Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch]
Abh Abl Abs Abhandlung (Redekunst.) Der Haupttheil oder der eigentliche Körper ei- Ablauff. (Baukunst.) Die Ausbeugung einer Linie oder Fläche an [Abbildung]
Ausbeugung a der Flächedes Stammes gegen den Obersaum, den Ablauf aus. Man bemerkt gar bald, woher der Ablauff entstan- den ist: weil es offenbar ist, daß ohne ihn der Saum nicht mehr, als ein Theil des Stammes, sondern, als eine über ihm liegende Platte erscheinen würde. Zugleich würde alsdenn der Stamm sein oberes Ende verliehren und auf- hören ein Ganzes zu seyn. (S. Ganz) Aus eben diesem Grunde muß der Untersaum des Stammes allmählig an ihn schließen, oder Anlauffen; daher ist der Anlauff entstanden. Die Wirkung des Ablauffes und Anlauffes ist Abschnit. (Schöne Künste.) Dieses Wort hat mehrere Bedeutungen, die man Abs Abschnit des Verses. (Cäsur) Ein merkbarer Du bringst früh oder spät ein jedes Vornehmen zum Ende;(*) Noa- chide III. Ges. so wird man bemerken, daß jeder von den beyden Darinn gleichen solche Verse einem Takt in der Die Seele macht ihr Glück; ihr sind die äussern Sachen Alle längeren Versarten haben, ihre Abschnite, Schon die ungebundene Rede (um so vielmehr dem A 3
[Spaltenumbruch]
Abh Abl Abſ Abhandlung (Redekunſt.) Der Haupttheil oder der eigentliche Koͤrper ei- Ablauff. (Baukunſt.) Die Ausbeugung einer Linie oder Flaͤche an [Abbildung]
Ausbeugung a der Flaͤchedes Stammes gegen den Oberſaum, den Ablauf aus. Man bemerkt gar bald, woher der Ablauff entſtan- den iſt: weil es offenbar iſt, daß ohne ihn der Saum nicht mehr, als ein Theil des Stammes, ſondern, als eine uͤber ihm liegende Platte erſcheinen wuͤrde. Zugleich wuͤrde alsdenn der Stamm ſein oberes Ende verliehren und auf- hoͤren ein Ganzes zu ſeyn. (S. Ganz) Aus eben dieſem Grunde muß der Unterſaum des Stammes allmaͤhlig an ihn ſchließen, oder Anlauffen; daher iſt der Anlauff entſtanden. Die Wirkung des Ablauffes und Anlauffes iſt Abſchnit. (Schoͤne Kuͤnſte.) Dieſes Wort hat mehrere Bedeutungen, die man Abſ Abſchnit des Verſes. (Caͤſur) Ein merkbarer Du bringſt fruͤh oder ſpaͤt ein jedes Vornehmen zum Ende;(*) Noa- chide III. Geſ. ſo wird man bemerken, daß jeder von den beyden Darinn gleichen ſolche Verſe einem Takt in der Die Seele macht ihr Gluͤck; ihr ſind die aͤuſſern Sachen Alle laͤngeren Versarten haben, ihre Abſchnite, Schon die ungebundene Rede (um ſo vielmehr dem A 3
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0017" n="5"/> <cb/> </div> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Abh Abl Abſ</hi> </fw><lb/> <div n="2"> <head><hi rendition="#g">Abhandlung</hi><lb/> (Redekunſt.)</head><lb/> <p><hi rendition="#in">D</hi>er Haupttheil oder der eigentliche Koͤrper ei-<lb/> ner foͤrmlichen Rede, in welchem die ganze<lb/> Materie der Rede vorgetragen wird. Der Abhand-<lb/> lung geht der Eingang, wenn einer da iſt, vor-<lb/> her und auf ſie folget der Beſchluß. Alles was<lb/> von der Wahl der Materie, von der Anordnung,<lb/> von den Beweisgruͤnden, von der Wiederlegung,<lb/> in Abſicht auf die Rede, in den verſchiedenen<lb/> Artikeln hieruͤber geſagt worden, gehoͤrt zur<lb/> Abhandlung.</p> </div><lb/> <div n="2"> <head><hi rendition="#g">Ablauff.</hi><lb/> (Baukunſt.)</head><lb/> <p><hi rendition="#in">D</hi>ie Ausbeugung einer Linie oder Flaͤche an<lb/> ihrem oberſten Ende. An den Saͤulen macht die<lb/><figure/><lb/> Ausbeugung <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">a</hi></hi> der Flaͤche<lb/> des Stammes gegen den<lb/> Oberſaum, den Ablauf<lb/> aus. Man bemerkt gar bald,<lb/> woher der Ablauff entſtan-<lb/> den iſt: weil es offenbar iſt,<lb/> daß ohne ihn der Saum<lb/> nicht mehr, als ein Theil<lb/> des Stammes, ſondern, als eine uͤber ihm liegende<lb/> Platte erſcheinen wuͤrde. Zugleich wuͤrde alsdenn<lb/> der Stamm ſein oberes Ende verliehren und auf-<lb/> hoͤren ein Ganzes zu ſeyn. (S. Ganz) Aus eben<lb/> dieſem Grunde muß der <hi rendition="#fr">Unterſaum</hi> des Stammes<lb/> allmaͤhlig an ihn ſchließen, oder Anlauffen; daher<lb/> iſt der Anlauff entſtanden.</p><lb/> <p>Die Wirkung des Ablauffes und Anlauffes iſt<lb/> die Vereinigung der Saͤume mit dem Koͤrper des<lb/> Stamms. Deßwegen iſt es unverſtaͤndig, wenn<lb/> ſie da gebraucht werden, wo keine Vereinigung<lb/> ſeyn muß. Doch ſind die Baumeiſter verſchiedent-<lb/> lich in dieſen Fehler gefallen, da ſie den Unterbal-<lb/> ken gegen den Fries anlauffen, gegen die Platte<lb/> des Deckels ablauffen laßen.</p> </div><lb/> <div n="2"> <head><hi rendition="#g">Abſchnit.</hi><lb/> (Schoͤne Kuͤnſte.)</head><lb/> <p><hi rendition="#in">D</hi>ieſes Wort hat mehrere Bedeutungen, die man<lb/> hier nicht noͤthig hat-unter einen Hauptbe-<lb/> griff zubringen; wir betrachten deßwegen jede<lb/> beſonders.</p><lb/> <cb/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Abſ</hi> </fw><lb/> <p>Abſchnit des Verſes. (Caͤſur) Ein merkbarer<lb/> Ruhepunkt, wodurch einige Verſe in zwey Haͤlften<lb/> getheilt werden. Man leſe mit gehoͤriger Beobach-<lb/> tung des Klanges folgende Verſe:</p><lb/> <cit> <quote>Du bringſt fruͤh oder ſpaͤt ein jedes Vornehmen zum Ende;<lb/> Nichts kann dir widerſtehn, du uͤberwindeſt es alles;<lb/> Gott von allem und jedem: Siehſt mit gleich ruhigen Augen<lb/> Hauffen Ameiſen und Nationen vergehen; die Sternen<lb/> Waͤgen auf deiner Waage, was einer Muͤcke Gefieder (*).</quote> </cit> <note place="right">(*) Noa-<lb/> chide<lb/><hi rendition="#aq">III.</hi> Geſ.</note><lb/> <p>ſo wird man bemerken, daß jeder von den beyden<lb/> erſten Verſen in zwey Zeiten, wie ſich die Ton-<lb/> kuͤnſtler ausdruͤcken, oder mit einer Abaͤnderung<lb/> der Stimme, geleſen wird. Sie ſcheinet auf der<lb/> einen Haͤlfte des Verſes zuſteigen und auf der an-<lb/> dern zufallen. Jm erſten Vers ſcheint ſie all-<lb/> maͤhlig zu ſteigen, bis man das Wort <hi rendition="#fr">ſpaͤth</hi> aus-<lb/> geſprochen hat, nach welchem eine kleine Ruhe,<lb/> oder eine unveraͤnderte Simme bleibt, die in der<lb/> andern Haͤlfte des Verſes wieder faͤllt oder<lb/> nachlaͤßt.</p><lb/> <p>Darinn gleichen ſolche Verſe einem Takt in der<lb/> Muſik, der ebenfalls in zwey Theile oder Zeiten<lb/> zerfaͤllt, die der Aufſchlag und Niederſchlag genennt<lb/> werden. Am merklichſten wird der Abſchnit in<lb/> unſern gewoͤhnlichen alexandriniſchen Verſen.</p><lb/> <cit> <quote>Die Seele macht ihr Gluͤck; ihr ſind die aͤuſſern Sachen<lb/> Zur Luſt und zum Verdruß nur die Gelegenheit:<lb/> Ein wohlgeſetzt Gemuͤth kann Galle ſuͤſſe machen,<lb/> Da ein verwaͤhnter Sinn auf alles Wermuth ſtrent.</quote> </cit><lb/> <p>Alle laͤngeren Versarten haben, ihre Abſchnite,<lb/> welche der Wohlklang nothwendig macht. Jhren<lb/> Urſprung muͤſſen wir um ſo vielmehr unter-<lb/> ſuchen, da diejenige unſrer Kunſtrichter, die den<lb/> Wohlklang der Verſe bis auf die geringſte Klei-<lb/> nigkeit ſcheinen zergliedert zu haben, dieſen<lb/> Punkt verſaͤumet haben.</p><lb/> <p>Schon die ungebundene Rede (um ſo vielmehr<lb/> die gebundene) hat etwas von dem Charakter der<lb/> Muſik, oder des Tonſtuͤcks an ſich. Worinn dieſes<lb/> beſtehe, iſt an ſeinem Ortel (*) deutlich gezeiget wor-<note place="right">(*) Art.<lb/> Wohl-<lb/> klang.</note><lb/> den. Eine Haupteigenſchaft der wohlklingenden<lb/> Rede alſo, iſt das rythmiſche derſelben, wodurch<lb/> ſie in Glieder abgetheilt wird. Daher entſtehen in<lb/> der Muſik der Takt, die Einſchnite und die<lb/> Perioden, in dem Takt aber, die Zeiten des Auf-<lb/> und Niederſchlages. Alles was von dem natuͤrlichen<lb/> Urſprung dieſer Dinge angemerkt worden, gilt auch<note place="right">S. Muſik.<lb/> Talt.</note><lb/> von der gebundenen Rede, darinn der Vers mit<lb/> <fw place="bottom" type="sig">A 3</fw><fw place="bottom" type="catch">dem</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [5/0017]
Abh Abl Abſ
Abſ
Abhandlung
(Redekunſt.)
Der Haupttheil oder der eigentliche Koͤrper ei-
ner foͤrmlichen Rede, in welchem die ganze
Materie der Rede vorgetragen wird. Der Abhand-
lung geht der Eingang, wenn einer da iſt, vor-
her und auf ſie folget der Beſchluß. Alles was
von der Wahl der Materie, von der Anordnung,
von den Beweisgruͤnden, von der Wiederlegung,
in Abſicht auf die Rede, in den verſchiedenen
Artikeln hieruͤber geſagt worden, gehoͤrt zur
Abhandlung.
Ablauff.
(Baukunſt.)
Die Ausbeugung einer Linie oder Flaͤche an
ihrem oberſten Ende. An den Saͤulen macht die
[Abbildung]
Ausbeugung a der Flaͤche
des Stammes gegen den
Oberſaum, den Ablauf
aus. Man bemerkt gar bald,
woher der Ablauff entſtan-
den iſt: weil es offenbar iſt,
daß ohne ihn der Saum
nicht mehr, als ein Theil
des Stammes, ſondern, als eine uͤber ihm liegende
Platte erſcheinen wuͤrde. Zugleich wuͤrde alsdenn
der Stamm ſein oberes Ende verliehren und auf-
hoͤren ein Ganzes zu ſeyn. (S. Ganz) Aus eben
dieſem Grunde muß der Unterſaum des Stammes
allmaͤhlig an ihn ſchließen, oder Anlauffen; daher
iſt der Anlauff entſtanden.
Die Wirkung des Ablauffes und Anlauffes iſt
die Vereinigung der Saͤume mit dem Koͤrper des
Stamms. Deßwegen iſt es unverſtaͤndig, wenn
ſie da gebraucht werden, wo keine Vereinigung
ſeyn muß. Doch ſind die Baumeiſter verſchiedent-
lich in dieſen Fehler gefallen, da ſie den Unterbal-
ken gegen den Fries anlauffen, gegen die Platte
des Deckels ablauffen laßen.
Abſchnit.
(Schoͤne Kuͤnſte.)
Dieſes Wort hat mehrere Bedeutungen, die man
hier nicht noͤthig hat-unter einen Hauptbe-
griff zubringen; wir betrachten deßwegen jede
beſonders.
Abſchnit des Verſes. (Caͤſur) Ein merkbarer
Ruhepunkt, wodurch einige Verſe in zwey Haͤlften
getheilt werden. Man leſe mit gehoͤriger Beobach-
tung des Klanges folgende Verſe:
Du bringſt fruͤh oder ſpaͤt ein jedes Vornehmen zum Ende;
Nichts kann dir widerſtehn, du uͤberwindeſt es alles;
Gott von allem und jedem: Siehſt mit gleich ruhigen Augen
Hauffen Ameiſen und Nationen vergehen; die Sternen
Waͤgen auf deiner Waage, was einer Muͤcke Gefieder (*).
ſo wird man bemerken, daß jeder von den beyden
erſten Verſen in zwey Zeiten, wie ſich die Ton-
kuͤnſtler ausdruͤcken, oder mit einer Abaͤnderung
der Stimme, geleſen wird. Sie ſcheinet auf der
einen Haͤlfte des Verſes zuſteigen und auf der an-
dern zufallen. Jm erſten Vers ſcheint ſie all-
maͤhlig zu ſteigen, bis man das Wort ſpaͤth aus-
geſprochen hat, nach welchem eine kleine Ruhe,
oder eine unveraͤnderte Simme bleibt, die in der
andern Haͤlfte des Verſes wieder faͤllt oder
nachlaͤßt.
Darinn gleichen ſolche Verſe einem Takt in der
Muſik, der ebenfalls in zwey Theile oder Zeiten
zerfaͤllt, die der Aufſchlag und Niederſchlag genennt
werden. Am merklichſten wird der Abſchnit in
unſern gewoͤhnlichen alexandriniſchen Verſen.
Die Seele macht ihr Gluͤck; ihr ſind die aͤuſſern Sachen
Zur Luſt und zum Verdruß nur die Gelegenheit:
Ein wohlgeſetzt Gemuͤth kann Galle ſuͤſſe machen,
Da ein verwaͤhnter Sinn auf alles Wermuth ſtrent.
Alle laͤngeren Versarten haben, ihre Abſchnite,
welche der Wohlklang nothwendig macht. Jhren
Urſprung muͤſſen wir um ſo vielmehr unter-
ſuchen, da diejenige unſrer Kunſtrichter, die den
Wohlklang der Verſe bis auf die geringſte Klei-
nigkeit ſcheinen zergliedert zu haben, dieſen
Punkt verſaͤumet haben.
Schon die ungebundene Rede (um ſo vielmehr
die gebundene) hat etwas von dem Charakter der
Muſik, oder des Tonſtuͤcks an ſich. Worinn dieſes
beſtehe, iſt an ſeinem Ortel (*) deutlich gezeiget wor-
den. Eine Haupteigenſchaft der wohlklingenden
Rede alſo, iſt das rythmiſche derſelben, wodurch
ſie in Glieder abgetheilt wird. Daher entſtehen in
der Muſik der Takt, die Einſchnite und die
Perioden, in dem Takt aber, die Zeiten des Auf-
und Niederſchlages. Alles was von dem natuͤrlichen
Urſprung dieſer Dinge angemerkt worden, gilt auch
von der gebundenen Rede, darinn der Vers mit
dem
(*) Art.
Wohl-
klang.
S. Muſik.
Talt.
A 3
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |