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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Fre
etwas zu vertreiben. Hat man ja nöthig, einige
Stellen noch einmal zu berühren, um einige dunkle
Stellen zu verstärken, so muß man so lange war-
ten, bis die erste Farbe etwas troken geworden.
Am besten werden die Schatten und die dunklen Far-
ben, durch Schraffirung mit dem Pinsel verstärkt.

Diese Art zu mahlen ist ehedem, ehe man die
Oelfarben ausgedacht hat, zur Verzierung der
Wände, so wol in den Zimmern, Dekken und Ge-
wölben, als auf den Aussenseiten mehr im Gebrauch
gewesen, als heut zu Tage, wiewol sie noch itzo
in großen Gebäuden, zu ganz großen Stüken viel
gebraucht wird. Die Alten scheinen die Farben-
mischung dazu vollkommen verstanden zu haben;
denn man trift bisweilen noch Stüke an, die seit
vielen Jahrhunderten die frischeste Farbe behalten
haben. Die herrlichsten Werke des Raphaels im
Vatican sind in dieser Art gemahlt, wiewol sie itzo
in Absicht auf die Färbung sehr viel verlohren haben;
denn zu Raphaels Zeiten verstuhnd man die Aus-
übung dieser Art zu mahlen noch nicht so gut, als
hernach zu der Canacci Zeiten. Hanibals Gemählde
in der Gallerie des farnesischen Pallastes, sind in
Ansehung der Ausführung weit schöner, als alles,
was vor ihm in dieser Art gemacht worden.

Eine ausführliche Beschreibung dieser Mahlerey
giebt Dom Pernetti in der Vorrede zu seinem
Diction. portatif de peinture.

Freude.
(Schöne Künste.)

Die Freude ist ein hoher, die Seele durchdringen-
der Grad des Vergnügens, das aus einem unge-
wöhnlichen, oder plötzlichen Gefühl der Glükseelig-
keit entsteht. Sie scheinet das höchste Ziel der
Wünsche des Menschen zu seyn. Wenigstens ist
sonst keine Leidenschaft, die so ganz Genuß, ohne
Beymischung von Unruhe und von anderm Bestre-
ben wäre. Da sie aus der Vorstellung entsteht,
daß alle Wünsche erreicht sind, so wünscht, und
hoft, und fürchtet das ganz freudige Herz nichts
mehr, sondern überläßt sich ganz dem gegenwärtigen
Genuß. Daher kömmt es, daß der Mensch, in-
dem er die Freude genießt, ein gutmüthiges, ge-
fälliges und durchaus angenehmes Geschöpf ist,
mit dem man beynahe machen kann, was man will.
Denn da er selbst währender Freude an dem Ziel
seiner Wünsche zu seyn glaubt, so sucht er für sich
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Fre
nichts mehr, hat kein eignes Jntresse, und wenn
ihm noch etwas zu wünschen übrig bleibet, so ist es
dieses, daß nun auch alle Menschen so glüklich, wie
er selbst seyn mögen. Nur muß man ihn in seiner
Glükseeligkeit nicht stöhren; denn weil die Freude
natürlicher weise unbedachtsam, leichtsinnig und da-
bey schnell ist, so könnte sie auch leicht in wüthende
Rache ausbrechen.

So erwünscht die Freude dem Menschen ist, so
darf er sich doch nicht beklagen, daß ein beträcht-
licher Grad derselben selten kömmt, und nicht lange
anhält, weil ihm dieses mehr schädlich, als nützlich
seyn würde; denn sie spannt alle Sayten der Seele
ab, weil sie nichts wünscht und nichts sucht. So
wie der Mensch, der von Kindheit auf nie gefühlt
hat, daß ihm etwas fehlt, natürlicher Weise leicht-
sinnig, träg und unbesonnen wird, und sich sehr
wenig über die Sinnlichkeit erhebt; so würde es
der, der lauter Freuden genossen hat, noch vielmehr
werden, da ihm gar alle Gelegenheiten zur Anstren-
gung seiner würkenden Kräfte benommen wären.

Dessen ungeachtet aber kann diese Leidenschaft,
wenn sie nur zur rechten Zeit erwekt wird, ganz
wichtige Folgen haben, wie z. B. alle öffentlichen
Freuden, da man in religiösen oder politischen Fey-
ertagen eine glükliche Begebenheit feyert. Daß ein
ganzes Volk seine Glükseeligkeit erkenne und sich der-
selben erfreue, ist in mehrern Absichten wichtig,
weil dieses Gefühl sehr vortheilhaften Einfluß auf
den Charakter des Volks und auf seine Handlungen
hat. Da können die schönen Künste, besonders Mu-
sik, Poesie und Beredsamkeit große Dienste thun.
Oden und Lieder, die durch Vorstellung des Natio-
nalglüks zur Freud ermuntern, sind unter die
wichtigen Werke der Künste zu zählen. Horaz hat
die Römer mehr als einmal zur Freude über ihr
Glük ermuntert (*), und die dahin abzielenden Oden(*) Z. B.
im 1 B.
die 37. III.
B. 14. VI.
5.

gehören unter seine vornehmsten Werke. Wenn
wir die Päane der Griechen noch hätten, so würden
wir vielleicht begreifen, daß mancher Sieg dieses
ausserordentlichen Volks hauptsächlich den Freuden-
gesängen, womit sie ihre Schlachten angefangen ha-
ben, zu zuschreiben seyn möchte.

Der Affekt der Freude ist also vorzüglich ein Ge-
genstand der lyrischen Dichtkunst und der Musik;
und die Gesänge, die für öffentliche Freudenfeste ge-
macht werden, können unter den Werken der Kunst
auf den ersten Rang Anspruch machen. Aber

auch
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[Spaltenumbruch]

Fre
etwas zu vertreiben. Hat man ja noͤthig, einige
Stellen noch einmal zu beruͤhren, um einige dunkle
Stellen zu verſtaͤrken, ſo muß man ſo lange war-
ten, bis die erſte Farbe etwas troken geworden.
Am beſten werden die Schatten und die dunklen Far-
ben, durch Schraffirung mit dem Pinſel verſtaͤrkt.

Dieſe Art zu mahlen iſt ehedem, ehe man die
Oelfarben ausgedacht hat, zur Verzierung der
Waͤnde, ſo wol in den Zimmern, Dekken und Ge-
woͤlben, als auf den Auſſenſeiten mehr im Gebrauch
geweſen, als heut zu Tage, wiewol ſie noch itzo
in großen Gebaͤuden, zu ganz großen Stuͤken viel
gebraucht wird. Die Alten ſcheinen die Farben-
miſchung dazu vollkommen verſtanden zu haben;
denn man trift bisweilen noch Stuͤke an, die ſeit
vielen Jahrhunderten die friſcheſte Farbe behalten
haben. Die herrlichſten Werke des Raphaels im
Vatican ſind in dieſer Art gemahlt, wiewol ſie itzo
in Abſicht auf die Faͤrbung ſehr viel verlohren haben;
denn zu Raphaels Zeiten verſtuhnd man die Aus-
uͤbung dieſer Art zu mahlen noch nicht ſo gut, als
hernach zu der Canacci Zeiten. Hanibals Gemaͤhlde
in der Gallerie des farneſiſchen Pallaſtes, ſind in
Anſehung der Ausfuͤhrung weit ſchoͤner, als alles,
was vor ihm in dieſer Art gemacht worden.

Eine ausfuͤhrliche Beſchreibung dieſer Mahlerey
giebt Dom Pernetti in der Vorrede zu ſeinem
Diction. portatif de peinture.

Freude.
(Schoͤne Kuͤnſte.)

Die Freude iſt ein hoher, die Seele durchdringen-
der Grad des Vergnuͤgens, das aus einem unge-
woͤhnlichen, oder ploͤtzlichen Gefuͤhl der Gluͤkſeelig-
keit entſteht. Sie ſcheinet das hoͤchſte Ziel der
Wuͤnſche des Menſchen zu ſeyn. Wenigſtens iſt
ſonſt keine Leidenſchaft, die ſo ganz Genuß, ohne
Beymiſchung von Unruhe und von anderm Beſtre-
ben waͤre. Da ſie aus der Vorſtellung entſteht,
daß alle Wuͤnſche erreicht ſind, ſo wuͤnſcht, und
hoft, und fuͤrchtet das ganz freudige Herz nichts
mehr, ſondern uͤberlaͤßt ſich ganz dem gegenwaͤrtigen
Genuß. Daher koͤmmt es, daß der Menſch, in-
dem er die Freude genießt, ein gutmuͤthiges, ge-
faͤlliges und durchaus angenehmes Geſchoͤpf iſt,
mit dem man beynahe machen kann, was man will.
Denn da er ſelbſt waͤhrender Freude an dem Ziel
ſeiner Wuͤnſche zu ſeyn glaubt, ſo ſucht er fuͤr ſich
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Fre
nichts mehr, hat kein eignes Jntreſſe, und wenn
ihm noch etwas zu wuͤnſchen uͤbrig bleibet, ſo iſt es
dieſes, daß nun auch alle Menſchen ſo gluͤklich, wie
er ſelbſt ſeyn moͤgen. Nur muß man ihn in ſeiner
Gluͤkſeeligkeit nicht ſtoͤhren; denn weil die Freude
natuͤrlicher weiſe unbedachtſam, leichtſinnig und da-
bey ſchnell iſt, ſo koͤnnte ſie auch leicht in wuͤthende
Rache ausbrechen.

So erwuͤnſcht die Freude dem Menſchen iſt, ſo
darf er ſich doch nicht beklagen, daß ein betraͤcht-
licher Grad derſelben ſelten koͤmmt, und nicht lange
anhaͤlt, weil ihm dieſes mehr ſchaͤdlich, als nuͤtzlich
ſeyn wuͤrde; denn ſie ſpannt alle Sayten der Seele
ab, weil ſie nichts wuͤnſcht und nichts ſucht. So
wie der Menſch, der von Kindheit auf nie gefuͤhlt
hat, daß ihm etwas fehlt, natuͤrlicher Weiſe leicht-
ſinnig, traͤg und unbeſonnen wird, und ſich ſehr
wenig uͤber die Sinnlichkeit erhebt; ſo wuͤrde es
der, der lauter Freuden genoſſen hat, noch vielmehr
werden, da ihm gar alle Gelegenheiten zur Anſtren-
gung ſeiner wuͤrkenden Kraͤfte benommen waͤren.

Deſſen ungeachtet aber kann dieſe Leidenſchaft,
wenn ſie nur zur rechten Zeit erwekt wird, ganz
wichtige Folgen haben, wie z. B. alle oͤffentlichen
Freuden, da man in religioͤſen oder politiſchen Fey-
ertagen eine gluͤkliche Begebenheit feyert. Daß ein
ganzes Volk ſeine Gluͤkſeeligkeit erkenne und ſich der-
ſelben erfreue, iſt in mehrern Abſichten wichtig,
weil dieſes Gefuͤhl ſehr vortheilhaften Einfluß auf
den Charakter des Volks und auf ſeine Handlungen
hat. Da koͤnnen die ſchoͤnen Kuͤnſte, beſonders Mu-
ſik, Poeſie und Beredſamkeit große Dienſte thun.
Oden und Lieder, die durch Vorſtellung des Natio-
nalgluͤks zur Freud ermuntern, ſind unter die
wichtigen Werke der Kuͤnſte zu zaͤhlen. Horaz hat
die Roͤmer mehr als einmal zur Freude uͤber ihr
Gluͤk ermuntert (*), und die dahin abzielenden Oden(*) Z. B.
im 1 B.
die 37. III.
B. 14. VI.
5.

gehoͤren unter ſeine vornehmſten Werke. Wenn
wir die Paͤane der Griechen noch haͤtten, ſo wuͤrden
wir vielleicht begreifen, daß mancher Sieg dieſes
auſſerordentlichen Volks hauptſaͤchlich den Freuden-
geſaͤngen, womit ſie ihre Schlachten angefangen ha-
ben, zu zuſchreiben ſeyn moͤchte.

Der Affekt der Freude iſt alſo vorzuͤglich ein Ge-
genſtand der lyriſchen Dichtkunſt und der Muſik;
und die Geſaͤnge, die fuͤr oͤffentliche Freudenfeſte ge-
macht werden, koͤnnen unter den Werken der Kunſt
auf den erſten Rang Anſpruch machen. Aber

auch
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[403/0415] Fre Fre etwas zu vertreiben. Hat man ja noͤthig, einige Stellen noch einmal zu beruͤhren, um einige dunkle Stellen zu verſtaͤrken, ſo muß man ſo lange war- ten, bis die erſte Farbe etwas troken geworden. Am beſten werden die Schatten und die dunklen Far- ben, durch Schraffirung mit dem Pinſel verſtaͤrkt. Dieſe Art zu mahlen iſt ehedem, ehe man die Oelfarben ausgedacht hat, zur Verzierung der Waͤnde, ſo wol in den Zimmern, Dekken und Ge- woͤlben, als auf den Auſſenſeiten mehr im Gebrauch geweſen, als heut zu Tage, wiewol ſie noch itzo in großen Gebaͤuden, zu ganz großen Stuͤken viel gebraucht wird. Die Alten ſcheinen die Farben- miſchung dazu vollkommen verſtanden zu haben; denn man trift bisweilen noch Stuͤke an, die ſeit vielen Jahrhunderten die friſcheſte Farbe behalten haben. Die herrlichſten Werke des Raphaels im Vatican ſind in dieſer Art gemahlt, wiewol ſie itzo in Abſicht auf die Faͤrbung ſehr viel verlohren haben; denn zu Raphaels Zeiten verſtuhnd man die Aus- uͤbung dieſer Art zu mahlen noch nicht ſo gut, als hernach zu der Canacci Zeiten. Hanibals Gemaͤhlde in der Gallerie des farneſiſchen Pallaſtes, ſind in Anſehung der Ausfuͤhrung weit ſchoͤner, als alles, was vor ihm in dieſer Art gemacht worden. Eine ausfuͤhrliche Beſchreibung dieſer Mahlerey giebt Dom Pernetti in der Vorrede zu ſeinem Diction. portatif de peinture. Freude. (Schoͤne Kuͤnſte.) Die Freude iſt ein hoher, die Seele durchdringen- der Grad des Vergnuͤgens, das aus einem unge- woͤhnlichen, oder ploͤtzlichen Gefuͤhl der Gluͤkſeelig- keit entſteht. Sie ſcheinet das hoͤchſte Ziel der Wuͤnſche des Menſchen zu ſeyn. Wenigſtens iſt ſonſt keine Leidenſchaft, die ſo ganz Genuß, ohne Beymiſchung von Unruhe und von anderm Beſtre- ben waͤre. Da ſie aus der Vorſtellung entſteht, daß alle Wuͤnſche erreicht ſind, ſo wuͤnſcht, und hoft, und fuͤrchtet das ganz freudige Herz nichts mehr, ſondern uͤberlaͤßt ſich ganz dem gegenwaͤrtigen Genuß. Daher koͤmmt es, daß der Menſch, in- dem er die Freude genießt, ein gutmuͤthiges, ge- faͤlliges und durchaus angenehmes Geſchoͤpf iſt, mit dem man beynahe machen kann, was man will. Denn da er ſelbſt waͤhrender Freude an dem Ziel ſeiner Wuͤnſche zu ſeyn glaubt, ſo ſucht er fuͤr ſich nichts mehr, hat kein eignes Jntreſſe, und wenn ihm noch etwas zu wuͤnſchen uͤbrig bleibet, ſo iſt es dieſes, daß nun auch alle Menſchen ſo gluͤklich, wie er ſelbſt ſeyn moͤgen. Nur muß man ihn in ſeiner Gluͤkſeeligkeit nicht ſtoͤhren; denn weil die Freude natuͤrlicher weiſe unbedachtſam, leichtſinnig und da- bey ſchnell iſt, ſo koͤnnte ſie auch leicht in wuͤthende Rache ausbrechen. So erwuͤnſcht die Freude dem Menſchen iſt, ſo darf er ſich doch nicht beklagen, daß ein betraͤcht- licher Grad derſelben ſelten koͤmmt, und nicht lange anhaͤlt, weil ihm dieſes mehr ſchaͤdlich, als nuͤtzlich ſeyn wuͤrde; denn ſie ſpannt alle Sayten der Seele ab, weil ſie nichts wuͤnſcht und nichts ſucht. So wie der Menſch, der von Kindheit auf nie gefuͤhlt hat, daß ihm etwas fehlt, natuͤrlicher Weiſe leicht- ſinnig, traͤg und unbeſonnen wird, und ſich ſehr wenig uͤber die Sinnlichkeit erhebt; ſo wuͤrde es der, der lauter Freuden genoſſen hat, noch vielmehr werden, da ihm gar alle Gelegenheiten zur Anſtren- gung ſeiner wuͤrkenden Kraͤfte benommen waͤren. Deſſen ungeachtet aber kann dieſe Leidenſchaft, wenn ſie nur zur rechten Zeit erwekt wird, ganz wichtige Folgen haben, wie z. B. alle oͤffentlichen Freuden, da man in religioͤſen oder politiſchen Fey- ertagen eine gluͤkliche Begebenheit feyert. Daß ein ganzes Volk ſeine Gluͤkſeeligkeit erkenne und ſich der- ſelben erfreue, iſt in mehrern Abſichten wichtig, weil dieſes Gefuͤhl ſehr vortheilhaften Einfluß auf den Charakter des Volks und auf ſeine Handlungen hat. Da koͤnnen die ſchoͤnen Kuͤnſte, beſonders Mu- ſik, Poeſie und Beredſamkeit große Dienſte thun. Oden und Lieder, die durch Vorſtellung des Natio- nalgluͤks zur Freud ermuntern, ſind unter die wichtigen Werke der Kuͤnſte zu zaͤhlen. Horaz hat die Roͤmer mehr als einmal zur Freude uͤber ihr Gluͤk ermuntert (*), und die dahin abzielenden Oden gehoͤren unter ſeine vornehmſten Werke. Wenn wir die Paͤane der Griechen noch haͤtten, ſo wuͤrden wir vielleicht begreifen, daß mancher Sieg dieſes auſſerordentlichen Volks hauptſaͤchlich den Freuden- geſaͤngen, womit ſie ihre Schlachten angefangen ha- ben, zu zuſchreiben ſeyn moͤchte. (*) Z. B. im 1 B. die 37. III. B. 14. VI. 5. Der Affekt der Freude iſt alſo vorzuͤglich ein Ge- genſtand der lyriſchen Dichtkunſt und der Muſik; und die Geſaͤnge, die fuͤr oͤffentliche Freudenfeſte ge- macht werden, koͤnnen unter den Werken der Kunſt auf den erſten Rang Anſpruch machen. Aber auch E e e 2

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/415>, abgerufen am 22.11.2024.