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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Ged
chen jeder Gattung zu bestimmen. Einige Arten
erhielten ihre Namen blos von der äussern Form,
andre von dem Jnhalt. Doch ist Aristoteles, nach
seiner Art, hierüber subtil und methodisch, obgleich
seine Eintheilung zu nichts dienen kann. Da er
das Wesen des Gedichts in der Nachahmung setzt,
so bestimmt er die Gattungen desselben aus der Be-
schaffenheit der Nachahmung, und bekömmt dreyer-
ley Gattungen. Die erste wird durch die Jnstru-
mente der Nachahmung bestimmt; die andre durch
den Gegenstand der Nachahmung, und die dritte
durch die Art der Nachahmung.

Die Jnstrumente der Nachahmung sind die Spra-
che, die Harmonie und der Rhythmus, und der
Philosoph bestimmt verschiedene Arten des Gedichts
dadurch, daß sie eines oder das andre, oder mehrere
Jnstrumente der Nachahmung brauchen. Die
Epopee macht nach seinen Begriffen eine besondere
Gattung aus, weil sie blos die Sprache zum Jn-
strument der Nachahmung braucht. Die lyrische Art
wird dadurch bezeichnet, daß sie Sprache, Rhythmus
und Harmonie braucht u. s. f. Es ist aber hieraus
schon hinlänglich abzunehmen, daß aus diesen Sub-
tilitäten wenig Nutzen zu ziehen sey.

Vielleicht könnte man eine fruchtbarere Einthei-
lung der Gedichte in die Hauptgattungen, aus den
verschiedenen Graden der dichterischen Laune her-
nehmen, und dann die untern Arten aus dem Zufäl-
ligen der Materie oder der Form der Gedichte. Man
würde zum Beyspiel finden, daß das lyrische Gedicht
allemal ein von gedachter Laune, sie sey sanft oder
heftig, ganz durchdrungenes Gemüth voraussetzet,
und daß es durchaus in einer Art von Schwermerey
müsse gemacht werden. Die Heftigkeit der Schwer-
merey, würde ein Kennzeichen der hohen Ode, das
Sanfte derselben, der Charakter des Liedes seyn
können, u. s. f. Eine abwechselnde Faßung, die
durch alle Grade durch abgeändert wird, die meiste
Zeit aber nur mit mittelmäßiger Stärke anhält,
macht den Charakter der hohen Epopee und der Tra-
gödie aus. Allein, wie gesagt, es verlohnet sich
vielleicht der Mühe nicht, dergleichen Eintheilung
zu suchen.

Die Hauptgattungen der Gedichte sind die lyri-
schen, die dramatischen, die epischen und die leh-
renden oder unterrichtenden Gedichte. Da aber jede
Gattung wieder Arten von sehr verschiedenem Cha-
rakter unter sich begreift, so kann man in Bezeich-
[Spaltenumbruch]

Ged Gef
nung der Hauptgattungen eben nicht sehr methodisch
verfahren. Wir haben jede besondere Art unter den
gewöhnlichen Benennungen derselben weiter einzu-
theilen, und ihren Charakter, so gut, als sich thun
ließe, anzugeben versucht. (*)

(*) S. Ly-
risch; Hel-
dengedicht;
Lehrgedicht
u s. w.
Gedrükt.
(Baukunst.)

Jst eigentlich dasjenige, was durch eine zu stark
aufliegende Last, aus seiner gewöhnlichen Form ge-
kommen ist. Man braucht aber das Wort in der
Baukunst in einem doppelten Sinn, als ein Kunst-
wort.

Man nennt gedrukte Bogen diejenigen, die ent-
weder nur einen kleinen Theil des halben Zirkels,
welcher der volle Bogen genennt wird, ausmachen,
und folglich nur niedrig sind, oder die eine niedrige
elliptische Form haben. Aber auch dasjenige wird
bisweilen gedrükt genennt, was unter einem guten
Verhältnis zu niedrig ist, und also eingedrükt, oder
niedergedrükt scheinet.

Gefährte.
(Musik.)

Jst in der Fuge ein kurzer melodischer Satz, der
den Hauptsatz, so ofte dieser gesungen oder wieder-
holt worden, in einer andern Stimm, und (nach al-
ter Art zu sprechen) in einer andern Tonart wie-
derholt oder nachahmet. (*) Also tritt der Gefährte(*) S.
Fuge.

allemal am Ende des Führers ein, und hat seinen
Gesang in der plagalischen Tonart, wenn der Füh-
rer die authentische hat, und umgekehrt.

Es ist im Artikel Fuge angemerkt worden, daß
der Gefährte dem Führer so ähnlich seyn müsse, als
es sich ohne den Ton zu verletzen thun läßt. Eine
völlige Aehnlichkeit ist so wol wegen der verschiede-
nen Lage des Mi Fa, als wegen des verschiedenen
Umfanges im Führer und Gefährten, nicht allemal
zu erhalten. Denn wenn der Führer seinen Umfang
von der Tonica bis zur Dominante z. E. von C bis G
hat, so bleibet dem Gefährten nur der Raum von
der Dominante zur Octave der Tonica, z. E. von
G bis c übrig und also ein Ton weniger; denn wenn
er auch den Umfang einer Quinte nehmen, und in
D dur schließen wollte, so würde dadurch der Ton C
ganz zernichtet.

Man hat große Vorsichtigkeit nöthig, daß man
mit dem Gefährten nicht aus dem Ton heraus-

komme.

[Spaltenumbruch]

Ged
chen jeder Gattung zu beſtimmen. Einige Arten
erhielten ihre Namen blos von der aͤuſſern Form,
andre von dem Jnhalt. Doch iſt Ariſtoteles, nach
ſeiner Art, hieruͤber ſubtil und methodiſch, obgleich
ſeine Eintheilung zu nichts dienen kann. Da er
das Weſen des Gedichts in der Nachahmung ſetzt,
ſo beſtimmt er die Gattungen deſſelben aus der Be-
ſchaffenheit der Nachahmung, und bekoͤmmt dreyer-
ley Gattungen. Die erſte wird durch die Jnſtru-
mente der Nachahmung beſtimmt; die andre durch
den Gegenſtand der Nachahmung, und die dritte
durch die Art der Nachahmung.

Die Jnſtrumente der Nachahmung ſind die Spra-
che, die Harmonie und der Rhythmus, und der
Philoſoph beſtimmt verſchiedene Arten des Gedichts
dadurch, daß ſie eines oder das andre, oder mehrere
Jnſtrumente der Nachahmung brauchen. Die
Epopee macht nach ſeinen Begriffen eine beſondere
Gattung aus, weil ſie blos die Sprache zum Jn-
ſtrument der Nachahmung braucht. Die lyriſche Art
wird dadurch bezeichnet, daß ſie Sprache, Rhythmus
und Harmonie braucht u. ſ. f. Es iſt aber hieraus
ſchon hinlaͤnglich abzunehmen, daß aus dieſen Sub-
tilitaͤten wenig Nutzen zu ziehen ſey.

Vielleicht koͤnnte man eine fruchtbarere Einthei-
lung der Gedichte in die Hauptgattungen, aus den
verſchiedenen Graden der dichteriſchen Laune her-
nehmen, und dann die untern Arten aus dem Zufaͤl-
ligen der Materie oder der Form der Gedichte. Man
wuͤrde zum Beyſpiel finden, daß das lyriſche Gedicht
allemal ein von gedachter Laune, ſie ſey ſanft oder
heftig, ganz durchdrungenes Gemuͤth vorausſetzet,
und daß es durchaus in einer Art von Schwermerey
muͤſſe gemacht werden. Die Heftigkeit der Schwer-
merey, wuͤrde ein Kennzeichen der hohen Ode, das
Sanfte derſelben, der Charakter des Liedes ſeyn
koͤnnen, u. ſ. f. Eine abwechſelnde Faßung, die
durch alle Grade durch abgeaͤndert wird, die meiſte
Zeit aber nur mit mittelmaͤßiger Staͤrke anhaͤlt,
macht den Charakter der hohen Epopee und der Tra-
goͤdie aus. Allein, wie geſagt, es verlohnet ſich
vielleicht der Muͤhe nicht, dergleichen Eintheilung
zu ſuchen.

Die Hauptgattungen der Gedichte ſind die lyri-
ſchen, die dramatiſchen, die epiſchen und die leh-
renden oder unterrichtenden Gedichte. Da aber jede
Gattung wieder Arten von ſehr verſchiedenem Cha-
rakter unter ſich begreift, ſo kann man in Bezeich-
[Spaltenumbruch]

Ged Gef
nung der Hauptgattungen eben nicht ſehr methodiſch
verfahren. Wir haben jede beſondere Art unter den
gewoͤhnlichen Benennungen derſelben weiter einzu-
theilen, und ihren Charakter, ſo gut, als ſich thun
ließe, anzugeben verſucht. (*)

(*) S. Ly-
riſch; Hel-
dengedicht;
Lehrgedicht
u ſ. w.
Gedruͤkt.
(Baukunſt.)

Jſt eigentlich dasjenige, was durch eine zu ſtark
aufliegende Laſt, aus ſeiner gewoͤhnlichen Form ge-
kommen iſt. Man braucht aber das Wort in der
Baukunſt in einem doppelten Sinn, als ein Kunſt-
wort.

Man nennt gedrukte Bogen diejenigen, die ent-
weder nur einen kleinen Theil des halben Zirkels,
welcher der volle Bogen genennt wird, ausmachen,
und folglich nur niedrig ſind, oder die eine niedrige
elliptiſche Form haben. Aber auch dasjenige wird
bisweilen gedruͤkt genennt, was unter einem guten
Verhaͤltnis zu niedrig iſt, und alſo eingedruͤkt, oder
niedergedruͤkt ſcheinet.

Gefaͤhrte.
(Muſik.)

Jſt in der Fuge ein kurzer melodiſcher Satz, der
den Hauptſatz, ſo ofte dieſer geſungen oder wieder-
holt worden, in einer andern Stimm, und (nach al-
ter Art zu ſprechen) in einer andern Tonart wie-
derholt oder nachahmet. (*) Alſo tritt der Gefaͤhrte(*) S.
Fuge.

allemal am Ende des Fuͤhrers ein, und hat ſeinen
Geſang in der plagaliſchen Tonart, wenn der Fuͤh-
rer die authentiſche hat, und umgekehrt.

Es iſt im Artikel Fuge angemerkt worden, daß
der Gefaͤhrte dem Fuͤhrer ſo aͤhnlich ſeyn muͤſſe, als
es ſich ohne den Ton zu verletzen thun laͤßt. Eine
voͤllige Aehnlichkeit iſt ſo wol wegen der verſchiede-
nen Lage des Mi Fa, als wegen des verſchiedenen
Umfanges im Fuͤhrer und Gefaͤhrten, nicht allemal
zu erhalten. Denn wenn der Fuͤhrer ſeinen Umfang
von der Tonica bis zur Dominante z. E. von C bis G
hat, ſo bleibet dem Gefaͤhrten nur der Raum von
der Dominante zur Octave der Tonica, z. E. von
G bis c uͤbrig und alſo ein Ton weniger; denn wenn
er auch den Umfang einer Quinte nehmen, und in
D dur ſchließen wollte, ſo wuͤrde dadurch der Ton C
ganz zernichtet.

Man hat große Vorſichtigkeit noͤthig, daß man
mit dem Gefaͤhrten nicht aus dem Ton heraus-

komme.
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[438/0450] Ged Ged Gef chen jeder Gattung zu beſtimmen. Einige Arten erhielten ihre Namen blos von der aͤuſſern Form, andre von dem Jnhalt. Doch iſt Ariſtoteles, nach ſeiner Art, hieruͤber ſubtil und methodiſch, obgleich ſeine Eintheilung zu nichts dienen kann. Da er das Weſen des Gedichts in der Nachahmung ſetzt, ſo beſtimmt er die Gattungen deſſelben aus der Be- ſchaffenheit der Nachahmung, und bekoͤmmt dreyer- ley Gattungen. Die erſte wird durch die Jnſtru- mente der Nachahmung beſtimmt; die andre durch den Gegenſtand der Nachahmung, und die dritte durch die Art der Nachahmung. Die Jnſtrumente der Nachahmung ſind die Spra- che, die Harmonie und der Rhythmus, und der Philoſoph beſtimmt verſchiedene Arten des Gedichts dadurch, daß ſie eines oder das andre, oder mehrere Jnſtrumente der Nachahmung brauchen. Die Epopee macht nach ſeinen Begriffen eine beſondere Gattung aus, weil ſie blos die Sprache zum Jn- ſtrument der Nachahmung braucht. Die lyriſche Art wird dadurch bezeichnet, daß ſie Sprache, Rhythmus und Harmonie braucht u. ſ. f. Es iſt aber hieraus ſchon hinlaͤnglich abzunehmen, daß aus dieſen Sub- tilitaͤten wenig Nutzen zu ziehen ſey. Vielleicht koͤnnte man eine fruchtbarere Einthei- lung der Gedichte in die Hauptgattungen, aus den verſchiedenen Graden der dichteriſchen Laune her- nehmen, und dann die untern Arten aus dem Zufaͤl- ligen der Materie oder der Form der Gedichte. Man wuͤrde zum Beyſpiel finden, daß das lyriſche Gedicht allemal ein von gedachter Laune, ſie ſey ſanft oder heftig, ganz durchdrungenes Gemuͤth vorausſetzet, und daß es durchaus in einer Art von Schwermerey muͤſſe gemacht werden. Die Heftigkeit der Schwer- merey, wuͤrde ein Kennzeichen der hohen Ode, das Sanfte derſelben, der Charakter des Liedes ſeyn koͤnnen, u. ſ. f. Eine abwechſelnde Faßung, die durch alle Grade durch abgeaͤndert wird, die meiſte Zeit aber nur mit mittelmaͤßiger Staͤrke anhaͤlt, macht den Charakter der hohen Epopee und der Tra- goͤdie aus. Allein, wie geſagt, es verlohnet ſich vielleicht der Muͤhe nicht, dergleichen Eintheilung zu ſuchen. Die Hauptgattungen der Gedichte ſind die lyri- ſchen, die dramatiſchen, die epiſchen und die leh- renden oder unterrichtenden Gedichte. Da aber jede Gattung wieder Arten von ſehr verſchiedenem Cha- rakter unter ſich begreift, ſo kann man in Bezeich- nung der Hauptgattungen eben nicht ſehr methodiſch verfahren. Wir haben jede beſondere Art unter den gewoͤhnlichen Benennungen derſelben weiter einzu- theilen, und ihren Charakter, ſo gut, als ſich thun ließe, anzugeben verſucht. (*) Gedruͤkt. (Baukunſt.) Jſt eigentlich dasjenige, was durch eine zu ſtark aufliegende Laſt, aus ſeiner gewoͤhnlichen Form ge- kommen iſt. Man braucht aber das Wort in der Baukunſt in einem doppelten Sinn, als ein Kunſt- wort. Man nennt gedrukte Bogen diejenigen, die ent- weder nur einen kleinen Theil des halben Zirkels, welcher der volle Bogen genennt wird, ausmachen, und folglich nur niedrig ſind, oder die eine niedrige elliptiſche Form haben. Aber auch dasjenige wird bisweilen gedruͤkt genennt, was unter einem guten Verhaͤltnis zu niedrig iſt, und alſo eingedruͤkt, oder niedergedruͤkt ſcheinet. Gefaͤhrte. (Muſik.) Jſt in der Fuge ein kurzer melodiſcher Satz, der den Hauptſatz, ſo ofte dieſer geſungen oder wieder- holt worden, in einer andern Stimm, und (nach al- ter Art zu ſprechen) in einer andern Tonart wie- derholt oder nachahmet. (*) Alſo tritt der Gefaͤhrte allemal am Ende des Fuͤhrers ein, und hat ſeinen Geſang in der plagaliſchen Tonart, wenn der Fuͤh- rer die authentiſche hat, und umgekehrt. (*) S. Fuge. Es iſt im Artikel Fuge angemerkt worden, daß der Gefaͤhrte dem Fuͤhrer ſo aͤhnlich ſeyn muͤſſe, als es ſich ohne den Ton zu verletzen thun laͤßt. Eine voͤllige Aehnlichkeit iſt ſo wol wegen der verſchiede- nen Lage des Mi Fa, als wegen des verſchiedenen Umfanges im Fuͤhrer und Gefaͤhrten, nicht allemal zu erhalten. Denn wenn der Fuͤhrer ſeinen Umfang von der Tonica bis zur Dominante z. E. von C bis G hat, ſo bleibet dem Gefaͤhrten nur der Raum von der Dominante zur Octave der Tonica, z. E. von G bis c uͤbrig und alſo ein Ton weniger; denn wenn er auch den Umfang einer Quinte nehmen, und in D dur ſchließen wollte, ſo wuͤrde dadurch der Ton C ganz zernichtet. Man hat große Vorſichtigkeit noͤthig, daß man mit dem Gefaͤhrten nicht aus dem Ton heraus- komme.

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/450>, abgerufen am 22.11.2024.