Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch] Bey was an sich selbst schon verständlich genug ist, mitästhetischer Kraft zu sagen und recht sinnlich zu machen. Die Anmerkung, daß jeder des andern Zustand O! fortunati mercatores, gravis annis Die Würkung des ästhetischen Beyspiels ist ver- Bisweilen dienen solche Beyspiele, wenn meh- Bey der, der einmal gestorben ist, für immer todt ist?Aber Horaz führt Beyspiele davon an: Cum semel occideris & de te splendida Minos(*) Od. Lib. IV. 7. Man könnte diese Beyspiele verweilende Beyspiele Bisweilen dient das Beyspiel, der Wahrheit, die es Optat ephippia bos piger; optat arare caballus. Von dieser Art sind auch diese Beyspiele des La Fon- Tout bourgeois veut batir comme les grands Seigueurs, Diese Art des Beyspiels, das der Vorstellung eine Cur eget indignus quisquam, te divite? quare(*) Ser- mon. II. 2. 103. Die Beyspiele können nach der besondern Absicht, ein-
[Spaltenumbruch] Bey was an ſich ſelbſt ſchon verſtaͤndlich genug iſt, mitaͤſthetiſcher Kraft zu ſagen und recht ſinnlich zu machen. Die Anmerkung, daß jeder des andern Zuſtand O! fortunati mercatores, gravis annis Die Wuͤrkung des aͤſthetiſchen Beyſpiels iſt ver- Bisweilen dienen ſolche Beyſpiele, wenn meh- Bey der, der einmal geſtorben iſt, fuͤr immer todt iſt?Aber Horaz fuͤhrt Beyſpiele davon an: Cum ſemel occideris & de te ſplendida Minos(*) Od. Lib. IV. 7. Man koͤnnte dieſe Beyſpiele verweilende Beyſpiele Bisweilen dient das Beyſpiel, der Wahrheit, die es Optat ephippia bos piger; optat arare caballus. Von dieſer Art ſind auch dieſe Beyſpiele des La Fon- Tout bourgeois veut batir comme les grands Seigueurs, Dieſe Art des Beyſpiels, das der Vorſtellung eine Cur eget indignus quisquam, te divite? quare(*) Ser- mon. II. 2. 103. Die Beyſpiele koͤnnen nach der beſondern Abſicht, ein-
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Bey
Bey
was an ſich ſelbſt ſchon verſtaͤndlich genug iſt, mit
aͤſthetiſcher Kraft zu ſagen und recht ſinnlich zu
machen.
Die Anmerkung, daß jeder des andern Zuſtand
fuͤr beſſer haͤlt, als den ſeinigen, iſt an ſich ſchon
verſtaͤndlich genug; dennoch druͤkt Horaz ſie durch
Beyſpiele aus:
O! fortunati mercatores, gravis annis
Miles ait, multo jam fractus membra labore.
Contra Mercator navim jactantibus auſtris,
Militia oſt potior. — —
Agricolam laudat juris legumque peritus
— —
Ille — —
Solos felices viventes clamat in urbe. (*)
Die Wuͤrkung des aͤſthetiſchen Beyſpiels iſt ver-
ſchieden. Es kann dienen, die allgemeine Wahr-
heit, zu deren Behuf es angefuͤhrt worden iſt, auf
eine aͤſthetiſche Art zu beweiſen, in dem es uns
Faͤlle zu Gemuͤthe fuͤhrt, die wir erlebt haben, die
uns alſo die Wahrheit fuͤhlbar machen. Von die-
ſer Art iſt das angefuͤhrte. Denn wer einige Er-
fahrung hat, muß dergleichen Reden wuͤrklich gehoͤrt
haben. Dieſe Art, Wahrheiten, die jeder aus be-
ſondern Faͤllen unmittelbar abnehmen kann, durch
Anfuͤhrung ſolcher Faͤlle, als Beyſpiele, einzupraͤ-
gen, iſt durch die ganze Beredſamkeit und Dicht-
kunſt von ſehr groſſem Nutzen. Jm Grunde iſt es
eine Beweisart durch Jnduktion, (*) und die beſte
Art zu uͤberzeugen. Dergleichen Beyſpiele kann
man beweiſende Beyſpiele nennen; insgemein wer-
den viele nach einander angefuͤhrt. Man kann ſie
hinter dem Satz, deſſen Beweis ſie ſind, anfuͤhren,
oder demſelben vorhergehen laſſen. Die Geſchiklich-
keit, ſolche Beyſpiele gut zu waͤhlen, und (nach
Beſchaffenheit der Umſtaͤnde) kurz oder naiv oder
nachdruͤklich oder mahleriſch vorzutragen, iſt eines
der wichtigſten Talente der Moraliſten.
(*) S.
Beweisar-
ten.
Bisweilen dienen ſolche Beyſpiele, wenn meh-
rere hinter einander kommen, blos dazu, daß der
Leſer Zeit habe, ſich die allgemeine Wahrheit, an
welcher er ohnedem nicht zweifeln wuͤrde, durch die
Wiederholung derſelben, deſto ſicherer einzupraͤgen,
damit ſie unvergeßlich bleibe. Daher werden bis-
weilen die gemeineſten und bekannteſten Wahrheiten
von mehrern Beyſpielen begleitet, nur daß der Leſer
ſich dabey aufhalte. Was iſt bekannter, als daß
der, der einmal geſtorben iſt, fuͤr immer todt iſt?
Aber Horaz fuͤhrt Beyſpiele davon an:
Cum ſemel occideris & de te ſplendida Minos
Fecerit arbitria
Non te Torquate genus, non te facundia, non te
Reſtituet pietas:
Infernis neque enim tenebris Diana pudicum
Liberat Hippolytum;
Nec Lethæa valet Theſeus abrumpere charo
Vincula Pirithoo. (*)
Man koͤnnte dieſe Beyſpiele verweilende Beyſpiele
nennen; weil ſie durch die Verweilung bey einer be-
kannten Wahrheit ſie tiefer einpraͤgen. Man trift
nirgend mehr Beyſpiele dieſer Art an, als beym
Ovidius, dem gleich bey jedem allgemeinen Satz
hundert beſondre Faͤlle ins Gedaͤchtniß kommen.
Bisweilen dient das Beyſpiel, der Wahrheit, die es
enthaͤlt, einen Schmuk zu geben, wodurch ſie rei-
zender wird. So braucht Horaz, anſtatt der
vorher angefuͤhrten lehrenden Beyſpiele, fuͤr die-
ſelbe Wahrheit ein andermal naive mahleriſche
Beyſpiele:
Optat ephippia bos piger; optat arare caballus.
Von dieſer Art ſind auch dieſe Beyſpiele des La Fon-
taine von der Wahrheit, daß jeder Menſch ſucht
ſich uͤber ſeinen Stand zu erheben:
Tout bourgeois veut batir comme les grands Seigueurs,
Tout petit prince a des Ambaſſadeurs,
Tout Marquis veut avoir des pages.
Dieſe Art des Beyſpiels, das der Vorſtellung eine
beſonders kraͤftige Geſtalt oder Farbe giebt, um ſie
dem Gemuͤthe deſto lebhafter einzupraͤgen, hat wie-
der gar vielerley Formen, die ſich nicht alle ent-
wikeln laſſen. So hat folgende Art des Beyſpiels
eine ungemeine Kraft. Horaz will die allgemeine
Lehre anbringen, daß Ueppigkeit und groſſer Auf-
wand ſich nicht einmal durch groſſen Reichthum ent-
ſchuldigen laſſen. Anſtatt blos allgemein zu ſagen:
das Geld koͤnnte beſſer angewendet werden, ſagt
er dieſes in Beyſpielen, die er noch dazu in drin-
genden Fragen vortraͤgt:
Cur eget indignus quisquam, te divite? quare
Templa ruunt antiqua Deum? Cur, improbe, caræ
Non aliquid patriæ tanto emetiris acervo? (*)
Die Beyſpiele koͤnnen nach der beſondern Abſicht,
die man dabey hat, allgemeiner ſeyn, oder aus ganz
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