Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch]
Hal Halbschatten. (Mahlerey.) Dieses Wort wird in der Mahlerey gebraucht, aber Haltung des Körpers. (Schöne Künste.) Wir verstehen hier durch dieses Wort das, was Hal ausgedrükt werden; das Aug des Kenners entdektdarin Unschuld oder Frechheit, Güte der Seele oder Härtigkeit des Herzens, edles oder niedriges Wesen. Die Haltung ist gleichsam der Ton der Stellung und der Gebehrden; denn wie einerley Worte, durch den Ton in dem sie gesagt werden, von ganz ver- schiedener Kraft seyn können, so können auch einer- ley Gebehrden durch die Haltung einen verschiedenen Charakter bekommen. So unmöglich es auch ist, das was zur Haltung gehört, zu beschreiben, so klar und gewiß ist doch ihre Würkung auf den feinen Kenner. Sie ist eines der Mittel, wodurch die Seele sichtbar gemacht wird. Jn den zeichnenden Künsten, im Schauspiel, Aber dieser Theil der Kunst liegt ganz außer der rik
[Spaltenumbruch]
Hal Halbſchatten. (Mahlerey.) Dieſes Wort wird in der Mahlerey gebraucht, aber Haltung des Koͤrpers. (Schoͤne Kuͤnſte.) Wir verſtehen hier durch dieſes Wort das, was Hal ausgedruͤkt werden; das Aug des Kenners entdektdarin Unſchuld oder Frechheit, Guͤte der Seele oder Haͤrtigkeit des Herzens, edles oder niedriges Weſen. Die Haltung iſt gleichſam der Ton der Stellung und der Gebehrden; denn wie einerley Worte, durch den Ton in dem ſie geſagt werden, von ganz ver- ſchiedener Kraft ſeyn koͤnnen, ſo koͤnnen auch einer- ley Gebehrden durch die Haltung einen verſchiedenen Charakter bekommen. So unmoͤglich es auch iſt, das was zur Haltung gehoͤrt, zu beſchreiben, ſo klar und gewiß iſt doch ihre Wuͤrkung auf den feinen Kenner. Sie iſt eines der Mittel, wodurch die Seele ſichtbar gemacht wird. Jn den zeichnenden Kuͤnſten, im Schauſpiel, Aber dieſer Theil der Kunſt liegt ganz außer der rik
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Wenn<lb/> ein an der Sonne liegender Koͤrper einen Theil<lb/> ſeiner Flaͤche der Sonne gerade zukehret, daß alle<lb/> Strahlen ſenkrecht, oder beynahe ſo darauf fallen,<lb/> ſo erſcheinet auf dieſer Stelle des Koͤrpers ſeine ei-<lb/> genthuͤmliche Farbe in vollem Lichte; die Theile, die<lb/> von der Sonne weggekehrt ſind, auf die folglich gar<lb/> kein Sonnenſtrahl fallen kann, ſind im voͤlligen<lb/> Schatten; die Stellen aber, wo das Licht ſchief<lb/> auffaͤllt, die von demſelben nur geſtreift werden,<lb/> haben ein merklich vermindertes Sonnenlicht, folg-<lb/> lich wird die eigenthuͤmliche Farbe weniger hell.<lb/> Weil die Farbe weder das volle Licht hat, noch<lb/> in vollem Schatten liegt, ſo giebt man dieſer Ver-<lb/> minderung der Helligkeit der eigenthuͤmlichen Farbe<lb/> den Namen des Halbſchattens. Die Verdunklung<lb/> der eigenthuͤmlichen Farbe kann durch Beymiſchung<lb/> einer dunkeln Farb in die Helle, und alſo durch das<lb/> Brechen der Farben erhalten werden, deswegen<lb/> haben einige das Wort Halbſchatten uͤberhaupt<lb/> von den gebrochenen Farben gebraucht. Andre<lb/> haben uͤberhaupt die Mittelfarben Halbſchatten ge-<lb/> nennt, weil die Verdunklung der hellen Farbe des<lb/> vollen Lichtes auch durch ganze Mittelfarben kann<lb/> erhalten werden. Hieraus laͤßt ſich begreifen, wo-<lb/> her die Ungewißheit und Verwirrung in Anſehung<lb/> der Bedeutung des Worts entſtanden iſt, uͤber wel-<lb/> che der Hr. von Hagedorn, in ſeinen Betrachtungen<lb/><note place="left">(*) S.<lb/> 681.</note>uͤber die Mahlerey, ſich beklagt. 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Nicht darum,<lb/> weil Phidias ein Bildhauer war, konnten die Grie-<lb/> chen etwas von der Majeſtaͤt der Gottheit in dem<lb/> Bilde ſeines Jupiters fuͤhlen, ſondern darum, weil<lb/> er ſeine Seele zur Empfindung der Hoheit des goͤtt-<lb/> lichen Weſens erheben konnte. So zeiget ein Gar-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">rik</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [506/0518]
Hal
Hal
Halbſchatten.
(Mahlerey.)
Dieſes Wort wird in der Mahlerey gebraucht, aber
nicht allemal in dem eigentlichen, ihm zukommen-
den Sinn. Nach ſeiner wahren Bedeutung muß
es bey der Farbengebung von den Stellen gebraucht
werden, wo die eigenthuͤmliche Farbe der Koͤrper,
aus Mangel des vollen Lichts, etwas dunkeler wird,
als ſie da iſt, wo das ganze Licht auffaͤllt. Wenn
ein an der Sonne liegender Koͤrper einen Theil
ſeiner Flaͤche der Sonne gerade zukehret, daß alle
Strahlen ſenkrecht, oder beynahe ſo darauf fallen,
ſo erſcheinet auf dieſer Stelle des Koͤrpers ſeine ei-
genthuͤmliche Farbe in vollem Lichte; die Theile, die
von der Sonne weggekehrt ſind, auf die folglich gar
kein Sonnenſtrahl fallen kann, ſind im voͤlligen
Schatten; die Stellen aber, wo das Licht ſchief
auffaͤllt, die von demſelben nur geſtreift werden,
haben ein merklich vermindertes Sonnenlicht, folg-
lich wird die eigenthuͤmliche Farbe weniger hell.
Weil die Farbe weder das volle Licht hat, noch
in vollem Schatten liegt, ſo giebt man dieſer Ver-
minderung der Helligkeit der eigenthuͤmlichen Farbe
den Namen des Halbſchattens. Die Verdunklung
der eigenthuͤmlichen Farbe kann durch Beymiſchung
einer dunkeln Farb in die Helle, und alſo durch das
Brechen der Farben erhalten werden, deswegen
haben einige das Wort Halbſchatten uͤberhaupt
von den gebrochenen Farben gebraucht. Andre
haben uͤberhaupt die Mittelfarben Halbſchatten ge-
nennt, weil die Verdunklung der hellen Farbe des
vollen Lichtes auch durch ganze Mittelfarben kann
erhalten werden. Hieraus laͤßt ſich begreifen, wo-
her die Ungewißheit und Verwirrung in Anſehung
der Bedeutung des Worts entſtanden iſt, uͤber wel-
che der Hr. von Hagedorn, in ſeinen Betrachtungen
uͤber die Mahlerey, ſich beklagt. (*)
(*) S.
681.
Haltung des Koͤrpers.
(Schoͤne Kuͤnſte.)
Wir verſtehen hier durch dieſes Wort das, was
man gemeiniglich durch das franzoͤſiſche Wort Main-
tien ausdruͤkt, die charakteriſtiſche Art, wie ein Menſch
bey den verſchiedenen Stellungen und Gebehrden
ſich traͤgt, oder haͤlt. Faſt alle Arten des ſittlichen
Charakters koͤnnen, bey jeder Art der Stellung und
Gebehrdung, ſchon durch die Haltung des Koͤrpers
ausgedruͤkt werden; das Aug des Kenners entdekt
darin Unſchuld oder Frechheit, Guͤte der Seele oder
Haͤrtigkeit des Herzens, edles oder niedriges Weſen.
Die Haltung iſt gleichſam der Ton der Stellung und
der Gebehrden; denn wie einerley Worte, durch
den Ton in dem ſie geſagt werden, von ganz ver-
ſchiedener Kraft ſeyn koͤnnen, ſo koͤnnen auch einer-
ley Gebehrden durch die Haltung einen verſchiedenen
Charakter bekommen. So unmoͤglich es auch iſt,
das was zur Haltung gehoͤrt, zu beſchreiben, ſo
klar und gewiß iſt doch ihre Wuͤrkung auf den feinen
Kenner. Sie iſt eines der Mittel, wodurch die
Seele ſichtbar gemacht wird.
Jn den zeichnenden Kuͤnſten, im Schauſpiel,
im Tanz und auch in dem Vortrag der Rede, iſt ſie
von der groͤßten Wichtigkeit, weil ſie uns ofte Dinge
empfinden laͤßt, die uns durch kein anderes Mittel
empfindbar koͤnnten gemacht werden. Es war die
Haltung, aus welcher nach Virgils Beobachtung
Aeneas die Venus erkannte: Inceſſu patuit Dea;
und ſo kennet man den Apollo im Belvedere fuͤr den
Gott des Lichts. Jn Raphaels Geſchichte der Pſyche
erſcheinet dieſe Braut des Amors mehr als einmal
in einer Haltung, die uns ein hoͤchſt naives und lie-
benswuͤrdiges Weſen in ihrem Charakter lebhaft
empfinden laͤßt. Jn den zeichnenden Kuͤnſten iſt die
Vollkommenheit der Haltung das Hoͤchſte der Kunſt,
weil ſie den Figuren das Leben giebt, und durch die-
ſes Leben die Seele ſichtbar macht. Jn den mimi-
ſchen Kuͤnſten iſt es die Haltung allein, die uns an-
ſtatt des Schauſpielers oder Taͤnzers die Perſonen
ſelbſt, die ſie vorſtellen, vors Geſicht bringt und die
hoͤchſte Taͤuſchung bewuͤrkt; in dem Vortrag der
Rede aber koͤnnte ſie allein, wenn auch die Worte
unvernehmlich waͤren, die Ueberzeugung bewuͤrken.
Aber dieſer Theil der Kunſt liegt ganz außer der
Kunſt; nicht der Kuͤnſtler, ſondern der Menſch von
empfindſamer Seele, der jede Aeuſſerung des un-
ſichtbaren Weſens, das den Koͤrper belebt, vermag
zu bemerken und an ſich ſelbſt zu empfinden, ſieht
den Charakter und den beſonderen, aus der Em-
pfindung entſtehenden, inneren Zuſtand des Men-
ſchen in der Haltung des Leibes. Nicht darum,
weil Phidias ein Bildhauer war, konnten die Grie-
chen etwas von der Majeſtaͤt der Gottheit in dem
Bilde ſeines Jupiters fuͤhlen, ſondern darum, weil
er ſeine Seele zur Empfindung der Hoheit des goͤtt-
lichen Weſens erheben konnte. So zeiget ein Gar-
rik
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