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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Aeh
Der Abguß ist ein würklicher Körper, und demnach
fällt die Bewunderung der Uebereinstimmung weg.
Daß einerley Gegenstände einerley Würkung in dem
Auge hervorbringen, hat nichts außerordentliches.
Wir verwundern uns nicht darüber, daß ein weiß-
glüendes und also brennendes Eisen, Licht von sich
streut, so wie die Flamme; beydes kommt vom
Feuer her. Aber wenn wir dieselbe Würkung von
einem kalten Körper, wie der Phosphorus ist, sehen,
so empfinden wir darüber eine angenehme Bewun-
derung. Das reizende der Aehnlichkeit kommt von
der entgegen gesetzten Natur der Dinge her, darin
man sie bemerket.

Warum bewundern wir die Aehnlichkeit der Bil-
der im Spiegel so gar nicht, da sie doch so ganz
vollkommen ist? Wir halten das Bild im Spiegel
für einen eben so würklichen Gegenstand, als das
Urbild ist. Ein dunkeles Gefühl, daß es eben daßel-
be sey, überhebt uns sogleich aller Vergleichung
beyder Gegenstände. Wir beschäftigen uns so wenig
damit, als mit der Vergleichung der Bilder in ei-
nem vielseitigen Spiegel. Wir nehmen es für aus-
gemacht an, daß in dem einen nicht seyn könne,
als was in allen andern ist. Daher ist dieses kein
Gegenstand unsers Nachdenkens.

Diese deutliche Entwiklung der Art, wie die
Bemerkung der Aehnlichkeit das Vergnügen hervor-
bringt, setzet uns in Stande, den Werth der Nach-
ahmungen in den Künsten zu bestimmen und den
Künstlern ein Geheimnis zu entdeken. Je ent-
fernter das nachgeahmte Bild seiner Natur
nach von dem Urbild ist, je lebhafter rührt
die Aehnlichkeit.
Dieses ist eine Anmerkung, de-
ren sich die Künstler, und vorzüglich Redner und
Dichter mit dem größten Nutzen bedienen können.
Wenn sie Aehnlichkeiten darstellen können, die ganz
ausser der Natur ihrer Bilder liegen, und ihr so
gar zu widersprechen scheinen, so werden sie den
höchsten Beyfall erhalten. Der Maler befleisse
sich nicht nur die Gestallt und die Farben, das
Licht und die Schatten seines Urbildes zu erreichen;
man begreift bald, wie diese körperliche Dinge
auch auf einer Fläche zu erhalten sind: er wende
den äußersten Fleis auf die Darstellung solcher Sa-
chen an, welche über die Würkung der Farben zu
gehen scheinen: er mache Dinge sichtbar, die
nicht für das Auge gemacht scheinen, die Wärme
und Kälte, das Harte und Weiche, das Le-
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Aeh
ben und den Geist. Dadurch wird er uns in Be-
wunderung setzen.

Dieses ist in allen Nachahmungen das höchste.
Jn der Musik ist es nichts außerordentliches, daß
man die Höhe und Tiefe, die Geschwindigkeit und
Langsamkeit der Rede nachahmet. Daß man aber
den Tönen Eigenschaften geben kann, welche
der tönende Körper, die Flöte oder die Sayte
nicht haben kann, daß sie zärtlich seufzet, wollüstig
schmachtet, oder vor Schmerzen stöhnet, dieses
rührt uns bis zum Entzüken. Eben so sehr ge-
fället es uns, wenn es dem Tonsetzer gelingt, durch
bloße ungebildete Töne eine Art vernehmlicher
Sprache hervorzubringen, daß wir glauben eine
empfindungsvolle Rede zu vernehmen. Daß man
aber durch Töne das Rauschen der Gewässer, oder
das Rollen des Donners nachmachen kann, ist eine
ganz gleichgültige Sache. Beydes ist eine Wür-
kung der Töne.

Jn den Bildern der Sprache und in den Gleich-
nissen kommt ein großer Theil des Vergnügens
von dem weiten Abstand des Bildes von seinem
Urbilde her. Wer in der Natur einer Pflanze
richtige Aehnlichkeiten mit moralischen Gegenstän-
den entdeket, der hat etwas feineres bemerket, als
der, welcher dasselbe in einem Thier bemerket hat.
Das kleine Bild beym Virgil
Tum victu revocant vires, fufique per herbam
Implentur veteris Bacchi
- - - (*)
(*) AEn.
l.
214.

ist sehr reizend. Es entdekt uns eine gar uner-
wartete Aehnlichkeit zwischen einem festen und ei-
nem flüßigen Körper. Die müden Glieder der
Männer von Troja fließen wie Wasser auf das
Gras hin. Dergleichen Beywörter, welche sehr
entfernte Aehnlichkeiten entdeken, geben der Rede
eine große Lebhaftigkeit, und eben dieses Leben be-
kommen die metaphorischen Ausdrüke von dieser Art.
Die Franzosen sagen: fondre sur l'ennemi, auf den
Feind hinfließen, wie ein gewaltiger Strohm.

Aus eben diesem Grunde gefallen die Fabeln,
worin die handelnden Personen Thiere sind, beßer,
als die Menschlichen; denn die Aehnlichkeit zwischen
Thieren und Menschen ist entfernter, als zwischen
Menschen und Menschen. Ein Gleichniß gefällt
mehr, als ein Beyspiel, und ein Gleichniß von
sehr entfernten Gegenständen mehr, als eins
von nahen.

Die-

[Spaltenumbruch]

Aeh
Der Abguß iſt ein wuͤrklicher Koͤrper, und demnach
faͤllt die Bewunderung der Uebereinſtimmung weg.
Daß einerley Gegenſtaͤnde einerley Wuͤrkung in dem
Auge hervorbringen, hat nichts außerordentliches.
Wir verwundern uns nicht daruͤber, daß ein weiß-
gluͤendes und alſo brennendes Eiſen, Licht von ſich
ſtreut, ſo wie die Flamme; beydes kommt vom
Feuer her. Aber wenn wir dieſelbe Wuͤrkung von
einem kalten Koͤrper, wie der Phosphorus iſt, ſehen,
ſo empfinden wir daruͤber eine angenehme Bewun-
derung. Das reizende der Aehnlichkeit kommt von
der entgegen geſetzten Natur der Dinge her, darin
man ſie bemerket.

Warum bewundern wir die Aehnlichkeit der Bil-
der im Spiegel ſo gar nicht, da ſie doch ſo ganz
vollkommen iſt? Wir halten das Bild im Spiegel
fuͤr einen eben ſo wuͤrklichen Gegenſtand, als das
Urbild iſt. Ein dunkeles Gefuͤhl, daß es eben daßel-
be ſey, uͤberhebt uns ſogleich aller Vergleichung
beyder Gegenſtaͤnde. Wir beſchaͤftigen uns ſo wenig
damit, als mit der Vergleichung der Bilder in ei-
nem vielſeitigen Spiegel. Wir nehmen es fuͤr aus-
gemacht an, daß in dem einen nicht ſeyn koͤnne,
als was in allen andern iſt. Daher iſt dieſes kein
Gegenſtand unſers Nachdenkens.

Dieſe deutliche Entwiklung der Art, wie die
Bemerkung der Aehnlichkeit das Vergnuͤgen hervor-
bringt, ſetzet uns in Stande, den Werth der Nach-
ahmungen in den Kuͤnſten zu beſtimmen und den
Kuͤnſtlern ein Geheimnis zu entdeken. Je ent-
fernter das nachgeahmte Bild ſeiner Natur
nach von dem Urbild iſt, je lebhafter ruͤhrt
die Aehnlichkeit.
Dieſes iſt eine Anmerkung, de-
ren ſich die Kuͤnſtler, und vorzuͤglich Redner und
Dichter mit dem groͤßten Nutzen bedienen koͤnnen.
Wenn ſie Aehnlichkeiten darſtellen koͤnnen, die ganz
auſſer der Natur ihrer Bilder liegen, und ihr ſo
gar zu widerſprechen ſcheinen, ſo werden ſie den
hoͤchſten Beyfall erhalten. Der Maler befleiſſe
ſich nicht nur die Geſtallt und die Farben, das
Licht und die Schatten ſeines Urbildes zu erreichen;
man begreift bald, wie dieſe koͤrperliche Dinge
auch auf einer Flaͤche zu erhalten ſind: er wende
den aͤußerſten Fleis auf die Darſtellung ſolcher Sa-
chen an, welche uͤber die Wuͤrkung der Farben zu
gehen ſcheinen: er mache Dinge ſichtbar, die
nicht fuͤr das Auge gemacht ſcheinen, die Waͤrme
und Kaͤlte, das Harte und Weiche, das Le-
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Aeh
ben und den Geiſt. Dadurch wird er uns in Be-
wunderung ſetzen.

Dieſes iſt in allen Nachahmungen das hoͤchſte.
Jn der Muſik iſt es nichts außerordentliches, daß
man die Hoͤhe und Tiefe, die Geſchwindigkeit und
Langſamkeit der Rede nachahmet. Daß man aber
den Toͤnen Eigenſchaften geben kann, welche
der toͤnende Koͤrper, die Floͤte oder die Sayte
nicht haben kann, daß ſie zaͤrtlich ſeufzet, wolluͤſtig
ſchmachtet, oder vor Schmerzen ſtoͤhnet, dieſes
ruͤhrt uns bis zum Entzuͤken. Eben ſo ſehr ge-
faͤllet es uns, wenn es dem Tonſetzer gelingt, durch
bloße ungebildete Toͤne eine Art vernehmlicher
Sprache hervorzubringen, daß wir glauben eine
empfindungsvolle Rede zu vernehmen. Daß man
aber durch Toͤne das Rauſchen der Gewaͤſſer, oder
das Rollen des Donners nachmachen kann, iſt eine
ganz gleichguͤltige Sache. Beydes iſt eine Wuͤr-
kung der Toͤne.

Jn den Bildern der Sprache und in den Gleich-
niſſen kommt ein großer Theil des Vergnuͤgens
von dem weiten Abſtand des Bildes von ſeinem
Urbilde her. Wer in der Natur einer Pflanze
richtige Aehnlichkeiten mit moraliſchen Gegenſtaͤn-
den entdeket, der hat etwas feineres bemerket, als
der, welcher daſſelbe in einem Thier bemerket hat.
Das kleine Bild beym Virgil
Tum victu revocant vires, fufique per herbam
Implentur veteris Bacchi
‒ ‒ ‒ (*)
(*) Æn.
l.
214.

iſt ſehr reizend. Es entdekt uns eine gar uner-
wartete Aehnlichkeit zwiſchen einem feſten und ei-
nem fluͤßigen Koͤrper. Die muͤden Glieder der
Maͤnner von Troja fließen wie Waſſer auf das
Gras hin. Dergleichen Beywoͤrter, welche ſehr
entfernte Aehnlichkeiten entdeken, geben der Rede
eine große Lebhaftigkeit, und eben dieſes Leben be-
kommen die metaphoriſchen Ausdruͤke von dieſer Art.
Die Franzoſen ſagen: fondre ſur l’ennemi, auf den
Feind hinfließen, wie ein gewaltiger Strohm.

Aus eben dieſem Grunde gefallen die Fabeln,
worin die handelnden Perſonen Thiere ſind, beßer,
als die Menſchlichen; denn die Aehnlichkeit zwiſchen
Thieren und Menſchen iſt entfernter, als zwiſchen
Menſchen und Menſchen. Ein Gleichniß gefaͤllt
mehr, als ein Beyſpiel, und ein Gleichniß von
ſehr entfernten Gegenſtaͤnden mehr, als eins
von nahen.

Die-
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[15/0027] Aeh Aeh Der Abguß iſt ein wuͤrklicher Koͤrper, und demnach faͤllt die Bewunderung der Uebereinſtimmung weg. Daß einerley Gegenſtaͤnde einerley Wuͤrkung in dem Auge hervorbringen, hat nichts außerordentliches. Wir verwundern uns nicht daruͤber, daß ein weiß- gluͤendes und alſo brennendes Eiſen, Licht von ſich ſtreut, ſo wie die Flamme; beydes kommt vom Feuer her. Aber wenn wir dieſelbe Wuͤrkung von einem kalten Koͤrper, wie der Phosphorus iſt, ſehen, ſo empfinden wir daruͤber eine angenehme Bewun- derung. Das reizende der Aehnlichkeit kommt von der entgegen geſetzten Natur der Dinge her, darin man ſie bemerket. Warum bewundern wir die Aehnlichkeit der Bil- der im Spiegel ſo gar nicht, da ſie doch ſo ganz vollkommen iſt? Wir halten das Bild im Spiegel fuͤr einen eben ſo wuͤrklichen Gegenſtand, als das Urbild iſt. Ein dunkeles Gefuͤhl, daß es eben daßel- be ſey, uͤberhebt uns ſogleich aller Vergleichung beyder Gegenſtaͤnde. Wir beſchaͤftigen uns ſo wenig damit, als mit der Vergleichung der Bilder in ei- nem vielſeitigen Spiegel. Wir nehmen es fuͤr aus- gemacht an, daß in dem einen nicht ſeyn koͤnne, als was in allen andern iſt. Daher iſt dieſes kein Gegenſtand unſers Nachdenkens. Dieſe deutliche Entwiklung der Art, wie die Bemerkung der Aehnlichkeit das Vergnuͤgen hervor- bringt, ſetzet uns in Stande, den Werth der Nach- ahmungen in den Kuͤnſten zu beſtimmen und den Kuͤnſtlern ein Geheimnis zu entdeken. Je ent- fernter das nachgeahmte Bild ſeiner Natur nach von dem Urbild iſt, je lebhafter ruͤhrt die Aehnlichkeit. Dieſes iſt eine Anmerkung, de- ren ſich die Kuͤnſtler, und vorzuͤglich Redner und Dichter mit dem groͤßten Nutzen bedienen koͤnnen. Wenn ſie Aehnlichkeiten darſtellen koͤnnen, die ganz auſſer der Natur ihrer Bilder liegen, und ihr ſo gar zu widerſprechen ſcheinen, ſo werden ſie den hoͤchſten Beyfall erhalten. Der Maler befleiſſe ſich nicht nur die Geſtallt und die Farben, das Licht und die Schatten ſeines Urbildes zu erreichen; man begreift bald, wie dieſe koͤrperliche Dinge auch auf einer Flaͤche zu erhalten ſind: er wende den aͤußerſten Fleis auf die Darſtellung ſolcher Sa- chen an, welche uͤber die Wuͤrkung der Farben zu gehen ſcheinen: er mache Dinge ſichtbar, die nicht fuͤr das Auge gemacht ſcheinen, die Waͤrme und Kaͤlte, das Harte und Weiche, das Le- ben und den Geiſt. Dadurch wird er uns in Be- wunderung ſetzen. Dieſes iſt in allen Nachahmungen das hoͤchſte. Jn der Muſik iſt es nichts außerordentliches, daß man die Hoͤhe und Tiefe, die Geſchwindigkeit und Langſamkeit der Rede nachahmet. Daß man aber den Toͤnen Eigenſchaften geben kann, welche der toͤnende Koͤrper, die Floͤte oder die Sayte nicht haben kann, daß ſie zaͤrtlich ſeufzet, wolluͤſtig ſchmachtet, oder vor Schmerzen ſtoͤhnet, dieſes ruͤhrt uns bis zum Entzuͤken. Eben ſo ſehr ge- faͤllet es uns, wenn es dem Tonſetzer gelingt, durch bloße ungebildete Toͤne eine Art vernehmlicher Sprache hervorzubringen, daß wir glauben eine empfindungsvolle Rede zu vernehmen. Daß man aber durch Toͤne das Rauſchen der Gewaͤſſer, oder das Rollen des Donners nachmachen kann, iſt eine ganz gleichguͤltige Sache. Beydes iſt eine Wuͤr- kung der Toͤne. Jn den Bildern der Sprache und in den Gleich- niſſen kommt ein großer Theil des Vergnuͤgens von dem weiten Abſtand des Bildes von ſeinem Urbilde her. Wer in der Natur einer Pflanze richtige Aehnlichkeiten mit moraliſchen Gegenſtaͤn- den entdeket, der hat etwas feineres bemerket, als der, welcher daſſelbe in einem Thier bemerket hat. Das kleine Bild beym Virgil Tum victu revocant vires, fufique per herbam Implentur veteris Bacchi ‒ ‒ ‒ (*) iſt ſehr reizend. Es entdekt uns eine gar uner- wartete Aehnlichkeit zwiſchen einem feſten und ei- nem fluͤßigen Koͤrper. Die muͤden Glieder der Maͤnner von Troja fließen wie Waſſer auf das Gras hin. Dergleichen Beywoͤrter, welche ſehr entfernte Aehnlichkeiten entdeken, geben der Rede eine große Lebhaftigkeit, und eben dieſes Leben be- kommen die metaphoriſchen Ausdruͤke von dieſer Art. Die Franzoſen ſagen: fondre ſur l’ennemi, auf den Feind hinfließen, wie ein gewaltiger Strohm. (*) Æn. l. 214. Aus eben dieſem Grunde gefallen die Fabeln, worin die handelnden Perſonen Thiere ſind, beßer, als die Menſchlichen; denn die Aehnlichkeit zwiſchen Thieren und Menſchen iſt entfernter, als zwiſchen Menſchen und Menſchen. Ein Gleichniß gefaͤllt mehr, als ein Beyſpiel, und ein Gleichniß von ſehr entfernten Gegenſtaͤnden mehr, als eins von nahen. Die-

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/27>, abgerufen am 29.03.2024.