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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Ent
gen des da Vinci über diese Materie wol zu studi-
(*) S.
Traitte de
la peintu-
re par L.
de Vinci.
Chap.
68.
102. 106.
107.
ren. (*) S. Luftperspektiv.

Entrüstung.
(Schöne Künste.)

Der höchste Grad des Unwillens gegen das, was
uns Böse scheint. Eine Leidenschaft, die sich die
Künstler sehr wol können zu Nutze machen. Wir
sind gar sehr geneigt durch diese Leidenschaft, wenn
wir sie an andern sehen, und wenn sie uns dabey die
Gerechtigkeit ihres Unwillens erkennen lassen, uns
ebenfalls zum Unwillen gegen das Böse hinreissen zu
lassen. Wer kann sich enthalten, beym Lesen des vier-
ten Epodos des Horaz gegen den Menas aufge-
bracht zu werden, zumal da, wo die Entrüstung des
Dichters am höchsten steigt, der sich über einen aus
dem niedrigsten Staub zu hohen Ehren erhobenen
Böswicht also ausläßt.

Sectus flagellis Hic triumviralibus,
Praeconis ad fastidium,
Arat Falerni mille fundi jugera,
Et appiam mannis terit;
Sedilibusque magnus in primis eques,
Othone contempto sedet.

Daß auch in den zeichnenden Künsten diese Leiden-
schaft richtig auszudrüken sey, beweißt Raphaels
Carton von der Geschichte des Ananias, wo der
Apostel Petrus in würklicher Entrüstung erscheint.

Der Künstler, der gegen eine in hohem Grade
schädliche Sache Abschen erweken will, kann dieses
am gewissesten durch einen guten Ausdruk der Ent-
rüstung erhalten. Aber der Ausdruk der Rede muß
dabey äusserst lebhaft, stark und schnell seyn, sonst
wird der Eindruk geschwächt. Die Strafpredigt,
die Noah den Giganten hält, als sie durch Men-
schenopfer die Satane gewinnen wollen, ist nicht
(*) S.
Noachide
V Ges S.
131 f.
durchaus in dem Ton der Entrüstung: (*) die Worte:
Dieser Greuel noch fehlte, und diese:

Eine verruchtere That war übrig, die durft er begehen;
Mit den Söhnen der Hölle sich gegen den Höchsten
verbinden.

find in dem wahren Ton der Entrüstung; aber
übrigens ist die Rede zu lang und zu umständlich.

Entsetzen.
(Schöne Künste.)

Jst ein sehr hoher Grad des Schrekens, und also,
wie alle Leidenschaften, ein Gegenstand der schönen
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Ent
Künste. Das Entsetzen wird entweder abgebildet,
oder es wird durch entsetzliche Gegenstände erweket:
das letztere kann nur im Drama oder in der Rede ge-
schehen; denn keine bloße Beschreibung, auch des ent-
setzlichsten Gegenstandes, wird ein würkliches Entsetzen
verursachen; man fühlt blos ein Schaudern, ohne
würkliches Schreken. So ließt man in der Odyssee
die entsetzliche Scene, die Ulysses in der Höhle des
Cyclopen hat ansehen müssen, ohne alles Entsetzen.
Nichts könnte entsetzlicher seyn, als die erstaunlichen
Scenen der einbrechenden Sündfluth, wie sie in
dem achten und neunten Gesang der Noachide be-
schrieben werden. Um auch zugleich Beyspiele zu ge-
ben, wie das Entsetzliche groß zu beschreiben sey,
wollen wir einige Stellen dieser Beschreibung her-
setzen:

Furchtsam schwebte der Mond im Weste, der Spiegel
der Sonne;
Damals mit voller Scheibe -- -- --
-- -- Statt Licht der Erde zu bringen,
Und für die Menschen Trost, vermehrt er die Schreken
des Himmels;
Denn er entwarff in dem Dunstkreis der Erd' unge-
heure Gesichte;
Welche die Furcht noch furchtbarer mahlte; Gestalten
des Todes,
Sebel und Pfeil und Wagen mit Sensen, und Baaren
mit Leichen.
Ueber der Luft und dem Land saß taub, und Unglück-
weissagend
Fürchterlich Schweigen. --
-- -- Einbrechende Kälte
Zeugt in dem warmen Clima den Winter; die Thiere
des Feldes
Rochen den Tod, der über sie schwebt' und heulten
gen Himmel.
Aengstlich reketen diese den spitzigen Kopf aus der Höle,
Andre liefen die Läng' und die Queer, itzt vorwäris,
dann rükwärts,
Ohne Ruhe; noch andere drangten sich dicht an einander.
-- -- -- --
-- Da verließen die Wasser des Oceans ihre Gestade,
Hoben den Rüken empor und schwollten gegen den
Stern auf.


Von der Gewalt in der Grundlag' unwiderstehlich er-
schütrert,
Fielen die Thürme zu Trümmern; die Tempel und ho-
hen Palläste,
Hügel sanken auf Hügel, und Klippen stießen an Klippen.
Als die Planeten so kämpften, zerriß der Dunstball
des Schweissterns.
Seiten,
S s 3

[Spaltenumbruch]

Ent
gen des da Vinci uͤber dieſe Materie wol zu ſtudi-
(*) S.
Traitté de
la peintu-
re par L.
de Vinci.
Chap.
68.
102. 106.
107.
ren. (*) S. Luftperſpektiv.

Entruͤſtung.
(Schoͤne Kuͤnſte.)

Der hoͤchſte Grad des Unwillens gegen das, was
uns Boͤſe ſcheint. Eine Leidenſchaft, die ſich die
Kuͤnſtler ſehr wol koͤnnen zu Nutze machen. Wir
ſind gar ſehr geneigt durch dieſe Leidenſchaft, wenn
wir ſie an andern ſehen, und wenn ſie uns dabey die
Gerechtigkeit ihres Unwillens erkennen laſſen, uns
ebenfalls zum Unwillen gegen das Boͤſe hinreiſſen zu
laſſen. Wer kann ſich enthalten, beym Leſen des vier-
ten Epodos des Horaz gegen den Menas aufge-
bracht zu werden, zumal da, wo die Entruͤſtung des
Dichters am hoͤchſten ſteigt, der ſich uͤber einen aus
dem niedrigſten Staub zu hohen Ehren erhobenen
Boͤswicht alſo auslaͤßt.

Sectus flagellis Hic triumviralibus,
Præconis ad faſtidium,
Arat Falerni mille fundi jugera,
Et appiam mannis terit;
Sedilibuſque magnus in primis eques,
Othone contempto ſedet.

Daß auch in den zeichnenden Kuͤnſten dieſe Leiden-
ſchaft richtig auszudruͤken ſey, beweißt Raphaels
Carton von der Geſchichte des Ananias, wo der
Apoſtel Petrus in wuͤrklicher Entruͤſtung erſcheint.

Der Kuͤnſtler, der gegen eine in hohem Grade
ſchaͤdliche Sache Abſchen erweken will, kann dieſes
am gewiſſeſten durch einen guten Ausdruk der Ent-
ruͤſtung erhalten. Aber der Ausdruk der Rede muß
dabey aͤuſſerſt lebhaft, ſtark und ſchnell ſeyn, ſonſt
wird der Eindruk geſchwaͤcht. Die Strafpredigt,
die Noah den Giganten haͤlt, als ſie durch Men-
ſchenopfer die Satane gewinnen wollen, iſt nicht
(*) S.
Noachide
V Geſ S.
131 f.
durchaus in dem Ton der Entruͤſtung: (*) die Worte:
Dieſer Greuel noch fehlte, und dieſe:

Eine verruchtere That war uͤbrig, die durft er begehen;
Mit den Soͤhnen der Hoͤlle ſich gegen den Hoͤchſten
verbinden.

find in dem wahren Ton der Entruͤſtung; aber
uͤbrigens iſt die Rede zu lang und zu umſtaͤndlich.

Entſetzen.
(Schoͤne Kuͤnſte.)

Jſt ein ſehr hoher Grad des Schrekens, und alſo,
wie alle Leidenſchaften, ein Gegenſtand der ſchoͤnen
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Ent
Kuͤnſte. Das Entſetzen wird entweder abgebildet,
oder es wird durch entſetzliche Gegenſtaͤnde erweket:
das letztere kann nur im Drama oder in der Rede ge-
ſchehen; denn keine bloße Beſchreibung, auch des ent-
ſetzlichſten Gegenſtandes, wird ein wuͤrkliches Entſetzen
verurſachen; man fuͤhlt blos ein Schaudern, ohne
wuͤrkliches Schreken. So ließt man in der Odyſſee
die entſetzliche Scene, die Ulyſſes in der Hoͤhle des
Cyclopen hat anſehen muͤſſen, ohne alles Entſetzen.
Nichts koͤnnte entſetzlicher ſeyn, als die erſtaunlichen
Scenen der einbrechenden Suͤndfluth, wie ſie in
dem achten und neunten Geſang der Noachide be-
ſchrieben werden. Um auch zugleich Beyſpiele zu ge-
ben, wie das Entſetzliche groß zu beſchreiben ſey,
wollen wir einige Stellen dieſer Beſchreibung her-
ſetzen:

Furchtſam ſchwebte der Mond im Weſte, der Spiegel
der Sonne;
Damals mit voller Scheibe — — —
— — Statt Licht der Erde zu bringen,
Und fuͤr die Menſchen Troſt, vermehrt er die Schreken
des Himmels;
Denn er entwarff in dem Dunſtkreis der Erd’ unge-
heure Geſichte;
Welche die Furcht noch furchtbarer mahlte; Geſtalten
des Todes,
Sebel und Pfeil und Wagen mit Senſen, und Baaren
mit Leichen.
Ueber der Luft und dem Land ſaß taub, und Ungluͤck-
weiſſagend
Fuͤrchterlich Schweigen. —
— — Einbrechende Kaͤlte
Zeugt in dem warmen Clima den Winter; die Thiere
des Feldes
Rochen den Tod, der uͤber ſie ſchwebt’ und heulten
gen Himmel.
Aengſtlich reketen dieſe den ſpitzigen Kopf aus der Hoͤle,
Andre liefen die Laͤng’ und die Queer, itzt vorwaͤris,
dann ruͤkwaͤrts,
Ohne Ruhe; noch andere drangten ſich dicht an einander.
— — — —
— Da verließen die Waſſer des Oceans ihre Geſtade,
Hoben den Ruͤken empor und ſchwollten gegen den
Stern auf.


Von der Gewalt in der Grundlag’ unwiderſtehlich er-
ſchuͤtrert,
Fielen die Thuͤrme zu Truͤmmern; die Tempel und ho-
hen Pallaͤſte,
Huͤgel ſanken auf Huͤgel, und Klippen ſtießen an Klippen.
Als die Planeten ſo kaͤmpften, zerriß der Dunſtball
des Schweiſſterns.
Seiten,
S s 3
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[325/0337] Ent Ent gen des da Vinci uͤber dieſe Materie wol zu ſtudi- ren. (*) S. Luftperſpektiv. (*) S. Traitté de la peintu- re par L. de Vinci. Chap. 68. 102. 106. 107. Entruͤſtung. (Schoͤne Kuͤnſte.) Der hoͤchſte Grad des Unwillens gegen das, was uns Boͤſe ſcheint. Eine Leidenſchaft, die ſich die Kuͤnſtler ſehr wol koͤnnen zu Nutze machen. Wir ſind gar ſehr geneigt durch dieſe Leidenſchaft, wenn wir ſie an andern ſehen, und wenn ſie uns dabey die Gerechtigkeit ihres Unwillens erkennen laſſen, uns ebenfalls zum Unwillen gegen das Boͤſe hinreiſſen zu laſſen. Wer kann ſich enthalten, beym Leſen des vier- ten Epodos des Horaz gegen den Menas aufge- bracht zu werden, zumal da, wo die Entruͤſtung des Dichters am hoͤchſten ſteigt, der ſich uͤber einen aus dem niedrigſten Staub zu hohen Ehren erhobenen Boͤswicht alſo auslaͤßt. Sectus flagellis Hic triumviralibus, Præconis ad faſtidium, Arat Falerni mille fundi jugera, Et appiam mannis terit; Sedilibuſque magnus in primis eques, Othone contempto ſedet. Daß auch in den zeichnenden Kuͤnſten dieſe Leiden- ſchaft richtig auszudruͤken ſey, beweißt Raphaels Carton von der Geſchichte des Ananias, wo der Apoſtel Petrus in wuͤrklicher Entruͤſtung erſcheint. Der Kuͤnſtler, der gegen eine in hohem Grade ſchaͤdliche Sache Abſchen erweken will, kann dieſes am gewiſſeſten durch einen guten Ausdruk der Ent- ruͤſtung erhalten. Aber der Ausdruk der Rede muß dabey aͤuſſerſt lebhaft, ſtark und ſchnell ſeyn, ſonſt wird der Eindruk geſchwaͤcht. Die Strafpredigt, die Noah den Giganten haͤlt, als ſie durch Men- ſchenopfer die Satane gewinnen wollen, iſt nicht durchaus in dem Ton der Entruͤſtung: (*) die Worte: Dieſer Greuel noch fehlte, und dieſe: (*) S. Noachide V Geſ S. 131 f. Eine verruchtere That war uͤbrig, die durft er begehen; Mit den Soͤhnen der Hoͤlle ſich gegen den Hoͤchſten verbinden. find in dem wahren Ton der Entruͤſtung; aber uͤbrigens iſt die Rede zu lang und zu umſtaͤndlich. Entſetzen. (Schoͤne Kuͤnſte.) Jſt ein ſehr hoher Grad des Schrekens, und alſo, wie alle Leidenſchaften, ein Gegenſtand der ſchoͤnen Kuͤnſte. Das Entſetzen wird entweder abgebildet, oder es wird durch entſetzliche Gegenſtaͤnde erweket: das letztere kann nur im Drama oder in der Rede ge- ſchehen; denn keine bloße Beſchreibung, auch des ent- ſetzlichſten Gegenſtandes, wird ein wuͤrkliches Entſetzen verurſachen; man fuͤhlt blos ein Schaudern, ohne wuͤrkliches Schreken. So ließt man in der Odyſſee die entſetzliche Scene, die Ulyſſes in der Hoͤhle des Cyclopen hat anſehen muͤſſen, ohne alles Entſetzen. Nichts koͤnnte entſetzlicher ſeyn, als die erſtaunlichen Scenen der einbrechenden Suͤndfluth, wie ſie in dem achten und neunten Geſang der Noachide be- ſchrieben werden. Um auch zugleich Beyſpiele zu ge- ben, wie das Entſetzliche groß zu beſchreiben ſey, wollen wir einige Stellen dieſer Beſchreibung her- ſetzen: Furchtſam ſchwebte der Mond im Weſte, der Spiegel der Sonne; Damals mit voller Scheibe — — — — — Statt Licht der Erde zu bringen, Und fuͤr die Menſchen Troſt, vermehrt er die Schreken des Himmels; Denn er entwarff in dem Dunſtkreis der Erd’ unge- heure Geſichte; Welche die Furcht noch furchtbarer mahlte; Geſtalten des Todes, Sebel und Pfeil und Wagen mit Senſen, und Baaren mit Leichen. Ueber der Luft und dem Land ſaß taub, und Ungluͤck- weiſſagend Fuͤrchterlich Schweigen. — — — Einbrechende Kaͤlte Zeugt in dem warmen Clima den Winter; die Thiere des Feldes Rochen den Tod, der uͤber ſie ſchwebt’ und heulten gen Himmel. Aengſtlich reketen dieſe den ſpitzigen Kopf aus der Hoͤle, Andre liefen die Laͤng’ und die Queer, itzt vorwaͤris, dann ruͤkwaͤrts, Ohne Ruhe; noch andere drangten ſich dicht an einander. — — — — — Da verließen die Waſſer des Oceans ihre Geſtade, Hoben den Ruͤken empor und ſchwollten gegen den Stern auf. Von der Gewalt in der Grundlag’ unwiderſtehlich er- ſchuͤtrert, Fielen die Thuͤrme zu Truͤmmern; die Tempel und ho- hen Pallaͤſte, Huͤgel ſanken auf Huͤgel, und Klippen ſtießen an Klippen. Als die Planeten ſo kaͤmpften, zerriß der Dunſtball des Schweiſſterns. Seiten, S s 3

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/337>, abgerufen am 21.11.2024.