Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch]
Aeh Aehnlichkeit. (Schöne Künste überhaupt.) Die Würkung sowol ganzer Werke der schönen Daß die bloße Bemerkung der Aehnlichkeit uns Es haben einige Kunstrichter geglaubt, daß das Aeh macht die Betrachtung der Kunst an sich selbst auchVergnügen, (S. Künstlich.) aber in den bemeldten Fällen ist noch ein Ergetzen da, welches mit die- sem nichts gemein hat. Wir finden ja einen Ge- fallen an Aehnlichkeiten, die von keiner Kunst her- rühren; an einem Florentinischen Marmor, der eine Landschaft vorstellt, an einer Blume, welche große Aehnlichkeit mit einer Fliege hat (*) und an(*) Orchis muscam reserens. vielen andern Dingen dieser Art. Demnach ist die bloße Bemerkung der Aehnlich- Die Wahrheit dieser Anmerkungen wird durch Der
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Aeh Aehnlichkeit. (Schoͤne Kuͤnſte uͤberhaupt.) Die Wuͤrkung ſowol ganzer Werke der ſchoͤnen Daß die bloße Bemerkung der Aehnlichkeit uns Es haben einige Kunſtrichter geglaubt, daß das Aeh macht die Betrachtung der Kunſt an ſich ſelbſt auchVergnuͤgen, (S. Kuͤnſtlich.) aber in den bemeldten Faͤllen iſt noch ein Ergetzen da, welches mit die- ſem nichts gemein hat. Wir finden ja einen Ge- fallen an Aehnlichkeiten, die von keiner Kunſt her- ruͤhren; an einem Florentiniſchen Marmor, der eine Landſchaft vorſtellt, an einer Blume, welche große Aehnlichkeit mit einer Fliege hat (*) und an(*) Orchis muſcam reſerens. vielen andern Dingen dieſer Art. Demnach iſt die bloße Bemerkung der Aehnlich- Die Wahrheit dieſer Anmerkungen wird durch Der
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Aeh
Aeh
Aehnlichkeit.
(Schoͤne Kuͤnſte uͤberhaupt.)
Die Wuͤrkung ſowol ganzer Werke der ſchoͤnen
Kuͤnſte, als einzeler Theile derſelben, kommt gar
ofte von der Aehnlichkeit her. Von ihr kommt das
Vergnuͤgen, das ein durch Kunſt nachgeahmter
Gegenſtand erwekt; ihr hat man ofte die große
Wuͤrkung einiger Vorſtellungen der Beredſamkeit
und Dichtkunſt zu zuſchreiben. Sowol die Annehm-
lichkeit als die Kraft der aeſopiſchen Fabel, des
Gleichnißes, der Bilder, der Allegorie, der Me-
tapher, haben in der Wuͤrkung der Aehnlichkeit ih-
ren Grund. Es gehoͤrt alſo zur Theorie der ſchoͤ-
nen Kuͤnſte, daß dieſer Gegenſtand genau unter-
ſucht werde.
Daß die bloße Bemerkung der Aehnlichkeit uns
angenehm ſey, erkennen wir aus dem Vergnuͤ-
gen, welches ſolche Nachahmungen erweken, de-
ren Urbilder wir nicht gerne ſehen. Wir ergetzen
uns, ſagt Plutarchus (*), an einer gemahlten Ey-
dechſe, an einem Affen, oder gar wol an dem Ge-
ſicht eines Therſites, nicht der Schoͤnheit, ſondern
der Aehnlichkeit halber. Man betrachtet manches
gemahlte Bild mit großem Vergnuͤgen, von deßen
Urbild man die Augen wegwenden wuͤrde, ſo bald
man es erbliket. Wollte man dagegen einwenden,
daß das Vergnuͤgen in den angefuͤhrten Faͤllen nicht
von der Bemerkung der Aehnlichkeit herkomme, da
es auch bey gut gemahlten Bildern ſtatt hat, deren
Urbilder man nicht kennet, und alſo die Aehnlichkeit
nicht bemerken kann; ſo wird eine naͤhere Ueber-
legung der Sache dieſen Einwurf bald heben. Wenn
wir gleich die Perſon, deren Bild wir betrachten,
nicht kennen, ſo entdeken wir doch in dieſem einen
Charakter, ein Leben, eine Seele, ein Tempera-
ment, dergleichen wir an lebenden Menſchen be-
merkt haben; mithin eine Aehnlichkeit mit einem
wuͤrklichen Menſchen, wiewol wir ihn nicht ken-
nen. Eine von de Heem gemahlte Frucht oder
Blume, die man niemal in der Natur geſehen,
zeiget ein vegetabiliſches Leben, in voͤlliger Aehn-
lichkeit mit dem Leben andrer uns bekanten Blu-
men. Es iſt die Bemerkung dieſer Aehnlichkeit
die uns gefaͤllt.
(*) Jn der
Abhand-
lung, wie
man die
Dichter
leſen ſoll.
Es haben einige Kunſtrichter geglaubt, daß das
Vergnuͤgen aus der Bemerkung der Aehnlichkeit von
der Bewunderung der Kunſt herruͤhre. Allerdings
macht die Betrachtung der Kunſt an ſich ſelbſt auch
Vergnuͤgen, (S. Kuͤnſtlich.) aber in den bemeldten
Faͤllen iſt noch ein Ergetzen da, welches mit die-
ſem nichts gemein hat. Wir finden ja einen Ge-
fallen an Aehnlichkeiten, die von keiner Kunſt her-
ruͤhren; an einem Florentiniſchen Marmor, der
eine Landſchaft vorſtellt, an einer Blume, welche
große Aehnlichkeit mit einer Fliege hat (*) und an
vielen andern Dingen dieſer Art.
(*) Orchis
muſcam
reſerens.
Demnach iſt die bloße Bemerkung der Aehnlich-
keit, ohne alle Ruͤckſicht auf die Kunſt, wodurch
ſie entſtanden iſt, eine Urſache des Vergnuͤgens. Es
iſt auch nicht ſchweer zu zeigen, wie es entſteht.
Wir ſehen zwey ihrer Natur nach verſchiedene
Dinge, einen wuͤrklichen Koͤrper, und eine flach
ausgeſpannte Leinwand mit Farben bedekt. Die
Natur des einen ſcheinet der Natur des andern
entgegen zu ſeyn. Dennoch entdeken wir in bey-
den ſo viel einerley, daß das eine eben die Empfin-
dungen in dem Auge erwekt, als das andre. Die-
ſes einerley bey ſogar ungleichen Dingen, muß al-
ſo nothwendig auf ſehr ungleiche Weiſe entſtehen.
Der Geiſt ſtellt ſich, wiewol ganz dunkel, zwey
Quellen oder Urſachen vor, deren Naturen einan-
der entgegen ſind, die aber einerley Wuͤrkungen
hervorbringen. Dieſes iſt uns etwas unerwarte-
tes; zwey ihrer Natur nach ganz verſchiedene Ein-
heiten, kommen in eben demſelben manigfaltigen
uͤberein. Hoͤhen und Tiefen auf einer Flaͤche, ſo
gut als an einem wuͤrklichen Koͤrper, ein Leben
und eine Seele in einem Stein, dies muß uns
nothwendig in eine angenehme Bewunderung ſetzen.
Selbſt das große Geheimnis von dem Reiz der
Schoͤnheit ſcheinet mir daher erklaͤrbar, daß wir
die Vollkommenheit eines Geiſtes in der Materie
erbliken (*). Außer dieſem unterhaͤlt die Bemer-
kung der Aehnlichkeit den Geiſt in der Wuͤrkſamkeit
welche allemal nothwendig von der angenehmen
Empfindung begleitet wird (*). Eine beſtaͤndige
Vergleichung aller Theile zweyer Gegenſtaͤnde, und
Bemerkung ihrer Uebereinſtimmung unterhaͤlt dieſe
Wuͤrkſamkeit.
(*) S.
Schoͤn-
heit.
(*) S.
Theorie
der ange-
nehmen
und unan-
genehmen
Empfin-
dungen.
Die Wahrheit dieſer Anmerkungen wird durch
Betrachtung einiger beſonderer Faͤlle beſtaͤtiget, da
die hoͤchſte Aehnlichkeit nur wenig Vergnuͤgen er-
wekt. Nichts iſt aͤhnlicher, als die Wachsabguͤße
von wuͤrklich lebenden Perſonen; dennoch gefallen
ſie unendlich weniger als gut gemahlte Portraͤte.
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