Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite
[Spaltenumbruch]
Aus
im Band 3 zu 5.
in der Glokenleiste 4 -- 5.

Die besondern Ausladungen in den Gebälken, Haupt-
gesimsen und andern Verzierungen der verschiedenen
Ordnungen, werden durch die Bestimmung der Aus-
laufung
und in den Artikeln, darin diese Theile ins-
besondre beschrieben sind, angegeben.

Auslaufung.
(Baukunst.)

Die Weite, um welche der äußerste Rand eines
Gliedes von der Achse der Säule heraus tritt. Die
Bestimmungen der Auslaufung der verschiedenen
Glieder werden bey Beschreibung der Säulenord-
nungen gegeben.

Ausrufung.
(Redekunst.)

Eine Figur der Rede, welche eine Art des Ge-
schreyes ist, wodurch man die Heftigkeit einer Lei-
denschaft durch die Stärke des Tones, an |den Tag
legt. Die Sprache hat zweyerley Mittel die Lei-
denschaften auszudrüken; die Worte, als beden-
tende Zeichen dessen, was in uns vorgeht; und denn
bloße Töne, die keine deutliche Begriffe mit sich
führen, sondern bloß durch die Heftigkeit der Em-
pfindung mechanisch ausgestoßen werden, wie die
Töne O! und Ach! Jn heftigen Leidenschaften be-
strebt sich die Seele ihre Empfindung auf alle mög-
liche Weise an den Tag zu legen, und fühlt währen-
der Rede ofte, daß die willkührlichen Zeichen dazu
nicht hinreichen; daher stößt sie gleichsam solche
Töne aus, die überhaupt die Heftigkeit des Gefühls
natürlicher Weise anzeigen.

Die Ausrufung entspringt also ganz natürlich
aus allen starken Empfindungen, sie seyen ange-
nehm oder widrig. Die Töne, welche die Natur in
solchen Umständen aus uns erpreßt, sind nach der
Beschaffenheit der Empfindung verschieden. Es
giebt Töne des Schmerzens, der Freude, der Be-
wunderung, der Verschmähung. Die deutsche
Sprache ist in diesem Stük eine der ärmsten; die
griechische aber die reichste. Außer dem ange-
führten O! und Ach! haben wir selten andre Aus-
rufungstöne. Die Reuern haben das Hah! zum
Ausdruk des Zorns hinzu gethan. Der Mangel
solcher charakterisirten Töne wird bisweilen durch
die Apostrophe ersezt; wenn man plötzlich ein hö-
[Spaltenumbruch]

Aus
heres Wesen zur Hülfe oder zum Zeugen anruft.
Jhr Götter! Himmel! oder wie Haller thut:

O Bern! O Vaterland! O Worte!

Die Ausrufung dienet demnach die Stärke der
Leidenschaft, oder vielmehr in derselben die lebhaf-
testen Augenblike, die heftigsten Stiche der Empfin-
dung anzuzeigen, indem sie uns eine sehr lebhafte
Vorstellung von ihrer Gewalt giebt, die den
Redenden zwingt die ordentliche Rede in eine Art
des Geschreyes zu verwandeln. Man siehet aber
hieraus zugleich, daß sie in den redenden Leiden-
schaften nur selten vorkommen könne. Sie ist
einiger maaßen mit dem Blitze zu vergleichen, der
währendem Rollen des Donners die Empfindung
plötzlich rühret und gleich wieder verschwindet.
Sie muß nur da angebracht werden, wo die Be-
griffe, die in der Sprache liegen, nicht mehr hin-
länglich sind, die Heftigkeit der Empfindung aus-
zudrüken, oder wo die Empfindung so plötzlich ent-
steht, daß man nicht Zeit haben kann, sich auf
Worte zu besinnen.

Der Redner oder Dichter, der in der Sprache
der Leidenschaften redet, muß sich wol in Acht neh-
men, die Ausrufung nicht allzu sehr zu häufen, noch
sie anderswo, als in den heftigsten Augenbliken, an-
zubringen; denn durch den Mißbrauch derselben
fällt man in das frostige. Es ist ganz wider die
Natur, daß die überwältigende Anfälle der Leiden-
schaft ofte kommen, oder lange anhalten. So
bald man aber merkt, daß ein Scribent den Man-
gel der Begriffe mit Ausrufen ersetzen will, so wird
man kalt. Sie würken nur alsdenn, wenn man
uns so viel verständliches von der Gemüthslage ge-
sagt hat, daß wir die Stärke der Empfindung begreif-
fen. Daher kömmt es, daß die Ausrusung bisweilen
ihre Natur ganz verändert, und ironisch wird, so
wie in dieser Stelle aus Hallers Ode, über die
Ehre:

O! edler Lohn für meine Müht,
Wenn ich mich in der Zeitung sehe,
Bey einem Schelmen, oben an.

Diese Figur thut ihre beste Würkung, wenn der
Redner seinen Satz aufs äußerste gebracht hat, und
denn dadurch alles von neuem bestätiget. Z. E.
Illud queror, tam me ab iis esse contemptum, ut
haec portenta, me Consule potissimum cogitarent.
Atque in omnibus his agris aedificiisque vendendis

permit-
[Spaltenumbruch]
Aus
im Band 3 zu 5.
in der Glokenleiſte 4 — 5.

Die beſondern Ausladungen in den Gebaͤlken, Haupt-
geſimſen und andern Verzierungen der verſchiedenen
Ordnungen, werden durch die Beſtimmung der Aus-
laufung
und in den Artikeln, darin dieſe Theile ins-
beſondre beſchrieben ſind, angegeben.

Auslaufung.
(Baukunſt.)

Die Weite, um welche der aͤußerſte Rand eines
Gliedes von der Achſe der Saͤule heraus tritt. Die
Beſtimmungen der Auslaufung der verſchiedenen
Glieder werden bey Beſchreibung der Saͤulenord-
nungen gegeben.

Ausrufung.
(Redekunſt.)

Eine Figur der Rede, welche eine Art des Ge-
ſchreyes iſt, wodurch man die Heftigkeit einer Lei-
denſchaft durch die Staͤrke des Tones, an |den Tag
legt. Die Sprache hat zweyerley Mittel die Lei-
denſchaften auszudruͤken; die Worte, als beden-
tende Zeichen deſſen, was in uns vorgeht; und denn
bloße Toͤne, die keine deutliche Begriffe mit ſich
fuͤhren, ſondern bloß durch die Heftigkeit der Em-
pfindung mechaniſch ausgeſtoßen werden, wie die
Toͤne O! und Ach! Jn heftigen Leidenſchaften be-
ſtrebt ſich die Seele ihre Empfindung auf alle moͤg-
liche Weiſe an den Tag zu legen, und fuͤhlt waͤhren-
der Rede ofte, daß die willkuͤhrlichen Zeichen dazu
nicht hinreichen; daher ſtoͤßt ſie gleichſam ſolche
Toͤne aus, die uͤberhaupt die Heftigkeit des Gefuͤhls
natuͤrlicher Weiſe anzeigen.

Die Ausrufung entſpringt alſo ganz natuͤrlich
aus allen ſtarken Empfindungen, ſie ſeyen ange-
nehm oder widrig. Die Toͤne, welche die Natur in
ſolchen Umſtaͤnden aus uns erpreßt, ſind nach der
Beſchaffenheit der Empfindung verſchieden. Es
giebt Toͤne des Schmerzens, der Freude, der Be-
wunderung, der Verſchmaͤhung. Die deutſche
Sprache iſt in dieſem Stuͤk eine der aͤrmſten; die
griechiſche aber die reichſte. Außer dem ange-
fuͤhrten O! und Ach! haben wir ſelten andre Aus-
rufungstoͤne. Die Reuern haben das Hah! zum
Ausdruk des Zorns hinzu gethan. Der Mangel
ſolcher charakteriſirten Toͤne wird bisweilen durch
die Apoſtrophe erſezt; wenn man ploͤtzlich ein hoͤ-
[Spaltenumbruch]

Aus
heres Weſen zur Huͤlfe oder zum Zeugen anruft.
Jhr Goͤtter! Himmel! oder wie Haller thut:

O Bern! O Vaterland! O Worte!

Die Ausrufung dienet demnach die Staͤrke der
Leidenſchaft, oder vielmehr in derſelben die lebhaf-
teſten Augenblike, die heftigſten Stiche der Empfin-
dung anzuzeigen, indem ſie uns eine ſehr lebhafte
Vorſtellung von ihrer Gewalt giebt, die den
Redenden zwingt die ordentliche Rede in eine Art
des Geſchreyes zu verwandeln. Man ſiehet aber
hieraus zugleich, daß ſie in den redenden Leiden-
ſchaften nur ſelten vorkommen koͤnne. Sie iſt
einiger maaßen mit dem Blitze zu vergleichen, der
waͤhrendem Rollen des Donners die Empfindung
ploͤtzlich ruͤhret und gleich wieder verſchwindet.
Sie muß nur da angebracht werden, wo die Be-
griffe, die in der Sprache liegen, nicht mehr hin-
laͤnglich ſind, die Heftigkeit der Empfindung aus-
zudruͤken, oder wo die Empfindung ſo ploͤtzlich ent-
ſteht, daß man nicht Zeit haben kann, ſich auf
Worte zu beſinnen.

Der Redner oder Dichter, der in der Sprache
der Leidenſchaften redet, muß ſich wol in Acht neh-
men, die Ausrufung nicht allzu ſehr zu haͤufen, noch
ſie anderswo, als in den heftigſten Augenbliken, an-
zubringen; denn durch den Mißbrauch derſelben
faͤllt man in das froſtige. Es iſt ganz wider die
Natur, daß die uͤberwaͤltigende Anfaͤlle der Leiden-
ſchaft ofte kommen, oder lange anhalten. So
bald man aber merkt, daß ein Scribent den Man-
gel der Begriffe mit Ausrufen erſetzen will, ſo wird
man kalt. Sie wuͤrken nur alsdenn, wenn man
uns ſo viel verſtaͤndliches von der Gemuͤthslage ge-
ſagt hat, daß wir die Staͤrke der Empfindung begreif-
fen. Daher koͤmmt es, daß die Ausruſung bisweilen
ihre Natur ganz veraͤndert, und ironiſch wird, ſo
wie in dieſer Stelle aus Hallers Ode, uͤber die
Ehre:

O! edler Lohn fuͤr meine Muͤht,
Wenn ich mich in der Zeitung ſehe,
Bey einem Schelmen, oben an.

Dieſe Figur thut ihre beſte Wuͤrkung, wenn der
Redner ſeinen Satz aufs aͤußerſte gebracht hat, und
denn dadurch alles von neuem beſtaͤtiget. Z. E.
Illud queror, tam me ab iis eſſe contemptum, ut
haec portenta, me Conſule potiſſimum cogitarent.
Atque in omnibus his agris aedificiisque vendendis

permit-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0126" n="114"/>
          <cb/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Aus</hi> </fw><lb/>
          <list>
            <item>im <hi rendition="#fr">Band</hi> <hi rendition="#et">3 zu 5.</hi></item><lb/>
            <item>in der <hi rendition="#fr">Glokenlei&#x017F;te</hi> <hi rendition="#et">4 &#x2014; 5.</hi></item>
          </list><lb/>
          <p>Die be&#x017F;ondern Ausladungen in den Geba&#x0364;lken, Haupt-<lb/>
ge&#x017F;im&#x017F;en und andern Verzierungen der ver&#x017F;chiedenen<lb/>
Ordnungen, werden durch die Be&#x017F;timmung der <hi rendition="#fr">Aus-<lb/>
laufung</hi> und in den Artikeln, darin die&#x017F;e Theile ins-<lb/>
be&#x017F;ondre be&#x017F;chrieben &#x017F;ind, angegeben.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#g">Auslaufung.</hi><lb/>
(Baukun&#x017F;t.)</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">D</hi>ie Weite, um welche der a&#x0364;ußer&#x017F;te Rand eines<lb/>
Gliedes von der Ach&#x017F;e der Sa&#x0364;ule heraus tritt. Die<lb/>
Be&#x017F;timmungen der Auslaufung der ver&#x017F;chiedenen<lb/>
Glieder werden bey Be&#x017F;chreibung der Sa&#x0364;ulenord-<lb/>
nungen gegeben.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#g">Ausrufung.</hi><lb/>
(Redekun&#x017F;t.)</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">E</hi>ine Figur der Rede, welche eine Art des Ge-<lb/>
&#x017F;chreyes i&#x017F;t, wodurch man die Heftigkeit einer Lei-<lb/>
den&#x017F;chaft durch die Sta&#x0364;rke des Tones, an |den Tag<lb/>
legt. Die Sprache hat zweyerley Mittel die Lei-<lb/>
den&#x017F;chaften auszudru&#x0364;ken; die Worte, als beden-<lb/>
tende Zeichen de&#x017F;&#x017F;en, was in uns vorgeht; und denn<lb/>
bloße To&#x0364;ne, die keine deutliche Begriffe mit &#x017F;ich<lb/>
fu&#x0364;hren, &#x017F;ondern bloß durch die Heftigkeit der Em-<lb/>
pfindung mechani&#x017F;ch ausge&#x017F;toßen werden, wie die<lb/>
To&#x0364;ne O! und Ach! Jn heftigen Leiden&#x017F;chaften be-<lb/>
&#x017F;trebt &#x017F;ich die Seele ihre Empfindung auf alle mo&#x0364;g-<lb/>
liche Wei&#x017F;e an den Tag zu legen, und fu&#x0364;hlt wa&#x0364;hren-<lb/>
der Rede ofte, daß die willku&#x0364;hrlichen Zeichen dazu<lb/>
nicht hinreichen; daher &#x017F;to&#x0364;ßt &#x017F;ie gleich&#x017F;am &#x017F;olche<lb/>
To&#x0364;ne aus, die u&#x0364;berhaupt die Heftigkeit des Gefu&#x0364;hls<lb/>
natu&#x0364;rlicher Wei&#x017F;e anzeigen.</p><lb/>
          <p>Die Ausrufung ent&#x017F;pringt al&#x017F;o ganz natu&#x0364;rlich<lb/>
aus allen &#x017F;tarken Empfindungen, &#x017F;ie &#x017F;eyen ange-<lb/>
nehm oder widrig. Die To&#x0364;ne, welche die Natur in<lb/>
&#x017F;olchen Um&#x017F;ta&#x0364;nden aus uns erpreßt, &#x017F;ind nach der<lb/>
Be&#x017F;chaffenheit der Empfindung ver&#x017F;chieden. Es<lb/>
giebt To&#x0364;ne des Schmerzens, der Freude, der Be-<lb/>
wunderung, der Ver&#x017F;chma&#x0364;hung. Die deut&#x017F;che<lb/>
Sprache i&#x017F;t in die&#x017F;em Stu&#x0364;k eine der a&#x0364;rm&#x017F;ten; die<lb/>
griechi&#x017F;che aber die reich&#x017F;te. Außer dem ange-<lb/>
fu&#x0364;hrten O! und Ach! haben wir &#x017F;elten andre Aus-<lb/>
rufungsto&#x0364;ne. Die Reuern haben das Hah! zum<lb/>
Ausdruk des Zorns hinzu gethan. Der Mangel<lb/>
&#x017F;olcher charakteri&#x017F;irten To&#x0364;ne wird bisweilen durch<lb/>
die Apo&#x017F;trophe er&#x017F;ezt; wenn man plo&#x0364;tzlich ein ho&#x0364;-<lb/><cb/>
<fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Aus</hi></fw><lb/>
heres We&#x017F;en zur Hu&#x0364;lfe oder zum Zeugen anruft.<lb/>
Jhr Go&#x0364;tter! Himmel! oder wie Haller thut:</p><lb/>
          <cit>
            <quote>O Bern! O Vaterland! O Worte!</quote>
          </cit><lb/>
          <p>Die Ausrufung dienet demnach die Sta&#x0364;rke der<lb/>
Leiden&#x017F;chaft, oder vielmehr in der&#x017F;elben die lebhaf-<lb/>
te&#x017F;ten Augenblike, die heftig&#x017F;ten Stiche der Empfin-<lb/>
dung anzuzeigen, indem &#x017F;ie uns eine &#x017F;ehr lebhafte<lb/>
Vor&#x017F;tellung von ihrer Gewalt giebt, die den<lb/>
Redenden zwingt die ordentliche Rede in eine Art<lb/>
des Ge&#x017F;chreyes zu verwandeln. Man &#x017F;iehet aber<lb/>
hieraus zugleich, daß &#x017F;ie in den redenden Leiden-<lb/>
&#x017F;chaften nur &#x017F;elten vorkommen ko&#x0364;nne. Sie i&#x017F;t<lb/>
einiger maaßen mit dem Blitze zu vergleichen, der<lb/>
wa&#x0364;hrendem Rollen des Donners die Empfindung<lb/>
plo&#x0364;tzlich ru&#x0364;hret und gleich wieder ver&#x017F;chwindet.<lb/>
Sie muß nur da angebracht werden, wo die Be-<lb/>
griffe, die in der Sprache liegen, nicht mehr hin-<lb/>
la&#x0364;nglich &#x017F;ind, die Heftigkeit der Empfindung aus-<lb/>
zudru&#x0364;ken, oder wo die Empfindung &#x017F;o plo&#x0364;tzlich ent-<lb/>
&#x017F;teht, daß man nicht Zeit haben kann, &#x017F;ich auf<lb/>
Worte zu be&#x017F;innen.</p><lb/>
          <p>Der Redner oder Dichter, der in der Sprache<lb/>
der Leiden&#x017F;chaften redet, muß &#x017F;ich wol in Acht neh-<lb/>
men, die Ausrufung nicht allzu &#x017F;ehr zu ha&#x0364;ufen, noch<lb/>
&#x017F;ie anderswo, als in den heftig&#x017F;ten Augenbliken, an-<lb/>
zubringen; denn durch den Mißbrauch der&#x017F;elben<lb/>
fa&#x0364;llt man in das fro&#x017F;tige. Es i&#x017F;t ganz wider die<lb/>
Natur, daß die u&#x0364;berwa&#x0364;ltigende Anfa&#x0364;lle der Leiden-<lb/>
&#x017F;chaft ofte kommen, oder lange anhalten. So<lb/>
bald man aber merkt, daß ein Scribent den Man-<lb/>
gel der Begriffe mit Ausrufen er&#x017F;etzen will, &#x017F;o wird<lb/>
man kalt. Sie wu&#x0364;rken nur alsdenn, wenn man<lb/>
uns &#x017F;o viel ver&#x017F;ta&#x0364;ndliches von der Gemu&#x0364;thslage ge-<lb/>
&#x017F;agt hat, daß wir die Sta&#x0364;rke der Empfindung begreif-<lb/>
fen. Daher ko&#x0364;mmt es, daß die Ausru&#x017F;ung bisweilen<lb/>
ihre Natur ganz vera&#x0364;ndert, und ironi&#x017F;ch wird, &#x017F;o<lb/>
wie in die&#x017F;er Stelle aus Hallers Ode, u&#x0364;ber die<lb/>
Ehre:</p><lb/>
          <cit>
            <quote>O! edler Lohn fu&#x0364;r meine Mu&#x0364;ht,<lb/>
Wenn ich mich in der Zeitung &#x017F;ehe,<lb/>
Bey einem Schelmen, oben an.</quote>
          </cit><lb/>
          <p>Die&#x017F;e Figur thut ihre be&#x017F;te Wu&#x0364;rkung, wenn der<lb/>
Redner &#x017F;einen Satz aufs a&#x0364;ußer&#x017F;te gebracht hat, und<lb/>
denn dadurch alles von neuem be&#x017F;ta&#x0364;tiget. Z. E.<lb/><hi rendition="#aq">Illud queror, tam me ab iis e&#x017F;&#x017F;e contemptum, ut<lb/>
haec portenta, me Con&#x017F;ule poti&#x017F;&#x017F;imum cogitarent.<lb/>
Atque in omnibus his agris aedificiisque vendendis</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#aq">permit-</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[114/0126] Aus Aus im Band 3 zu 5. in der Glokenleiſte 4 — 5. Die beſondern Ausladungen in den Gebaͤlken, Haupt- geſimſen und andern Verzierungen der verſchiedenen Ordnungen, werden durch die Beſtimmung der Aus- laufung und in den Artikeln, darin dieſe Theile ins- beſondre beſchrieben ſind, angegeben. Auslaufung. (Baukunſt.) Die Weite, um welche der aͤußerſte Rand eines Gliedes von der Achſe der Saͤule heraus tritt. Die Beſtimmungen der Auslaufung der verſchiedenen Glieder werden bey Beſchreibung der Saͤulenord- nungen gegeben. Ausrufung. (Redekunſt.) Eine Figur der Rede, welche eine Art des Ge- ſchreyes iſt, wodurch man die Heftigkeit einer Lei- denſchaft durch die Staͤrke des Tones, an |den Tag legt. Die Sprache hat zweyerley Mittel die Lei- denſchaften auszudruͤken; die Worte, als beden- tende Zeichen deſſen, was in uns vorgeht; und denn bloße Toͤne, die keine deutliche Begriffe mit ſich fuͤhren, ſondern bloß durch die Heftigkeit der Em- pfindung mechaniſch ausgeſtoßen werden, wie die Toͤne O! und Ach! Jn heftigen Leidenſchaften be- ſtrebt ſich die Seele ihre Empfindung auf alle moͤg- liche Weiſe an den Tag zu legen, und fuͤhlt waͤhren- der Rede ofte, daß die willkuͤhrlichen Zeichen dazu nicht hinreichen; daher ſtoͤßt ſie gleichſam ſolche Toͤne aus, die uͤberhaupt die Heftigkeit des Gefuͤhls natuͤrlicher Weiſe anzeigen. Die Ausrufung entſpringt alſo ganz natuͤrlich aus allen ſtarken Empfindungen, ſie ſeyen ange- nehm oder widrig. Die Toͤne, welche die Natur in ſolchen Umſtaͤnden aus uns erpreßt, ſind nach der Beſchaffenheit der Empfindung verſchieden. Es giebt Toͤne des Schmerzens, der Freude, der Be- wunderung, der Verſchmaͤhung. Die deutſche Sprache iſt in dieſem Stuͤk eine der aͤrmſten; die griechiſche aber die reichſte. Außer dem ange- fuͤhrten O! und Ach! haben wir ſelten andre Aus- rufungstoͤne. Die Reuern haben das Hah! zum Ausdruk des Zorns hinzu gethan. Der Mangel ſolcher charakteriſirten Toͤne wird bisweilen durch die Apoſtrophe erſezt; wenn man ploͤtzlich ein hoͤ- heres Weſen zur Huͤlfe oder zum Zeugen anruft. Jhr Goͤtter! Himmel! oder wie Haller thut: O Bern! O Vaterland! O Worte! Die Ausrufung dienet demnach die Staͤrke der Leidenſchaft, oder vielmehr in derſelben die lebhaf- teſten Augenblike, die heftigſten Stiche der Empfin- dung anzuzeigen, indem ſie uns eine ſehr lebhafte Vorſtellung von ihrer Gewalt giebt, die den Redenden zwingt die ordentliche Rede in eine Art des Geſchreyes zu verwandeln. Man ſiehet aber hieraus zugleich, daß ſie in den redenden Leiden- ſchaften nur ſelten vorkommen koͤnne. Sie iſt einiger maaßen mit dem Blitze zu vergleichen, der waͤhrendem Rollen des Donners die Empfindung ploͤtzlich ruͤhret und gleich wieder verſchwindet. Sie muß nur da angebracht werden, wo die Be- griffe, die in der Sprache liegen, nicht mehr hin- laͤnglich ſind, die Heftigkeit der Empfindung aus- zudruͤken, oder wo die Empfindung ſo ploͤtzlich ent- ſteht, daß man nicht Zeit haben kann, ſich auf Worte zu beſinnen. Der Redner oder Dichter, der in der Sprache der Leidenſchaften redet, muß ſich wol in Acht neh- men, die Ausrufung nicht allzu ſehr zu haͤufen, noch ſie anderswo, als in den heftigſten Augenbliken, an- zubringen; denn durch den Mißbrauch derſelben faͤllt man in das froſtige. Es iſt ganz wider die Natur, daß die uͤberwaͤltigende Anfaͤlle der Leiden- ſchaft ofte kommen, oder lange anhalten. So bald man aber merkt, daß ein Scribent den Man- gel der Begriffe mit Ausrufen erſetzen will, ſo wird man kalt. Sie wuͤrken nur alsdenn, wenn man uns ſo viel verſtaͤndliches von der Gemuͤthslage ge- ſagt hat, daß wir die Staͤrke der Empfindung begreif- fen. Daher koͤmmt es, daß die Ausruſung bisweilen ihre Natur ganz veraͤndert, und ironiſch wird, ſo wie in dieſer Stelle aus Hallers Ode, uͤber die Ehre: O! edler Lohn fuͤr meine Muͤht, Wenn ich mich in der Zeitung ſehe, Bey einem Schelmen, oben an. Dieſe Figur thut ihre beſte Wuͤrkung, wenn der Redner ſeinen Satz aufs aͤußerſte gebracht hat, und denn dadurch alles von neuem beſtaͤtiget. Z. E. Illud queror, tam me ab iis eſſe contemptum, ut haec portenta, me Conſule potiſſimum cogitarent. Atque in omnibus his agris aedificiisque vendendis permit-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/126
Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/126>, abgerufen am 21.11.2024.