur in
ſolchen Umſtaͤnden aus uns erpreßt, ſind nach der
Beſchaffenheit der Empfindung verſchieden. Es
giebt Toͤne des Schmerzens, der Freude, der Be-
wunderung, der Verſchmaͤhung. Die deutſche
Sprache iſt in dieſem Stuͤk eine der aͤrmſten; die
griechiſche aber die reichſte. Außer dem ange-
fuͤhrten O! und Ach! haben wir ſelten andre Aus-
rufungstoͤne. Die Reuern haben das Hah! zum
Ausdruk des Zorns hinzu gethan. Der Mangel
ſolcher charakteriſirten Toͤne wird bisweilen durch
die Apoſtrophe erſezt; wenn man ploͤtzlich ein hoͤ-
heres Weſen zur Huͤlfe oder zum Zeugen anruft.
Jhr Goͤtter! Himmel! oder wie Haller thut:
O Bern! O Vaterland! O Worte!
Die Ausrufung dienet demnach die Staͤrke der
Leidenſchaft, oder vielmehr in derſelben die lebhaf-
teſten Augenblike, die heftigſten Stiche der Empfin-
dung anzuzeigen, indem ſie uns eine ſehr lebhafte
Vorſtellung von ihrer Gewalt giebt, die den
Redenden zwingt die ordentliche Rede in eine Art
des Geſchreyes zu verwandeln. Man ſiehet aber
hieraus zugleich, daß ſie in den redenden Leiden-
ſchaften nur ſelten vorkommen koͤnne. Sie iſt
einiger maaßen mit dem Blitze zu vergleichen, der
waͤhrendem Rollen des Donners die Empfindung
ploͤtzlich ruͤhret und gleich wieder verſchwindet.
Sie muß nur da angebracht werden, wo die Be-
griffe, die in der Sprache liegen, nicht mehr hin-
laͤnglich ſind, die Heftigkeit der Empfindung aus-
zudruͤken, oder wo die Empfindung ſo ploͤtzlich ent-
ſteht, daß man nicht Zeit haben kann, ſich auf
Worte zu beſinnen.
Der Redner oder Dichter, der in der Sprache
der Leidenſchaften redet, muß ſich wol in Acht neh-
men, die Ausrufung nicht allzu ſehr zu haͤufen, noch
ſie anderswo, als in den heftigſten Augenbliken, an-
zubringen; denn durch den Mißbrauch derſelben
faͤllt man in das froſtige. Es iſt ganz wider die
Natur, daß die uͤberwaͤltigende Anfaͤlle der Leiden-
ſchaft ofte kommen, oder lange anhalten. So
bald man aber merkt, daß ein Scribent den Man-
gel der Begriffe mit Ausrufen erſetzen will, ſo wird
man kalt. Sie wuͤrken nur alsdenn, wenn man
uns ſo viel verſtaͤndliches von der Gemuͤthslage ge-
ſagt hat, daß wir die Staͤrke der Empfindung begreif-
fen. Daher koͤmmt es, daß die Ausruſung bisweilen
ihre Natur ganz veraͤndert, und ironiſch wird, ſo
wie in dieſer Stelle aus Hallers Ode, uͤber die
Ehre:
O! edler Lohn fuͤr meine Muͤht,
Wenn ich mich in der Zeitung ſehe,
Bey einem Schelmen, oben an.
Dieſe Figur thut ihre beſte Wuͤrkung, wenn der
Redner ſeinen Satz aufs aͤußerſte gebracht hat, und
denn dadurch alles von neuem beſtaͤtiget. Z. E.
Illud queror, tam me ab iis eſſe contemptum, ut
haec portenta, me Conſule potiſſimum cogitarent.
Atque in omnibus his agris aedificiisque vendendis
permit-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |