Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch]
Bal Es ist seltsam, daß auch die geschiktesten Bau- Ballet. (Musik.) Jst die Nachahmung einer interessanten Handlung Der gemeine Tanz ist eine Lustbarkeit für die Wie die Ballette auf der Schaubühne gegen- Bal genen Stellungen und gar nichts bedeutenden Be-wegungen, auf der Schaubühne herum rasen, und niemand kann errathen, was dieses Schwärmen vorstellen soll. Es ist nichts ungereimteres, als nach einer ernsthaften dramatischen Handlung eine so abgeschmakte Lustbarkeit auf der Bühne zu sehen. Es scheinet also kaum der Mühe werth, daß diese Materie in einem ernsthaften Werk in besondre Ueberlegung genommen werde. Da es aber nicht unmöglich ist, diesen Theil Daß jede interessante Handlung durch ein blos Aber warum soll man eine interessante Handlung Ballet (+) Tout ballet -- -- qui ne me tracera pas avec
nettete et sans embarras l'action, qu'il represente; dont je ne pourrois deviner l'intrigue; tout ballet, dont je ne sentirai pas le plan, et qui ne m'oflrira pas une exposition, [Spaltenumbruch] un noend, un denouement, ne sera plus qu'un simple divertissentent de danse. V. Lettres sur la danse par Mr. Noverre. [Spaltenumbruch]
Bal Es iſt ſeltſam, daß auch die geſchikteſten Bau- Ballet. (Muſik.) Jſt die Nachahmung einer intereſſanten Handlung Der gemeine Tanz iſt eine Luſtbarkeit fuͤr die Wie die Ballette auf der Schaubuͤhne gegen- Bal genen Stellungen und gar nichts bedeutenden Be-wegungen, auf der Schaubuͤhne herum raſen, und niemand kann errathen, was dieſes Schwaͤrmen vorſtellen ſoll. Es iſt nichts ungereimteres, als nach einer ernſthaften dramatiſchen Handlung eine ſo abgeſchmakte Luſtbarkeit auf der Buͤhne zu ſehen. Es ſcheinet alſo kaum der Muͤhe werth, daß dieſe Materie in einem ernſthaften Werk in beſondre Ueberlegung genommen werde. Da es aber nicht unmoͤglich iſt, dieſen Theil Daß jede intereſſante Handlung durch ein blos Aber warum ſoll man eine intereſſante Handlung Ballet (†) Tout ballet — — qui ne me tracera pas avec
netteté et ſans embarras l’action, qu’il repréſente; dont je ne pourrois deviner l’intrigue; tout ballet, dont je ne ſentirai pas le plan, et qui ne m’oflrira pas une expoſition, [Spaltenumbruch] un noend, un denouement, ne ſera plus qu’un ſimple divertiſſentent de danſe. V. Lettres ſur la danſe par Mr. Noverre. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0134" n="122"/> <cb/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Bal</hi> </fw><lb/> <p>Es iſt ſeltſam, daß auch die geſchikteſten Bau-<lb/> meiſter, ſo gar an der vornehmſten Stelle der Ge-<lb/> baͤude, durch ſolche ungereimte Ausſchneidung der<lb/> Gebaͤlke den guten Geſchmak ſo gerade vor den<lb/> Kopf ſtoßen, wie unter andern auch an dem<lb/> Haupteingang in dem zweyten Hof des Schloſ-<lb/> ſes in Berlin geſchehen iſt.</p> </div><lb/> <div n="2"> <head><hi rendition="#g">Ballet.</hi><lb/> (Muſik.)</head><lb/> <p><hi rendition="#in">J</hi>ſt die Nachahmung einer intereſſanten Handlung<lb/> durch den Tanz. 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(*)<note place="right">(*) S.<lb/> Tanzkunſt.</note><lb/> Er verdienet alſo eben ſo gut, als jene, daß die<lb/> Eritik ihm zu Huͤlfe komme.</p><lb/> <p>Daß jede intereſſante Handlung durch ein blos<lb/> ſtummes Spiel koͤnne ſo vorgeſtellt werden, daß<lb/> der Zuſchauer einen ſtarken Antheil daran nimmt,<lb/> beweiſen die hiſtoriſchen Gemaͤhlde. Dieſe ſtellen<lb/> einen einzigen Augenblik einer ſolchen Handlung<lb/> vor; das Ballet aber kann eine Folge ſolcher Vor-<lb/> ſtellungen enthalten, wo alles ein ganz anders<lb/> Leben bekommt. 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Bal
Bal
Es iſt ſeltſam, daß auch die geſchikteſten Bau-
meiſter, ſo gar an der vornehmſten Stelle der Ge-
baͤude, durch ſolche ungereimte Ausſchneidung der
Gebaͤlke den guten Geſchmak ſo gerade vor den
Kopf ſtoßen, wie unter andern auch an dem
Haupteingang in dem zweyten Hof des Schloſ-
ſes in Berlin geſchehen iſt.
Ballet.
(Muſik.)
Jſt die Nachahmung einer intereſſanten Handlung
durch den Tanz. Einigermaaßen iſt es eine durch
den Tanz hervorgebrachte allegoriſche Handlung.
Den Raub der Helena erzaͤhlt der epiſche Dichter;
im Drama wird er mit allen dabey vorgefallenen
Jntrigen und Reden nachgeahmt; durch das Bal-
let wird der Geiſt dieſer Handlung und die Aeuſ-
ſerung der verſchiedenen dabey vorkommenden Lei-
denſchaften durch bloße Stellung, Gebehrden und
Bewegung vorgeſtellt. Man iſt zwar gewohnt, je-
dem figurirten Tanz auf der Schaubuͤhne den Na-
men des Ballets zu geben; aber hieruͤber verdient
Noverre, der ſeine Kunſt mit dem Aug eines
Philoſophen beleuchtet hat, gehoͤrt zu werden. Er
haͤlt jeden Tanz, der nicht eine beſtimmte Handlung,
mit Verwiklungen und Aufloͤſungen deutlich und
ohne Verwirrung vorſtellt, fuͤr eine bloße Luſtbar-
keit. (†)
Der gemeine Tanz iſt eine Luſtbarkeit fuͤr die
tanzenden Perſonen, und braucht nichts, als dieſes
zu ſeyn: das Ballet iſt ein Tanz, der die Zuſchauer
intereßiren ſoll. Es muß alſo nothwendig etwas
anders ſeyn, als der gemeine Tanz. Es iſt ein
Schauſpiel, oder macht einen Theil deſſelben aus.
Alſo muß es den allgemeinen Charakter des Schau-
ſpiels an ſich haben. (*)
(*) S.
Schau-
ſpiel.
Wie die Ballette auf der Schaubuͤhne gegen-
waͤrtig ſind, verdienen ſie ſchweerlich unter die
Werke des Geſchmaks gezaͤhlt zu werden; ſo gar
nichts geiſtreiches und uͤberlegtes ſtellen ſie vor.
Man ſieht ſeltſam gekleidete Perſonen, mit noch
ſeltſamern Gebehrden und Spruͤngen, mit gezwun-
genen Stellungen und gar nichts bedeutenden Be-
wegungen, auf der Schaubuͤhne herum raſen, und
niemand kann errathen, was dieſes Schwaͤrmen
vorſtellen ſoll. Es iſt nichts ungereimteres, als
nach einer ernſthaften dramatiſchen Handlung eine
ſo abgeſchmakte Luſtbarkeit auf der Buͤhne zu ſehen.
Es ſcheinet alſo kaum der Muͤhe werth, daß dieſe
Materie in einem ernſthaften Werk in beſondre
Ueberlegung genommen werde.
Da es aber nicht unmoͤglich iſt, dieſen Theil
der Schauſpielkunſt zu veredlen, und dem Ballet
einen anſehnlichen Rang unter den Werken des
Geſchmaks zu geben, wenn es nur Balletmeiſter
gaͤbe, die, wie Noverre, daͤchten, ſo wollen wir es
hier nicht ausſchließen. Die Mittel, welche der
Mahler hat, wichtige Werke des Geſchmaks hervor-
zubringen, hat auch der Balletmeiſter, und noch da-
zu in einem weitern Umfange. Der Mahler und
der Schauſpieler bringen Scenen aus dem mora-
liſchen Leben vor unſre Augen, die ſehr wichtige
Eindruͤke auf uns machen; dergleichen Vorſtellun-
gen hat auch der Balletmeiſter in ſeiner Gewalt. (*)
Er verdienet alſo eben ſo gut, als jene, daß die
Eritik ihm zu Huͤlfe komme.
(*) S.
Tanzkunſt.
Daß jede intereſſante Handlung durch ein blos
ſtummes Spiel koͤnne ſo vorgeſtellt werden, daß
der Zuſchauer einen ſtarken Antheil daran nimmt,
beweiſen die hiſtoriſchen Gemaͤhlde. Dieſe ſtellen
einen einzigen Augenblik einer ſolchen Handlung
vor; das Ballet aber kann eine Folge ſolcher Vor-
ſtellungen enthalten, wo alles ein ganz anders
Leben bekommt. Die Muſik, von welcher es be-
ſtaͤndig begleitet wird, verſtaͤrkt die Empfindung,
vermehrt den Antheil an der Handlung, und ver-
tritt dabey die Stelle der Sprache.
Aber warum ſoll man eine intereſſante Handlung
durch ein ſtummes Spiel vorſtellen, da das Dra-
ma ſie vollkommener vorſtellen kann? wer wird
nicht lieber jede Handlung, ſo wie ſie geſchehen
iſt, als durch den Tanz nachgeahmt ſehen? wozu
kann alſo das Ballet nuͤtzen? Wenn dieſe Zweifel
nicht koͤnnten gehoben werden, ſo muͤßten wir das
Ballet
(†) Tout ballet — — qui ne me tracera pas avec
netteté et ſans embarras l’action, qu’il repréſente; dont
je ne pourrois deviner l’intrigue; tout ballet, dont je ne
ſentirai pas le plan, et qui ne m’oflrira pas une expoſition,
un noend, un denouement, ne ſera plus qu’un ſimple
divertiſſentent de danſe. V. Lettres ſur la danſe par Mr.
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