Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch]
Hel Hieraus läßt sich abnehmen, daß die ersten Hel- Der Barde konnte nur die einzige Handlung oder So viel läßt sich durch Muthmaßungen von der Der Kunstrichter, der dem epischen Dichter rathen Was dieser Dichtungsart wesentlich ist, läßt sich Die Einheit der Handlung ist eine Foderung, die Hel gegründet ist; weil es dem feyerlichen Andenken ein-zeler Thaten, oder einzeler Begebenheiten gewied- met war. Es läßt sich vermuthen, daß in den ur- sprünglichen Heldengedichten die Handlung sehr eingeschränkt gewesen und nur etwa eine einzige Schlacht, oder gar ein einzeler Zweykampf episch besungen worden. Da das epische Gedicht hernach ein Werk der Kunst geworden, bekam die Handlung zwar eine größere Ausdähnung, aber die Einheit derselben mußte beybehalten werden, wenn das Ge- dicht nicht völlig ausarten sollte. Man kann aber auch ohne Rüksicht auf den Ur- Ueberdem hat es mit allen Werken der Kunst die- mene
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Hel Hieraus laͤßt ſich abnehmen, daß die erſten Hel- Der Barde konnte nur die einzige Handlung oder So viel laͤßt ſich durch Muthmaßungen von der Der Kunſtrichter, der dem epiſchen Dichter rathen Was dieſer Dichtungsart weſentlich iſt, laͤßt ſich Die Einheit der Handlung iſt eine Foderung, die Hel gegruͤndet iſt; weil es dem feyerlichen Andenken ein-zeler Thaten, oder einzeler Begebenheiten gewied- met war. Es laͤßt ſich vermuthen, daß in den ur- ſpruͤnglichen Heldengedichten die Handlung ſehr eingeſchraͤnkt geweſen und nur etwa eine einzige Schlacht, oder gar ein einzeler Zweykampf epiſch beſungen worden. Da das epiſche Gedicht hernach ein Werk der Kunſt geworden, bekam die Handlung zwar eine groͤßere Ausdaͤhnung, aber die Einheit derſelben mußte beybehalten werden, wenn das Ge- dicht nicht voͤllig ausarten ſollte. Man kann aber auch ohne Ruͤkſicht auf den Ur- Ueberdem hat es mit allen Werken der Kunſt die- mene
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Vornehmlich aber mußten die<lb/> Hauptperſonen, die Helden des Geſanges, ſo voll-<lb/> kommen, als moͤglich geſchildert werden, daß jeder<lb/> Zuhoͤrer ſie in ihren wichtigſten Thaten gleichſam<lb/> vor ſich zu ſehen glaubte.</p><lb/> <p>Der Barde konnte nur die einzige Handlung oder<lb/> Begebenheit, deren Andenken gefeyert wurd, zum<lb/> Jnhalt ſeines Geſanges nehmen; denn die Feſte<lb/> wurden nur zum Andenken ſolcher einzeler Thaten<lb/> gefeyert. 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Einheit der Handlung;<lb/> Wichtigkeit und Groͤße derſelben; die epiſche von<lb/> der hiſtoriſchen verſchiedene Behandlung; hervor-<lb/> ſtechende Schilderungen der Hauptperſonen und ihrer<lb/> Thaten; ein ſehr pathetiſcher, aber nicht voͤllig en-<lb/> thuſiaſtiſcher Ton des Vortrags. Jedes Gedicht,<lb/> das dieſe Eigenſchaft hat, verdienet den Namen der<lb/> Epopoͤe.</p><lb/> <p>Die Einheit der Handlung iſt eine Foderung, die<lb/> auf die urſpruͤngliche Beſchaffenheit dieſes Gedichts<lb/><cb/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Hel</hi></fw><lb/> gegruͤndet iſt; weil es dem feyerlichen Andenken ein-<lb/> zeler Thaten, oder einzeler Begebenheiten gewied-<lb/> met war. Es laͤßt ſich vermuthen, daß in den ur-<lb/> ſpruͤnglichen Heldengedichten die Handlung ſehr<lb/> eingeſchraͤnkt geweſen und nur etwa eine einzige<lb/> Schlacht, oder gar ein einzeler Zweykampf epiſch<lb/> beſungen worden. 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Hel
Hel
Hieraus laͤßt ſich abnehmen, daß die erſten Hel-
dengedichte der Barden affektvolle Erzaͤhlungen ein-
heimiſcher Heldenthaten geweſen, die bey oͤffentlichen
Verſammlungen mehr abgeſungen, als blos erzaͤhlt
wurden; daß der Jnhalt allemal ſchon bekannte
Thaten geweſen, die nicht zum hiſtoriſchen Anden-
ken genau erzaͤhlt, ſondern zur Erwekung lebhafter
Empfindungen und zur Einpflanzung ſtarker Natio-
nalgeſinnungen, auf das lebhafteſte geſchildert wor-
den. Alſo kam es dabey weniger auf eine leichte
Entwiklung des Fadens der Geſchichte, als auf die
Wahl der Dinge an, die am ſtaͤrkſten auf die Em-
pfindung wuͤrken. Vornehmlich aber mußten die
Hauptperſonen, die Helden des Geſanges, ſo voll-
kommen, als moͤglich geſchildert werden, daß jeder
Zuhoͤrer ſie in ihren wichtigſten Thaten gleichſam
vor ſich zu ſehen glaubte.
Der Barde konnte nur die einzige Handlung oder
Begebenheit, deren Andenken gefeyert wurd, zum
Jnhalt ſeines Geſanges nehmen; denn die Feſte
wurden nur zum Andenken ſolcher einzeler Thaten
gefeyert. Alſo waren dieſe Lieder nicht hiſtoriſche
Geſaͤnge, die eine Reyhe verſchiedener Begebenhei-
ten enthielten; auch konnten ſie nicht ſehr lang ſeyn,
weil ſie auf einmal mußten abgeſungen werden.
So viel laͤßt ſich durch Muthmaßungen von der
urſpruͤnglichen Beſchaffenheit der Heldenlieder ange-
ben, aus denen hernach die Epopoͤe, oder das durch
Kunſt zur Vollkommenheit gebrachte Heldengedicht,
entſtanden iſt.
Der Kunſtrichter, der dem epiſchen Dichter rathen
will, muß auf den Urſprung und auf die Original-
form dieſer Dichtungsart zuruͤke ſehen, damit er in
ſeinen Urtheilen einen Leitfaden habe; ſonſt laͤuft er
Gefahr ihn ohne Noth einzuſchraͤnken und ihm Re-
geln, als nothwendig vorzuſchreiben, die doch in
der Natur dieſes Gedichts nicht gegruͤndet ſind.
Was dieſer Dichtungsart weſentlich iſt, laͤßt ſich
kurz zuſammen faſſen. Einheit der Handlung;
Wichtigkeit und Groͤße derſelben; die epiſche von
der hiſtoriſchen verſchiedene Behandlung; hervor-
ſtechende Schilderungen der Hauptperſonen und ihrer
Thaten; ein ſehr pathetiſcher, aber nicht voͤllig en-
thuſiaſtiſcher Ton des Vortrags. Jedes Gedicht,
das dieſe Eigenſchaft hat, verdienet den Namen der
Epopoͤe.
Die Einheit der Handlung iſt eine Foderung, die
auf die urſpruͤngliche Beſchaffenheit dieſes Gedichts
gegruͤndet iſt; weil es dem feyerlichen Andenken ein-
zeler Thaten, oder einzeler Begebenheiten gewied-
met war. Es laͤßt ſich vermuthen, daß in den ur-
ſpruͤnglichen Heldengedichten die Handlung ſehr
eingeſchraͤnkt geweſen und nur etwa eine einzige
Schlacht, oder gar ein einzeler Zweykampf epiſch
beſungen worden. Da das epiſche Gedicht hernach
ein Werk der Kunſt geworden, bekam die Handlung
zwar eine groͤßere Ausdaͤhnung, aber die Einheit
derſelben mußte beybehalten werden, wenn das Ge-
dicht nicht voͤllig ausarten ſollte.
Man kann aber auch ohne Ruͤkſicht auf den Ur-
ſprung dieſes Gedichts, die Nothwendigkeit der Ein-
heit der Handlung behaupten. Der epiſche Dichter
will nicht unterrichten, ſondern ruͤhren; ſein Herz
und ſeine Einbildungskraft ſind von einem großen
Gegenſtand in auſſerordentliche Wuͤrkſamkeit ge-
ſetzet: von dieſem Gegenſtand erwaͤrmet, ſpricht er
von dem, was er ſieht und fuͤhlt. Alſo iſt ſein Ge-
genſtand ſeiner Natur nach Eines. Auch ſeine Ab-
ſicht macht die Einheit der Handlung nothwendig.
Er nihmt ſich vor durch genaue und umſtaͤndliche
Schilderungen merkwuͤrdiger Thaten und Begeben-
heiten die Gemuͤther der Menſchen in ſtarke Bewe-
gung zuſetzen, ihnen große Empfindungen einzu-
floͤßen, und ſie, ſo viel an ihm liegt, zu großen
Menſchen zu machen. Dieſe Abſichten zu erreichen,
muß er nothwendig die Hauptſachen ſehr umſtaͤnd-
lich und ausfuͤhrlich ſchildern, damit der Zuhoͤrer
das Leidenſchaftliche und Sittliche derſelben auf das
lebhafteſte fuͤhle. Die Charaktere der Hauptperſonen
muͤſſen ſich voͤllig entwikeln, und man muß ſie von
Grund aus kennen lernen. Der Dichter kann alſo
nicht ſummariſch erzaͤhlen, ſondern muß meiſtentheis
ſehr umſtaͤndlich ſeyn. Wenn alſo das Heldenge-
dicht nicht zu einer unermeßlichen Groͤße anwachſen
ſoll, ſo kann nur eine große Handlung darin ſtatt
haben.
Ueberdem hat es mit allen Werken der Kunſt die-
ſes gemein, daß es deſto vollkommener iſt, je be-
ſtimmter der Eindruk iſt, den es macht, (*) und je
ununterbrochener die Aufmerkſamkeit von Anfange
bis zum Ende auf die Gegenſtaͤnde gerichtet iſt.
Dieſe Wuͤrkung kann nur in den Werken voͤllig er-
reicht werden, wo das Mannigfaltige ſich auf einen
einzigen Punkt vereiniget; wo alles entweder aus
einer einzigen Urſach entſteht, oder auf eine einzige
Wuͤrkung abziehlet. Daher entſteht die vollkom-
mene
(*) S.
Werke der
Kunſt.
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