Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch] Her Hex von dem Sipha nihmt, da er ihm mit heiterm Ge-müthe sagt: Geh, ich halte dich nicht, und meine nicht eitele Thränen, Sollte jemand fragen, wie das Heroische von Hexameter. (Dichtkunst.) Ein Vers von sechs drey- und zwey-sylbigen Füßen, Her nen Fall am Ende habe; wiewol auch dieses Ge-setz nicht ohne Ausnahm ist. Dieser Vers hat vor allen andern wegen der Nach dem Urtheil des Diomedes, welches das Oceanum interea surgens aurora reliquit. Virg. Seine Länge erfodert, daß man ihm irgendwo einen Abschnitt. Cäsur. Es wäre seltsam, wenn man ietzt noch untersu- Man muß Klopstok und Kleist, die zu gleicher Dichter
[Spaltenumbruch] Her Hex von dem Sipha nihmt, da er ihm mit heiterm Ge-muͤthe ſagt: Geh, ich halte dich nicht, und meine nicht eitele Thraͤnen, Sollte jemand fragen, wie das Heroiſche von Hexameter. (Dichtkunſt.) Ein Vers von ſechs drey- und zwey-ſylbigen Fuͤßen, Her nen Fall am Ende habe; wiewol auch dieſes Ge-ſetz nicht ohne Ausnahm iſt. Dieſer Vers hat vor allen andern wegen der Nach dem Urtheil des Diomedes, welches das Oceanum interea ſurgens aurora reliquit. Virg. Seine Laͤnge erfodert, daß man ihm irgendwo einen Abſchnitt. Caͤſur. Es waͤre ſeltſam, wenn man ietzt noch unterſu- Man muß Klopſtok und Kleiſt, die zu gleicher Dichter
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Wenn aber ein Menſch wie andre<lb/> Menſchen, ſeine Kraͤfte durch außerordentliches Be-<lb/> ſtreben anſtrenget, um etwas großes zu thun, ſo<lb/> wuͤrde dieſes nur Groß und nicht Heroiſch ſeyn.</p> </div><lb/> <div n="2"> <head><hi rendition="#g">Hexameter.</hi><lb/> (Dichtkunſt.)</head><lb/> <p><hi rendition="#in">E</hi>in Vers von ſechs drey- und zwey-ſylbigen Fuͤßen,<lb/> der auch der heroiſche Vers genennet wird, weil die<lb/> Griechen, die Erfinder deſſelben, ihn in ihren Hel-<lb/> dengedichten gebraucht haben. Die lateiniſchen<lb/> Dichter haben ihn den Griechen abgeborget, und vor<lb/> nicht langer Zeit iſt er auch in der deutſchen Sprache<lb/> mit gluͤklichem Erfolg verſucht worden. Er vertraͤgt<lb/> zwey Arten der Fuͤße, die Daktylen und Spondeen,<lb/> an deſſen Stelle die Deutſchen auch, was ſie Tro-<lb/> cheen nennen, gebrauchen. Beyde, und im deut-<lb/> ſchen Hexameter alle drey Arten des Fußes, koͤnnen<lb/> verſchiedentlich abwechſeln, bald kann die eine, bald<lb/> die andre darin herrſchen. Dadurch bekommt der<lb/> Dichter eine große Freyheit den Vers nach ſeiner<lb/> Abſicht bald eilender, bald langſamer zu machen,<lb/> ihm bald einen hohen, bald einen gemaͤßigten oder<lb/> gemeinen Ton zu geben. Er iſt nur an das einzige<lb/> Geſetz gebunden, daß der fuͤnfte Fuß ein Daktylus<lb/> und der ſechſte ein Spondaͤus ſey, damit der Vers ſei-<lb/><cb/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Her</hi></fw><lb/> nen Fall am Ende habe; wiewol auch dieſes Ge-<lb/> ſetz nicht ohne Ausnahm iſt.</p><lb/> <p>Dieſer Vers hat vor allen andern wegen der<lb/> Freyheit, die er dem Dichter verſtattet, große Vor-<lb/> theile. 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Her Hex
Her
von dem Sipha nihmt, da er ihm mit heiterm Ge-
muͤthe ſagt:
Geh, ich halte dich nicht, und meine nicht eitele Thraͤnen,
Daß du im Porte ſchon ſtehſt, indem ich den Sturm noch
beſegle.
Unbethraͤnt ſieht das Auge dir nach, wie wohl das Gemuͤthe
Blutend den Troſt uͤberdenkt, der meinem Leben geraubt
wird (*)
iſt nicht weniger heroiſch, als der Heldenmuth einem
ſichern Tod ruhig entgegen zu gehen.
Sollte jemand fragen, wie das Heroiſche von
dem Großen uͤberhaupt unterſchieden ſey; ſo waͤre
vielleicht dieſes die richtigſte Antwort, daß das
Große, da wo es angetroffen wird, ungewoͤhnlich
iſt, und daß das Heroiſche eine nicht ungewoͤhnliche,
ſondern natuͤrliche Aeußerung groͤßerer Menſchen ſey.
Man hat naͤmlich von dem Helden den Begriff, daß
er nach ſeinem ganzen Charakter und nach ſeinen
Umſtaͤnden, um etliche Stufen hoͤher ſtehe, als an-
dre Menſchen; darum iſt das Große nichts Unge-
woͤhnliches bey ihm; es iſt ſeinem Maaß der Kraͤfte
angemeſſen. Wenn aber ein Menſch wie andre
Menſchen, ſeine Kraͤfte durch außerordentliches Be-
ſtreben anſtrenget, um etwas großes zu thun, ſo
wuͤrde dieſes nur Groß und nicht Heroiſch ſeyn.
Hexameter.
(Dichtkunſt.)
Ein Vers von ſechs drey- und zwey-ſylbigen Fuͤßen,
der auch der heroiſche Vers genennet wird, weil die
Griechen, die Erfinder deſſelben, ihn in ihren Hel-
dengedichten gebraucht haben. Die lateiniſchen
Dichter haben ihn den Griechen abgeborget, und vor
nicht langer Zeit iſt er auch in der deutſchen Sprache
mit gluͤklichem Erfolg verſucht worden. Er vertraͤgt
zwey Arten der Fuͤße, die Daktylen und Spondeen,
an deſſen Stelle die Deutſchen auch, was ſie Tro-
cheen nennen, gebrauchen. Beyde, und im deut-
ſchen Hexameter alle drey Arten des Fußes, koͤnnen
verſchiedentlich abwechſeln, bald kann die eine, bald
die andre darin herrſchen. Dadurch bekommt der
Dichter eine große Freyheit den Vers nach ſeiner
Abſicht bald eilender, bald langſamer zu machen,
ihm bald einen hohen, bald einen gemaͤßigten oder
gemeinen Ton zu geben. Er iſt nur an das einzige
Geſetz gebunden, daß der fuͤnfte Fuß ein Daktylus
und der ſechſte ein Spondaͤus ſey, damit der Vers ſei-
nen Fall am Ende habe; wiewol auch dieſes Ge-
ſetz nicht ohne Ausnahm iſt.
Dieſer Vers hat vor allen andern wegen der
Freyheit, die er dem Dichter verſtattet, große Vor-
theile. Man iſt dabey nicht an beſtimmte Ruhe-
punkte gebunden; er noͤthiget nicht zu muͤßigen
Woͤrtern, weil er ſich ſelbſt nicht gleich bleiben daͤrf;
er verſtattet der Rede eine große Mannigfaltigkeit
des Tones, und kann majeſtaͤtiſch oder fluͤchtig ſeyn,
einen praͤchtigern oder nachlaͤßigern Gang anzuneh-
men. Dadurch wird er zum Heldengedicht tuͤchti-
ger, als irgend ein andrer Vers. Denn der epi-
ſche Dichter muß nothwendig den Ton, nach Maaß-
gebung ſeiner Materie, verſchiedentlich abaͤndern.
Doch bemerkt man oft an dem deutſchen Hexameter,
daß er, um voll zu werden, manches unnoͤthiges
Beywort veranlaſet.
Nach dem Urtheil des Diomedes, welches das
Urtheil aller Menſchen iſt, die Gehoͤr haben, iſt der
Hexameter der ſchoͤnſte, deſſen Fuͤße ſo in einander
geſchlungen ſind, daß keiner weder mit einem Wort
anfaͤngt noch aufhoͤrt, es ſey denn der erſte und
letzte, ſo wie dieſer
Oceanum interea ſurgens aurora reliquit. Virg.
Am ſchlechteſten iſt er, wenn die Woͤrter die Fuͤße
machen.
Præter cætera Romæ, mene poemata cenſes
Scribere? Hor.
Seine Laͤnge erfodert, daß man ihm irgendwo einen
kleinen Ruhepunkt oder Abſchnitt gebe, den man
verſchiedentlich verſetzt. (*)
Es waͤre ſeltſam, wenn man ietzt noch unterſu-
chen wollte, ob die deutſche Sprache faͤhig genug
ſey, den griechiſchen Hexameter nachzuahmen, nach-
dem wir den Meßias haben, ein Gedicht, das
auch in dem Ton und Klang, mit der Jlias oder
Aeneis um den Vorzug ſtreiten kann. Daß es
aber den Deutſchen mehr Muͤhe macht in wolklin-
genden Hexametern zu ſchreiben, als der Griech’
oder der Roͤmer noͤthig gehabt hat, kann wol
nicht geleugnet werden; genug daß einige unſrer
Dichter die Schwierigkeiten gluͤklich uͤberwunden
haben.
Man muß Klopſtok und Kleiſt, die zu gleicher
Zeit, und ohne daß einer von den Verſuchen des
andern etwas gewußt, verſucht haben deutſche
Hexameter zu machen, als die Erfinder derſelben
anſehen; denn die wenigen Verſuche, die aͤltere
Dichter
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