Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch] Geb die Kunst der Gebehrden, so wie der Schauspielerlernen soll [Spaltenumbruch] (+). Wenn irgend ein Theil der Kunst ist, der eine Man hört bisweilen, daß die Sprache der Ge- Für den Schauspieler und für den Tänzer ist Geb Natürliche Gebehrden, auf welche man nicht studirt,sind allemal nachdrüklich, wenn man nur einiger- maaßen empfindet, was man sagt; die Kunst soll ihnen blos den schönen Anstand geben. Wer ihnen diesen nicht geben kann, der bleibe lieber bey der ganz rohen Natur. Jst sie nicht mit Schönheit ver- bunden, so ist sie doch nachdrüklich; aber künstliche Gebehrden, deren Anlage nicht aus der Natur ent- standen ist, sind allemal frostig. Gebrochen. (Schöne Künste.) Dieses Wort wird in der Sprache der Künstler in ver- Gebrochene Farben sind die hellen Hauptfarben, Ein gebrochener Accord heißt in der Musik der- Gebunden. (Musik.) Dieses Wort wird in der Musik verschiedentlich als gen (+) Nemo suaserit studiosis dicendi adolescentibus, in gesta
[Spaltenumbruch] discendo histrionum more elaborare. Cic. de Orat. [Spaltenumbruch] Geb die Kunſt der Gebehrden, ſo wie der Schauſpielerlernen ſoll [Spaltenumbruch] (†). Wenn irgend ein Theil der Kunſt iſt, der eine Man hoͤrt bisweilen, daß die Sprache der Ge- Fuͤr den Schauſpieler und fuͤr den Taͤnzer iſt Geb Natuͤrliche Gebehrden, auf welche man nicht ſtudirt,ſind allemal nachdruͤklich, wenn man nur einiger- maaßen empfindet, was man ſagt; die Kunſt ſoll ihnen blos den ſchoͤnen Anſtand geben. Wer ihnen dieſen nicht geben kann, der bleibe lieber bey der ganz rohen Natur. Jſt ſie nicht mit Schoͤnheit ver- bunden, ſo iſt ſie doch nachdruͤklich; aber kuͤnſtliche Gebehrden, deren Anlage nicht aus der Natur ent- ſtanden iſt, ſind allemal froſtig. Gebrochen. (Schoͤne Kuͤnſte.) Dieſes Wort wird in der Sprache der Kuͤnſtler in ver- Gebrochene Farben ſind die hellen Hauptfarben, Ein gebrochener Accord heißt in der Muſik der- Gebunden. (Muſik.) Dieſes Wort wird in der Muſik verſchiedentlich als gen (†) Nemo ſuaſerit ſtudioſis dicendi adoleſcentibus, in geſta
[Spaltenumbruch] diſcendo hiſtrionum more elaborare. Cic. de Orat. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0442" n="430"/><cb/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Geb</hi></fw><lb/> die Kunſt der Gebehrden, ſo wie der Schauſpieler<lb/> lernen ſoll <cb/> <note place="foot" n="(†)"><hi rendition="#aq">Nemo ſuaſerit ſtudioſis dicendi adoleſcentibus, in geſta<lb/><cb/> diſcendo hiſtrionum more elaborare. Cic. de Orat.</hi></note>.</p><lb/> <p>Wenn irgend ein Theil der Kunſt iſt, der eine<lb/> lange und ſehr fleißige Uebung erfodert, ſo iſt es<lb/> dieſer. Sie muß aber mit genauer Beobachtung<lb/> der Natur verbunden ſeyn. Der Redner muß Ge-<lb/> legenheit ſuchen, lebhafte und empfindſame Menſchen<lb/> zu ſehen, und ihre Gebehrden genau beobachten,<lb/> und durch wiederholte Verſuche das, was er nach-<lb/> druͤklich gefunden, ſich zueignen. Zu ſeinen Uebun-<lb/> gen muß er ſich eine Sammlung vorzuͤglicher Stel-<lb/> len aus den beſten Rednern machen, die er erſt<lb/> wol auswendig lernt, und hernach fuͤr ſich ſo lan-<lb/> ge declamirt, bis er Stellung und Gebehrden,<lb/> die jedem Stuͤk zukommen, gefunden hat. Wie ein<lb/> Zeichner nicht leicht einen Tag vorbey gehen laͤßt,<lb/> ohne etwas zu zeichnen, ſo muß auch der Redner<lb/> taͤglich, wenigſtens eine ſchoͤne Stelle declamiren.<lb/> Es iſt ein wuͤrklicher Mangel auf unſern Univerſi-<lb/> taͤten, daß kein methodiſch eingerichteter Unterricht<lb/> in dieſer Sache gegeben wird. Daher koͤmmt es<lb/> denn, daß man ſo ſehr ſelten einen geiſtlichen Red-<lb/> ner findet, der die Kunſt verſteht, ſeinen Worten<lb/> durch die Gebehrden Nachdruk zu geben.</p><lb/> <p>Man hoͤrt bisweilen, daß die Sprache der Ge-<lb/> behrden ſo gar als eine, dem geiſtlichen Redner ganz<lb/> unnoͤthige, Sache verworfen wird. Aber dieſes iſt<lb/> gewiß ein ſchaͤdliches Vorurtheil. Denn ſelbſt da,<lb/> wo der Redner blos zu unterrichten, oder nur auf<lb/> den Verſtand zu wuͤrken hat, ſind die Gebehrden<lb/> von großer Wichtigkeit; weil ſie ungemein viel zur<lb/> Unterhaltung der Aufmerkſamkeit und ſelbſt zur<lb/> Ueberzeugung beytragen. Der Verſtand laͤßt ſich<lb/> eben ſo, wie das Herz gewinnen; und erſt denn,<lb/> wenn er gewonnen iſt, haben die Gruͤnde ihre volle<lb/> Kraft auf ihn.</p><lb/> <p>Fuͤr den Schauſpieler und fuͤr den Taͤnzer iſt<lb/> nichts ſo wichtig, als die Kunſt der Gebehrden.<lb/> Beſitzt er dieſe, ſo iſt er Meiſter uͤber die Empfin-<lb/> dung der Zuſchauer; ſind ſeine Gebehrden unnatuͤr-<lb/> lich, ſo wird ſein ganzes Spiel unertraͤglich. Der<lb/> Schauſpieler kann durch verkehrte Gebehrden das<lb/> hoͤchſte Tragiſche froſtig, und das feinſte Comiſche<lb/> klaͤglich machen. 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Geb
Geb
die Kunſt der Gebehrden, ſo wie der Schauſpieler
lernen ſoll
(†).
Wenn irgend ein Theil der Kunſt iſt, der eine
lange und ſehr fleißige Uebung erfodert, ſo iſt es
dieſer. Sie muß aber mit genauer Beobachtung
der Natur verbunden ſeyn. Der Redner muß Ge-
legenheit ſuchen, lebhafte und empfindſame Menſchen
zu ſehen, und ihre Gebehrden genau beobachten,
und durch wiederholte Verſuche das, was er nach-
druͤklich gefunden, ſich zueignen. Zu ſeinen Uebun-
gen muß er ſich eine Sammlung vorzuͤglicher Stel-
len aus den beſten Rednern machen, die er erſt
wol auswendig lernt, und hernach fuͤr ſich ſo lan-
ge declamirt, bis er Stellung und Gebehrden,
die jedem Stuͤk zukommen, gefunden hat. Wie ein
Zeichner nicht leicht einen Tag vorbey gehen laͤßt,
ohne etwas zu zeichnen, ſo muß auch der Redner
taͤglich, wenigſtens eine ſchoͤne Stelle declamiren.
Es iſt ein wuͤrklicher Mangel auf unſern Univerſi-
taͤten, daß kein methodiſch eingerichteter Unterricht
in dieſer Sache gegeben wird. Daher koͤmmt es
denn, daß man ſo ſehr ſelten einen geiſtlichen Red-
ner findet, der die Kunſt verſteht, ſeinen Worten
durch die Gebehrden Nachdruk zu geben.
Man hoͤrt bisweilen, daß die Sprache der Ge-
behrden ſo gar als eine, dem geiſtlichen Redner ganz
unnoͤthige, Sache verworfen wird. Aber dieſes iſt
gewiß ein ſchaͤdliches Vorurtheil. Denn ſelbſt da,
wo der Redner blos zu unterrichten, oder nur auf
den Verſtand zu wuͤrken hat, ſind die Gebehrden
von großer Wichtigkeit; weil ſie ungemein viel zur
Unterhaltung der Aufmerkſamkeit und ſelbſt zur
Ueberzeugung beytragen. Der Verſtand laͤßt ſich
eben ſo, wie das Herz gewinnen; und erſt denn,
wenn er gewonnen iſt, haben die Gruͤnde ihre volle
Kraft auf ihn.
Fuͤr den Schauſpieler und fuͤr den Taͤnzer iſt
nichts ſo wichtig, als die Kunſt der Gebehrden.
Beſitzt er dieſe, ſo iſt er Meiſter uͤber die Empfin-
dung der Zuſchauer; ſind ſeine Gebehrden unnatuͤr-
lich, ſo wird ſein ganzes Spiel unertraͤglich. Der
Schauſpieler kann durch verkehrte Gebehrden das
hoͤchſte Tragiſche froſtig, und das feinſte Comiſche
klaͤglich machen. Wer dieſen Theil der Kunſt nicht
beſitzt, dem iſt zu rathen, nie auf Gebehrden zu
denken, und ſich lediglich der Natur zu uͤberlaſſen.
Natuͤrliche Gebehrden, auf welche man nicht ſtudirt,
ſind allemal nachdruͤklich, wenn man nur einiger-
maaßen empfindet, was man ſagt; die Kunſt ſoll
ihnen blos den ſchoͤnen Anſtand geben. Wer ihnen
dieſen nicht geben kann, der bleibe lieber bey der
ganz rohen Natur. Jſt ſie nicht mit Schoͤnheit ver-
bunden, ſo iſt ſie doch nachdruͤklich; aber kuͤnſtliche
Gebehrden, deren Anlage nicht aus der Natur ent-
ſtanden iſt, ſind allemal froſtig.
Gebrochen.
(Schoͤne Kuͤnſte.)
Dieſes Wort wird in der Sprache der Kuͤnſtler in ver-
ſchiedenen Bedeutungen gebraucht. Ueberhaupt be-
deutet es etwas, das man nicht ganz oder nicht voͤllig
gelaſſen hat. Nicht voll iſt die gebrochene Stimme,
in der groͤßten Ruͤhrung, ſo wol bey vergnuͤgten, als
bey traurigen Empfindungen. Da thut ſie große
Wuͤrkung auf die Zuhoͤrer, weil ſie die hoͤchſte Ruͤh-
rung des Redners weit beſſer anzeiget, als ſeine
Worte thun koͤnnen. Aber eben deßwegen muß
dieſe gebrochene Stimme nur da, wo die Ruͤhrung
am hoͤchſten iſt, gehoͤrt werden.
Gebrochene Farben ſind die hellen Hauptfarben,
die einen Zuſatz von andern dunkeln Farben bekom-
men und alſo ihr volles Licht nicht mehr ha-
ben. Die Jtaliaͤner nennen ſie Mezzetinten; im
Deutſchen werden ſie auch Mittelfarben genennt,
weil ſie insgemein zwiſchen dem helleſten und dem
dunkelſten in der Mitte ſtehen, und die genaue Ver-
bindung des Hellen und Dunkeln bewuͤrken.
Ein gebrochener Accord heißt in der Muſik der-
jenige, deſſen Toͤne nicht, wie gewoͤhnlich auf einmal,
ſondern hinter einander angeſchlagen werden. Auch
nennt man einen gebrochenen Baß den, der an-
ſtatt auf einem Ton, ſo lang es der Geſang erfo-
dert, anzuhalten, den Grundton wiederholt an-
ſchlaͤgt, oder andre dazu gehoͤrige oder ſchikliche
Toͤne durchlaͤuft.
Gebunden.
(Muſik.)
Dieſes Wort wird in der Muſik verſchiedentlich als
ein Kunſtwort gebraucht. Gebundene Noten oder
Toͤne ſind ſolche, die in einer ſchlechten Taktzeit
angeſchlagen werden, und bis auf eine gute Zeit lie-
gen
(†) Nemo ſuaſerit ſtudioſis dicendi adoleſcentibus, in geſta
diſcendo hiſtrionum more elaborare. Cic. de Orat.
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