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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Aez
Kennern allemal denen vorgezogen, die blos von
Kupferstechern verfertigt sind. Hiezu kömmt noch
dieser wichtige Vortheil, daß die Radirnadel allemal
mit mehr Freyheit geführt wird, und eine größere
Mannigfaltigkeit der Charaktere des Zeichnens aus-
drüken kann, als der Grabstichel. Die Zeichnung
der Nadel ist allemal freyer, und kann der Natur
des Gegenstandes besser angemessen werden, als die
Stiche des Grabstichels.

Gewisse Sachen, die der Grabstichel niemals mit
ihrem gehörigen Charakter darzustellen weiß, beson-
ders Landschaften, Viehstücke und alles, wo viel
Rauhes, Mattes und Abgebrochenes vorkömmt;
wo freye oder unbestimmte Umrisse mit beständig
veränderten Krümmungen nöthig sind; da wird alle-
mal mit der Nadel vollkommener gearbeitet, als
mit dem Grabstichel. Wenn also ein Gemälde,
das sich durch eine freye und feurige Zeichnung,
durch einen sehr natürlichen Charakter, durch eine
mehr geistreiche als verflossene Haltung und
Harmonie hervor thut, soll in Kupfer gebracht
werden, so ist das Aezen dem Stechen allemal
vorzuziehen. Aber die gestochenen Platten haben
vor den geäzten diesen Vortheil, daß sie mehr
gute Abdrüke geben. Denn von einer gut gesto-
chenen Platte muß man sechs bis achthundert ha-
ben, da die geäzten schon im vierten Hundert
merklich abnehmen.

Ferner muß man auch wieder gestehen, daß
durch bloßes Aezen viel Gemälde, in Absicht auf
die Haltung und Harmonie, niemals vollkommen
können dargestellt werden; denn zu geschweigen,
daß gewisse ganz feine und leichte Dinge der Ge-
fahr des Aezens nicht können überlassen werden, so
kann man auch den starken Theilen in den Vorgrün-
den durch das bloße Aezen selten die nöthige Stärke
geben. Die Hülfe des Grabstichels ist dabey un-
vermeidlich. Die vollkommensten Kupferstiche
sind also unstreitig diejenigen, worinn beyde Arten,
je nachdem es die verschiedenen Theile des Gemäl-
des erfodern, verbunden werden.

Die Künstler, deren geäzte Platten am höchsten
geschätzt werden, sind unter den ältern, Peter Te-
sta, Salvator Rosa, die Carrache, Rembrand,
Matthäus Merian, Stephan della Bella, Cal-
lot, Hooghe, le Clerc;
unter den neuern, Cochin
und die deutschen Künstler, Schmidt, der eben
so fürtrefflich in der Radiernadel, als im Grabsti-
[Spaltenumbruch]

Alc
chel ist; und Meil, dessen eigene Manier eben so
angenehm ist, als seine Erfindungen geistreich
sind.

Alcäus.

Ein griechischer Dichter aus der Jnsel Lesbos,
der um die Zeit der 44 Olympias mit der
Sappho zugleich gelebt. Er hat lyrische Ge-
dichte geschrieben, von denen nur wenige Stellen
dem Untergang entrissen worden. Er muß einer
der fürtrefflichsten Dichter gewesen seyn. Horaz
sagt von ihm:

Et te sonantem plenius aureo
Alcaee plectro -- -- --
-- -- -- --
Mirantur umbrae dicere.
(*)
(*) L. IL
od.
13.

Er hat dem Geschmak seiner Zeit zufolge viel Trink-
lieder und Liebeslieder gemacht.

Liberum et Musas Veneremque et illi
Semper haerentem puerum canebat.
(*)
(*) L. I.
od.
32.

Allein dies war nicht des Dichters einziges Ver-
dienst. Die Neigung, von Wein und Liebe zu sin-
gen, war bey ihm mit höhern Gesinnungen ver-
bunden. Seine Muse mußte ihm gegen die Ty-
ranney des Perianders ihre Dienste leisten, und
auch gute Sitten befördern helfen. Diese Nach-
richt giebt Quintilian von ihm: In parte operis
aureo plectro merito donatur, qua tyrannos in-
sectatur. Multum etiam moribus confert -- --
in lusus et amores descendit, maioribus tamen
aptior.
(*) Es scheint, daß seine Art zu denken(*) Inst.
L. x. c.
1.

der ernsthaften Muse angemessener gewesen, als der
schwelgerischen und verbuhlten, und daß er dieser
nur in lustiger Gesellschaft und beym Trunke gedie-
net. Denn Athenäus sagt ausdrüklich, er habe
seine Lieder in der Trunkenheit geschrieben. (*)

(*) Dei-
puos. L. X.

Die Alcäische Versart hat von diesem Dich-
ter den Namen bekommen. Sie besteht aus vier
Zeilen. Die beyden ersten sind in der ersten
Hälfte jambisch, in der andern dactylisch; die
dritte Zeile ist ein vierfüßiger jambischer Vers,
und der vierte hat zwey Dactylen und zwey
Trocheen. Jn dieser Versart ist die Ode des Ho-
raz geschrieben, die also anfängt:

Aequam memento rebus in arduis. (*)(*) Lib. II.
od.
3.

Es sind noch verschiedene andre Dichter dieses Na-
mens gewesen, von welchen Bayle in seinem Wör-
terbuch die Nachrichten gesammelt hat.

Alcove.
Erster Theil. D

[Spaltenumbruch]

Aez
Kennern allemal denen vorgezogen, die blos von
Kupferſtechern verfertigt ſind. Hiezu koͤmmt noch
dieſer wichtige Vortheil, daß die Radirnadel allemal
mit mehr Freyheit gefuͤhrt wird, und eine groͤßere
Mannigfaltigkeit der Charaktere des Zeichnens aus-
druͤken kann, als der Grabſtichel. Die Zeichnung
der Nadel iſt allemal freyer, und kann der Natur
des Gegenſtandes beſſer angemeſſen werden, als die
Stiche des Grabſtichels.

Gewiſſe Sachen, die der Grabſtichel niemals mit
ihrem gehoͤrigen Charakter darzuſtellen weiß, beſon-
ders Landſchaften, Viehſtuͤcke und alles, wo viel
Rauhes, Mattes und Abgebrochenes vorkoͤmmt;
wo freye oder unbeſtimmte Umriſſe mit beſtaͤndig
veraͤnderten Kruͤmmungen noͤthig ſind; da wird alle-
mal mit der Nadel vollkommener gearbeitet, als
mit dem Grabſtichel. Wenn alſo ein Gemaͤlde,
das ſich durch eine freye und feurige Zeichnung,
durch einen ſehr natuͤrlichen Charakter, durch eine
mehr geiſtreiche als verfloſſene Haltung und
Harmonie hervor thut, ſoll in Kupfer gebracht
werden, ſo iſt das Aezen dem Stechen allemal
vorzuziehen. Aber die geſtochenen Platten haben
vor den geaͤzten dieſen Vortheil, daß ſie mehr
gute Abdruͤke geben. Denn von einer gut geſto-
chenen Platte muß man ſechs bis achthundert ha-
ben, da die geaͤzten ſchon im vierten Hundert
merklich abnehmen.

Ferner muß man auch wieder geſtehen, daß
durch bloßes Aezen viel Gemaͤlde, in Abſicht auf
die Haltung und Harmonie, niemals vollkommen
koͤnnen dargeſtellt werden; denn zu geſchweigen,
daß gewiſſe ganz feine und leichte Dinge der Ge-
fahr des Aezens nicht koͤnnen uͤberlaſſen werden, ſo
kann man auch den ſtarken Theilen in den Vorgruͤn-
den durch das bloße Aezen ſelten die noͤthige Staͤrke
geben. Die Huͤlfe des Grabſtichels iſt dabey un-
vermeidlich. Die vollkommenſten Kupferſtiche
ſind alſo unſtreitig diejenigen, worinn beyde Arten,
je nachdem es die verſchiedenen Theile des Gemaͤl-
des erfodern, verbunden werden.

Die Kuͤnſtler, deren geaͤzte Platten am hoͤchſten
geſchaͤtzt werden, ſind unter den aͤltern, Peter Te-
ſta, Salvator Roſa, die Carrache, Rembrand,
Matthaͤus Merian, Stephan della Bella, Cal-
lot, Hooghe, le Clerc;
unter den neuern, Cochin
und die deutſchen Kuͤnſtler, Schmidt, der eben
ſo fuͤrtrefflich in der Radiernadel, als im Grabſti-
[Spaltenumbruch]

Alc
chel iſt; und Meil, deſſen eigene Manier eben ſo
angenehm iſt, als ſeine Erfindungen geiſtreich
ſind.

Alcaͤus.

Ein griechiſcher Dichter aus der Jnſel Lesbos,
der um die Zeit der 44 Olympias mit der
Sappho zugleich gelebt. Er hat lyriſche Ge-
dichte geſchrieben, von denen nur wenige Stellen
dem Untergang entriſſen worden. Er muß einer
der fuͤrtrefflichſten Dichter geweſen ſeyn. Horaz
ſagt von ihm:

Et te ſonantem plenius aureo
Alcaee plectro — — —
— — — —
Mirantur umbrae dicere.
(*)
(*) L. IL
od.
13.

Er hat dem Geſchmak ſeiner Zeit zufolge viel Trink-
lieder und Liebeslieder gemacht.

Liberum et Muſas Veneremque et illi
Semper haerentem puerum canebat.
(*)
(*) L. I.
od.
32.

Allein dies war nicht des Dichters einziges Ver-
dienſt. Die Neigung, von Wein und Liebe zu ſin-
gen, war bey ihm mit hoͤhern Geſinnungen ver-
bunden. Seine Muſe mußte ihm gegen die Ty-
ranney des Perianders ihre Dienſte leiſten, und
auch gute Sitten befoͤrdern helfen. Dieſe Nach-
richt giebt Quintilian von ihm: In parte operis
aureo plectro merito donatur, qua tyrannos in-
ſectatur. Multum etiam moribus confert — —
in luſus et amores deſcendit, maioribus tamen
aptior.
(*) Es ſcheint, daß ſeine Art zu denken(*) Inſt.
L. x. c.
1.

der ernſthaften Muſe angemeſſener geweſen, als der
ſchwelgeriſchen und verbuhlten, und daß er dieſer
nur in luſtiger Geſellſchaft und beym Trunke gedie-
net. Denn Athenaͤus ſagt ausdruͤklich, er habe
ſeine Lieder in der Trunkenheit geſchrieben. (*)

(*) Dei-
puoſ. L. X.

Die Alcaͤiſche Versart hat von dieſem Dich-
ter den Namen bekommen. Sie beſteht aus vier
Zeilen. Die beyden erſten ſind in der erſten
Haͤlfte jambiſch, in der andern dactyliſch; die
dritte Zeile iſt ein vierfuͤßiger jambiſcher Vers,
und der vierte hat zwey Dactylen und zwey
Trocheen. Jn dieſer Versart iſt die Ode des Ho-
raz geſchrieben, die alſo anfaͤngt:

Aequam memento rebus in arduis. (*)(*) Lib. II.
od.
3.

Es ſind noch verſchiedene andre Dichter dieſes Na-
mens geweſen, von welchen Bayle in ſeinem Woͤr-
terbuch die Nachrichten geſammelt hat.

Alcove.
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[25/0037] Aez Alc Kennern allemal denen vorgezogen, die blos von Kupferſtechern verfertigt ſind. Hiezu koͤmmt noch dieſer wichtige Vortheil, daß die Radirnadel allemal mit mehr Freyheit gefuͤhrt wird, und eine groͤßere Mannigfaltigkeit der Charaktere des Zeichnens aus- druͤken kann, als der Grabſtichel. Die Zeichnung der Nadel iſt allemal freyer, und kann der Natur des Gegenſtandes beſſer angemeſſen werden, als die Stiche des Grabſtichels. Gewiſſe Sachen, die der Grabſtichel niemals mit ihrem gehoͤrigen Charakter darzuſtellen weiß, beſon- ders Landſchaften, Viehſtuͤcke und alles, wo viel Rauhes, Mattes und Abgebrochenes vorkoͤmmt; wo freye oder unbeſtimmte Umriſſe mit beſtaͤndig veraͤnderten Kruͤmmungen noͤthig ſind; da wird alle- mal mit der Nadel vollkommener gearbeitet, als mit dem Grabſtichel. Wenn alſo ein Gemaͤlde, das ſich durch eine freye und feurige Zeichnung, durch einen ſehr natuͤrlichen Charakter, durch eine mehr geiſtreiche als verfloſſene Haltung und Harmonie hervor thut, ſoll in Kupfer gebracht werden, ſo iſt das Aezen dem Stechen allemal vorzuziehen. Aber die geſtochenen Platten haben vor den geaͤzten dieſen Vortheil, daß ſie mehr gute Abdruͤke geben. Denn von einer gut geſto- chenen Platte muß man ſechs bis achthundert ha- ben, da die geaͤzten ſchon im vierten Hundert merklich abnehmen. Ferner muß man auch wieder geſtehen, daß durch bloßes Aezen viel Gemaͤlde, in Abſicht auf die Haltung und Harmonie, niemals vollkommen koͤnnen dargeſtellt werden; denn zu geſchweigen, daß gewiſſe ganz feine und leichte Dinge der Ge- fahr des Aezens nicht koͤnnen uͤberlaſſen werden, ſo kann man auch den ſtarken Theilen in den Vorgruͤn- den durch das bloße Aezen ſelten die noͤthige Staͤrke geben. Die Huͤlfe des Grabſtichels iſt dabey un- vermeidlich. Die vollkommenſten Kupferſtiche ſind alſo unſtreitig diejenigen, worinn beyde Arten, je nachdem es die verſchiedenen Theile des Gemaͤl- des erfodern, verbunden werden. Die Kuͤnſtler, deren geaͤzte Platten am hoͤchſten geſchaͤtzt werden, ſind unter den aͤltern, Peter Te- ſta, Salvator Roſa, die Carrache, Rembrand, Matthaͤus Merian, Stephan della Bella, Cal- lot, Hooghe, le Clerc; unter den neuern, Cochin und die deutſchen Kuͤnſtler, Schmidt, der eben ſo fuͤrtrefflich in der Radiernadel, als im Grabſti- chel iſt; und Meil, deſſen eigene Manier eben ſo angenehm iſt, als ſeine Erfindungen geiſtreich ſind. Alcaͤus. Ein griechiſcher Dichter aus der Jnſel Lesbos, der um die Zeit der 44 Olympias mit der Sappho zugleich gelebt. Er hat lyriſche Ge- dichte geſchrieben, von denen nur wenige Stellen dem Untergang entriſſen worden. Er muß einer der fuͤrtrefflichſten Dichter geweſen ſeyn. Horaz ſagt von ihm: Et te ſonantem plenius aureo Alcaee plectro — — — — — — — Mirantur umbrae dicere. (*) Er hat dem Geſchmak ſeiner Zeit zufolge viel Trink- lieder und Liebeslieder gemacht. Liberum et Muſas Veneremque et illi Semper haerentem puerum canebat. (*) Allein dies war nicht des Dichters einziges Ver- dienſt. Die Neigung, von Wein und Liebe zu ſin- gen, war bey ihm mit hoͤhern Geſinnungen ver- bunden. Seine Muſe mußte ihm gegen die Ty- ranney des Perianders ihre Dienſte leiſten, und auch gute Sitten befoͤrdern helfen. Dieſe Nach- richt giebt Quintilian von ihm: In parte operis aureo plectro merito donatur, qua tyrannos in- ſectatur. Multum etiam moribus confert — — in luſus et amores deſcendit, maioribus tamen aptior. (*) Es ſcheint, daß ſeine Art zu denken der ernſthaften Muſe angemeſſener geweſen, als der ſchwelgeriſchen und verbuhlten, und daß er dieſer nur in luſtiger Geſellſchaft und beym Trunke gedie- net. Denn Athenaͤus ſagt ausdruͤklich, er habe ſeine Lieder in der Trunkenheit geſchrieben. (*) (*) Inſt. L. x. c. 1. Die Alcaͤiſche Versart hat von dieſem Dich- ter den Namen bekommen. Sie beſteht aus vier Zeilen. Die beyden erſten ſind in der erſten Haͤlfte jambiſch, in der andern dactyliſch; die dritte Zeile iſt ein vierfuͤßiger jambiſcher Vers, und der vierte hat zwey Dactylen und zwey Trocheen. Jn dieſer Versart iſt die Ode des Ho- raz geſchrieben, die alſo anfaͤngt: Aequam memento rebus in arduis. (*) Es ſind noch verſchiedene andre Dichter dieſes Na- mens geweſen, von welchen Bayle in ſeinem Woͤr- terbuch die Nachrichten geſammelt hat. Alcove. Erſter Theil. D

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/37>, abgerufen am 16.04.2024.