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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Geg
Gegendruk.
(Zeichnende Künste.)

Eine Zeichnung, welche durch das Abdruken von
einer andern entstanden ist. Wenn man z. B. einen
frisch gemachten Abdruk, indem die Farbe noch
naß ist, auf ein weisses angefeuchtetes Papier legt
und mit beyden noch einmal durch die Presse fährt,
so drukt sich von dem rechten Kupferblatt alles auf
das andre Papier ab, wiewol die Farbe in diesem
Gegendruk viel schwächer wird, als sie in dem er-
sten von der Kupferplatte gemachten Abdruk war.

Auf eben diese Weise kann man von einer mit
Röthel, oder fettem Bleystift gemachten Zeichnung
einen Gegendruk machen, wenn man ein feuchtes
Blatt Papier darauf legt. Auf diese Art kann man
eine Zeichnung verdoppeln, ohne sie nachzuzeichnen.

Der Gegendruk stellt alles in Vergleichung des
Blattes, wovon er gemacht worden, verkehrt vor.
Mithin sieht man in einem Gegendruk von einem Ku-
pferblatt die Zeichnung so, wie sie auf der Kupferplatte
ist. Er dienet also dem Kupferstecher zu einer leich-
tern und geschwindern Vergleichung des Abdruks mit
der Platte, wodurch er untersucht, ob jeder Zug
und Strich sich gehörig ausdruke.

Es werden aber auch Gegendrücke auf die gegrün-
deten Kupferplatten gemacht, damit der Kupferste-
cher nicht nöthig habe, auf den Grund zu zeichnen.
Solche Gegendrüke kommen den Kupferstechern zu
statten, die in der Zeichnung selbst nicht stark genug
sind. Man zeichnet nämlich erst die Originalzeich-
(*) S. Ab-
zeichnen.
nung durch (*), und drükt denn dieselbe auf den
Firnis des Kupfers ab. Will man aber, daß die
Abdrüke der Kupferplatte die Originalzeichnung
nicht verkehrt, sondern auf dieselbe Art vorstellen,
so muß man von der Durchzeichnung erst einen Ge-
gendruk machen, und denn diesen auf den Grund
der Kupferplatte wieder durchzeichnen. Eine aus-
führlichere Beschreibung hievon findet man in des
Abt Pernetti Dictionaire portatif im Artikel Contre-
cpreuve.

Gegensatz.
(Schöne Künste.)

Wir drüken mit diesem Wort aus, was man sonst
mit dem französischen Wort Contrast bezeichnet, näm-
lich die Erhebung, oder lebhaftere Würkung eines
Gegenstandes, in so fern sie aus der Vergleichung
desselben, mit einem Gegenstand der ihm unähnlich
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Geg
ist, entsteht. Der Gegensatz ist also einigermaaßen
das Gegentheil der Vergleichung. Diese bewürkt
die Lebhaftigkeit der Vorstellung durch Aehnlichkeit;
der Contrast bewürkt dieselbe durch Unähnlichkeit.
Wenn man einen brutalen Menschen neben einem
kaltsinnigen und gelassenen zugleich sieht, so wird
unsre Vorstellung von der Heftigkeit des einen durch
das gelassene Wesen des andern lebhafter. Es ist
eine bekannte Regel, daß entgegengesetzte Dinge,
neben einander gestellt, sich wechselsweise heben.
Opposita juxta se posita magis elucescunt. Denn
durch die Gegeneinanderhaltung bekömmt man nicht
allein ein Maaß, wonach man die Größe der Ge-
genstände schätzet, sondern man bekömmt zugleich
auch einen Begriff von den nicht vorhandenen oder
negativen Eigenschaften der Dinge. Jn dem vor-
her angeführten Fall des Gegensatzes würde man
nicht nur die Größe der Heftigkeit des einen Men-
schen, aus dem großen Abstand von dem Kaltsinn
des andern, lebhafter fühlen, sondern auch das, was
dem heftigen Menschen mangelt, läßt sich aus dem
Betragen des sanftmüthigen erkennen.

Hieraus läßt sich überhaupt abnehmen, daß der
Gegensatz eines von den ästhetischen Mitteln sey,
gewisse Vorstellungen lebhafter zu machen. Alle
Künste bedienen sich desselben, wiewol auf verschie-
dene Weise.

Es giebt dreyerley Arten des Gegensatzes. Die
erste Art stellt Gegenstände von entgegengesetzter, ein-
ander widerstreitender Beschaffenheit neben einan-
der. Dieses thun dramatische Dichter sehr ofte, da
sie Personen von entgegengesetzten Charaktern zu-
gleich auf die Bühne bringen. Von dieser Art ist
der Gegensatz der Elektra und Chrysothemis in der
Elektra des Sophokles; der Antigone und Jsmene
in dem Trauerspiel Antigone desselben Verfassers;
und in dem Misantrope des Moliere der gefällige
Charakter des Cleantes, und der strenge, etwas mür-
rische des Alcests. Eines der vollkommensten Bey-
spiele dieser Art des Contrasts hat uns Graun in
dem Duetto der Opera Cinna gegeben. Dieser Rö-
mer wirft der Aemilia mit Heftigkeit das Unglück
vor, in welches sie ihn durch ihre Hitze gestürzt hat-
te, diese aber bittet ihren Fehler auf das Zärtlichste
ab: er singt Allegro, sie aber Largo.

Zu dieser Art des Gegensatzes rechnen wir auch
zwey auf einander folgende, entgegengesetzte Zustände
einer einzigen Person; wie die glänzende Glüksee-

ligkeit
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Geg
Gegendruk.
(Zeichnende Kuͤnſte.)

Eine Zeichnung, welche durch das Abdruken von
einer andern entſtanden iſt. Wenn man z. B. einen
friſch gemachten Abdruk, indem die Farbe noch
naß iſt, auf ein weiſſes angefeuchtetes Papier legt
und mit beyden noch einmal durch die Preſſe faͤhrt,
ſo drukt ſich von dem rechten Kupferblatt alles auf
das andre Papier ab, wiewol die Farbe in dieſem
Gegendruk viel ſchwaͤcher wird, als ſie in dem er-
ſten von der Kupferplatte gemachten Abdruk war.

Auf eben dieſe Weiſe kann man von einer mit
Roͤthel, oder fettem Bleyſtift gemachten Zeichnung
einen Gegendruk machen, wenn man ein feuchtes
Blatt Papier darauf legt. Auf dieſe Art kann man
eine Zeichnung verdoppeln, ohne ſie nachzuzeichnen.

Der Gegendruk ſtellt alles in Vergleichung des
Blattes, wovon er gemacht worden, verkehrt vor.
Mithin ſieht man in einem Gegendruk von einem Ku-
pferblatt die Zeichnung ſo, wie ſie auf der Kupferplatte
iſt. Er dienet alſo dem Kupferſtecher zu einer leich-
tern und geſchwindern Vergleichung des Abdruks mit
der Platte, wodurch er unterſucht, ob jeder Zug
und Strich ſich gehoͤrig ausdruke.

Es werden aber auch Gegendruͤcke auf die gegruͤn-
deten Kupferplatten gemacht, damit der Kupferſte-
cher nicht noͤthig habe, auf den Grund zu zeichnen.
Solche Gegendruͤke kommen den Kupferſtechern zu
ſtatten, die in der Zeichnung ſelbſt nicht ſtark genug
ſind. Man zeichnet naͤmlich erſt die Originalzeich-
(*) S. Ab-
zeichnen.
nung durch (*), und druͤkt denn dieſelbe auf den
Firnis des Kupfers ab. Will man aber, daß die
Abdruͤke der Kupferplatte die Originalzeichnung
nicht verkehrt, ſondern auf dieſelbe Art vorſtellen,
ſo muß man von der Durchzeichnung erſt einen Ge-
gendruk machen, und denn dieſen auf den Grund
der Kupferplatte wieder durchzeichnen. Eine aus-
fuͤhrlichere Beſchreibung hievon findet man in des
Abt Pernetti Dictionaire portatif im Artikel Contre-
cpreuve.

Gegenſatz.
(Schoͤne Kuͤnſte.)

Wir druͤken mit dieſem Wort aus, was man ſonſt
mit dem franzoͤſiſchen Wort Contraſt bezeichnet, naͤm-
lich die Erhebung, oder lebhaftere Wuͤrkung eines
Gegenſtandes, in ſo fern ſie aus der Vergleichung
deſſelben, mit einem Gegenſtand der ihm unaͤhnlich
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Geg
iſt, entſteht. Der Gegenſatz iſt alſo einigermaaßen
das Gegentheil der Vergleichung. Dieſe bewuͤrkt
die Lebhaftigkeit der Vorſtellung durch Aehnlichkeit;
der Contraſt bewuͤrkt dieſelbe durch Unaͤhnlichkeit.
Wenn man einen brutalen Menſchen neben einem
kaltſinnigen und gelaſſenen zugleich ſieht, ſo wird
unſre Vorſtellung von der Heftigkeit des einen durch
das gelaſſene Weſen des andern lebhafter. Es iſt
eine bekannte Regel, daß entgegengeſetzte Dinge,
neben einander geſtellt, ſich wechſelsweiſe heben.
Oppoſita juxta ſe poſita magis eluceſcunt. Denn
durch die Gegeneinanderhaltung bekoͤmmt man nicht
allein ein Maaß, wonach man die Groͤße der Ge-
genſtaͤnde ſchaͤtzet, ſondern man bekoͤmmt zugleich
auch einen Begriff von den nicht vorhandenen oder
negativen Eigenſchaften der Dinge. Jn dem vor-
her angefuͤhrten Fall des Gegenſatzes wuͤrde man
nicht nur die Groͤße der Heftigkeit des einen Men-
ſchen, aus dem großen Abſtand von dem Kaltſinn
des andern, lebhafter fuͤhlen, ſondern auch das, was
dem heftigen Menſchen mangelt, laͤßt ſich aus dem
Betragen des ſanftmuͤthigen erkennen.

Hieraus laͤßt ſich uͤberhaupt abnehmen, daß der
Gegenſatz eines von den aͤſthetiſchen Mitteln ſey,
gewiſſe Vorſtellungen lebhafter zu machen. Alle
Kuͤnſte bedienen ſich deſſelben, wiewol auf verſchie-
dene Weiſe.

Es giebt dreyerley Arten des Gegenſatzes. Die
erſte Art ſtellt Gegenſtaͤnde von entgegengeſetzter, ein-
ander widerſtreitender Beſchaffenheit neben einan-
der. Dieſes thun dramatiſche Dichter ſehr ofte, da
ſie Perſonen von entgegengeſetzten Charaktern zu-
gleich auf die Buͤhne bringen. Von dieſer Art iſt
der Gegenſatz der Elektra und Chryſothemis in der
Elektra des Sophokles; der Antigone und Jſmene
in dem Trauerſpiel Antigone deſſelben Verfaſſers;
und in dem Miſantrope des Moliere der gefaͤllige
Charakter des Cleantes, und der ſtrenge, etwas muͤr-
riſche des Alceſts. Eines der vollkommenſten Bey-
ſpiele dieſer Art des Contraſts hat uns Graun in
dem Duetto der Opera Cinna gegeben. Dieſer Roͤ-
mer wirft der Aemilia mit Heftigkeit das Ungluͤck
vor, in welches ſie ihn durch ihre Hitze geſtuͤrzt hat-
te, dieſe aber bittet ihren Fehler auf das Zaͤrtlichſte
ab: er ſingt Allegro, ſie aber Largo.

Zu dieſer Art des Gegenſatzes rechnen wir auch
zwey auf einander folgende, entgegengeſetzte Zuſtaͤnde
einer einzigen Perſon; wie die glaͤnzende Gluͤkſee-

ligkeit
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[440/0452] Geg Geg Gegendruk. (Zeichnende Kuͤnſte.) Eine Zeichnung, welche durch das Abdruken von einer andern entſtanden iſt. Wenn man z. B. einen friſch gemachten Abdruk, indem die Farbe noch naß iſt, auf ein weiſſes angefeuchtetes Papier legt und mit beyden noch einmal durch die Preſſe faͤhrt, ſo drukt ſich von dem rechten Kupferblatt alles auf das andre Papier ab, wiewol die Farbe in dieſem Gegendruk viel ſchwaͤcher wird, als ſie in dem er- ſten von der Kupferplatte gemachten Abdruk war. Auf eben dieſe Weiſe kann man von einer mit Roͤthel, oder fettem Bleyſtift gemachten Zeichnung einen Gegendruk machen, wenn man ein feuchtes Blatt Papier darauf legt. Auf dieſe Art kann man eine Zeichnung verdoppeln, ohne ſie nachzuzeichnen. Der Gegendruk ſtellt alles in Vergleichung des Blattes, wovon er gemacht worden, verkehrt vor. Mithin ſieht man in einem Gegendruk von einem Ku- pferblatt die Zeichnung ſo, wie ſie auf der Kupferplatte iſt. Er dienet alſo dem Kupferſtecher zu einer leich- tern und geſchwindern Vergleichung des Abdruks mit der Platte, wodurch er unterſucht, ob jeder Zug und Strich ſich gehoͤrig ausdruke. Es werden aber auch Gegendruͤcke auf die gegruͤn- deten Kupferplatten gemacht, damit der Kupferſte- cher nicht noͤthig habe, auf den Grund zu zeichnen. Solche Gegendruͤke kommen den Kupferſtechern zu ſtatten, die in der Zeichnung ſelbſt nicht ſtark genug ſind. Man zeichnet naͤmlich erſt die Originalzeich- nung durch (*), und druͤkt denn dieſelbe auf den Firnis des Kupfers ab. Will man aber, daß die Abdruͤke der Kupferplatte die Originalzeichnung nicht verkehrt, ſondern auf dieſelbe Art vorſtellen, ſo muß man von der Durchzeichnung erſt einen Ge- gendruk machen, und denn dieſen auf den Grund der Kupferplatte wieder durchzeichnen. Eine aus- fuͤhrlichere Beſchreibung hievon findet man in des Abt Pernetti Dictionaire portatif im Artikel Contre- cpreuve. (*) S. Ab- zeichnen. Gegenſatz. (Schoͤne Kuͤnſte.) Wir druͤken mit dieſem Wort aus, was man ſonſt mit dem franzoͤſiſchen Wort Contraſt bezeichnet, naͤm- lich die Erhebung, oder lebhaftere Wuͤrkung eines Gegenſtandes, in ſo fern ſie aus der Vergleichung deſſelben, mit einem Gegenſtand der ihm unaͤhnlich iſt, entſteht. Der Gegenſatz iſt alſo einigermaaßen das Gegentheil der Vergleichung. Dieſe bewuͤrkt die Lebhaftigkeit der Vorſtellung durch Aehnlichkeit; der Contraſt bewuͤrkt dieſelbe durch Unaͤhnlichkeit. Wenn man einen brutalen Menſchen neben einem kaltſinnigen und gelaſſenen zugleich ſieht, ſo wird unſre Vorſtellung von der Heftigkeit des einen durch das gelaſſene Weſen des andern lebhafter. Es iſt eine bekannte Regel, daß entgegengeſetzte Dinge, neben einander geſtellt, ſich wechſelsweiſe heben. Oppoſita juxta ſe poſita magis eluceſcunt. Denn durch die Gegeneinanderhaltung bekoͤmmt man nicht allein ein Maaß, wonach man die Groͤße der Ge- genſtaͤnde ſchaͤtzet, ſondern man bekoͤmmt zugleich auch einen Begriff von den nicht vorhandenen oder negativen Eigenſchaften der Dinge. Jn dem vor- her angefuͤhrten Fall des Gegenſatzes wuͤrde man nicht nur die Groͤße der Heftigkeit des einen Men- ſchen, aus dem großen Abſtand von dem Kaltſinn des andern, lebhafter fuͤhlen, ſondern auch das, was dem heftigen Menſchen mangelt, laͤßt ſich aus dem Betragen des ſanftmuͤthigen erkennen. Hieraus laͤßt ſich uͤberhaupt abnehmen, daß der Gegenſatz eines von den aͤſthetiſchen Mitteln ſey, gewiſſe Vorſtellungen lebhafter zu machen. Alle Kuͤnſte bedienen ſich deſſelben, wiewol auf verſchie- dene Weiſe. Es giebt dreyerley Arten des Gegenſatzes. Die erſte Art ſtellt Gegenſtaͤnde von entgegengeſetzter, ein- ander widerſtreitender Beſchaffenheit neben einan- der. Dieſes thun dramatiſche Dichter ſehr ofte, da ſie Perſonen von entgegengeſetzten Charaktern zu- gleich auf die Buͤhne bringen. Von dieſer Art iſt der Gegenſatz der Elektra und Chryſothemis in der Elektra des Sophokles; der Antigone und Jſmene in dem Trauerſpiel Antigone deſſelben Verfaſſers; und in dem Miſantrope des Moliere der gefaͤllige Charakter des Cleantes, und der ſtrenge, etwas muͤr- riſche des Alceſts. Eines der vollkommenſten Bey- ſpiele dieſer Art des Contraſts hat uns Graun in dem Duetto der Opera Cinna gegeben. Dieſer Roͤ- mer wirft der Aemilia mit Heftigkeit das Ungluͤck vor, in welches ſie ihn durch ihre Hitze geſtuͤrzt hat- te, dieſe aber bittet ihren Fehler auf das Zaͤrtlichſte ab: er ſingt Allegro, ſie aber Largo. Zu dieſer Art des Gegenſatzes rechnen wir auch zwey auf einander folgende, entgegengeſetzte Zuſtaͤnde einer einzigen Perſon; wie die glaͤnzende Gluͤkſee- ligkeit

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/452>, abgerufen am 14.05.2024.