Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch]
All -- mediocribus esse poetis Eben deßwegen, weil die reine Allegorie, wenn sie Der Gebrauch der Allegorie ist vielfältig. Die Die Alten haben die Allegorie häuffig zur Bezeich- Jnzwischen haben die hieroglyphischen und alle- All Am öftersten kömmt die Allegorie auf Schau- Schau- münze. Eine ähnliche Bewandtniß hat es mit dem Ge- Dahin gehören also auch die Statuen der heid- Statuen. Endlich macht auch die Mahlerey für sich selbst stärker
[Spaltenumbruch]
All — mediocribus eſſe poetis Eben deßwegen, weil die reine Allegorie, wenn ſie Der Gebrauch der Allegorie iſt vielfaͤltig. Die Die Alten haben die Allegorie haͤuffig zur Bezeich- Jnzwiſchen haben die hieroglyphiſchen und alle- All Am oͤfterſten koͤmmt die Allegorie auf Schau- Schau- muͤnze. Eine aͤhnliche Bewandtniß hat es mit dem Ge- Dahin gehoͤren alſo auch die Statuen der heid- Statuen. Endlich macht auch die Mahlerey fuͤr ſich ſelbſt ſtaͤrker
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0054" n="42"/> <cb/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">All</hi> </fw><lb/> <cit> <quote>— <hi rendition="#aq">mediocribus eſſe poetis<lb/> Non homines, non dii, non conceſſere columnae.</hi></quote> </cit><lb/> <p>Eben deßwegen, weil die reine Allegorie, wenn ſie<lb/> gut iſt, das Hoͤchſte der Kunſt ausmacht, ſo wird<lb/> die ſchlechte Allegorie zum veraͤchtlichſten derſelben.</p><lb/> <p>Der Gebrauch der Allegorie iſt vielfaͤltig. Die<lb/> Baukunſt bedient ſich ihrer, um ihren Werken Zei-<lb/> chen ihrer Beſtimmung einzupraͤgen. So wird ſie<lb/> in den Verzierungen des doriſchen Frieſes gebraucht,<lb/> wo die Widderkoͤpfe und Opferſchaalen ſich zu<lb/> Tempeln; Schilder und Waffen, wie an dem Fries<lb/> des Berliniſchen Zeughauſes, zu Kriegsgebaͤuden;<lb/> Wapenſchilder, Zepter und Cronen, wie an dem<lb/> Fries des Berliniſchen Schloßes, zu Pallaͤſten der<lb/> Monarchen, ſchiken. Durch dergleichen al-<lb/> legoriſche Verzierungen, die an verſchiedenen Theilen<lb/> der Gebaͤude anzubringen ſind, koͤnnen ſelbige<lb/> auch zugleich einen beſtimmten Charakter, und, wenn<lb/> es erlaubt iſt ſich ſo auszudruͤken, ihre eigentliche<lb/> Phyſionomie bekommen. Jn dieſer Kunſt aber kann<lb/> die Allegorie nicht nur in Zierrathen, ſondern auch<lb/> in ganzen Werken angebracht werden. Statuen<lb/> und Gemaͤlde, in Tempeln, in Gerichtshoͤfen und<lb/> andern oͤffentlichen Gebaͤuden, koͤnnen mit großem<lb/> Vortheil angebracht werden, um den Hauptzwek<lb/><note place="left">(*) S.<lb/> Kuͤnſte.</note>der Kuͤnſte zu erreichen. (*)</p><lb/> <p>Die Alten haben die Allegorie haͤuffig zur Bezeich-<lb/> nung ihrer Geraͤthſchaften angebracht; Leuchter, Lam-<lb/> pen, alle Arten der Gefaͤße, Tiſche, Stuͤhle, wur-<lb/> den vielfaͤltig mit allegoriſchen Bildern ausgeziert.<lb/> Solche Allegorien haben freylich keinen betraͤchtli-<lb/> chen Nutzen; ſie dienen inzwiſchen doch dazu, daß<lb/> ſie auch die gemeineſten Sachen intereſſant machen;<lb/> daß die Vorſtellungskraft auch bey den gleichguͤl-<lb/> tigſten Beſchaͤfftigungen etwas gereizt wird; wel-<lb/><note place="left">(*) Eben-<lb/> daſ.</note>ches doch auch ein Zwek der ſchoͤnen Kuͤnſte iſt. (*)</p><lb/> <p>Jnzwiſchen haben die hieroglyphiſchen und alle-<lb/> goriſchen Verzierungen ſolcher, zum taͤglichen Ge-<lb/> brauche dienender, Sachen den wichtigen Nutzen,<lb/> daß ſie dem Mahler ſehr oft in ſeinen allegoriſchen<lb/> Arbeiten große Dienſte thun, die Perſonen und<lb/> andre allegoriſche Gegenſtaͤnde zu bezeichnen. Ein<lb/> Schaͤferſtab auf einem Grabmal kann ſchon hin-<lb/> laͤnglich ſeyn, die Perſon anzudeuten, die darun-<lb/> ter liegt, und bey Vorſtellung einer Handlung kann<lb/> oft eine ſolche Kleinigkeit der ganzen Vorſtellung<lb/> eine Deutlichkeit geben, die ſie ſonſt nicht haben<lb/> wuͤrde.</p><lb/> <cb/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">All</hi> </fw><lb/> <p>Am oͤfterſten koͤmmt die Allegorie auf Schau-<lb/> muͤnzen vor; wiewol ſie, ſeitdem die Schrift erfun-<lb/> den worden, dort am wenigſten noͤthig iſt. Denn<lb/> in den meiſten Faͤllen wird die Sache, die man ſa-<lb/> gen will, durch wenig der Muͤnze eingepraͤgte<lb/> Buchſtaben beſſer geſagt, als durch Bilder. Wich-<lb/> tiger iſt ſie, wenn der Kuͤnſtler ſo gluͤklich iſt, eine<lb/> viel bedeutende Allegorie auf ſeine Muͤnze zu brin-<lb/> gen, die das, was die Schrift blos anzeiget, auf<lb/> eine lebhafte und umſtaͤndliche Weiſe ausdruͤkt. Der-<lb/> gleichen Vorſtellungen aber ſind ſelten. (*)</p> <note place="right">(*) S.<lb/> Schau-<lb/> muͤnze.</note><lb/> <p>Eine aͤhnliche Bewandtniß hat es mit dem Ge-<lb/> brauch der Allegorie auf Grabmaͤlern, und auf<lb/> Ehrenmaͤlern. Blos einige hiſtoriſche Umſtaͤnde zu<lb/> bezeichnen, kann die Schrift vortheilhafter, als ein<lb/> Bild ſeyn. Der auf dem Grabſtein des Dio-<lb/> genes eingegrabene Name haͤtte ſich eben ſo gewiß<lb/> darauf erhalten, als das Bild eines Hundes, und<lb/> haͤtte gewiſſer die Perſon bezeichnet. Nur eine<lb/> aberglaͤubiſche Verehrung der Alten kann derglei-<lb/> chen Allegorien auf Denkmaͤlern ſchoͤn finden. (*)<note place="right">(*) S.<lb/> Winkel-<lb/> mann von<lb/> der Alleg.<lb/><hi rendition="#aq">V.</hi> Cap.<lb/> Beyſpiele<lb/> von allego-<lb/> riſchen<lb/> Vorſtellun-<lb/> gen auf<lb/> Grabmaͤ-<lb/> lern findet<lb/> man haͤufig<lb/> beym Pau-<lb/> ſanias.</note><lb/> Soll ſie auf ſolchen Werken einen Werth haben, ſo<lb/> muß ſie vielbedeutend ſeyn, und mehr ſagen, als<lb/> eine Schrift haͤtte ſagen koͤnnen, oder es mit groͤſ-<lb/> ſerer Kraft ſagen. Ein ſehr ſchoͤnes Beyſpiel eines<lb/> Denkmals, das mehr ſagt, als eine Schrift wuͤrde<lb/> geſagt haben, iſt das, welches der Bildhauer <hi rendition="#fr">Nael</hi><lb/> in der Kirche zu Hindelbank, einem Dorfe unweit<lb/> Bern in der Schweiz, geſetzt hat. (*) Ueberhaupt<lb/> koͤnnen diejenigen Vorſtellungen die kraͤftigſte Be-<lb/> deutung haben, in denen Figuren von menſch-<lb/> licher Bildung angebracht ſind; weil der Aus-<note place="right">(*) S.<lb/> Denkmal.</note><lb/> druk des Geſichtes allein ofte mehr ſagen kann,<lb/> als alle Worte.</p><lb/> <p>Dahin gehoͤren alſo auch die Statuen der heid-<lb/> niſchen Gottheiten, welche, wie ſchon geſagt, im<lb/> Grunde nichts als Allegorien ſind, und die entwe-<lb/> der in Tempeln, oder an andern oͤffentlichen Or-<lb/> ten, als ſymboliſche Vorſtellungen zu beſtimmtem<lb/> Endzwek aufgeſtellt werden. (*)</p> <note place="right">(*) S.<lb/> Statuen.</note><lb/> <p>Endlich macht auch die Mahlerey fuͤr ſich ſelbſt<lb/> einen vielfaͤltigen Gebrauch von der Allegorie, durch<lb/> ganz allegoriſche Gemaͤhlde, oder durch Einmiſchung<lb/> der Allegorie in hiſtoriſche Vorſtellungen. Die er-<lb/> ſtern koͤnnen einen großen Werth bekommen,<lb/> wenn ſie wichtige Gegenſtaͤnde des Geiſtes oder<lb/> des Herzens, auf eine hoͤchſt lebhafte Art dem<lb/> Auge darſtellen, um den Eindruk derſelben deſto<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ſtaͤrker</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [42/0054]
All
All
— mediocribus eſſe poetis
Non homines, non dii, non conceſſere columnae.
Eben deßwegen, weil die reine Allegorie, wenn ſie
gut iſt, das Hoͤchſte der Kunſt ausmacht, ſo wird
die ſchlechte Allegorie zum veraͤchtlichſten derſelben.
Der Gebrauch der Allegorie iſt vielfaͤltig. Die
Baukunſt bedient ſich ihrer, um ihren Werken Zei-
chen ihrer Beſtimmung einzupraͤgen. So wird ſie
in den Verzierungen des doriſchen Frieſes gebraucht,
wo die Widderkoͤpfe und Opferſchaalen ſich zu
Tempeln; Schilder und Waffen, wie an dem Fries
des Berliniſchen Zeughauſes, zu Kriegsgebaͤuden;
Wapenſchilder, Zepter und Cronen, wie an dem
Fries des Berliniſchen Schloßes, zu Pallaͤſten der
Monarchen, ſchiken. Durch dergleichen al-
legoriſche Verzierungen, die an verſchiedenen Theilen
der Gebaͤude anzubringen ſind, koͤnnen ſelbige
auch zugleich einen beſtimmten Charakter, und, wenn
es erlaubt iſt ſich ſo auszudruͤken, ihre eigentliche
Phyſionomie bekommen. Jn dieſer Kunſt aber kann
die Allegorie nicht nur in Zierrathen, ſondern auch
in ganzen Werken angebracht werden. Statuen
und Gemaͤlde, in Tempeln, in Gerichtshoͤfen und
andern oͤffentlichen Gebaͤuden, koͤnnen mit großem
Vortheil angebracht werden, um den Hauptzwek
der Kuͤnſte zu erreichen. (*)
(*) S.
Kuͤnſte.
Die Alten haben die Allegorie haͤuffig zur Bezeich-
nung ihrer Geraͤthſchaften angebracht; Leuchter, Lam-
pen, alle Arten der Gefaͤße, Tiſche, Stuͤhle, wur-
den vielfaͤltig mit allegoriſchen Bildern ausgeziert.
Solche Allegorien haben freylich keinen betraͤchtli-
chen Nutzen; ſie dienen inzwiſchen doch dazu, daß
ſie auch die gemeineſten Sachen intereſſant machen;
daß die Vorſtellungskraft auch bey den gleichguͤl-
tigſten Beſchaͤfftigungen etwas gereizt wird; wel-
ches doch auch ein Zwek der ſchoͤnen Kuͤnſte iſt. (*)
(*) Eben-
daſ.
Jnzwiſchen haben die hieroglyphiſchen und alle-
goriſchen Verzierungen ſolcher, zum taͤglichen Ge-
brauche dienender, Sachen den wichtigen Nutzen,
daß ſie dem Mahler ſehr oft in ſeinen allegoriſchen
Arbeiten große Dienſte thun, die Perſonen und
andre allegoriſche Gegenſtaͤnde zu bezeichnen. Ein
Schaͤferſtab auf einem Grabmal kann ſchon hin-
laͤnglich ſeyn, die Perſon anzudeuten, die darun-
ter liegt, und bey Vorſtellung einer Handlung kann
oft eine ſolche Kleinigkeit der ganzen Vorſtellung
eine Deutlichkeit geben, die ſie ſonſt nicht haben
wuͤrde.
Am oͤfterſten koͤmmt die Allegorie auf Schau-
muͤnzen vor; wiewol ſie, ſeitdem die Schrift erfun-
den worden, dort am wenigſten noͤthig iſt. Denn
in den meiſten Faͤllen wird die Sache, die man ſa-
gen will, durch wenig der Muͤnze eingepraͤgte
Buchſtaben beſſer geſagt, als durch Bilder. Wich-
tiger iſt ſie, wenn der Kuͤnſtler ſo gluͤklich iſt, eine
viel bedeutende Allegorie auf ſeine Muͤnze zu brin-
gen, die das, was die Schrift blos anzeiget, auf
eine lebhafte und umſtaͤndliche Weiſe ausdruͤkt. Der-
gleichen Vorſtellungen aber ſind ſelten. (*)
Eine aͤhnliche Bewandtniß hat es mit dem Ge-
brauch der Allegorie auf Grabmaͤlern, und auf
Ehrenmaͤlern. Blos einige hiſtoriſche Umſtaͤnde zu
bezeichnen, kann die Schrift vortheilhafter, als ein
Bild ſeyn. Der auf dem Grabſtein des Dio-
genes eingegrabene Name haͤtte ſich eben ſo gewiß
darauf erhalten, als das Bild eines Hundes, und
haͤtte gewiſſer die Perſon bezeichnet. Nur eine
aberglaͤubiſche Verehrung der Alten kann derglei-
chen Allegorien auf Denkmaͤlern ſchoͤn finden. (*)
Soll ſie auf ſolchen Werken einen Werth haben, ſo
muß ſie vielbedeutend ſeyn, und mehr ſagen, als
eine Schrift haͤtte ſagen koͤnnen, oder es mit groͤſ-
ſerer Kraft ſagen. Ein ſehr ſchoͤnes Beyſpiel eines
Denkmals, das mehr ſagt, als eine Schrift wuͤrde
geſagt haben, iſt das, welches der Bildhauer Nael
in der Kirche zu Hindelbank, einem Dorfe unweit
Bern in der Schweiz, geſetzt hat. (*) Ueberhaupt
koͤnnen diejenigen Vorſtellungen die kraͤftigſte Be-
deutung haben, in denen Figuren von menſch-
licher Bildung angebracht ſind; weil der Aus-
druk des Geſichtes allein ofte mehr ſagen kann,
als alle Worte.
(*) S.
Winkel-
mann von
der Alleg.
V. Cap.
Beyſpiele
von allego-
riſchen
Vorſtellun-
gen auf
Grabmaͤ-
lern findet
man haͤufig
beym Pau-
ſanias.
(*) S.
Denkmal.
Dahin gehoͤren alſo auch die Statuen der heid-
niſchen Gottheiten, welche, wie ſchon geſagt, im
Grunde nichts als Allegorien ſind, und die entwe-
der in Tempeln, oder an andern oͤffentlichen Or-
ten, als ſymboliſche Vorſtellungen zu beſtimmtem
Endzwek aufgeſtellt werden. (*)
Endlich macht auch die Mahlerey fuͤr ſich ſelbſt
einen vielfaͤltigen Gebrauch von der Allegorie, durch
ganz allegoriſche Gemaͤhlde, oder durch Einmiſchung
der Allegorie in hiſtoriſche Vorſtellungen. Die er-
ſtern koͤnnen einen großen Werth bekommen,
wenn ſie wichtige Gegenſtaͤnde des Geiſtes oder
des Herzens, auf eine hoͤchſt lebhafte Art dem
Auge darſtellen, um den Eindruk derſelben deſto
ſtaͤrker
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |