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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Ent Epi
sich dies Feuer zu Nutze mache, eh' es auslöscht.
Von diesen glüklichen Augenbliken sind in dem Art.
Begeisterung verschiedene hieher gehörige Anmer-
kungen.

Damit aber der Künstler eine desto grössere Fer-
tigkeit im schnellen Entwerfen erlange, so muß er
sich fleißig darin üben. So oft ihm eine gute Er-
findung einfällt, so entwerfe er dieselbe, wenn er
gleich sich nicht vorgesetzt hat, das Werk auszufüh-
ren, nur damit er sich auf künftige Fälle übe.

Dieses thun alle großen Meister, und daher kom-
men diese häufigen, blos flüchtig gezeichneten Ent-
würfe der besten Mahler, die man in den Cabinetten
der Liebhaber findet, und die niemals in würklich
ausgeführten Gemählden angetroffen werden. Der-
gleichen Entwürfe, wenn sie von großen Meistern
sind, werden ofte höher geschätzt als ausgeführte
Arbeiten, weil das ganze Feuer der Einbildungs-
kraft darin anzutreffen ist, das oft in der Ausfüh-
rung etwas geschwächt worden. Der Entwurf ist das
Werk des Genies, die Ausarbeitung aber ist vor-
nehmlich das Werk der Kunst und des Geschmaks.

Episch.
(Dichtkunst.)

Dieses Wort ist aus dem Griechischen und La-
teinischen in die deutsche Kunstsprach aufgenommen
worden, und bedeutet etwas, das zur Epopee oder
zum Heldengedicht gehört, welches auch das epische
Gedicht
genennt wird. Von diesem |Gedichte selbst
S Hel-
dengedicht.
handeln wir unter seinem deutschen Namen; (*) hier
wird blos der Gebrauch dieses Beyworts erkläret.
Man kann also dieses Wort von jedem Gegenstand
brauchen, um seine Beziehung auf das Heldenge-
dicht anzuzeigen. Daher sagt man, ein epischer
Dichter, eine epische Auszierung oder Behand-
lung, der epische Ton des Vortrages, eine epische
Erzählung.

Die wahre Natur des Epischen, nach der Ma-
terie oder nach der äusserlichen Form betrachtet, wird
in dem Artikel Heldengedicht entwikelt.

Episode.
(Dichtkunst.)

So nennte man ehemals, nach des Aristoteles
Bericht, die Scenen des Draum, die zwischen den
Gefängen des Chors aufgeführt wurden; denn das
Wort bedeutet ursprünglich etwas, das nach dem
[Spaltenumbruch]

Epi
Gesang, oder zwischen den Gesängen steht. An-
fänglich bestuhnd die griechische Tragödie, so wie
die Comödie, blos aus einem festlichen Gesang eines
oder mehrern Chöre; nachher aber stellte man
zwischen den Gesängen eine Handlung vor, die da-
her den Namen Episode bekam. Die Reuern drü-
ken durch dieses Wort sowol in dem dramatischen,
als epischen Gedichte solche Vorstellungen aus, die
in den Zwischenraum, wo die Erzählung oder Vor-
stellung der Handlung unterbrochen wird, einge-
schaltet werden. So giebt Homer im zweyten
Buch der Jlias währender Zeit, daß beyde Heere sich
in Schlachtordnung stellen, davon er die Umstände
nicht erzählen wollte, eine Beschreibung der ganzen
Seemacht der Griechen; und im III Buch, da beyde
Heere gegen einander stehen, die Ankunft des Pria-
mus erwarten und feyerliche Opfer zurüsten, führt
uns der Dichter inzwischen nach Troja zu der Helena:
dergleichen Zwischenvorstellungen nennt man gegen-
wärtig Episoden. Bisweilen nennt man auch, nicht
nur in der Dichtkunst, sondern auch in Gemählden,
gewisse Nebensachen, die keine nothwendige Verbin-
dung mit der Hauptsache haben, episodische Aus-
zierungen.

Die Episoden lenken die Aufmerksamkeit eine Zeit-
lang von der Hauptvorstellung ab, und verurfa-
chen in der Handlung Ruhestellen, auf welchen die
Vorstellungskraft sich durch Gegenstände einer an-
dern Art erholt, oder, weil es nicht möglich oder
nicht schiklich war, ihr das, was inzwischen ge-
schieht, vorzulegen, mit etwas andern beschäftiget
wird. Jn großen und etwas verwikelten Handlun-
gen geschieht es meistentheils, daß Dinge vorkom-
men, die im Drama nicht vorgestellt und im epi-
schen Gedicht nicht wol können erzählt werden.
Damit aber weder die Handlung, noch die Erzäh-
lung dadurch völlig still stehe, wird unterdessen etwas
Episodisches in die Handlung oder Erzählung ein-
gemischt.

Die Episoden können auch noch aus einem andern
Grund nothwendig werden; nämlich da, wo zweyer-
ley ganz intressante Vorstellungen von entgegen
gesetztem Charakter auf einander folgen müßten. Da
kann eine dazwischen gesetzte Episode den Geist und
das Gemüth nach und nach in eine andre Faßung
bringen, und zu dem folgenden vorbereiten. Dieses
beobachten auch die Tonsetzer, die, wo es nicht die
Natur der Sache ausdrüklich erfodert, nie von

einem

[Spaltenumbruch]

Ent Epi
ſich dies Feuer zu Nutze mache, eh’ es ausloͤſcht.
Von dieſen gluͤklichen Augenbliken ſind in dem Art.
Begeiſterung verſchiedene hieher gehoͤrige Anmer-
kungen.

Damit aber der Kuͤnſtler eine deſto groͤſſere Fer-
tigkeit im ſchnellen Entwerfen erlange, ſo muß er
ſich fleißig darin uͤben. So oft ihm eine gute Er-
findung einfaͤllt, ſo entwerfe er dieſelbe, wenn er
gleich ſich nicht vorgeſetzt hat, das Werk auszufuͤh-
ren, nur damit er ſich auf kuͤnftige Faͤlle uͤbe.

Dieſes thun alle großen Meiſter, und daher kom-
men dieſe haͤufigen, blos fluͤchtig gezeichneten Ent-
wuͤrfe der beſten Mahler, die man in den Cabinetten
der Liebhaber findet, und die niemals in wuͤrklich
ausgefuͤhrten Gemaͤhlden angetroffen werden. Der-
gleichen Entwuͤrfe, wenn ſie von großen Meiſtern
ſind, werden ofte hoͤher geſchaͤtzt als ausgefuͤhrte
Arbeiten, weil das ganze Feuer der Einbildungs-
kraft darin anzutreffen iſt, das oft in der Ausfuͤh-
rung etwas geſchwaͤcht worden. Der Entwurf iſt das
Werk des Genies, die Ausarbeitung aber iſt vor-
nehmlich das Werk der Kunſt und des Geſchmaks.

Epiſch.
(Dichtkunſt.)

Dieſes Wort iſt aus dem Griechiſchen und La-
teiniſchen in die deutſche Kunſtſprach aufgenommen
worden, und bedeutet etwas, das zur Epopee oder
zum Heldengedicht gehoͤrt, welches auch das epiſche
Gedicht
genennt wird. Von dieſem |Gedichte ſelbſt
S Hel-
dengedicht.
handeln wir unter ſeinem deutſchen Namen; (*) hier
wird blos der Gebrauch dieſes Beyworts erklaͤret.
Man kann alſo dieſes Wort von jedem Gegenſtand
brauchen, um ſeine Beziehung auf das Heldenge-
dicht anzuzeigen. Daher ſagt man, ein epiſcher
Dichter, eine epiſche Auszierung oder Behand-
lung, der epiſche Ton des Vortrages, eine epiſche
Erzaͤhlung.

Die wahre Natur des Epiſchen, nach der Ma-
terie oder nach der aͤuſſerlichen Form betrachtet, wird
in dem Artikel Heldengedicht entwikelt.

Epiſode.
(Dichtkunſt.)

So nennte man ehemals, nach des Ariſtoteles
Bericht, die Scenen des Draum, die zwiſchen den
Gefaͤngen des Chors aufgefuͤhrt wurden; denn das
Wort bedeutet urſpruͤnglich etwas, das nach dem
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Epi
Geſang, oder zwiſchen den Geſaͤngen ſteht. An-
faͤnglich beſtuhnd die griechiſche Tragoͤdie, ſo wie
die Comoͤdie, blos aus einem feſtlichen Geſang eines
oder mehrern Choͤre; nachher aber ſtellte man
zwiſchen den Geſaͤngen eine Handlung vor, die da-
her den Namen Epiſode bekam. Die Reuern druͤ-
ken durch dieſes Wort ſowol in dem dramatiſchen,
als epiſchen Gedichte ſolche Vorſtellungen aus, die
in den Zwiſchenraum, wo die Erzaͤhlung oder Vor-
ſtellung der Handlung unterbrochen wird, einge-
ſchaltet werden. So giebt Homer im zweyten
Buch der Jlias waͤhrender Zeit, daß beyde Heere ſich
in Schlachtordnung ſtellen, davon er die Umſtaͤnde
nicht erzaͤhlen wollte, eine Beſchreibung der ganzen
Seemacht der Griechen; und im III Buch, da beyde
Heere gegen einander ſtehen, die Ankunft des Pria-
mus erwarten und feyerliche Opfer zuruͤſten, fuͤhrt
uns der Dichter inzwiſchen nach Troja zu der Helena:
dergleichen Zwiſchenvorſtellungen nennt man gegen-
waͤrtig Epiſoden. Bisweilen nennt man auch, nicht
nur in der Dichtkunſt, ſondern auch in Gemaͤhlden,
gewiſſe Nebenſachen, die keine nothwendige Verbin-
dung mit der Hauptſache haben, epiſodiſche Aus-
zierungen.

Die Epiſoden lenken die Aufmerkſamkeit eine Zeit-
lang von der Hauptvorſtellung ab, und verurfa-
chen in der Handlung Ruheſtellen, auf welchen die
Vorſtellungskraft ſich durch Gegenſtaͤnde einer an-
dern Art erholt, oder, weil es nicht moͤglich oder
nicht ſchiklich war, ihr das, was inzwiſchen ge-
ſchieht, vorzulegen, mit etwas andern beſchaͤftiget
wird. Jn großen und etwas verwikelten Handlun-
gen geſchieht es meiſtentheils, daß Dinge vorkom-
men, die im Drama nicht vorgeſtellt und im epi-
ſchen Gedicht nicht wol koͤnnen erzaͤhlt werden.
Damit aber weder die Handlung, noch die Erzaͤh-
lung dadurch voͤllig ſtill ſtehe, wird unterdeſſen etwas
Epiſodiſches in die Handlung oder Erzaͤhlung ein-
gemiſcht.

Die Epiſoden koͤnnen auch noch aus einem andern
Grund nothwendig werden; naͤmlich da, wo zweyer-
ley ganz intreſſante Vorſtellungen von entgegen
geſetztem Charakter auf einander folgen muͤßten. Da
kann eine dazwiſchen geſetzte Epiſode den Geiſt und
das Gemuͤth nach und nach in eine andre Faßung
bringen, und zu dem folgenden vorbereiten. Dieſes
beobachten auch die Tonſetzer, die, wo es nicht die
Natur der Sache ausdruͤklich erfodert, nie von

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[330/0342] Ent Epi Epi ſich dies Feuer zu Nutze mache, eh’ es ausloͤſcht. Von dieſen gluͤklichen Augenbliken ſind in dem Art. Begeiſterung verſchiedene hieher gehoͤrige Anmer- kungen. Damit aber der Kuͤnſtler eine deſto groͤſſere Fer- tigkeit im ſchnellen Entwerfen erlange, ſo muß er ſich fleißig darin uͤben. So oft ihm eine gute Er- findung einfaͤllt, ſo entwerfe er dieſelbe, wenn er gleich ſich nicht vorgeſetzt hat, das Werk auszufuͤh- ren, nur damit er ſich auf kuͤnftige Faͤlle uͤbe. Dieſes thun alle großen Meiſter, und daher kom- men dieſe haͤufigen, blos fluͤchtig gezeichneten Ent- wuͤrfe der beſten Mahler, die man in den Cabinetten der Liebhaber findet, und die niemals in wuͤrklich ausgefuͤhrten Gemaͤhlden angetroffen werden. Der- gleichen Entwuͤrfe, wenn ſie von großen Meiſtern ſind, werden ofte hoͤher geſchaͤtzt als ausgefuͤhrte Arbeiten, weil das ganze Feuer der Einbildungs- kraft darin anzutreffen iſt, das oft in der Ausfuͤh- rung etwas geſchwaͤcht worden. Der Entwurf iſt das Werk des Genies, die Ausarbeitung aber iſt vor- nehmlich das Werk der Kunſt und des Geſchmaks. Epiſch. (Dichtkunſt.) Dieſes Wort iſt aus dem Griechiſchen und La- teiniſchen in die deutſche Kunſtſprach aufgenommen worden, und bedeutet etwas, das zur Epopee oder zum Heldengedicht gehoͤrt, welches auch das epiſche Gedicht genennt wird. Von dieſem |Gedichte ſelbſt handeln wir unter ſeinem deutſchen Namen; (*) hier wird blos der Gebrauch dieſes Beyworts erklaͤret. Man kann alſo dieſes Wort von jedem Gegenſtand brauchen, um ſeine Beziehung auf das Heldenge- dicht anzuzeigen. Daher ſagt man, ein epiſcher Dichter, eine epiſche Auszierung oder Behand- lung, der epiſche Ton des Vortrages, eine epiſche Erzaͤhlung. S Hel- dengedicht. Die wahre Natur des Epiſchen, nach der Ma- terie oder nach der aͤuſſerlichen Form betrachtet, wird in dem Artikel Heldengedicht entwikelt. Epiſode. (Dichtkunſt.) So nennte man ehemals, nach des Ariſtoteles Bericht, die Scenen des Draum, die zwiſchen den Gefaͤngen des Chors aufgefuͤhrt wurden; denn das Wort bedeutet urſpruͤnglich etwas, das nach dem Geſang, oder zwiſchen den Geſaͤngen ſteht. An- faͤnglich beſtuhnd die griechiſche Tragoͤdie, ſo wie die Comoͤdie, blos aus einem feſtlichen Geſang eines oder mehrern Choͤre; nachher aber ſtellte man zwiſchen den Geſaͤngen eine Handlung vor, die da- her den Namen Epiſode bekam. Die Reuern druͤ- ken durch dieſes Wort ſowol in dem dramatiſchen, als epiſchen Gedichte ſolche Vorſtellungen aus, die in den Zwiſchenraum, wo die Erzaͤhlung oder Vor- ſtellung der Handlung unterbrochen wird, einge- ſchaltet werden. So giebt Homer im zweyten Buch der Jlias waͤhrender Zeit, daß beyde Heere ſich in Schlachtordnung ſtellen, davon er die Umſtaͤnde nicht erzaͤhlen wollte, eine Beſchreibung der ganzen Seemacht der Griechen; und im III Buch, da beyde Heere gegen einander ſtehen, die Ankunft des Pria- mus erwarten und feyerliche Opfer zuruͤſten, fuͤhrt uns der Dichter inzwiſchen nach Troja zu der Helena: dergleichen Zwiſchenvorſtellungen nennt man gegen- waͤrtig Epiſoden. Bisweilen nennt man auch, nicht nur in der Dichtkunſt, ſondern auch in Gemaͤhlden, gewiſſe Nebenſachen, die keine nothwendige Verbin- dung mit der Hauptſache haben, epiſodiſche Aus- zierungen. Die Epiſoden lenken die Aufmerkſamkeit eine Zeit- lang von der Hauptvorſtellung ab, und verurfa- chen in der Handlung Ruheſtellen, auf welchen die Vorſtellungskraft ſich durch Gegenſtaͤnde einer an- dern Art erholt, oder, weil es nicht moͤglich oder nicht ſchiklich war, ihr das, was inzwiſchen ge- ſchieht, vorzulegen, mit etwas andern beſchaͤftiget wird. Jn großen und etwas verwikelten Handlun- gen geſchieht es meiſtentheils, daß Dinge vorkom- men, die im Drama nicht vorgeſtellt und im epi- ſchen Gedicht nicht wol koͤnnen erzaͤhlt werden. Damit aber weder die Handlung, noch die Erzaͤh- lung dadurch voͤllig ſtill ſtehe, wird unterdeſſen etwas Epiſodiſches in die Handlung oder Erzaͤhlung ein- gemiſcht. Die Epiſoden koͤnnen auch noch aus einem andern Grund nothwendig werden; naͤmlich da, wo zweyer- ley ganz intreſſante Vorſtellungen von entgegen geſetztem Charakter auf einander folgen muͤßten. Da kann eine dazwiſchen geſetzte Epiſode den Geiſt und das Gemuͤth nach und nach in eine andre Faßung bringen, und zu dem folgenden vorbereiten. Dieſes beobachten auch die Tonſetzer, die, wo es nicht die Natur der Sache ausdruͤklich erfodert, nie von einem

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/342>, abgerufen am 21.11.2024.