Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

[Spaltenumbruch]

Hau
chen. Darum muß ein Baumeister nicht blos das,
was seiner Kunst eigen ist, verstehen, sondern über-
haupt ein Mann von Verstand und reifer Beur-
theilung seyn, der zugleich die Welt und die Lebens-
art aller Menschen, von welchem Stande sie seyen,
genau kennet. Ein unverständiger, oder ein leicht-
sinniger und ausschweifender Baumeister kann Ge-
legenheit zu mancher Unordnung in der Lebensart
geben, und ein ganz vernünftiger hingegen kann
viel zu einer vernünftigen und ordentlichen Lebens-
art beytragen. Es gehört also mehr dazu, als die
Säulenordnungen, oder eine regelmäßige Fassade
zeichnen zu können.

Wo es irgend angeht, so thut man wol, wenn
die Häuser, deren künftige Besitzer ihres Vermögens
halber auf die vornehmsten Gemächlichkeiten des Le-
bens sehen, so angelegt werden, daß der erste Boden
3 bis 4 Fuß über die Erde zu liegen kömmt, wo-
durch man, außer guten hellen Kellern, schöne halb
unterirrdische Kammern und Küchen zum Gebrauch
der Hauswirthschaft bekömmt.

Die Tiefe solcher Häuser wird am besten von 48
bis 56 Fuß genommen, damit die Hauptzimmer
eine anfehnliche Tiefe bekommen, und in andern Zim-
mern Alcoven, und wo Licht von den Seiten zu ha-
ben ist, kleine Cammern für Bediente, die man zur
Hand haben will, und für andre Bequämlichkeiten,
können angebracht werden. Auch giebt dieses in et-
was großen Häusern zu Rebentreppen die schönste
Gelegenheit. Die meisten neueren Häuser in Ber-
lin haben den Fehler, daß sie nicht tief genug sind,
indem sie nur 44 bis 45 Fuß haben, einige gar
noch weniger.

Häuser, die nur für eine Familie gebauet werden
und dabey eine hinlängliche Breite haben, bekom-
men das beste Ansehen, wenn sie einen hohen Fuß
von 5 bis 6 Schuhen, hernach eine Ordnung von
Pilastern oder Säulen, mit einem Hauptstok und
einer Attique darüber haben.

Bey der merklichen Erhöhung des untersten Bo-
dens über der Erde zeiget sich oft die Schwierigkeit
wegen der Einfahrt durch das Haus in den Hof.
Denn wo man nicht etwa eine Seite frey hat, an
welcher die Durchfahrt kann angelegt werden, so
bleibt kein anderes Mittel übrig, als dieselbe auf
der rechten oder linken Seite der Fassade anzubrin-
gen, wodurch aber meistentheils sehr gegen die Sym-
[Spaltenumbruch]

Hau Hel
metrie angestoßen wird, wie man in Berlin sehr
häufig sehen kann.

Die gute oder schlechte Bauart gemeiner Wohn-
häuser in einer Stadt kann einen merklichen Einfluß
auf den Charakter und die Denkungsart der Ein-
wohner haben, und das, was wir im Artikel Bau-
kunst überhaupt angemerkt haben, kann auf die
Wohnhäuser insbesonder angewendet werden. Es
ist nicht unter der Würde eines Regenten dafür zu
sorgen, daß auch der gemeine Mann ordentlich und
bequäm wohne, und von außen, wenn er durch
die Straßen geht, nichts sehe, das einen offenbaren
Mangel an Ueberlegung anzeige, oder das die Vor-
stellungen von Unordnung und Unverstand so ge-
läufig mache, daß man sich, weil sie gar zu ofte
vorkommen, zuletzt daran gewöhne, und sie nicht
mehr beleidigend finde.

Held.
(Dichtkunst.)

Die Hauptperson des Heldengedichts, wie Achilles
in der Jlias, Ulysses in der Odyssee, Aeneas in der
Aeneis. Man braucht aber dasselbe Wort etwas
uneigentlich auch von der Hauptperson im Drama.
Der Held ist also der, welcher in der Handlung die
Hauptrole hat, auf den das meiste ankömmt und
der alles belebt, der so wol an der Handlung, als
am Ausgang derselben das größte Jntresse hat.

Darum muß der Held des Stüks eine wichtige
Person seyn, deren Gemüthscharakter sich auf eine
merkwürdige Art äußert; und damit die Aufmerk-
samkeit gleich von Anfang des Gedichts gereizt wer-
de, ist es gut, wenn er eine in der Geschichte be-
rühmte Person ist, von deren Charakter uns die
Hauptzüge schon bekannt genug sind. Wäre dieses
nicht, so würde der Dichter Mühe haben seinen Hel-
den gleich von Anfang in dem gehörigen Lichte zu
zeigen. Einige Kunstrichter haben anmerken wol-
len, daß vollkommen tugendhafte Personen sich nicht
schiken, Helden der Epopee oder des Drama zu seyn.
Lord Shaftesbury behauptet so gar, daß ein solcher
Held für die Poesie das größte Ungehener wäre. (*)(*) Cha-
rackteri-
stiks T. III.

S. 262.

Man muß sich aber durch das Ansehen dieses scharf-
sinnigen Mannes nicht verführen lassen. Warum
sollte der sterbende Sokrates (und wo ist wol je-
mals ein vollkommnerer Mann, als dieser gewesen)
als Held des Trauerspiels eine ungeheure Figur
machen? Und wem ist Leonidas in Glovers Epo-

pöe
U u u 3

[Spaltenumbruch]

Hau
chen. Darum muß ein Baumeiſter nicht blos das,
was ſeiner Kunſt eigen iſt, verſtehen, ſondern uͤber-
haupt ein Mann von Verſtand und reifer Beur-
theilung ſeyn, der zugleich die Welt und die Lebens-
art aller Menſchen, von welchem Stande ſie ſeyen,
genau kennet. Ein unverſtaͤndiger, oder ein leicht-
ſinniger und ausſchweifender Baumeiſter kann Ge-
legenheit zu mancher Unordnung in der Lebensart
geben, und ein ganz vernuͤnftiger hingegen kann
viel zu einer vernuͤnftigen und ordentlichen Lebens-
art beytragen. Es gehoͤrt alſo mehr dazu, als die
Saͤulenordnungen, oder eine regelmaͤßige Faſſade
zeichnen zu koͤnnen.

Wo es irgend angeht, ſo thut man wol, wenn
die Haͤuſer, deren kuͤnftige Beſitzer ihres Vermoͤgens
halber auf die vornehmſten Gemaͤchlichkeiten des Le-
bens ſehen, ſo angelegt werden, daß der erſte Boden
3 bis 4 Fuß uͤber die Erde zu liegen koͤmmt, wo-
durch man, außer guten hellen Kellern, ſchoͤne halb
unterirrdiſche Kammern und Kuͤchen zum Gebrauch
der Hauswirthſchaft bekoͤmmt.

Die Tiefe ſolcher Haͤuſer wird am beſten von 48
bis 56 Fuß genommen, damit die Hauptzimmer
eine anfehnliche Tiefe bekommen, und in andern Zim-
mern Alcoven, und wo Licht von den Seiten zu ha-
ben iſt, kleine Cammern fuͤr Bediente, die man zur
Hand haben will, und fuͤr andre Bequaͤmlichkeiten,
koͤnnen angebracht werden. Auch giebt dieſes in et-
was großen Haͤuſern zu Rebentreppen die ſchoͤnſte
Gelegenheit. Die meiſten neueren Haͤuſer in Ber-
lin haben den Fehler, daß ſie nicht tief genug ſind,
indem ſie nur 44 bis 45 Fuß haben, einige gar
noch weniger.

Haͤuſer, die nur fuͤr eine Familie gebauet werden
und dabey eine hinlaͤngliche Breite haben, bekom-
men das beſte Anſehen, wenn ſie einen hohen Fuß
von 5 bis 6 Schuhen, hernach eine Ordnung von
Pilaſtern oder Saͤulen, mit einem Hauptſtok und
einer Attique daruͤber haben.

Bey der merklichen Erhoͤhung des unterſten Bo-
dens uͤber der Erde zeiget ſich oft die Schwierigkeit
wegen der Einfahrt durch das Haus in den Hof.
Denn wo man nicht etwa eine Seite frey hat, an
welcher die Durchfahrt kann angelegt werden, ſo
bleibt kein anderes Mittel uͤbrig, als dieſelbe auf
der rechten oder linken Seite der Faſſade anzubrin-
gen, wodurch aber meiſtentheils ſehr gegen die Sym-
[Spaltenumbruch]

Hau Hel
metrie angeſtoßen wird, wie man in Berlin ſehr
haͤufig ſehen kann.

Die gute oder ſchlechte Bauart gemeiner Wohn-
haͤuſer in einer Stadt kann einen merklichen Einfluß
auf den Charakter und die Denkungsart der Ein-
wohner haben, und das, was wir im Artikel Bau-
kunſt uͤberhaupt angemerkt haben, kann auf die
Wohnhaͤuſer insbeſonder angewendet werden. Es
iſt nicht unter der Wuͤrde eines Regenten dafuͤr zu
ſorgen, daß auch der gemeine Mann ordentlich und
bequaͤm wohne, und von außen, wenn er durch
die Straßen geht, nichts ſehe, das einen offenbaren
Mangel an Ueberlegung anzeige, oder das die Vor-
ſtellungen von Unordnung und Unverſtand ſo ge-
laͤufig mache, daß man ſich, weil ſie gar zu ofte
vorkommen, zuletzt daran gewoͤhne, und ſie nicht
mehr beleidigend finde.

Held.
(Dichtkunſt.)

Die Hauptperſon des Heldengedichts, wie Achilles
in der Jlias, Ulyſſes in der Odyſſee, Aeneas in der
Aeneis. Man braucht aber daſſelbe Wort etwas
uneigentlich auch von der Hauptperſon im Drama.
Der Held iſt alſo der, welcher in der Handlung die
Hauptrole hat, auf den das meiſte ankoͤmmt und
der alles belebt, der ſo wol an der Handlung, als
am Ausgang derſelben das groͤßte Jntreſſe hat.

Darum muß der Held des Stuͤks eine wichtige
Perſon ſeyn, deren Gemuͤthscharakter ſich auf eine
merkwuͤrdige Art aͤußert; und damit die Aufmerk-
ſamkeit gleich von Anfang des Gedichts gereizt wer-
de, iſt es gut, wenn er eine in der Geſchichte be-
ruͤhmte Perſon iſt, von deren Charakter uns die
Hauptzuͤge ſchon bekannt genug ſind. Waͤre dieſes
nicht, ſo wuͤrde der Dichter Muͤhe haben ſeinen Hel-
den gleich von Anfang in dem gehoͤrigen Lichte zu
zeigen. Einige Kunſtrichter haben anmerken wol-
len, daß vollkommen tugendhafte Perſonen ſich nicht
ſchiken, Helden der Epopee oder des Drama zu ſeyn.
Lord Shaftesbury behauptet ſo gar, daß ein ſolcher
Held fuͤr die Poeſie das groͤßte Ungehener waͤre. (*)(*) Cha-
rackteri-
ſtiks T. III.

S. 262.

Man muß ſich aber durch das Anſehen dieſes ſcharf-
ſinnigen Mannes nicht verfuͤhren laſſen. Warum
ſollte der ſterbende Sokrates (und wo iſt wol je-
mals ein vollkommnerer Mann, als dieſer geweſen)
als Held des Trauerſpiels eine ungeheure Figur
machen? Und wem iſt Leonidas in Glovers Epo-

poͤe
U u u 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0537" n="525"/><cb/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Hau</hi></fw><lb/>
chen. Darum muß ein Baumei&#x017F;ter nicht blos das,<lb/>
was &#x017F;einer Kun&#x017F;t eigen i&#x017F;t, ver&#x017F;tehen, &#x017F;ondern u&#x0364;ber-<lb/>
haupt ein Mann von Ver&#x017F;tand und reifer Beur-<lb/>
theilung &#x017F;eyn, der zugleich die Welt und die Lebens-<lb/>
art aller Men&#x017F;chen, von welchem Stande &#x017F;ie &#x017F;eyen,<lb/>
genau kennet. Ein unver&#x017F;ta&#x0364;ndiger, oder ein leicht-<lb/>
&#x017F;inniger und aus&#x017F;chweifender Baumei&#x017F;ter kann Ge-<lb/>
legenheit zu mancher Unordnung in der Lebensart<lb/>
geben, und ein ganz vernu&#x0364;nftiger hingegen kann<lb/>
viel zu einer vernu&#x0364;nftigen und ordentlichen Lebens-<lb/>
art beytragen. Es geho&#x0364;rt al&#x017F;o mehr dazu, als die<lb/>
Sa&#x0364;ulenordnungen, oder eine regelma&#x0364;ßige Fa&#x017F;&#x017F;ade<lb/>
zeichnen zu ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
          <p>Wo es irgend angeht, &#x017F;o thut man wol, wenn<lb/>
die Ha&#x0364;u&#x017F;er, deren ku&#x0364;nftige Be&#x017F;itzer ihres Vermo&#x0364;gens<lb/>
halber auf die vornehm&#x017F;ten Gema&#x0364;chlichkeiten des Le-<lb/>
bens &#x017F;ehen, &#x017F;o angelegt werden, daß der er&#x017F;te Boden<lb/>
3 bis 4 Fuß u&#x0364;ber die Erde zu liegen ko&#x0364;mmt, wo-<lb/>
durch man, außer guten hellen Kellern, &#x017F;cho&#x0364;ne halb<lb/>
unterirrdi&#x017F;che Kammern und Ku&#x0364;chen zum Gebrauch<lb/>
der Hauswirth&#x017F;chaft beko&#x0364;mmt.</p><lb/>
          <p>Die Tiefe &#x017F;olcher Ha&#x0364;u&#x017F;er wird am be&#x017F;ten von 48<lb/>
bis 56 Fuß genommen, damit die Hauptzimmer<lb/>
eine anfehnliche Tiefe bekommen, und in andern Zim-<lb/>
mern Alcoven, und wo Licht von den Seiten zu ha-<lb/>
ben i&#x017F;t, kleine Cammern fu&#x0364;r Bediente, die man zur<lb/>
Hand haben will, und fu&#x0364;r andre Bequa&#x0364;mlichkeiten,<lb/>
ko&#x0364;nnen angebracht werden. Auch giebt die&#x017F;es in et-<lb/>
was großen Ha&#x0364;u&#x017F;ern zu Rebentreppen die &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te<lb/>
Gelegenheit. Die mei&#x017F;ten neueren Ha&#x0364;u&#x017F;er in Ber-<lb/>
lin haben den Fehler, daß &#x017F;ie nicht tief genug &#x017F;ind,<lb/>
indem &#x017F;ie nur 44 bis 45 Fuß haben, einige gar<lb/>
noch weniger.</p><lb/>
          <p>Ha&#x0364;u&#x017F;er, die nur fu&#x0364;r eine Familie gebauet werden<lb/>
und dabey eine hinla&#x0364;ngliche Breite haben, bekom-<lb/>
men das be&#x017F;te An&#x017F;ehen, wenn &#x017F;ie einen hohen Fuß<lb/>
von 5 bis 6 Schuhen, hernach eine Ordnung von<lb/>
Pila&#x017F;tern oder Sa&#x0364;ulen, mit einem Haupt&#x017F;tok und<lb/>
einer Attique daru&#x0364;ber haben.</p><lb/>
          <p>Bey der merklichen Erho&#x0364;hung des unter&#x017F;ten Bo-<lb/>
dens u&#x0364;ber der Erde zeiget &#x017F;ich oft die Schwierigkeit<lb/>
wegen der Einfahrt durch das Haus in den Hof.<lb/>
Denn wo man nicht etwa eine Seite frey hat, an<lb/>
welcher die Durchfahrt kann angelegt werden, &#x017F;o<lb/>
bleibt kein anderes Mittel u&#x0364;brig, als die&#x017F;elbe auf<lb/>
der rechten oder linken Seite der Fa&#x017F;&#x017F;ade anzubrin-<lb/>
gen, wodurch aber mei&#x017F;tentheils &#x017F;ehr gegen die Sym-<lb/><cb/>
<fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Hau Hel</hi></fw><lb/>
metrie ange&#x017F;toßen wird, wie man in Berlin &#x017F;ehr<lb/>
ha&#x0364;ufig &#x017F;ehen kann.</p><lb/>
          <p>Die gute oder &#x017F;chlechte Bauart gemeiner Wohn-<lb/>
ha&#x0364;u&#x017F;er in einer Stadt kann einen merklichen Einfluß<lb/>
auf den Charakter und die Denkungsart der Ein-<lb/>
wohner haben, und das, was wir im Artikel Bau-<lb/>
kun&#x017F;t u&#x0364;berhaupt angemerkt haben, kann auf die<lb/>
Wohnha&#x0364;u&#x017F;er insbe&#x017F;onder angewendet werden. Es<lb/>
i&#x017F;t nicht unter der Wu&#x0364;rde eines Regenten dafu&#x0364;r zu<lb/>
&#x017F;orgen, daß auch der gemeine Mann ordentlich und<lb/>
bequa&#x0364;m wohne, und von außen, wenn er durch<lb/>
die Straßen geht, nichts &#x017F;ehe, das einen offenbaren<lb/>
Mangel an Ueberlegung anzeige, oder das die Vor-<lb/>
&#x017F;tellungen von Unordnung und Unver&#x017F;tand &#x017F;o ge-<lb/>
la&#x0364;ufig mache, daß man &#x017F;ich, weil &#x017F;ie gar zu ofte<lb/>
vorkommen, zuletzt daran gewo&#x0364;hne, und &#x017F;ie nicht<lb/>
mehr beleidigend finde.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#g">Held.</hi><lb/>
(Dichtkun&#x017F;t.)</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">D</hi>ie Hauptper&#x017F;on des Heldengedichts, wie Achilles<lb/>
in der Jlias, Uly&#x017F;&#x017F;es in der Ody&#x017F;&#x017F;ee, Aeneas in der<lb/>
Aeneis. Man braucht aber da&#x017F;&#x017F;elbe Wort etwas<lb/>
uneigentlich auch von der Hauptper&#x017F;on im Drama.<lb/>
Der Held i&#x017F;t al&#x017F;o der, welcher in der Handlung die<lb/>
Hauptrole hat, auf den das mei&#x017F;te anko&#x0364;mmt und<lb/>
der alles belebt, der &#x017F;o wol an der Handlung, als<lb/>
am Ausgang der&#x017F;elben das gro&#x0364;ßte Jntre&#x017F;&#x017F;e hat.</p><lb/>
          <p>Darum muß der Held des Stu&#x0364;ks eine wichtige<lb/>
Per&#x017F;on &#x017F;eyn, deren Gemu&#x0364;thscharakter &#x017F;ich auf eine<lb/>
merkwu&#x0364;rdige Art a&#x0364;ußert; und damit die Aufmerk-<lb/>
&#x017F;amkeit gleich von Anfang des Gedichts gereizt wer-<lb/>
de, i&#x017F;t es gut, wenn er eine in der Ge&#x017F;chichte be-<lb/>
ru&#x0364;hmte Per&#x017F;on i&#x017F;t, von deren Charakter uns die<lb/>
Hauptzu&#x0364;ge &#x017F;chon bekannt genug &#x017F;ind. Wa&#x0364;re die&#x017F;es<lb/>
nicht, &#x017F;o wu&#x0364;rde der Dichter Mu&#x0364;he haben &#x017F;einen Hel-<lb/>
den gleich von Anfang in dem geho&#x0364;rigen Lichte zu<lb/>
zeigen. Einige Kun&#x017F;trichter haben anmerken wol-<lb/>
len, daß vollkommen tugendhafte Per&#x017F;onen &#x017F;ich nicht<lb/>
&#x017F;chiken, Helden der Epopee oder des Drama zu &#x017F;eyn.<lb/>
Lord <hi rendition="#fr">Shaftesbury</hi> behauptet &#x017F;o gar, daß ein &#x017F;olcher<lb/>
Held fu&#x0364;r die Poe&#x017F;ie das gro&#x0364;ßte Ungehener wa&#x0364;re. (*)<note place="right">(*) <hi rendition="#aq">Cha-<lb/>
rackteri-<lb/>
&#x017F;tiks T. III.</hi><lb/>
S. 262.</note><lb/>
Man muß &#x017F;ich aber durch das An&#x017F;ehen die&#x017F;es &#x017F;charf-<lb/>
&#x017F;innigen Mannes nicht verfu&#x0364;hren la&#x017F;&#x017F;en. Warum<lb/>
&#x017F;ollte der &#x017F;terbende Sokrates (und wo i&#x017F;t wol je-<lb/>
mals ein vollkommnerer Mann, als die&#x017F;er gewe&#x017F;en)<lb/>
als Held des Trauer&#x017F;piels eine ungeheure Figur<lb/>
machen? Und wem i&#x017F;t Leonidas in <hi rendition="#fr">Glovers</hi> Epo-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">U u u 3</fw><fw place="bottom" type="catch">po&#x0364;e</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[525/0537] Hau Hau Hel chen. Darum muß ein Baumeiſter nicht blos das, was ſeiner Kunſt eigen iſt, verſtehen, ſondern uͤber- haupt ein Mann von Verſtand und reifer Beur- theilung ſeyn, der zugleich die Welt und die Lebens- art aller Menſchen, von welchem Stande ſie ſeyen, genau kennet. Ein unverſtaͤndiger, oder ein leicht- ſinniger und ausſchweifender Baumeiſter kann Ge- legenheit zu mancher Unordnung in der Lebensart geben, und ein ganz vernuͤnftiger hingegen kann viel zu einer vernuͤnftigen und ordentlichen Lebens- art beytragen. Es gehoͤrt alſo mehr dazu, als die Saͤulenordnungen, oder eine regelmaͤßige Faſſade zeichnen zu koͤnnen. Wo es irgend angeht, ſo thut man wol, wenn die Haͤuſer, deren kuͤnftige Beſitzer ihres Vermoͤgens halber auf die vornehmſten Gemaͤchlichkeiten des Le- bens ſehen, ſo angelegt werden, daß der erſte Boden 3 bis 4 Fuß uͤber die Erde zu liegen koͤmmt, wo- durch man, außer guten hellen Kellern, ſchoͤne halb unterirrdiſche Kammern und Kuͤchen zum Gebrauch der Hauswirthſchaft bekoͤmmt. Die Tiefe ſolcher Haͤuſer wird am beſten von 48 bis 56 Fuß genommen, damit die Hauptzimmer eine anfehnliche Tiefe bekommen, und in andern Zim- mern Alcoven, und wo Licht von den Seiten zu ha- ben iſt, kleine Cammern fuͤr Bediente, die man zur Hand haben will, und fuͤr andre Bequaͤmlichkeiten, koͤnnen angebracht werden. Auch giebt dieſes in et- was großen Haͤuſern zu Rebentreppen die ſchoͤnſte Gelegenheit. Die meiſten neueren Haͤuſer in Ber- lin haben den Fehler, daß ſie nicht tief genug ſind, indem ſie nur 44 bis 45 Fuß haben, einige gar noch weniger. Haͤuſer, die nur fuͤr eine Familie gebauet werden und dabey eine hinlaͤngliche Breite haben, bekom- men das beſte Anſehen, wenn ſie einen hohen Fuß von 5 bis 6 Schuhen, hernach eine Ordnung von Pilaſtern oder Saͤulen, mit einem Hauptſtok und einer Attique daruͤber haben. Bey der merklichen Erhoͤhung des unterſten Bo- dens uͤber der Erde zeiget ſich oft die Schwierigkeit wegen der Einfahrt durch das Haus in den Hof. Denn wo man nicht etwa eine Seite frey hat, an welcher die Durchfahrt kann angelegt werden, ſo bleibt kein anderes Mittel uͤbrig, als dieſelbe auf der rechten oder linken Seite der Faſſade anzubrin- gen, wodurch aber meiſtentheils ſehr gegen die Sym- metrie angeſtoßen wird, wie man in Berlin ſehr haͤufig ſehen kann. Die gute oder ſchlechte Bauart gemeiner Wohn- haͤuſer in einer Stadt kann einen merklichen Einfluß auf den Charakter und die Denkungsart der Ein- wohner haben, und das, was wir im Artikel Bau- kunſt uͤberhaupt angemerkt haben, kann auf die Wohnhaͤuſer insbeſonder angewendet werden. Es iſt nicht unter der Wuͤrde eines Regenten dafuͤr zu ſorgen, daß auch der gemeine Mann ordentlich und bequaͤm wohne, und von außen, wenn er durch die Straßen geht, nichts ſehe, das einen offenbaren Mangel an Ueberlegung anzeige, oder das die Vor- ſtellungen von Unordnung und Unverſtand ſo ge- laͤufig mache, daß man ſich, weil ſie gar zu ofte vorkommen, zuletzt daran gewoͤhne, und ſie nicht mehr beleidigend finde. Held. (Dichtkunſt.) Die Hauptperſon des Heldengedichts, wie Achilles in der Jlias, Ulyſſes in der Odyſſee, Aeneas in der Aeneis. Man braucht aber daſſelbe Wort etwas uneigentlich auch von der Hauptperſon im Drama. Der Held iſt alſo der, welcher in der Handlung die Hauptrole hat, auf den das meiſte ankoͤmmt und der alles belebt, der ſo wol an der Handlung, als am Ausgang derſelben das groͤßte Jntreſſe hat. Darum muß der Held des Stuͤks eine wichtige Perſon ſeyn, deren Gemuͤthscharakter ſich auf eine merkwuͤrdige Art aͤußert; und damit die Aufmerk- ſamkeit gleich von Anfang des Gedichts gereizt wer- de, iſt es gut, wenn er eine in der Geſchichte be- ruͤhmte Perſon iſt, von deren Charakter uns die Hauptzuͤge ſchon bekannt genug ſind. Waͤre dieſes nicht, ſo wuͤrde der Dichter Muͤhe haben ſeinen Hel- den gleich von Anfang in dem gehoͤrigen Lichte zu zeigen. Einige Kunſtrichter haben anmerken wol- len, daß vollkommen tugendhafte Perſonen ſich nicht ſchiken, Helden der Epopee oder des Drama zu ſeyn. Lord Shaftesbury behauptet ſo gar, daß ein ſolcher Held fuͤr die Poeſie das groͤßte Ungehener waͤre. (*) Man muß ſich aber durch das Anſehen dieſes ſcharf- ſinnigen Mannes nicht verfuͤhren laſſen. Warum ſollte der ſterbende Sokrates (und wo iſt wol je- mals ein vollkommnerer Mann, als dieſer geweſen) als Held des Trauerſpiels eine ungeheure Figur machen? Und wem iſt Leonidas in Glovers Epo- poͤe (*) Cha- rackteri- ſtiks T. III. S. 262. U u u 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/537
Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 525. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/537>, abgerufen am 22.11.2024.