Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch] All solcher Wesen wunderbar zu machen. Die Alten,sagt man, konnten ihre Gottheiten dazu brauchen, aber izt wäre es unanständig das höchste Wesen in politische Händel zu verwikeln; also fiele ohne jene allegorische Wesen das wunderbare, das der Epopee so wesentlich ist, weg. Allein wenn dieses seine völlige Richtigkeit hätte, welches wir doch nicht zugeben können, so würde dadurch eine schlechterdings anstößige Sache zwar entschuldiget, aber nicht bewiesen, daß sie schön sey. Das große und wunderbare der Jlias kommt wahrlich nicht blos von der eingemischten Handlung der Götter her, und in Oßians Epopeen sind weder Götter noch allegorische Wesen. Ganz erdichtete Wesen, Sylphen, Genii und Allegorie in zeichnenden Künsten. Eigent- Hier ist die Allegorie die Vorstellung des Allge- All besondern Fall vorstellen, da ein Mensch gerechtoder wolthätig handelt, dies ist der gemeine oder natürliche Ausdruk der zeichnenden Künste; aber die Gerechtigkeit oder die Wolthätigkeit allgemein und durch natürliche Zeichen vorstellen, ist Allego- rie. Sie ist aber nicht blos auf Begriffe einge- schränkt, sondern erstrekt sich auch auf ganze Vor- stellungen, darin verschiedene Begriffe in Eins verbunden werden; sie kann allgemeine Wahrhei- ten vorstellen, und wird dadurch zu einer würkli- chen Sprache. Sie ist von der Sprache wesent- lich durch die Natur der Zeichen unterschieden, die in der Sprache willkührlich, in der Allegorie na- türlich sind. Daher ist die Sprache nur denen verständlich, die von der Bedeutung der Wörter unterrichtet sind, die Allegorie muß ohne Unterricht über die Bedeutung verständlich seyn. Sie ist eine allgemeine Sprache, allen Menschen von Nachden- ken verständlich, wenn sie gleich keinen Unterricht darin gehabt haben. Man muß sie nicht mit der Bildersprache ver- Doch müssen wir, um dem Gebrauch und viel- mit
[Spaltenumbruch] All ſolcher Weſen wunderbar zu machen. Die Alten,ſagt man, konnten ihre Gottheiten dazu brauchen, aber izt waͤre es unanſtaͤndig das hoͤchſte Weſen in politiſche Haͤndel zu verwikeln; alſo fiele ohne jene allegoriſche Weſen das wunderbare, das der Epopee ſo weſentlich iſt, weg. Allein wenn dieſes ſeine voͤllige Richtigkeit haͤtte, welches wir doch nicht zugeben koͤnnen, ſo wuͤrde dadurch eine ſchlechterdings anſtoͤßige Sache zwar entſchuldiget, aber nicht bewieſen, daß ſie ſchoͤn ſey. Das große und wunderbare der Jlias kommt wahrlich nicht blos von der eingemiſchten Handlung der Goͤtter her, und in Oßians Epopeen ſind weder Goͤtter noch allegoriſche Weſen. Ganz erdichtete Weſen, Sylphen, Genii und Allegorie in zeichnenden Kuͤnſten. Eigent- Hier iſt die Allegorie die Vorſtellung des Allge- All beſondern Fall vorſtellen, da ein Menſch gerechtoder wolthaͤtig handelt, dies iſt der gemeine oder natuͤrliche Ausdruk der zeichnenden Kuͤnſte; aber die Gerechtigkeit oder die Wolthaͤtigkeit allgemein und durch natuͤrliche Zeichen vorſtellen, iſt Allego- rie. Sie iſt aber nicht blos auf Begriffe einge- ſchraͤnkt, ſondern erſtrekt ſich auch auf ganze Vor- ſtellungen, darin verſchiedene Begriffe in Eins verbunden werden; ſie kann allgemeine Wahrhei- ten vorſtellen, und wird dadurch zu einer wuͤrkli- chen Sprache. Sie iſt von der Sprache weſent- lich durch die Natur der Zeichen unterſchieden, die in der Sprache willkuͤhrlich, in der Allegorie na- tuͤrlich ſind. Daher iſt die Sprache nur denen verſtaͤndlich, die von der Bedeutung der Woͤrter unterrichtet ſind, die Allegorie muß ohne Unterricht uͤber die Bedeutung verſtaͤndlich ſeyn. Sie iſt eine allgemeine Sprache, allen Menſchen von Nachden- ken verſtaͤndlich, wenn ſie gleich keinen Unterricht darin gehabt haben. Man muß ſie nicht mit der Bilderſprache ver- Doch muͤſſen wir, um dem Gebrauch und viel- mit
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All
All
ſolcher Weſen wunderbar zu machen. Die Alten,
ſagt man, konnten ihre Gottheiten dazu brauchen,
aber izt waͤre es unanſtaͤndig das hoͤchſte Weſen in
politiſche Haͤndel zu verwikeln; alſo fiele ohne
jene allegoriſche Weſen das wunderbare, das der
Epopee ſo weſentlich iſt, weg. Allein wenn dieſes
ſeine voͤllige Richtigkeit haͤtte, welches wir doch
nicht zugeben koͤnnen, ſo wuͤrde dadurch eine
ſchlechterdings anſtoͤßige Sache zwar entſchuldiget,
aber nicht bewieſen, daß ſie ſchoͤn ſey. Das große
und wunderbare der Jlias kommt wahrlich nicht
blos von der eingemiſchten Handlung der Goͤtter
her, und in Oßians Epopeen ſind weder Goͤtter
noch allegoriſche Weſen.
Ganz erdichtete Weſen, Sylphen, Genii und
dergleichen werden uneigentlich allegoriſche Weſen
genennt: ſie ſind es nur in den zeichnenden Kuͤnſten.
Die Betrachtungen uͤber ihren Gebrauch finden
ſich an einem andern Orte, und werden hier nicht
wiederholt. (*)
(*) S. My-
thologie.
Allegorie in zeichnenden Kuͤnſten. Eigent-
lich koͤnnen dieſe Kuͤnſte nur einzele Dinge, und
von Begebenheiten nur das, was auf einmal, oder
in einem untheilbaren Augenblik hervorgebracht
wird, vorſtellen. Durch die Allegorie wird darin
das unmoͤgliche moͤglich gemacht. Allgemeine Be-
griffe werden durch einzele Gegenſtaͤnde, und auf
einander folgende Dinge auf einmal, vorgeſtellt.
Die Allegorie in den zeichnenden Kuͤnſten iſt von
der hoͤchſten Wichtigkeit, weil ſie dadurch ihre
hoͤchſte Kraft erreichen. Zwar giebt es Liebhaber,
die eine ſtarke Abneigung gegen die Allegorie in der
Mahlerey haben; und es iſt nicht zu leugnen, daß
die meiſten allegoriſchen Gemaͤlde dieſe Abneigung
zu rechtfertigen ſcheinen. Entweder ſind ſie ohne
Geiſt und Kraft blos von willkuͤhrlichen, mehr hie-
roglyphiſchen als wuͤrklich allegoriſchen Bildern,
zuſammengeſezt, oder ſo unverſtaͤndlich, daß nur
ein Oedipus ihre Bedeutung errathen kann. Die-
ſes aber beweißt blos, daß ſchlechte Allegorien kei-
nen Werth haben. Wuͤrden Kenner der Natur
und des Alterthums den Kuͤnſtlern beyſtehen, ſo
koͤnnte dieſe Art leicht zu einer groͤßern Vollkom-
menheit gebracht werden. Wir wollen uns deß-
wegen nicht verdrießen laßen, dieſe Sache in die
genauſte Unterſuchung zu nehmen.
Hier iſt die Allegorie die Vorſtellung des Allge-
meinen durch das Einzele oder Beſondere. Einen
beſondern Fall vorſtellen, da ein Menſch gerecht
oder wolthaͤtig handelt, dies iſt der gemeine oder
natuͤrliche Ausdruk der zeichnenden Kuͤnſte; aber
die Gerechtigkeit oder die Wolthaͤtigkeit allgemein
und durch natuͤrliche Zeichen vorſtellen, iſt Allego-
rie. Sie iſt aber nicht blos auf Begriffe einge-
ſchraͤnkt, ſondern erſtrekt ſich auch auf ganze Vor-
ſtellungen, darin verſchiedene Begriffe in Eins
verbunden werden; ſie kann allgemeine Wahrhei-
ten vorſtellen, und wird dadurch zu einer wuͤrkli-
chen Sprache. Sie iſt von der Sprache weſent-
lich durch die Natur der Zeichen unterſchieden, die
in der Sprache willkuͤhrlich, in der Allegorie na-
tuͤrlich ſind. Daher iſt die Sprache nur denen
verſtaͤndlich, die von der Bedeutung der Woͤrter
unterrichtet ſind, die Allegorie muß ohne Unterricht
uͤber die Bedeutung verſtaͤndlich ſeyn. Sie iſt eine
allgemeine Sprache, allen Menſchen von Nachden-
ken verſtaͤndlich, wenn ſie gleich keinen Unterricht
darin gehabt haben.
Man muß ſie nicht mit der Bilderſprache ver-
wechſeln, die durch willkuͤhrliche Zeichen ſpricht.
Dieſer wollen wir den Namen der Hieroglyphen
zueignen. Sie kommt mit der gemeinen Sprache
darin uͤberein, daß ſie nur denen verſtaͤndlich iſt,
welchen die Bedeutung ihrer Zeichen erklaͤrt wor-
den iſt. Es iſt um ſo viel noͤthiger, dieſe Begriffe
genau zu faſſen, da ſie oft ſelbſt von Kennern ver-
wechſelt werden. Ein ſolcher hat, zum Beyſpiel,
eine Erfindung des Auguſtin Carrache, als eine
ſchoͤne Allegorie gelobt, die keine Allegorie, ſondern
eine Hieroglyphe oder ein ſo genanntes Rebus, ein
bloßes Wortſpiel iſt. Das Gemaͤhlde ſtellt den
Gott Pan vor, den Amor uͤberwunden hat, und
dieſes ſoll den allgemeinen Satz ausdruͤken, die
Liebe uͤberwindet alles. (*) Die ganze Erfin-
dung gruͤndet ſich darauf, daß der Name des Got-
tes Pan in der griechiſchen Sprache alles bedeu-
tet. Dergleichen Hieroglyphen ſchließen wir von
der Allegorie aus.
(*) Ri-
chardſon.
Deſcripti-
on des ta-
bleaux
Tom. III.
Part. I. p.
50.
Doch muͤſſen wir, um dem Gebrauch und viel-
leicht auch der Nothwendigkeit etwas nachzugeben,
hieruͤber nicht allzuſtrenge ſeyn. Es iſt manches
hieroglyphiſches Bild ſo unwiederruflich in die Alle-
gorie aufgenommen worden, daß es durchgehends
fuͤr wuͤrklich allegoriſch gehalten wird. Eine weib-
liche Figur mit Spieß und Schild, einem Helm auf
dem Kopfe, auf welchem eine Nachteule ſitzt, und
mit
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