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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Erf
thet haben. Die Vorstellung des Reichthums, als
des höchsten Guts, liegt beständig mit Klarheit in
seiner Seele, alles, was irgend damit verbunden ist,
liegt gleichsam in der Nähe; dieser Mensch sieht nichts
als in Beziehung auf seine herrschende Neigung; itzt
kommt ihm von ohngefehr etwas vor, das jeder
andre übersieht, er aber bemerkt schnell die Verbin-
dung desselben mit seinen Hauptgedanken, und er-
kennt, daß es ein Mittel seyn kann, etwas zu er-
werben, und braucht es. Auf eben diese Weise
kommt auch der Künstler auf Erfindungen, so bald
die Vorstellung des Werks, das er zu machen hat,
herrschend worden ist. So erfand Euphranor sei-
nen Jupiter. Dieser Mahler sollte, wie Eusthatius
erzählt, für die Athenienser die zwölf großen Götter
mahlen: es wurd ihm sehr schweer das Bild des
Jupiters zu erfinden. Der Gedanken, durch was
für ein Bild der Gott könnte vorgestellt werden, der
an Macht und Majestät alle weit übertrift, wurd herr-
schend in ihm, und war ihm beständig gegenwärtig.
Einsmals gieng er vor einem Ort vorbey, da die
Jlias laut gelesen wurd, und er hörte eben die
(*) Jl. A.
v.
529.
Stelle A# u. s. f. (*) plötz-
lich ruft er aus, nun hab ich, was ich suchte. Ge-
rade so kam Archimedes auf die berühmte Erfindung,
das Verhältniß der verschiedenen Metalle in der Crone
des Hierons auszurechnen. Jn beyden Fällen ist
es offenbar, daß die Erfindung blos dadurch erleich-
tert worden, daß dem Mahler und dem Philosophen
der Zwek, den jeder hatte, unaufhörlich in den Ge-
danken lag. Wer dieses beobachtet, wird auch jede
andre sich zeigende Vorstellung sogleich in Beziehung
auf seinen Hauptgedanken ansehen, und so wird
ihm nichts entgehen, was irgend eine würkliche
Verbindung damit hat. Hierin liegt zum Theil
auch der Grund, warum durch die Begeisterung die
Erfindungen leicht werden. Denn in diesem Zustand
ist der Zwek, den man sich vorgesetzt hat, nicht nur
die einzige herrschende Vorstellung der Seele, son-
dern er hat einen hohen Grad der Lebhaftigkeit,
wodurch jeder damit verbundene Begriff eine desto
größere Klarheit bekommt.

Daraus ziehen wir eine wichtige Lehre für den
Künstler, der beschäftiget ist, das zu erfinden, was zu
seinem Zwek dienet: er entschlage sich aller andern Ge-
danken, und lasse allein die Vorstellung seines Zweks
klar in seiner Seele; er entziehe die Aufmerksamkeit
jedem andern Gedanken; begebe sich zu dem Ende,
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Erf
wenn dieses sonst nicht geschehen kann, in die Ein-
samkeit; er gewöhne sich an, jedes was ihm vor-
kommt, auf seinen Gegenstand zu ziehen, so wie der
Geizige alles auf den Gewinnst und der Andächtige
alles auf Erbauung zieht. Hat er seinen Geist in
diese Lage gesetzt, so sey er unbesorgt; das was er
sucht wird sich nach und nach von selbst anbieten;
er wird allmählig eine Menge zu seiner Absicht dien-
liche Begriffe sammeln, und zuletzt ohne Mühe die
besten auswählen können.

Hiebey aber ist es von der höchsten Nothwendig-
keit, daß der Künstler seinen Zwek so bestimmt und
so deutlich faße, daß nichts ungewisses darin bleibe.
Wie kann der Redner Beweisgründe für einen Satz
finden, den er selbst noch nicht völlig bestimmt, oder
nicht deutlich genug gefaßt hat? Und so ist es mit
jeder Erfindung. Vergeblich würde der Dichter sich
vornehmen, Gedanken zu einer Ode zu finden, oder
der Mahler Bilder zu einem Gemählde, so lang je-
ner den unbestimmten Zwek hat rührend zu seyn,
dieser etwas schönes zu machen. Ein Werk, dessen
Erfindung sich nicht auf ganz deutliche und völlig
bestimmte Begriffe gründet, kann nie vollkommen
werden. Darum rühmt Mengs von Raphael, daß
er allemal zuerst seine Aufmerksamkeit auf die Deu-
tung desselben, das ist auf das, was es eigentlich
vorstellen soll, gerichtet habe. (*) Durch die Erfin-(*) S.
Anordnung
S. 63.

dung sucht man dasjenige zu erkennen, wodurch ein
Werk vollkommen wird; vollkommen aber wird es,
wenn es genau das wird, was es seyn soll; also
ist offenbar, daß der Erfinder sehr genau erkennen
müsse, was das Werk, an dessen Erfindung er arbei-
tet, seyn solle. Demnach setzt die Erfindung einen
sehr genau bestimmten und sehr deutlichen Begriff
dessen, was das Werk seyn soll, voraus. Man sieht
es gar zu vielen Werken an, daß die Urheber nie
bestimmt gewußt haben, was sie machen wollen.
Wie viel Concerte hört man nicht, dabey es scheinet
der Tonsetzer habe sich blos vorgesetzt ein Geräusch
zu machen, das von einer Tonart zur andern über-
geht; und wie viel Tänze sieht man nicht, die keine
Absicht verrathen, als allerhand Stellungen, Wen-
dungen und Sprünge zu zeigen? Dieser Mangel
einer bestimmten Absicht kann nichts anders, als
Mißgebuhrten hervorbringen, von denen man nicht
sagen kann, was sie sind, wenn sie gleich die
äusserliche Form gewisser Werke von bestimmtem
Charakter haben.

Der

[Spaltenumbruch]

Erf
thet haben. Die Vorſtellung des Reichthums, als
des hoͤchſten Guts, liegt beſtaͤndig mit Klarheit in
ſeiner Seele, alles, was irgend damit verbunden iſt,
liegt gleichſam in der Naͤhe; dieſer Menſch ſieht nichts
als in Beziehung auf ſeine herrſchende Neigung; itzt
kommt ihm von ohngefehr etwas vor, das jeder
andre uͤberſieht, er aber bemerkt ſchnell die Verbin-
dung deſſelben mit ſeinen Hauptgedanken, und er-
kennt, daß es ein Mittel ſeyn kann, etwas zu er-
werben, und braucht es. Auf eben dieſe Weiſe
kommt auch der Kuͤnſtler auf Erfindungen, ſo bald
die Vorſtellung des Werks, das er zu machen hat,
herrſchend worden iſt. So erfand Euphranor ſei-
nen Jupiter. Dieſer Mahler ſollte, wie Euſthatius
erzaͤhlt, fuͤr die Athenienſer die zwoͤlf großen Goͤtter
mahlen: es wurd ihm ſehr ſchweer das Bild des
Jupiters zu erfinden. Der Gedanken, durch was
fuͤr ein Bild der Gott koͤnnte vorgeſtellt werden, der
an Macht und Majeſtaͤt alle weit uͤbertrift, wurd herr-
ſchend in ihm, und war ihm beſtaͤndig gegenwaͤrtig.
Einsmals gieng er vor einem Ort vorbey, da die
Jlias laut geleſen wurd, und er hoͤrte eben die
(*) Jl. A.
v.
529.
Stelle A# u. ſ. f. (*) ploͤtz-
lich ruft er aus, nun hab ich, was ich ſuchte. Ge-
rade ſo kam Archimedes auf die beruͤhmte Erfindung,
das Verhaͤltniß der verſchiedenen Metalle in der Crone
des Hierons auszurechnen. Jn beyden Faͤllen iſt
es offenbar, daß die Erfindung blos dadurch erleich-
tert worden, daß dem Mahler und dem Philoſophen
der Zwek, den jeder hatte, unaufhoͤrlich in den Ge-
danken lag. Wer dieſes beobachtet, wird auch jede
andre ſich zeigende Vorſtellung ſogleich in Beziehung
auf ſeinen Hauptgedanken anſehen, und ſo wird
ihm nichts entgehen, was irgend eine wuͤrkliche
Verbindung damit hat. Hierin liegt zum Theil
auch der Grund, warum durch die Begeiſterung die
Erfindungen leicht werden. Denn in dieſem Zuſtand
iſt der Zwek, den man ſich vorgeſetzt hat, nicht nur
die einzige herrſchende Vorſtellung der Seele, ſon-
dern er hat einen hohen Grad der Lebhaftigkeit,
wodurch jeder damit verbundene Begriff eine deſto
groͤßere Klarheit bekommt.

Daraus ziehen wir eine wichtige Lehre fuͤr den
Kuͤnſtler, der beſchaͤftiget iſt, das zu erfinden, was zu
ſeinem Zwek dienet: er entſchlage ſich aller andern Ge-
danken, und laſſe allein die Vorſtellung ſeines Zweks
klar in ſeiner Seele; er entziehe die Aufmerkſamkeit
jedem andern Gedanken; begebe ſich zu dem Ende,
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Erf
wenn dieſes ſonſt nicht geſchehen kann, in die Ein-
ſamkeit; er gewoͤhne ſich an, jedes was ihm vor-
kommt, auf ſeinen Gegenſtand zu ziehen, ſo wie der
Geizige alles auf den Gewinnſt und der Andaͤchtige
alles auf Erbauung zieht. Hat er ſeinen Geiſt in
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ſucht wird ſich nach und nach von ſelbſt anbieten;
er wird allmaͤhlig eine Menge zu ſeiner Abſicht dien-
liche Begriffe ſammeln, und zuletzt ohne Muͤhe die
beſten auswaͤhlen koͤnnen.

Hiebey aber iſt es von der hoͤchſten Nothwendig-
keit, daß der Kuͤnſtler ſeinen Zwek ſo beſtimmt und
ſo deutlich faße, daß nichts ungewiſſes darin bleibe.
Wie kann der Redner Beweisgruͤnde fuͤr einen Satz
finden, den er ſelbſt noch nicht voͤllig beſtimmt, oder
nicht deutlich genug gefaßt hat? Und ſo iſt es mit
jeder Erfindung. Vergeblich wuͤrde der Dichter ſich
vornehmen, Gedanken zu einer Ode zu finden, oder
der Mahler Bilder zu einem Gemaͤhlde, ſo lang je-
ner den unbeſtimmten Zwek hat ruͤhrend zu ſeyn,
dieſer etwas ſchoͤnes zu machen. Ein Werk, deſſen
Erfindung ſich nicht auf ganz deutliche und voͤllig
beſtimmte Begriffe gruͤndet, kann nie vollkommen
werden. Darum ruͤhmt Mengs von Raphael, daß
er allemal zuerſt ſeine Aufmerkſamkeit auf die Deu-
tung deſſelben, das iſt auf das, was es eigentlich
vorſtellen ſoll, gerichtet habe. (*) Durch die Erfin-(*) S.
Anordnung
S. 63.

dung ſucht man dasjenige zu erkennen, wodurch ein
Werk vollkommen wird; vollkommen aber wird es,
wenn es genau das wird, was es ſeyn ſoll; alſo
iſt offenbar, daß der Erfinder ſehr genau erkennen
muͤſſe, was das Werk, an deſſen Erfindung er arbei-
tet, ſeyn ſolle. Demnach ſetzt die Erfindung einen
ſehr genau beſtimmten und ſehr deutlichen Begriff
deſſen, was das Werk ſeyn ſoll, voraus. Man ſieht
es gar zu vielen Werken an, daß die Urheber nie
beſtimmt gewußt haben, was ſie machen wollen.
Wie viel Concerte hoͤrt man nicht, dabey es ſcheinet
der Tonſetzer habe ſich blos vorgeſetzt ein Geraͤuſch
zu machen, das von einer Tonart zur andern uͤber-
geht; und wie viel Taͤnze ſieht man nicht, die keine
Abſicht verrathen, als allerhand Stellungen, Wen-
dungen und Spruͤnge zu zeigen? Dieſer Mangel
einer beſtimmten Abſicht kann nichts anders, als
Mißgebuhrten hervorbringen, von denen man nicht
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aͤuſſerliche Form gewiſſer Werke von beſtimmtem
Charakter haben.

Der
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[336/0348] Erf Erf thet haben. Die Vorſtellung des Reichthums, als des hoͤchſten Guts, liegt beſtaͤndig mit Klarheit in ſeiner Seele, alles, was irgend damit verbunden iſt, liegt gleichſam in der Naͤhe; dieſer Menſch ſieht nichts als in Beziehung auf ſeine herrſchende Neigung; itzt kommt ihm von ohngefehr etwas vor, das jeder andre uͤberſieht, er aber bemerkt ſchnell die Verbin- dung deſſelben mit ſeinen Hauptgedanken, und er- kennt, daß es ein Mittel ſeyn kann, etwas zu er- werben, und braucht es. Auf eben dieſe Weiſe kommt auch der Kuͤnſtler auf Erfindungen, ſo bald die Vorſtellung des Werks, das er zu machen hat, herrſchend worden iſt. So erfand Euphranor ſei- nen Jupiter. Dieſer Mahler ſollte, wie Euſthatius erzaͤhlt, fuͤr die Athenienſer die zwoͤlf großen Goͤtter mahlen: es wurd ihm ſehr ſchweer das Bild des Jupiters zu erfinden. Der Gedanken, durch was fuͤr ein Bild der Gott koͤnnte vorgeſtellt werden, der an Macht und Majeſtaͤt alle weit uͤbertrift, wurd herr- ſchend in ihm, und war ihm beſtaͤndig gegenwaͤrtig. Einsmals gieng er vor einem Ort vorbey, da die Jlias laut geleſen wurd, und er hoͤrte eben die Stelle A# u. ſ. f. (*) ploͤtz- lich ruft er aus, nun hab ich, was ich ſuchte. Ge- rade ſo kam Archimedes auf die beruͤhmte Erfindung, das Verhaͤltniß der verſchiedenen Metalle in der Crone des Hierons auszurechnen. Jn beyden Faͤllen iſt es offenbar, daß die Erfindung blos dadurch erleich- tert worden, daß dem Mahler und dem Philoſophen der Zwek, den jeder hatte, unaufhoͤrlich in den Ge- danken lag. Wer dieſes beobachtet, wird auch jede andre ſich zeigende Vorſtellung ſogleich in Beziehung auf ſeinen Hauptgedanken anſehen, und ſo wird ihm nichts entgehen, was irgend eine wuͤrkliche Verbindung damit hat. Hierin liegt zum Theil auch der Grund, warum durch die Begeiſterung die Erfindungen leicht werden. Denn in dieſem Zuſtand iſt der Zwek, den man ſich vorgeſetzt hat, nicht nur die einzige herrſchende Vorſtellung der Seele, ſon- dern er hat einen hohen Grad der Lebhaftigkeit, wodurch jeder damit verbundene Begriff eine deſto groͤßere Klarheit bekommt. (*) Jl. A. v. 529. Daraus ziehen wir eine wichtige Lehre fuͤr den Kuͤnſtler, der beſchaͤftiget iſt, das zu erfinden, was zu ſeinem Zwek dienet: er entſchlage ſich aller andern Ge- danken, und laſſe allein die Vorſtellung ſeines Zweks klar in ſeiner Seele; er entziehe die Aufmerkſamkeit jedem andern Gedanken; begebe ſich zu dem Ende, wenn dieſes ſonſt nicht geſchehen kann, in die Ein- ſamkeit; er gewoͤhne ſich an, jedes was ihm vor- kommt, auf ſeinen Gegenſtand zu ziehen, ſo wie der Geizige alles auf den Gewinnſt und der Andaͤchtige alles auf Erbauung zieht. Hat er ſeinen Geiſt in dieſe Lage geſetzt, ſo ſey er unbeſorgt; das was er ſucht wird ſich nach und nach von ſelbſt anbieten; er wird allmaͤhlig eine Menge zu ſeiner Abſicht dien- liche Begriffe ſammeln, und zuletzt ohne Muͤhe die beſten auswaͤhlen koͤnnen. Hiebey aber iſt es von der hoͤchſten Nothwendig- keit, daß der Kuͤnſtler ſeinen Zwek ſo beſtimmt und ſo deutlich faße, daß nichts ungewiſſes darin bleibe. Wie kann der Redner Beweisgruͤnde fuͤr einen Satz finden, den er ſelbſt noch nicht voͤllig beſtimmt, oder nicht deutlich genug gefaßt hat? Und ſo iſt es mit jeder Erfindung. Vergeblich wuͤrde der Dichter ſich vornehmen, Gedanken zu einer Ode zu finden, oder der Mahler Bilder zu einem Gemaͤhlde, ſo lang je- ner den unbeſtimmten Zwek hat ruͤhrend zu ſeyn, dieſer etwas ſchoͤnes zu machen. Ein Werk, deſſen Erfindung ſich nicht auf ganz deutliche und voͤllig beſtimmte Begriffe gruͤndet, kann nie vollkommen werden. Darum ruͤhmt Mengs von Raphael, daß er allemal zuerſt ſeine Aufmerkſamkeit auf die Deu- tung deſſelben, das iſt auf das, was es eigentlich vorſtellen ſoll, gerichtet habe. (*) Durch die Erfin- dung ſucht man dasjenige zu erkennen, wodurch ein Werk vollkommen wird; vollkommen aber wird es, wenn es genau das wird, was es ſeyn ſoll; alſo iſt offenbar, daß der Erfinder ſehr genau erkennen muͤſſe, was das Werk, an deſſen Erfindung er arbei- tet, ſeyn ſolle. Demnach ſetzt die Erfindung einen ſehr genau beſtimmten und ſehr deutlichen Begriff deſſen, was das Werk ſeyn ſoll, voraus. Man ſieht es gar zu vielen Werken an, daß die Urheber nie beſtimmt gewußt haben, was ſie machen wollen. Wie viel Concerte hoͤrt man nicht, dabey es ſcheinet der Tonſetzer habe ſich blos vorgeſetzt ein Geraͤuſch zu machen, das von einer Tonart zur andern uͤber- geht; und wie viel Taͤnze ſieht man nicht, die keine Abſicht verrathen, als allerhand Stellungen, Wen- dungen und Spruͤnge zu zeigen? Dieſer Mangel einer beſtimmten Abſicht kann nichts anders, als Mißgebuhrten hervorbringen, von denen man nicht ſagen kann, was ſie ſind, wenn ſie gleich die aͤuſſerliche Form gewiſſer Werke von beſtimmtem Charakter haben. (*) S. Anordnung S. 63. Der

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/348>, abgerufen am 12.05.2024.