Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch] Ent Seiten wie vorgebürgte Gestad' entschlüpften zur Erden,Wanden um sie sich herum, in schwarzen wolkigten Schläuchen. -- -- -- -- Niemals zuvor, noch hernach, hieng solcher eiserner Himmel Ueber dem Land. Oefters erhellte die tödtlichen Schatten ein schlängeludes Blitzen Breit wie ein Strohm und kreuzend vom Aufgang zum Untergang; Donner Brüllten mit schmetternder Stimm' und unter die Stimme des Donners Heulte Verzweiflung. Der Tod war in allen Gestalten vorhanden; Hing in der Luft, und wühlt in der Erd und stürmte vom Meer her; Wo man hinsah', da droht' allgegenwärtig sein Antlitz. Aber itzt rissen die Bande der Wolken, die Urnen und Schläuche Thaten sich auf und gossen cometische Meere hinunter. Wen nicht die Erde begrub, den ergriffen die Fluthen, sie schleppten Unerbittlich zum Tod Nationen von Menschen und Thieren. Von der gehörnten Fluth gespart, auf Berge geflohen Standen da dünne Schaaren, den Tod nur länger zu schmeken; Käuchten nach Luft und umschlangen mit beyden Armen die Bäume. Eine Frist von drey Athemzügen vom Tod zu gewinnen. Ueber sie rauschte die Fluth mit Riesenschritten; nicht müde Bis sie die Erde durchwandert hatte, von Pole zu Pole. Eben so groß ist die Beschreibung der über die Einwohner der Thamista einbrechenden Fluth im IX Gesange. Als mit dem dämmernden Abend die Nacht vom Ab- grund herauf kam, Hörten sie tief ein dumpfig Gebrüll, das unter der Erde Kreuzend von Süden nach West hinrollte; von fiebri- schem Aufruhr Bebte die Erde, die Thürmer wankten, wie Trunkene wanken. Hier und da schwoll das Land, und neue Hügel ent- standen, Die bald rissen und dike cylindrische Säulen gen Himmel Bleyrecht thürmten; die spaltenden schwarzen Gipfel Sprützeten Ströhme Gewässers von sich, mit wildem Getöse. -- -- -- -- Bald kam schwärzer, als Nacht, von Wirbelwinden getrieben, [Spaltenumbruch] Ent Ueber das Land ein eiserner Himmel, und Wolken aufWolken Hiengen herab, zusammen gebirgt. Die Menschen auf Erden Sahen sie hangen, sie sahen die Stirne des Tods in dem Anblik. Plötzlich zerrissen die äußersten Bande der Wolken, sie platzten Aufgelöset mit fallenden Seen zur Erde: der Regen Zog ungeheure Furchen in Auen und sandigten Ebnen, Neue Bette von Ströhmen, die ihre Gestade verließen, Und nach kurzem in Meere verwandelt, die Felder bedeckten. -- -- -- -- Von der Verzweiflung betäubt, von aller Hülfe verlassen, Stand Thamista mit stummer Erwartung danieder- geschlagen. Denn wem wollten sie flehn? -- -- -- -- -- -- Wenn sie die Hände noch rungen, die Brust im Staube sich schlugen Wars nur ein blinder Trieb und ein Winseln ohne Ge- danken. -- -- -- -- Von der Furcht von der Zukunft betäubt, vom Troste verlassen, Wünschten sie winselnd den Tod und flohn ihn mitten im Wünschen. -- -- -- -- Unter dem Winseln der Sünder vergaß die Fluth nicht zu steigen, Nicht, sie mit ehernen Hörnern zu fassen und dahin zu reißen, Wo der Tod sie mit unersättlicher Mordlust erwartet. Man wird schweerlich etwas Entsetzlicheres er- Verschiedene Kunstrichter sprechen von den schö- Ab-
[Spaltenumbruch] Ent Seiten wie vorgebuͤrgte Geſtad’ entſchluͤpften zur Erden,Wanden um ſie ſich herum, in ſchwarzen wolkigten Schlaͤuchen. — — — — Niemals zuvor, noch hernach, hieng ſolcher eiſerner Himmel Ueber dem Land. Oefters erhellte die toͤdtlichen Schatten ein ſchlaͤngeludes Blitzen Breit wie ein Strohm und kreuzend vom Aufgang zum Untergang; Donner Bruͤllten mit ſchmetternder Stimm’ und unter die Stimme des Donners Heulte Verzweiflung. Der Tod war in allen Geſtalten vorhanden; Hing in der Luft, und wuͤhlt in der Erd und ſtuͤrmte vom Meer her; Wo man hinſah’, da droht’ allgegenwaͤrtig ſein Antlitz. Aber itzt riſſen die Bande der Wolken, die Urnen und Schlaͤuche Thaten ſich auf und goſſen cometiſche Meere hinunter. Wen nicht die Erde begrub, den ergriffen die Fluthen, ſie ſchleppten Unerbittlich zum Tod Nationen von Menſchen und Thieren. Von der gehoͤrnten Fluth geſpart, auf Berge geflohen Standen da duͤnne Schaaren, den Tod nur laͤnger zu ſchmeken; Kaͤuchten nach Luft und umſchlangen mit beyden Armen die Baͤume. Eine Friſt von drey Athemzuͤgen vom Tod zu gewinnen. Ueber ſie rauſchte die Fluth mit Rieſenſchritten; nicht muͤde Bis ſie die Erde durchwandert hatte, von Pole zu Pole. Eben ſo groß iſt die Beſchreibung der uͤber die Einwohner der Thamiſta einbrechenden Fluth im IX Geſange. Als mit dem daͤmmernden Abend die Nacht vom Ab- grund herauf kam, Hoͤrten ſie tief ein dumpfig Gebruͤll, das unter der Erde Kreuzend von Suͤden nach Weſt hinrollte; von fiebri- ſchem Aufruhr Bebte die Erde, die Thuͤrmer wankten, wie Trunkene wanken. Hier und da ſchwoll das Land, und neue Huͤgel ent- ſtanden, Die bald riſſen und dike cylindriſche Saͤulen gen Himmel Bleyrecht thuͤrmten; die ſpaltenden ſchwarzen Gipfel Spruͤtzeten Stroͤhme Gewaͤſſers von ſich, mit wildem Getoͤſe. — — — — Bald kam ſchwaͤrzer, als Nacht, von Wirbelwinden getrieben, [Spaltenumbruch] Ent Ueber das Land ein eiſerner Himmel, und Wolken aufWolken Hiengen herab, zuſammen gebirgt. Die Menſchen auf Erden Sahen ſie hangen, ſie ſahen die Stirne des Tods in dem Anblik. Ploͤtzlich zerriſſen die aͤußerſten Bande der Wolken, ſie platzten Aufgeloͤſet mit fallenden Seen zur Erde: der Regen Zog ungeheure Furchen in Auen und ſandigten Ebnen, Neue Bette von Stroͤhmen, die ihre Geſtade verließen, Und nach kurzem in Meere verwandelt, die Felder bedeckten. — — — — Von der Verzweiflung betaͤubt, von aller Huͤlfe verlaſſen, Stand Thamiſta mit ſtummer Erwartung danieder- geſchlagen. Denn wem wollten ſie flehn? — — — — — — Wenn ſie die Haͤnde noch rungen, die Bruſt im Staube ſich ſchlugen Wars nur ein blinder Trieb und ein Winſeln ohne Ge- danken. — — — — Von der Furcht von der Zukunft betaͤubt, vom Troſte verlaſſen, Wuͤnſchten ſie winſelnd den Tod und flohn ihn mitten im Wuͤnſchen. — — — — Unter dem Winſeln der Suͤnder vergaß die Fluth nicht zu ſteigen, Nicht, ſie mit ehernen Hoͤrnern zu faſſen und dahin zu reißen, Wo der Tod ſie mit unerſaͤttlicher Mordluſt erwartet. Man wird ſchweerlich etwas Entſetzlicheres er- Verſchiedene Kunſtrichter ſprechen von den ſchoͤ- Ab-
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Ent
Ent
Seiten wie vorgebuͤrgte Geſtad’ entſchluͤpften zur Erden,
Wanden um ſie ſich herum, in ſchwarzen wolkigten
Schlaͤuchen.
— — — —
Niemals zuvor, noch hernach, hieng ſolcher eiſerner
Himmel
Ueber dem Land.
Oefters erhellte die toͤdtlichen Schatten ein ſchlaͤngeludes
Blitzen
Breit wie ein Strohm und kreuzend vom Aufgang zum
Untergang; Donner
Bruͤllten mit ſchmetternder Stimm’ und unter die
Stimme des Donners
Heulte Verzweiflung. Der Tod war in allen Geſtalten
vorhanden;
Hing in der Luft, und wuͤhlt in der Erd und ſtuͤrmte
vom Meer her;
Wo man hinſah’, da droht’ allgegenwaͤrtig ſein Antlitz.
Aber itzt riſſen die Bande der Wolken, die Urnen und
Schlaͤuche
Thaten ſich auf und goſſen cometiſche Meere hinunter.
Wen nicht die Erde begrub, den ergriffen die Fluthen,
ſie ſchleppten
Unerbittlich zum Tod Nationen von Menſchen und
Thieren.
Von der gehoͤrnten Fluth geſpart, auf Berge geflohen
Standen da duͤnne Schaaren, den Tod nur laͤnger zu
ſchmeken;
Kaͤuchten nach Luft und umſchlangen mit beyden Armen
die Baͤume.
Eine Friſt von drey Athemzuͤgen vom Tod zu gewinnen.
Ueber ſie rauſchte die Fluth mit Rieſenſchritten; nicht
muͤde
Bis ſie die Erde durchwandert hatte, von Pole zu Pole.
Eben ſo groß iſt die Beſchreibung der uͤber die
Einwohner der Thamiſta einbrechenden Fluth im
IX Geſange.
Als mit dem daͤmmernden Abend die Nacht vom Ab-
grund herauf kam,
Hoͤrten ſie tief ein dumpfig Gebruͤll, das unter der Erde
Kreuzend von Suͤden nach Weſt hinrollte; von fiebri-
ſchem Aufruhr
Bebte die Erde, die Thuͤrmer wankten, wie Trunkene
wanken.
Hier und da ſchwoll das Land, und neue Huͤgel ent-
ſtanden,
Die bald riſſen und dike cylindriſche Saͤulen gen Himmel
Bleyrecht thuͤrmten; die ſpaltenden ſchwarzen Gipfel
Spruͤtzeten Stroͤhme Gewaͤſſers von ſich, mit wildem
Getoͤſe.
— — — —
Bald kam ſchwaͤrzer, als Nacht, von Wirbelwinden
getrieben,
Ueber das Land ein eiſerner Himmel, und Wolken auf
Wolken
Hiengen herab, zuſammen gebirgt. Die Menſchen
auf Erden
Sahen ſie hangen, ſie ſahen die Stirne des Tods in dem
Anblik.
Ploͤtzlich zerriſſen die aͤußerſten Bande der Wolken,
ſie platzten
Aufgeloͤſet mit fallenden Seen zur Erde: der Regen
Zog ungeheure Furchen in Auen und ſandigten Ebnen,
Neue Bette von Stroͤhmen, die ihre Geſtade verließen,
Und nach kurzem in Meere verwandelt, die Felder bedeckten.
— — — —
Von der Verzweiflung betaͤubt, von aller Huͤlfe verlaſſen,
Stand Thamiſta mit ſtummer Erwartung danieder-
geſchlagen.
Denn wem wollten ſie flehn? — —
— — — —
Wenn ſie die Haͤnde noch rungen, die Bruſt im Staube
ſich ſchlugen
Wars nur ein blinder Trieb und ein Winſeln ohne Ge-
danken.
— — — —
Von der Furcht von der Zukunft betaͤubt, vom Troſte
verlaſſen,
Wuͤnſchten ſie winſelnd den Tod und flohn ihn mitten
im Wuͤnſchen.
— — — —
Unter dem Winſeln der Suͤnder vergaß die Fluth nicht
zu ſteigen,
Nicht, ſie mit ehernen Hoͤrnern zu faſſen und dahin zu
reißen,
Wo der Tod ſie mit unerſaͤttlicher Mordluſt erwartet.
Man wird ſchweerlich etwas Entſetzlicheres er-
denken, als die hier beſchriebenen Scenen; aber,
wie ſchon geſagt worden, die Beſchreibungen des
Entſetzlichen erweken nur Schaudern und Bewun-
drung. Der Dichter muß das Entſetzliche eben ſo
brauchen, wie die Natur das Schrekhafte uͤber-
haupt braucht, den Menſchen von verderblichen
Dingen abzuſchreken. Die Natur erwekt Schreken
und Entſetzen da, wo der Menſch etwas, das ploͤtz-
lich ſeinem Leben droht, gewahr wird; der Dichter
muß daſſelbe erweken, wo er Gefahr laͤuft in große
Verbrechen zu fallen.
Verſchiedene Kunſtrichter ſprechen von den ſchoͤ-
nen und lebhaften poetiſchen Schilderungen ſolcher
Gegenſtaͤnde, die in der Natur traurige oder aͤngſt-
liche Empfindungen oder gar Entſetzen erweken,
anf eine Weiſe, als wenn ſie glaubten, der Dichter
muͤßte ſie blos zur Beluſtigung ſeiner Leſer brau-
chen, ſo wie etwa ein Mahler durch eine ſehr gute
Ab-
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