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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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[Spaltenumbruch]

Abd Abe
Maske, mit Gläsern vor den Augen, vor sich neh-
men, auch die Hand mit einem Handschuh versehen,
und überhaupt sich so rüsten, daß man von dem
herumspritzenden heissen Metall keinen Schaden leide.
Dieses Verfahren ist uns von Herrn Lippert in
Dreßden mitgetheilt worden.

Abdrücke geschnittener Steine in Glas, werden
Pasten genennt, und an ihrem Orte beschrieben;
von den Abdrücken derselben in eine weisse ton-
artige Materie ist in dem Artikel Abgüsse das
mehrere nachzusehen.

Abentheuerlich.
(Dichtkunst.)

Eine Art des falschen Wunderbahren, dem selbst
die poetische Wahrscheinlichkeit fehlet. Von die-
ser Art sind die ungeheuren Heldenthaten und
andre Begebenheiten, die man in den alten
Ritterbüchern findet. Der eigentliche Charakter
des Abentheuerlichen besteht darinn, daß es aus
einer Welt hergenommen ist, wo alles ohne hin-
reichende Gründe geschieht, wie in den Träumen.
Dinge, die in der Ordnung der würklichen Natur
unmöglich sind, werden ordentliche Begebenheiten
in der abentheuerlichen Welt.

Das Abentheuerliche findet sich so wol in Be-
gebenheiten, als in Handlungen, in Sitten und
in Charakteren. Jn den zeichnenden Künsten ist
das so genannte Groteske eine Art des Aben-
theuerlichen, und dahin gehören auch die chine-
sischen Mahlereyen, da Häuser und Landschaften
in der Luft schweben.

Diese Gattung des Ungereimten herscht insge-
mein in den Träumen, wo die ungereimtesten
Dinge würklich scheinen; aber jede erhitzte und vom
Verstand ganz verlassene Einbildungkraft, bringt
abentheuerliche Vorstellungen hervor. Er schei-
net, daß die Völker der heissen Morgenländer,
mehr, als andre, diesen Ausschweifungen der
Einbilduugskraft unterworfen seyn; denn der
Hauptsitz des Abentheuerlichen ist in den Romanen, in
den Gedichten und so gar in der Theologie dieser Völ-
ker. Jn den arabischen Erzählungen von tausend und
einer Nacht, ist fast alles in dieser Art. Die abend-
ländischen Völker scheinen durch ihre Bekanntschaft
mit den Arabern, auf das Abentheurliche gekom-
men zu seyn, und Spanien, wo ehemals jene
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Abe
Völker sich am meisten ausgebreitet hatten, scheint
das übrige Europa damit angesteckt zu haben. Es
ist eine Zeit gewesen, wo diese Ausschweisungen aus
der Einbildungskraft in die Sitten und in die
Gesinnungen übergegangen sind, wo man aben-
theuerlich gehandelt hat.

Seitdem Vernunft und Geschmack in den
neuern Zeiten wieder empor gekommen, wird das
Abentheuerliche von den Dichtern bloß zur Belu-
stigung nachgeahmt. Erzählungen aus der aben-
theurlichen Welt hergenommen, sind oft sehr er-
getzend und ein Labsal des Geistes in den Stunden,
da man von Nachdenken ermüdet, dem Verstand
eine gänzliche Ruhe geben muß. Gute Werke von
dieser Art haben ihren Werth. Es scheinet, daß
Hr. Wieland bey Bekanntmachung seines Jdris
die Absicht gehabt, Deutschland ein Werk dieser
Gattung zu liefern, das in seiner Art claßisch
werden sollte, so wie es der Orlando furioso des
Ariost in Jtalien ist. Es fehlt in der That die-
sem Werk nicht an glänzenden poetischen Schön-
heiten; doch scheint etwas mehr, als dieses erfo-
derlich zu seyn, um ein Buch bey einer ganzen
Nation claßisch zu machen.

So angenehm das Abentheurliche in scherzhaften
Werken werden kan, so widrig wird es, wenn in
ernsthaften Werken, aus Mangel der Ueberlegung,
das Große und das Wunderbare dahin aus-
arten. Die Gränzen der einander gerade ent-
gegen stehenden Dinge, liegen insgemein nahe
an einander. Wenn den Dichter da, wo
er das Große oder das Wunderbare behandelt,
das Nachdenken nur auf einen Augenblick verläßt,
so schleicht sich plötzlich das Abentheuerliche an sol-
chen Orten ein, wo es höchst anstößig wird. Die
Begierde, gewisse Gegenstände recht groß vorzu-
stellen, kann diese Würkung thun. Es wäre zu
zeigen, daß dieses selbst dem großen Corneille
begegnet ist, der mehr als einmal das Große seiner
Helden, bis zum Abentheuerlichen getrieben hat.
Eben dieses ist einem deutschen Dichter in seinen
Trauerspielen, in Ansehung der Empfindungen und
Leidenschaften, mehr als einmal wiederfahren. Das
Große und das Wunderbare hat seine Gränze,
die zwar nicht durch eine bestimmte Linie kann ge-
zeichnet werden, die aber nicht leicht überschritten
wird, wenn die Einbildungskraft und die Empfin-
dung vom Verstande begleitet werden. (*)

(*) S. Ue-
bertrieben.

Abgüsse.
A 2

[Spaltenumbruch]

Abd Abe
Maske, mit Glaͤſern vor den Augen, vor ſich neh-
men, auch die Hand mit einem Handſchuh verſehen,
und uͤberhaupt ſich ſo ruͤſten, daß man von dem
herumſpritzenden heiſſen Metall keinen Schaden leide.
Dieſes Verfahren iſt uns von Herrn Lippert in
Dreßden mitgetheilt worden.

Abdruͤcke geſchnittener Steine in Glas, werden
Paſten genennt, und an ihrem Orte beſchrieben;
von den Abdruͤcken derſelben in eine weiſſe ton-
artige Materie iſt in dem Artikel Abguͤſſe das
mehrere nachzuſehen.

Abentheuerlich.
(Dichtkunſt.)

Eine Art des falſchen Wunderbahren, dem ſelbſt
die poetiſche Wahrſcheinlichkeit fehlet. Von die-
ſer Art ſind die ungeheuren Heldenthaten und
andre Begebenheiten, die man in den alten
Ritterbuͤchern findet. Der eigentliche Charakter
des Abentheuerlichen beſteht darinn, daß es aus
einer Welt hergenommen iſt, wo alles ohne hin-
reichende Gruͤnde geſchieht, wie in den Traͤumen.
Dinge, die in der Ordnung der wuͤrklichen Natur
unmoͤglich ſind, werden ordentliche Begebenheiten
in der abentheuerlichen Welt.

Das Abentheuerliche findet ſich ſo wol in Be-
gebenheiten, als in Handlungen, in Sitten und
in Charakteren. Jn den zeichnenden Kuͤnſten iſt
das ſo genannte Groteske eine Art des Aben-
theuerlichen, und dahin gehoͤren auch die chine-
ſiſchen Mahlereyen, da Haͤuſer und Landſchaften
in der Luft ſchweben.

Dieſe Gattung des Ungereimten herſcht insge-
mein in den Traͤumen, wo die ungereimteſten
Dinge wuͤrklich ſcheinen; aber jede erhitzte und vom
Verſtand ganz verlaſſene Einbildungkraft, bringt
abentheuerliche Vorſtellungen hervor. Er ſchei-
net, daß die Voͤlker der heiſſen Morgenlaͤnder,
mehr, als andre, dieſen Ausſchweifungen der
Einbilduugskraft unterworfen ſeyn; denn der
Hauptſitz des Abentheuerlichen iſt in den Romanen, in
den Gedichten und ſo gar in der Theologie dieſer Voͤl-
ker. Jn den arabiſchen Erzaͤhlungen von tauſend und
einer Nacht, iſt faſt alles in dieſer Art. Die abend-
laͤndiſchen Voͤlker ſcheinen durch ihre Bekanntſchaft
mit den Arabern, auf das Abentheurliche gekom-
men zu ſeyn, und Spanien, wo ehemals jene
[Spaltenumbruch]

Abe
Voͤlker ſich am meiſten ausgebreitet hatten, ſcheint
das uͤbrige Europa damit angeſteckt zu haben. Es
iſt eine Zeit geweſen, wo dieſe Ausſchweiſungen aus
der Einbildungskraft in die Sitten und in die
Geſinnungen uͤbergegangen ſind, wo man aben-
theuerlich gehandelt hat.

Seitdem Vernunft und Geſchmack in den
neuern Zeiten wieder empor gekommen, wird das
Abentheuerliche von den Dichtern bloß zur Belu-
ſtigung nachgeahmt. Erzaͤhlungen aus der aben-
theurlichen Welt hergenommen, ſind oft ſehr er-
getzend und ein Labſal des Geiſtes in den Stunden,
da man von Nachdenken ermuͤdet, dem Verſtand
eine gaͤnzliche Ruhe geben muß. Gute Werke von
dieſer Art haben ihren Werth. Es ſcheinet, daß
Hr. Wieland bey Bekanntmachung ſeines Jdris
die Abſicht gehabt, Deutſchland ein Werk dieſer
Gattung zu liefern, das in ſeiner Art claßiſch
werden ſollte, ſo wie es der Orlando furioſo des
Arioſt in Jtalien iſt. Es fehlt in der That die-
ſem Werk nicht an glaͤnzenden poetiſchen Schoͤn-
heiten; doch ſcheint etwas mehr, als dieſes erfo-
derlich zu ſeyn, um ein Buch bey einer ganzen
Nation claßiſch zu machen.

So angenehm das Abentheurliche in ſcherzhaften
Werken werden kan, ſo widrig wird es, wenn in
ernſthaften Werken, aus Mangel der Ueberlegung,
das Große und das Wunderbare dahin aus-
arten. Die Graͤnzen der einander gerade ent-
gegen ſtehenden Dinge, liegen insgemein nahe
an einander. Wenn den Dichter da, wo
er das Große oder das Wunderbare behandelt,
das Nachdenken nur auf einen Augenblick verlaͤßt,
ſo ſchleicht ſich ploͤtzlich das Abentheuerliche an ſol-
chen Orten ein, wo es hoͤchſt anſtoͤßig wird. Die
Begierde, gewiſſe Gegenſtaͤnde recht groß vorzu-
ſtellen, kann dieſe Wuͤrkung thun. Es waͤre zu
zeigen, daß dieſes ſelbſt dem großen Corneille
begegnet iſt, der mehr als einmal das Große ſeiner
Helden, bis zum Abentheuerlichen getrieben hat.
Eben dieſes iſt einem deutſchen Dichter in ſeinen
Trauerſpielen, in Anſehung der Empfindungen und
Leidenſchaften, mehr als einmal wiederfahren. Das
Große und das Wunderbare hat ſeine Graͤnze,
die zwar nicht durch eine beſtimmte Linie kann ge-
zeichnet werden, die aber nicht leicht uͤberſchritten
wird, wenn die Einbildungskraft und die Empfin-
dung vom Verſtande begleitet werden. (*)

(*) S. Ue-
bertrieben.

Abguͤſſe.
A 2
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[3/0015] Abd Abe Abe Maske, mit Glaͤſern vor den Augen, vor ſich neh- men, auch die Hand mit einem Handſchuh verſehen, und uͤberhaupt ſich ſo ruͤſten, daß man von dem herumſpritzenden heiſſen Metall keinen Schaden leide. Dieſes Verfahren iſt uns von Herrn Lippert in Dreßden mitgetheilt worden. Abdruͤcke geſchnittener Steine in Glas, werden Paſten genennt, und an ihrem Orte beſchrieben; von den Abdruͤcken derſelben in eine weiſſe ton- artige Materie iſt in dem Artikel Abguͤſſe das mehrere nachzuſehen. Abentheuerlich. (Dichtkunſt.) Eine Art des falſchen Wunderbahren, dem ſelbſt die poetiſche Wahrſcheinlichkeit fehlet. Von die- ſer Art ſind die ungeheuren Heldenthaten und andre Begebenheiten, die man in den alten Ritterbuͤchern findet. Der eigentliche Charakter des Abentheuerlichen beſteht darinn, daß es aus einer Welt hergenommen iſt, wo alles ohne hin- reichende Gruͤnde geſchieht, wie in den Traͤumen. Dinge, die in der Ordnung der wuͤrklichen Natur unmoͤglich ſind, werden ordentliche Begebenheiten in der abentheuerlichen Welt. Das Abentheuerliche findet ſich ſo wol in Be- gebenheiten, als in Handlungen, in Sitten und in Charakteren. Jn den zeichnenden Kuͤnſten iſt das ſo genannte Groteske eine Art des Aben- theuerlichen, und dahin gehoͤren auch die chine- ſiſchen Mahlereyen, da Haͤuſer und Landſchaften in der Luft ſchweben. Dieſe Gattung des Ungereimten herſcht insge- mein in den Traͤumen, wo die ungereimteſten Dinge wuͤrklich ſcheinen; aber jede erhitzte und vom Verſtand ganz verlaſſene Einbildungkraft, bringt abentheuerliche Vorſtellungen hervor. Er ſchei- net, daß die Voͤlker der heiſſen Morgenlaͤnder, mehr, als andre, dieſen Ausſchweifungen der Einbilduugskraft unterworfen ſeyn; denn der Hauptſitz des Abentheuerlichen iſt in den Romanen, in den Gedichten und ſo gar in der Theologie dieſer Voͤl- ker. Jn den arabiſchen Erzaͤhlungen von tauſend und einer Nacht, iſt faſt alles in dieſer Art. Die abend- laͤndiſchen Voͤlker ſcheinen durch ihre Bekanntſchaft mit den Arabern, auf das Abentheurliche gekom- men zu ſeyn, und Spanien, wo ehemals jene Voͤlker ſich am meiſten ausgebreitet hatten, ſcheint das uͤbrige Europa damit angeſteckt zu haben. Es iſt eine Zeit geweſen, wo dieſe Ausſchweiſungen aus der Einbildungskraft in die Sitten und in die Geſinnungen uͤbergegangen ſind, wo man aben- theuerlich gehandelt hat. Seitdem Vernunft und Geſchmack in den neuern Zeiten wieder empor gekommen, wird das Abentheuerliche von den Dichtern bloß zur Belu- ſtigung nachgeahmt. Erzaͤhlungen aus der aben- theurlichen Welt hergenommen, ſind oft ſehr er- getzend und ein Labſal des Geiſtes in den Stunden, da man von Nachdenken ermuͤdet, dem Verſtand eine gaͤnzliche Ruhe geben muß. Gute Werke von dieſer Art haben ihren Werth. Es ſcheinet, daß Hr. Wieland bey Bekanntmachung ſeines Jdris die Abſicht gehabt, Deutſchland ein Werk dieſer Gattung zu liefern, das in ſeiner Art claßiſch werden ſollte, ſo wie es der Orlando furioſo des Arioſt in Jtalien iſt. Es fehlt in der That die- ſem Werk nicht an glaͤnzenden poetiſchen Schoͤn- heiten; doch ſcheint etwas mehr, als dieſes erfo- derlich zu ſeyn, um ein Buch bey einer ganzen Nation claßiſch zu machen. So angenehm das Abentheurliche in ſcherzhaften Werken werden kan, ſo widrig wird es, wenn in ernſthaften Werken, aus Mangel der Ueberlegung, das Große und das Wunderbare dahin aus- arten. Die Graͤnzen der einander gerade ent- gegen ſtehenden Dinge, liegen insgemein nahe an einander. Wenn den Dichter da, wo er das Große oder das Wunderbare behandelt, das Nachdenken nur auf einen Augenblick verlaͤßt, ſo ſchleicht ſich ploͤtzlich das Abentheuerliche an ſol- chen Orten ein, wo es hoͤchſt anſtoͤßig wird. Die Begierde, gewiſſe Gegenſtaͤnde recht groß vorzu- ſtellen, kann dieſe Wuͤrkung thun. Es waͤre zu zeigen, daß dieſes ſelbſt dem großen Corneille begegnet iſt, der mehr als einmal das Große ſeiner Helden, bis zum Abentheuerlichen getrieben hat. Eben dieſes iſt einem deutſchen Dichter in ſeinen Trauerſpielen, in Anſehung der Empfindungen und Leidenſchaften, mehr als einmal wiederfahren. Das Große und das Wunderbare hat ſeine Graͤnze, die zwar nicht durch eine beſtimmte Linie kann ge- zeichnet werden, die aber nicht leicht uͤberſchritten wird, wenn die Einbildungskraft und die Empfin- dung vom Verſtande begleitet werden. (*) Abguͤſſe. A 2

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/15>, abgerufen am 29.03.2024.