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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Ein
(*) S. Be-
weis S. 159
gung der Andromache, die an einem andern Ort (*)
angeführt worden ist, kann hier als ein Beyspiel
gebraucht werden; in dem einzigen Begriff von der
Person und den Umständen der Andromache liegt
alles, was zu ihrer Vertheidigung kann gesagt wer-
den. Nichts ist für den Redner in allen Gattun-
gen der Reden wichtiger, als den Hauptbegriff zu
entdeken, auf den alles ankommt; denn wo man
diesen gefunden hat, da entsteht die Einfalt von
selbst.

Die Einfalt des Ausdruks besteht darin, daß
man jeden einzeln Gedanken geradezu, und nur in
so viel Worten ausdruke, als nöthig sind ihn rich-
tig zu fassen: dieses aber können nur Menschen von
der gesundesten und richtigsten Beurtheilungskraft.
Diese Einfalt muß vorzüglich da herrschen, wo das
Wesentliche der Gedanken völlig hinlänglich ist, das
Gemüth ganz einzunehmen. Es ist damit so, wie
mit jeder Ausbildung eines einzelen Theiles beschaf-
fen; alles kommt dabey auf die einzige grosse Re-
gel an; So viel, als nothwendig; wenn nur der
Künstler das Nothwendige einsieht. Nicht nur alle
Zierathen, alle witzigen Einfälle, alles glänzende in
den Farben, alles wolklingende in den Worten, das
blos die Menge der Theile vermehrt, ohne die Haupt-
vorstellung zu verstärken, muß wegbleiben, sondern
auch alles das, dessen Abwesenheit keinen würklichen
Mangel gebiehrt. Wenn ein gewisser Wolklang
der Worte, ein gewisses Leben der Farben, ein ge-
wisser Nachdruk der Gedanken, eine gewisse einfache
Verzierung eines Haupttheiles hinlänglich ist, die
Vorstellung zu erweken, die der Absicht gemäß ist,
so hüte man sich ihr mehr Glanz zu geben; denn
das mehrere würde nur blenden, man würde den
Glanz fühlen, und die Beschaffenheit der glänzenden
Sache nicht mehr sehen, so wie der, welcher in die
hellscheinende Sonne sehen will, ihre scheinbare
Grösse und runde Figur nicht wahrnehmen kann.

Jn manchen Fällen ist die edle Einfalt der Ge-
wohnheit so sehr entgegen, daß der Künstler auch
da, wo er sie erreichen könnte, sich scheuet es zu
thun, aus Furcht den herrschenden Geschmak zu be-
leidigen. Man ist in der Baukunst gewisser, der
Einfalt entgegen streitender, Verzierungen an einigen
Orten so gewohnt, daß auch die Baumeister, die
es besser wissen, sich von der Gewohnheit hinreissen
lassen. Dies sollte aber keinen abhalten der Natur
zu folgen. Es sind immer noch Kenner vorhanden,
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Ein
die sein Werk zu schätzen wissen, wenn der grosse
Haufen es verachtet. Das Wesentliche der Sachen
ist unveränderlich; das Zufällige aber ist der unauf-
hörlichen Abwechslung der Moden unterworfen.
Der Künstler also, der allen Menschen und durch
alle Zeiten gefallen will, muß sich am Wesentlichen
halten, folglich der edlen Einfalt befleißen.

Einfaßung.
(Baukunst.)

Die Einfaßungen der Oeffnungen, nämlich der Thü-
ren oder Fenster. Wenn die Oeffnungen nicht als
blosse Löcher erscheinen sollen, deren Figur und
Grösse man für unbestimmt und zufällig halten
könnte, so muß etwas da seyn, das sie bestimmt und
jede zu etwas Ganzem macht. (*) Dieses wird offen-(*) S.
Ganz.

bar durch die Einfaßungen erhalten, welche den
Oeffnungen das Ansehen von Dingen geben, die
mit Fleiß gemacht sind, und ihre bestimmte Grän-
zen haben. Jederman wird fühlen, daß Fenster an
der Aussenseite eines Hauses, die ohne Einfaßung
sind, blos wie Löcher aussehen; aus ihrer Einfas-
sung aber entsteht das Gefühl, daß sie nichts zufäl-
liges, sondern etwas ordentlich abgemessenes und fer-
tiggemachtes seyen. Dieselbe Würkung thun auch
die Gewände, welche gleichsam die Rahmen sind, in
welche die Oeffnungen eingefaßt werden.

Zur Breite der Einfaßungen und der Gewände
wird insgemein der sechste Theil der Breite der gan-
zen Oeffnung genommen. Die Verzierungen an den
Gewänden müssen nicht übertrieben seyn, und sich
überhaupt nach der Bauart des Ganzen richten.

Einförmigkeit.
(Schöne Künste.)

Jst eigentlich die Gleichheit der Form durch alle Thei-
le, die zu einer Sache gehören. Sie ist der Grund
der Einheit; denn viel Dinge, sie liegen neben ein-
ander oder sie folgen auf einander, deren Beschaffen-
heit oder Ordnung nach einer Form, oder nach ei-
ner Regel bestimmt ist, können durch Hülfe dieser
Form mit einem Begriff zusammen gefaßt werden,
und in so fern machen sie zusammen Ein Ding
aus. So wie man vermittelst der einen Regel, wie
diese Zahlen 1. 2. 3. 4. 5. etc. oder 1. 2. 4. 8.
16 etc. auf einander folgen, die ganze unendliche
Reyhe derselben auf einmal übersehen kann, so thut
die Einförmigkeit überall diese Würkung. Jn ei-

nem

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Ein
(*) S. Be-
weis S. 159
gung der Andromache, die an einem andern Ort (*)
angefuͤhrt worden iſt, kann hier als ein Beyſpiel
gebraucht werden; in dem einzigen Begriff von der
Perſon und den Umſtaͤnden der Andromache liegt
alles, was zu ihrer Vertheidigung kann geſagt wer-
den. Nichts iſt fuͤr den Redner in allen Gattun-
gen der Reden wichtiger, als den Hauptbegriff zu
entdeken, auf den alles ankommt; denn wo man
dieſen gefunden hat, da entſteht die Einfalt von
ſelbſt.

Die Einfalt des Ausdruks beſteht darin, daß
man jeden einzeln Gedanken geradezu, und nur in
ſo viel Worten ausdruke, als noͤthig ſind ihn rich-
tig zu faſſen: dieſes aber koͤnnen nur Menſchen von
der geſundeſten und richtigſten Beurtheilungskraft.
Dieſe Einfalt muß vorzuͤglich da herrſchen, wo das
Weſentliche der Gedanken voͤllig hinlaͤnglich iſt, das
Gemuͤth ganz einzunehmen. Es iſt damit ſo, wie
mit jeder Ausbildung eines einzelen Theiles beſchaf-
fen; alles kommt dabey auf die einzige groſſe Re-
gel an; So viel, als nothwendig; wenn nur der
Kuͤnſtler das Nothwendige einſieht. Nicht nur alle
Zierathen, alle witzigen Einfaͤlle, alles glaͤnzende in
den Farben, alles wolklingende in den Worten, das
blos die Menge der Theile vermehrt, ohne die Haupt-
vorſtellung zu verſtaͤrken, muß wegbleiben, ſondern
auch alles das, deſſen Abweſenheit keinen wuͤrklichen
Mangel gebiehrt. Wenn ein gewiſſer Wolklang
der Worte, ein gewiſſes Leben der Farben, ein ge-
wiſſer Nachdruk der Gedanken, eine gewiſſe einfache
Verzierung eines Haupttheiles hinlaͤnglich iſt, die
Vorſtellung zu erweken, die der Abſicht gemaͤß iſt,
ſo huͤte man ſich ihr mehr Glanz zu geben; denn
das mehrere wuͤrde nur blenden, man wuͤrde den
Glanz fuͤhlen, und die Beſchaffenheit der glaͤnzenden
Sache nicht mehr ſehen, ſo wie der, welcher in die
hellſcheinende Sonne ſehen will, ihre ſcheinbare
Groͤſſe und runde Figur nicht wahrnehmen kann.

Jn manchen Faͤllen iſt die edle Einfalt der Ge-
wohnheit ſo ſehr entgegen, daß der Kuͤnſtler auch
da, wo er ſie erreichen koͤnnte, ſich ſcheuet es zu
thun, aus Furcht den herrſchenden Geſchmak zu be-
leidigen. Man iſt in der Baukunſt gewiſſer, der
Einfalt entgegen ſtreitender, Verzierungen an einigen
Orten ſo gewohnt, daß auch die Baumeiſter, die
es beſſer wiſſen, ſich von der Gewohnheit hinreiſſen
laſſen. Dies ſollte aber keinen abhalten der Natur
zu folgen. Es ſind immer noch Kenner vorhanden,
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Ein
die ſein Werk zu ſchaͤtzen wiſſen, wenn der groſſe
Haufen es verachtet. Das Weſentliche der Sachen
iſt unveraͤnderlich; das Zufaͤllige aber iſt der unauf-
hoͤrlichen Abwechslung der Moden unterworfen.
Der Kuͤnſtler alſo, der allen Menſchen und durch
alle Zeiten gefallen will, muß ſich am Weſentlichen
halten, folglich der edlen Einfalt befleißen.

Einfaßung.
(Baukunſt.)

Die Einfaßungen der Oeffnungen, naͤmlich der Thuͤ-
ren oder Fenſter. Wenn die Oeffnungen nicht als
bloſſe Loͤcher erſcheinen ſollen, deren Figur und
Groͤſſe man fuͤr unbeſtimmt und zufaͤllig halten
koͤnnte, ſo muß etwas da ſeyn, das ſie beſtimmt und
jede zu etwas Ganzem macht. (*) Dieſes wird offen-(*) S.
Ganz.

bar durch die Einfaßungen erhalten, welche den
Oeffnungen das Anſehen von Dingen geben, die
mit Fleiß gemacht ſind, und ihre beſtimmte Graͤn-
zen haben. Jederman wird fuͤhlen, daß Fenſter an
der Auſſenſeite eines Hauſes, die ohne Einfaßung
ſind, blos wie Loͤcher ausſehen; aus ihrer Einfaſ-
ſung aber entſteht das Gefuͤhl, daß ſie nichts zufaͤl-
liges, ſondern etwas ordentlich abgemeſſenes und fer-
tiggemachtes ſeyen. Dieſelbe Wuͤrkung thun auch
die Gewaͤnde, welche gleichſam die Rahmen ſind, in
welche die Oeffnungen eingefaßt werden.

Zur Breite der Einfaßungen und der Gewaͤnde
wird insgemein der ſechste Theil der Breite der gan-
zen Oeffnung genommen. Die Verzierungen an den
Gewaͤnden muͤſſen nicht uͤbertrieben ſeyn, und ſich
uͤberhaupt nach der Bauart des Ganzen richten.

Einfoͤrmigkeit.
(Schoͤne Kuͤnſte.)

Jſt eigentlich die Gleichheit der Form durch alle Thei-
le, die zu einer Sache gehoͤren. Sie iſt der Grund
der Einheit; denn viel Dinge, ſie liegen neben ein-
ander oder ſie folgen auf einander, deren Beſchaffen-
heit oder Ordnung nach einer Form, oder nach ei-
ner Regel beſtimmt iſt, koͤnnen durch Huͤlfe dieſer
Form mit einem Begriff zuſammen gefaßt werden,
und in ſo fern machen ſie zuſammen Ein Ding
aus. So wie man vermittelſt der einen Regel, wie
dieſe Zahlen 1. 2. 3. 4. 5. ꝛc. oder 1. 2. 4. 8.
16 ꝛc. auf einander folgen, die ganze unendliche
Reyhe derſelben auf einmal uͤberſehen kann, ſo thut
die Einfoͤrmigkeit uͤberall dieſe Wuͤrkung. Jn ei-

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[298/0310] Ein Ein gung der Andromache, die an einem andern Ort (*) angefuͤhrt worden iſt, kann hier als ein Beyſpiel gebraucht werden; in dem einzigen Begriff von der Perſon und den Umſtaͤnden der Andromache liegt alles, was zu ihrer Vertheidigung kann geſagt wer- den. Nichts iſt fuͤr den Redner in allen Gattun- gen der Reden wichtiger, als den Hauptbegriff zu entdeken, auf den alles ankommt; denn wo man dieſen gefunden hat, da entſteht die Einfalt von ſelbſt. (*) S. Be- weis S. 159 Die Einfalt des Ausdruks beſteht darin, daß man jeden einzeln Gedanken geradezu, und nur in ſo viel Worten ausdruke, als noͤthig ſind ihn rich- tig zu faſſen: dieſes aber koͤnnen nur Menſchen von der geſundeſten und richtigſten Beurtheilungskraft. Dieſe Einfalt muß vorzuͤglich da herrſchen, wo das Weſentliche der Gedanken voͤllig hinlaͤnglich iſt, das Gemuͤth ganz einzunehmen. Es iſt damit ſo, wie mit jeder Ausbildung eines einzelen Theiles beſchaf- fen; alles kommt dabey auf die einzige groſſe Re- gel an; So viel, als nothwendig; wenn nur der Kuͤnſtler das Nothwendige einſieht. Nicht nur alle Zierathen, alle witzigen Einfaͤlle, alles glaͤnzende in den Farben, alles wolklingende in den Worten, das blos die Menge der Theile vermehrt, ohne die Haupt- vorſtellung zu verſtaͤrken, muß wegbleiben, ſondern auch alles das, deſſen Abweſenheit keinen wuͤrklichen Mangel gebiehrt. Wenn ein gewiſſer Wolklang der Worte, ein gewiſſes Leben der Farben, ein ge- wiſſer Nachdruk der Gedanken, eine gewiſſe einfache Verzierung eines Haupttheiles hinlaͤnglich iſt, die Vorſtellung zu erweken, die der Abſicht gemaͤß iſt, ſo huͤte man ſich ihr mehr Glanz zu geben; denn das mehrere wuͤrde nur blenden, man wuͤrde den Glanz fuͤhlen, und die Beſchaffenheit der glaͤnzenden Sache nicht mehr ſehen, ſo wie der, welcher in die hellſcheinende Sonne ſehen will, ihre ſcheinbare Groͤſſe und runde Figur nicht wahrnehmen kann. Jn manchen Faͤllen iſt die edle Einfalt der Ge- wohnheit ſo ſehr entgegen, daß der Kuͤnſtler auch da, wo er ſie erreichen koͤnnte, ſich ſcheuet es zu thun, aus Furcht den herrſchenden Geſchmak zu be- leidigen. Man iſt in der Baukunſt gewiſſer, der Einfalt entgegen ſtreitender, Verzierungen an einigen Orten ſo gewohnt, daß auch die Baumeiſter, die es beſſer wiſſen, ſich von der Gewohnheit hinreiſſen laſſen. Dies ſollte aber keinen abhalten der Natur zu folgen. Es ſind immer noch Kenner vorhanden, die ſein Werk zu ſchaͤtzen wiſſen, wenn der groſſe Haufen es verachtet. Das Weſentliche der Sachen iſt unveraͤnderlich; das Zufaͤllige aber iſt der unauf- hoͤrlichen Abwechslung der Moden unterworfen. Der Kuͤnſtler alſo, der allen Menſchen und durch alle Zeiten gefallen will, muß ſich am Weſentlichen halten, folglich der edlen Einfalt befleißen. Einfaßung. (Baukunſt.) Die Einfaßungen der Oeffnungen, naͤmlich der Thuͤ- ren oder Fenſter. Wenn die Oeffnungen nicht als bloſſe Loͤcher erſcheinen ſollen, deren Figur und Groͤſſe man fuͤr unbeſtimmt und zufaͤllig halten koͤnnte, ſo muß etwas da ſeyn, das ſie beſtimmt und jede zu etwas Ganzem macht. (*) Dieſes wird offen- bar durch die Einfaßungen erhalten, welche den Oeffnungen das Anſehen von Dingen geben, die mit Fleiß gemacht ſind, und ihre beſtimmte Graͤn- zen haben. Jederman wird fuͤhlen, daß Fenſter an der Auſſenſeite eines Hauſes, die ohne Einfaßung ſind, blos wie Loͤcher ausſehen; aus ihrer Einfaſ- ſung aber entſteht das Gefuͤhl, daß ſie nichts zufaͤl- liges, ſondern etwas ordentlich abgemeſſenes und fer- tiggemachtes ſeyen. Dieſelbe Wuͤrkung thun auch die Gewaͤnde, welche gleichſam die Rahmen ſind, in welche die Oeffnungen eingefaßt werden. (*) S. Ganz. Zur Breite der Einfaßungen und der Gewaͤnde wird insgemein der ſechste Theil der Breite der gan- zen Oeffnung genommen. Die Verzierungen an den Gewaͤnden muͤſſen nicht uͤbertrieben ſeyn, und ſich uͤberhaupt nach der Bauart des Ganzen richten. Einfoͤrmigkeit. (Schoͤne Kuͤnſte.) Jſt eigentlich die Gleichheit der Form durch alle Thei- le, die zu einer Sache gehoͤren. Sie iſt der Grund der Einheit; denn viel Dinge, ſie liegen neben ein- ander oder ſie folgen auf einander, deren Beſchaffen- heit oder Ordnung nach einer Form, oder nach ei- ner Regel beſtimmt iſt, koͤnnen durch Huͤlfe dieſer Form mit einem Begriff zuſammen gefaßt werden, und in ſo fern machen ſie zuſammen Ein Ding aus. So wie man vermittelſt der einen Regel, wie dieſe Zahlen 1. 2. 3. 4. 5. ꝛc. oder 1. 2. 4. 8. 16 ꝛc. auf einander folgen, die ganze unendliche Reyhe derſelben auf einmal uͤberſehen kann, ſo thut die Einfoͤrmigkeit uͤberall dieſe Wuͤrkung. Jn ei- nem

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/310>, abgerufen am 12.05.2024.