Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch] Feh ihm wichtige Lehren geben wird, und wird dasStudium seiner Kunst in dem Umgang mit eben so viel Vortheil treiben, als in seinem Cabinet. Fehler. [Spaltenumbruch]
(Schöne Künste.) Fehlen heißt eigentlich etwas thun, das von dem Die Fehler, die dem Geist eines Werks der Feh mit allen andern Menschen gemein hat, die in ihrenHandlungen und Unternehmungen ihres Zweks ver- fehlen. Der Baumeister, der eine Küche baute, in welcher man nicht ohne Gefahr Feuer unterhal- ten könnte, hätte nicht einen Kunstfehler begangen, sondern einen Fehler gegen die allgemeine gesunde Vernunft. Der Dichter, der Mitleiden erweken will, und zu dem Ende Gegenstände mahlt, die Ekel machen, fehlt nicht gegen die Regeln der Poesie, sondern er handelt gegen die Vernunft. Der- gleichen Fehler also sind nicht ästhetische Fehler, sie gehen eigentlich nicht den Geschmack, sondern nur den Verstand an. Sie sind so mannigfaltig, als der Jrrthum überhaupt ist. Die eigentlichen Kunstfehler, die wir ästhetische Um die ästhetischen Fehler zu vermeiden, muß aber (+) Der bestimmte Begriff dessen, was man die untern
Seelenkräfte nennt, muß aus der Philosophie geholt wer- [Spaltenumbruch] den. Diejenigen, welche die Wolffischen oder Baumgarten- schen Schriften noch nicht kennen, werden dahin verwiesen. [Spaltenumbruch] Feh ihm wichtige Lehren geben wird, und wird dasStudium ſeiner Kunſt in dem Umgang mit eben ſo viel Vortheil treiben, als in ſeinem Cabinet. Fehler. [Spaltenumbruch]
(Schoͤne Kuͤnſte.) Fehlen heißt eigentlich etwas thun, das von dem Die Fehler, die dem Geiſt eines Werks der Feh mit allen andern Menſchen gemein hat, die in ihrenHandlungen und Unternehmungen ihres Zweks ver- fehlen. Der Baumeiſter, der eine Kuͤche baute, in welcher man nicht ohne Gefahr Feuer unterhal- ten koͤnnte, haͤtte nicht einen Kunſtfehler begangen, ſondern einen Fehler gegen die allgemeine geſunde Vernunft. Der Dichter, der Mitleiden erweken will, und zu dem Ende Gegenſtaͤnde mahlt, die Ekel machen, fehlt nicht gegen die Regeln der Poeſie, ſondern er handelt gegen die Vernunft. Der- gleichen Fehler alſo ſind nicht aͤſthetiſche Fehler, ſie gehen eigentlich nicht den Geſchmack, ſondern nur den Verſtand an. Sie ſind ſo mannigfaltig, als der Jrrthum uͤberhaupt iſt. Die eigentlichen Kunſtfehler, die wir aͤſthetiſche Um die aͤſthetiſchen Fehler zu vermeiden, muß aber (†) Der beſtimmte Begriff deſſen, was man die untern
Seelenkraͤfte nennt, muß aus der Philoſophie geholt wer- [Spaltenumbruch] den. Diejenigen, welche die Wolffiſchen oder Baumgarten- ſchen Schriften noch nicht kennen, werden dahin verwieſen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0387" n="375"/><cb/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Feh</hi></fw><lb/> ihm wichtige Lehren geben wird, und wird das<lb/> Studium ſeiner Kunſt in dem Umgang mit eben ſo<lb/> viel Vortheil treiben, als in ſeinem Cabinet.</p> </div><lb/> <div n="2"> <head><hi rendition="#g">Fehler.</hi><lb/> (Schoͤne Kuͤnſte.)</head><lb/> <cb/> <p><hi rendition="#in">F</hi>ehlen heißt eigentlich etwas thun, das von dem<lb/> Zwek, den man ſich vorgeſetzt hat, abfuͤhret; da-<lb/> her iſt in den Werken der ſchoͤnen Kuͤnſte dasjenige<lb/> ein Fehler, was nicht auf den Zwek des Werks hin-<lb/> leitet. 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Feh
Feh
ihm wichtige Lehren geben wird, und wird das
Studium ſeiner Kunſt in dem Umgang mit eben ſo
viel Vortheil treiben, als in ſeinem Cabinet.
Fehler.
(Schoͤne Kuͤnſte.)
Fehlen heißt eigentlich etwas thun, das von dem
Zwek, den man ſich vorgeſetzt hat, abfuͤhret; da-
her iſt in den Werken der ſchoͤnen Kuͤnſte dasjenige
ein Fehler, was nicht auf den Zwek des Werks hin-
leitet. Jn jedem Werke der Kunſt liegen Abſichten
von zweyerley Art; der Stoff des Werks, was wir
anderswo den Geiſt deſſelben genennt haben, zielt
auf Erwekung gewiſſer Vorſtellungen oder Empfin-
dungen ab; in der Form aber oder dem Koͤrper hat
jedes wieder ſeinen eigenen Zwek (*), der jenem un-
tergeordnet iſt. Man ſieht dieſes am deutlichſten
an den Werken der Baukunſt, wo die eine Abſicht
auf Bequaͤmlichkeit, die andre auf Schoͤnheit geht.
Das Gebaͤude, oder irgend ein einzeler Theil deſſel-
ben iſt fehlerhaft, in ſo fern ein oder mehrere
Theile zu dem Gebrauch, wozu ſie vorhanden,
nicht tuͤchtig genug ſind; wie ein Schlafzimmer, in
dem man ſeiner Lage halber wenig Ruhe haben
koͤnnte, oder ein Speiſezimmer das dunkel waͤre,
oder die andern zu ſeiner Beſtimmung dienenden
Bequaͤmlichkeiten nicht haͤtte; eben dieſes Gebaͤude
und dieſe Theile deſſelben waͤren aber, bey allen Be-
quaͤmlichkeiten, die ihre Beſtimmung erfodert, feh-
lerhaft, wenn alles ohne Verhaͤltniß, ohne Regel-
maͤßigkeit, ohne Feſtigkeit waͤre. Eben ſo verhaͤlt
es ſich mit allen Werken der ſchoͤnen Kuͤnſte; denn
Batteux hat die Sachen nicht genug uͤberlegt, da
er gelehrt hat, daß die Baukunſt in Anſehung ihres
Zweks eine ganz beſondere Gattung ausmache.
Jn dieſer Kunſt iſt das, was zum Gebrauch und
zur Bequaͤmlichkeit gehoͤrt, der Geiſt des Werks,
das gute Anſehen aber der Koͤrper; da in jedem
andern Werke, die Vorſtellungen, die der Kuͤnſtler
erweken will, die Seele; die Schoͤnheit aber, die
Regelmaͤßigkeit, das fließende und angenehme We-
ſen der Form, den Koͤrper ausmachen.
(*) Man ſe-
he den Art.
Einfoͤrmig-
keit.
Die Fehler, die dem Geiſt eines Werks der
Kunſt ankleben, ſind Fehler, die nicht der Kuͤnſtler
ſondern der Menſch begeht, gemeine Fehler, die er
mit allen andern Menſchen gemein hat, die in ihren
Handlungen und Unternehmungen ihres Zweks ver-
fehlen. Der Baumeiſter, der eine Kuͤche baute,
in welcher man nicht ohne Gefahr Feuer unterhal-
ten koͤnnte, haͤtte nicht einen Kunſtfehler begangen,
ſondern einen Fehler gegen die allgemeine geſunde
Vernunft. Der Dichter, der Mitleiden erweken
will, und zu dem Ende Gegenſtaͤnde mahlt, die Ekel
machen, fehlt nicht gegen die Regeln der Poeſie,
ſondern er handelt gegen die Vernunft. Der-
gleichen Fehler alſo ſind nicht aͤſthetiſche Fehler,
ſie gehen eigentlich nicht den Geſchmack, ſondern
nur den Verſtand an. Sie ſind ſo mannigfaltig,
als der Jrrthum uͤberhaupt iſt.
Die eigentlichen Kunſtfehler, die wir aͤſthetiſche
Fehler nennen, betreffen das Aeuſſerliche, oder den
Koͤrper der Werke; denn nur darin fehlt der Kuͤnſt-
ler, als Kuͤnſtler. Die Natur und die Mannigfal-
tigkeit dieſer Fehler zu erkennen, darf man nur
uͤberlegen, was eigentlich das Aeſthetiſche in den
Werken der Kunſt ſeyn ſoll. Es iſt eine ſolche An-
ordnung, ein ſolcher Vortrag, eine ſolche Ausbil-
dung der, dem Werke weſentlichen, Vorſtellungen,
die ſie geſchikt macht, auf die ſinnliche Vorſtellungs-
kraft vortheilhaft zu wuͤrken. Ein Werk der Kunſt
iſt aͤſthetiſch vollkommen, wenn die Vorſtellun-
gen, die es erweken ſoll, auf die leichteſte, leb-
hafteſte, dauerhafteſte und uͤberhaupt das Gemuͤth
einnehmendſte Art, erwekt werden. Dieſes zu er-
halten iſt das eigentliche Werk des Geſchmaks, da
jene Vorſtellungen ſelbſt ein Werk des Verſtands
und des Genies ſind.
Um die aͤſthetiſchen Fehler zu vermeiden, muß
man die Natur, jeden Trieb und jede Lenkung der
untern Seelenkraͤfte
(†) kennen. Man kann Fehler
begehen, die dem natuͤrlichen Verfahren, oder der
Art, wie dieſe Kraͤfte ſich aͤuſſern, geradezu zu-
wider ſind, dieſes ſind weſentliche Fehler; man kann
aber auch ſolche begehen, die ihnen die Vorſtellung
blos ſchweer machen, dieſe ſind weniger weſentlich.
Dieſe doppelte Beſchaffenheit haben die aͤſthetiſchen
Fehler mit den philoſophiſchen gemein; dieſe ſind
entweder wuͤrkliche Widerſpruͤche, oder ſie ſind bloſſe
Maͤngel, wodurch zwar die Begriffe und Urtheile
ſich unter einander nicht aufheben oder zerſtoͤhren,
aber
(†) Der beſtimmte Begriff deſſen, was man die untern
Seelenkraͤfte nennt, muß aus der Philoſophie geholt wer-
den. Diejenigen, welche die Wolffiſchen oder Baumgarten-
ſchen Schriften noch nicht kennen, werden dahin verwieſen.
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