Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch] Har einigen im Stand ist. Auch in diesem Sinne sagtman, die Alten haben in ihrer Musik noch keine Har- monie gehabt, um auszudrüken, daß ihre Gesänge nur einstimmig gewesen. 3. Bisweilen drükt man das Wolklingen, das [Abbildung]
obgleich, nach der gewöhnlichen Benennung, beyde Har Deswegen hängt die gute Harmonie eines Accordsnicht blos von der Art der Jntervalle ab, woraus er zusammengesetzt ist, sondern auch von der Höhe oder dem Ort, den jedes Jntervall in der Tonleiter einnihmt. Diese Betrachtung ist besonders bey dem Bau der Orgel von großer Wichtigkeit, weil die gute Veranstalltung der sogenannten Mixturen lediglich darauf gegründet ist. Eine Orgel, darin die Mixtu- ren nicht nach den Regeln der Harmonie, in so fern diese von der eigentlichen Höhe, auf der die Jn- tervalle genommen werden, abhänget, angelegt sind, verliehrt alle Harmonie. Eben so nothwen- dig ist diese Betrachtung auch für den, der den be- gleitenden Generalbaß zu spielen hat. Er kann die beste Harmonie verderben, wenn er die Jntervalle am unrechten Orte nihmt. Was aber hierüber noch besonders anzumerken ist, kommt im Artikel Klang vor. Hier bleibet uns also die nähere Betrachtung der Harmonie übrig, in so fern das Wort in der zweyten der vorher angezeigten Bedeutungen genom- men wird. Es entstehet also die Frage, was für einen An- gothi- Erster Theil. T t t
[Spaltenumbruch] Har einigen im Stand iſt. Auch in dieſem Sinne ſagtman, die Alten haben in ihrer Muſik noch keine Har- monie gehabt, um auszudruͤken, daß ihre Geſaͤnge nur einſtimmig geweſen. 3. Bisweilen druͤkt man das Wolklingen, das [Abbildung]
obgleich, nach der gewoͤhnlichen Benennung, beyde Har Deswegen haͤngt die gute Harmonie eines Accordsnicht blos von der Art der Jntervalle ab, woraus er zuſammengeſetzt iſt, ſondern auch von der Hoͤhe oder dem Ort, den jedes Jntervall in der Tonleiter einnihmt. Dieſe Betrachtung iſt beſonders bey dem Bau der Orgel von großer Wichtigkeit, weil die gute Veranſtalltung der ſogenannten Mixturen lediglich darauf gegruͤndet iſt. Eine Orgel, darin die Mixtu- ren nicht nach den Regeln der Harmonie, in ſo fern dieſe von der eigentlichen Hoͤhe, auf der die Jn- tervalle genommen werden, abhaͤnget, angelegt ſind, verliehrt alle Harmonie. Eben ſo nothwen- dig iſt dieſe Betrachtung auch fuͤr den, der den be- gleitenden Generalbaß zu ſpielen hat. Er kann die beſte Harmonie verderben, wenn er die Jntervalle am unrechten Orte nihmt. Was aber hieruͤber noch beſonders anzumerken iſt, kommt im Artikel Klang vor. Hier bleibet uns alſo die naͤhere Betrachtung der Harmonie uͤbrig, in ſo fern das Wort in der zweyten der vorher angezeigten Bedeutungen genom- men wird. Es entſtehet alſo die Frage, was fuͤr einen An- gothi- Erſter Theil. T t t
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Eine Orgel, darin die Mixtu-<lb/> ren nicht nach den Regeln der Harmonie, in ſo fern<lb/> dieſe von der eigentlichen Hoͤhe, auf der die Jn-<lb/> tervalle genommen werden, abhaͤnget, angelegt<lb/> ſind, verliehrt alle Harmonie. Eben ſo nothwen-<lb/> dig iſt dieſe Betrachtung auch fuͤr den, der den be-<lb/> gleitenden Generalbaß zu ſpielen hat. Er kann die<lb/> beſte Harmonie verderben, wenn er die Jntervalle<lb/> am unrechten Orte nihmt. Was aber hieruͤber noch<lb/> beſonders anzumerken iſt, kommt im Artikel Klang<lb/> vor. Hier bleibet uns alſo die naͤhere Betrachtung<lb/> der Harmonie uͤbrig, in ſo fern das Wort in der<lb/> zweyten der vorher angezeigten Bedeutungen genom-<lb/> men wird.</p><lb/> <p>Es entſtehet alſo die Frage, was fuͤr einen An-<lb/> theil die Harmonie an der Muſik habe. Einige<lb/> Neuere behaupten, ſie ſey das Fundament der gan-<lb/> zen Muſik; ſie glauben es ſey nicht moͤglich, daß<lb/> ohne Kenntnis der Harmonie irgend ein gutes Stuͤk<lb/> koͤnne gemacht werden. 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Har
Har
einigen im Stand iſt. Auch in dieſem Sinne ſagt
man, die Alten haben in ihrer Muſik noch keine Har-
monie gehabt, um auszudruͤken, daß ihre Geſaͤnge
nur einſtimmig geweſen.
3. Bisweilen druͤkt man das Wolklingen, das
gute Conſoniren, oder das Zuſammenfließen meh-
rerer Toͤne in einen, durch das Wort Harmonie
aus. Jn dieſem Sinne haben die Jntervalle und
Accorde, die am meiſten conſoniren, auch die meiſte
Harmonie, und die vollkommenſte Harmonie iſt die,
welche mehrere gleich hohe Toͤne, oder die im Uni-
ſonus oder Einklang geſtimmt ſind, geben; weil ſie
ſo voͤllig in einander fließen, daß man keinen davon
beſonders unterſcheidet. Jn dieſer Bedeutung wird
das Wort außer der Muſik gebraucht, ſo ofte man
ſagen will, daß verſchiedene Dinge ſo genau zuſam-
men ſtimmen, oder ſich ſo vereinigen, daß es ſchweer
iſt einen einzeln Theil beſonders zu unterſcheiden.
Es wird in dem Artikel Klang gezeiget, daß jeder
reine Klang, aus einer Menge einzeler Klaͤnge zu-
ſammen geſetzt ſey, die ſich ſo genau vereinigen,
daß man nur Eines zu hoͤren glaubet. Alſo ſind
in dem Klang einer einzigen Sayte viel Toͤne in eine
vollkommene Harmonie vereiniget. Dieſer Ein-
klang iſt die Einheit, oder der Maaßſtab, nach wel-
chem alle Harmonie, oder alles Conſoniren muß ausge-
meſſen werden. Je deutlicher man in einem Accord
die verſchiedenen Toͤne, woraus er beſteht, unter-
ſcheidet, je weniger hat er Harmonie. Jn dem an-
gefuͤhrten Artikel wird gezeiget, woher dieſes Zu-
ſammenfließen vieler Toͤne in einen entſtehe, und
wodurch es gehindert werde. Dieſe Harmonie be-
ruhet nicht blos auf den Jntervallen, wie man ſie
insgemein, ohne Ruͤkſicht auf die Hoͤhe, auf welcher ſie
in dem Syſtem genommen werden, nennet. Ein
Accord kann mehr oder weniger Harmonie haben,
und doch aus einerley Jntervallen beſtehen. Folgen-
der ſiebenſtimmiger Accord
[Abbildung]
obgleich, nach der gewoͤhnlichen Benennung, beyde
aus einerley Jntervallen zuſammen geſetzt ſind.
Deswegen haͤngt die gute Harmonie eines Accords
nicht blos von der Art der Jntervalle ab, woraus
er zuſammengeſetzt iſt, ſondern auch von der Hoͤhe
oder dem Ort, den jedes Jntervall in der Tonleiter
einnihmt. Dieſe Betrachtung iſt beſonders bey dem
Bau der Orgel von großer Wichtigkeit, weil die gute
Veranſtalltung der ſogenannten Mixturen lediglich
darauf gegruͤndet iſt. Eine Orgel, darin die Mixtu-
ren nicht nach den Regeln der Harmonie, in ſo fern
dieſe von der eigentlichen Hoͤhe, auf der die Jn-
tervalle genommen werden, abhaͤnget, angelegt
ſind, verliehrt alle Harmonie. Eben ſo nothwen-
dig iſt dieſe Betrachtung auch fuͤr den, der den be-
gleitenden Generalbaß zu ſpielen hat. Er kann die
beſte Harmonie verderben, wenn er die Jntervalle
am unrechten Orte nihmt. Was aber hieruͤber noch
beſonders anzumerken iſt, kommt im Artikel Klang
vor. Hier bleibet uns alſo die naͤhere Betrachtung
der Harmonie uͤbrig, in ſo fern das Wort in der
zweyten der vorher angezeigten Bedeutungen genom-
men wird.
Es entſtehet alſo die Frage, was fuͤr einen An-
theil die Harmonie an der Muſik habe. Einige
Neuere behaupten, ſie ſey das Fundament der gan-
zen Muſik; ſie glauben es ſey nicht moͤglich, daß
ohne Kenntnis der Harmonie irgend ein gutes Stuͤk
koͤnne gemacht werden. Allein dieſe Meinung wird
dadurch widerlegt, daß die Alten, wie Hr. Buͤrette
ſehr wahrſcheinlich gezeiget hat, (*) dieſe Harmonie
nicht gekennt und dennoch eine Muſik gehabt haben.
Wem dieſes nicht hinlaͤnglich iſt, der bedenke, daß
viele Voͤlker ohne die geringſte Kenntnis der Har-
monie ihre Tanzgeſaͤnge haben; und daß man uͤber-
haupt eine große Menge ſehr ſchoͤner Tanzmelodien
hat, die ohne Baß und ohne harmoniſche Beglei-
tung ſind. Daß die zum Behuff des Tanzens ge-
machten Geſaͤnge das eigentlichſte Werk der Muſik
ſeyen, daran kann niemand zweifeln, wenn man be-
denkt, daß die Bewegung und der Rhythmus, folg-
lich das, was in der Muſik gerade das Weſentlichſte
iſt, und den Geſang zu einer leidenſchaftlichen Spra-
che macht (*), in denſelben am vollkommenſten beob-
achtet werden. Nun wird Niemand in Abrede ſeyn,
daß nicht fuͤrtreffliche Taͤnze, ohne Ruͤkſicht auf die
Harmonie, gemacht werden. Alſo iſt die Harmonie
zur Muſik nicht nothwendig; die Alten hatten ohne
ſie Geſaͤnge von großer Kraft. Doch wollen wir
eben nicht mit Roußeau behaupten (*) daß ſie eine
gothi-
(*) S. Hiſt.
de l’Acad.
R. des In-
ſcrip. et
Belles-
Lettres An
mdccxvi.
(*) S.
Tanz.
(*) Dict.
Art. Har-
monie.
Erſter Theil. T t t
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