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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Hor

Seinen Lehren danket er es, daß er sich nicht von
dem Strohm der Laster hat hinreißen lassen:

-- Insuevit pater optimus hoc me,
(*) Ser-
mon. I.
4.
Ur sugerem, exemplis vitiorum quaeque notando. (*)

Er hatte verschiedene Lehrer und Aufseher; aber
dieser rechtschaffene Vater verließ sich nicht auf sie,
er war selbst der beste Aufseher:

Ipse mihi custos incorruptissimus omnes
(*) Ib.Circum doctores aderat. (*)

Nachdem er in Rom eine so gute Erziehung genossen,
und, nach der damaligen Art, auch in den schönen
Wissenschaften unterrichtet worden, reiste er nach
Athen, wo er in der Schule der Academiker das
Studium der Philosophie trieb. Jndem er sich da
aufhielt, brach der bürgerliche Krieg aus, durch den
Brutus die römische Republik zu retten suchte. Ho-
raz nahm die Parthey der Freyheit, aus patrio-
tischen Gesinnungen und aus Hochachtung und
Freundfchaft gegen den Brutus, dem er in Grie-
chenland bekannt worden. Dieser einzige Umstand,
daß er vor dem Umsturz der Republik, mit dem
Häuptern des Staates bekannt gewesen, und von
so großen Männern zur Vertheidigung der Freyheit
mit gebraucht worden, (denn es wurd ihm eine Le-
gion anvertraut) muß uns einen vortheilhaften Be-
griff von ihm geben. Er hatte Ursach auch nach-
her sich dessen zu rühmen. Die Art, wie er da-
von spricht,

(*) Ep.
I.
20.
Me primis urbis, belli placuisse domique. (*)
-- Cum magnis vixisse invita satebitur usque

(*) Sat.
II.
1.
Invidia (*)

zeiget deutlich, daß er mit den größten Männern
der sterbenden Republik, so wol vor, als in dem
Krieg selbst, in vertrautem Umgange gelebt habe.
Darum wurd er auch, als eines der Häupter der
Freyheit, nach der Schlacht bey Philippi in die Acht
erkläret, und verlohr seine Güter. Dieses zwang
ihn zu einem ruhigen Leben, und weil er nun nichts
mehr für die Freyheit thun konnte, warf er sich in
die Aerme der Musen, so wie vor ihm Cicero in
ähnlichen Umständen, sich ganz dem Studio der Phi-
losophie ergeben hatte. Alle diese Umstände erzählt er
selbst, mit der ihm ganz eigenen Kürze:

Romae nut iri mihi contigit, atque doceri
Iratus Grajis quautum nocuisset Achilles:
Adjecere bonae paulo plus artis Athenae;
Scilicet ut. possem curvo dignoscere rectum,

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Hor
Atque inter sylvas Academi quaerere verum.
Dura sed emovere loco me tempora grato;
Civilisque rudem belli tulit aestus in arma,
Caesaris Augusti non responsura lacertis.
Unde simul primum me dimisere Philippi
Decisis humilem pennis, inopemque paterni
Et laris et sundi, paupertas impulit audax
Ut versus sacerem.
(*)
(*) Epist.
II.
2.

Er äußert hier im Vorbeygang seine Gedanken
über den bürgerlichen Krieg, auf eine Weise, die
uns nicht erlaubet, es ihm übel zu nehmen, daß er
sich mit dem Cäsar nusgesöhnt hat. Er gesieht ihm
hier nur eine überwiegende Macht zu, die er still-
schweigend der gerechten Sache der andern Parthey
entgegen setzt. Man kann den beherztesten Mann
nicht tadeln, daß er der entschiedenen Uebermacht
nachgiebt, wenn er nur den Mächtigern nicht zu-
gleich für den rechtmäßigen Herrn hält.

Man würde sich sehr irren, wenn man aus den
letzten Worten dieser Stelle schließen wollte, daß
ihn der Hunger gezwungen habe ein Dichter zu wer-
den, um sein Leben mit dem Gewinnst von seinen
Gedichten zu erhalten. Er will blos sagen, daß die
Beraubung seiner Güter und die Verbannung alle
Würksamkeit für Geschäfte bey ihm unmöglich ge-
macht und ihn gezwungen haben, einem andern
Hange zu folgen.

Seine ersten Versuche in der Dichtkunst waren
die Satyren, wozu er durch das Beyspiel des Luci-
lius aufgemuntert worden. Es war sehr natürlich,
daß ein so groß denkender Mann seinen Unwillen
gegen die Thorheit und das Laster ausließ. Dieser
Unwillen war seine Muse, nicht der Kützel, als ein
Pyet sich einen Namen zu machen. Darum machte
er anfänglich gar keinen Anspruch auf den Namen
eines Dichters;

-- Ego me illorum, dederim quibus esse poetas,
Excerpam numero.
(*)
(*) Serm.
I.
4.

Darum gab er sich auch keine Müh als Dichter ge-
lobt zu werden. Damals hatten die schönen Geister,
wie noch itzt, ihre eigenen Methoden, sich Beyfall zu
erwerben und sich rühmen zu lassen. Aber diese
Schliche stuhnden ihm nicht an.

Non ego nobilium scriptorum auditor er ultor
Grammaticas ambire tribus et pulpita dignor.
(*)
(*) Epist.
I.
19.

Er schrieb, weil es ihm nicht möglich war über die
Thorheiten und Laster zu schweigen.

-- Seu
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Hor

Seinen Lehren danket er es, daß er ſich nicht von
dem Strohm der Laſter hat hinreißen laſſen:

Inſuevit pater optimus hoc me,
(*) Ser-
mon. I.
4.
Ur ſugerem, exemplis vitiorum quaeque notando. (*)

Er hatte verſchiedene Lehrer und Aufſeher; aber
dieſer rechtſchaffene Vater verließ ſich nicht auf ſie,
er war ſelbſt der beſte Aufſeher:

Ipſe mihi cuſtos incorruptiſſimus omnes
(*) Ib.Circum doctores aderat. (*)

Nachdem er in Rom eine ſo gute Erziehung genoſſen,
und, nach der damaligen Art, auch in den ſchoͤnen
Wiſſenſchaften unterrichtet worden, reiſte er nach
Athen, wo er in der Schule der Academiker das
Studium der Philoſophie trieb. Jndem er ſich da
aufhielt, brach der buͤrgerliche Krieg aus, durch den
Brutus die roͤmiſche Republik zu retten ſuchte. Ho-
raz nahm die Parthey der Freyheit, aus patrio-
tiſchen Geſinnungen und aus Hochachtung und
Freundfchaft gegen den Brutus, dem er in Grie-
chenland bekannt worden. Dieſer einzige Umſtand,
daß er vor dem Umſturz der Republik, mit dem
Haͤuptern des Staates bekannt geweſen, und von
ſo großen Maͤnnern zur Vertheidigung der Freyheit
mit gebraucht worden, (denn es wurd ihm eine Le-
gion anvertraut) muß uns einen vortheilhaften Be-
griff von ihm geben. Er hatte Urſach auch nach-
her ſich deſſen zu ruͤhmen. Die Art, wie er da-
von ſpricht,

(*) Ep.
I.
20.
Me primis urbis, belli placuiſſe domique. (*)
— Cum magnis vixiſſe invita ſatebitur usque

(*) Sat.
II.
1.
Invidia (*)

zeiget deutlich, daß er mit den groͤßten Maͤnnern
der ſterbenden Republik, ſo wol vor, als in dem
Krieg ſelbſt, in vertrautem Umgange gelebt habe.
Darum wurd er auch, als eines der Haͤupter der
Freyheit, nach der Schlacht bey Philippi in die Acht
erklaͤret, und verlohr ſeine Guͤter. Dieſes zwang
ihn zu einem ruhigen Leben, und weil er nun nichts
mehr fuͤr die Freyheit thun konnte, warf er ſich in
die Aerme der Muſen, ſo wie vor ihm Cicero in
aͤhnlichen Umſtaͤnden, ſich ganz dem Studio der Phi-
loſophie ergeben hatte. Alle dieſe Umſtaͤnde erzaͤhlt er
ſelbſt, mit der ihm ganz eigenen Kuͤrze:

Romae nut iri mihi contigit, atque doceri
Iratus Grajis quautum nocuiſſet Achilles:
Adjecere bonae paulo plus artis Athenae;
Scilicet ut. poſſem curvo dignoſcere rectum,

[Spaltenumbruch]
Hor
Atque inter ſylvas Academi quaerere verum.
Dura ſed emovere loco me tempora grato;
Civilisque rudem belli tulit aeſtus in arma,
Caeſaris Auguſti non reſponſura lacertis.
Unde ſimul primum me dimiſere Philippi
Deciſis humilem pennis, inopemque paterni
Et laris et ſundi, paupertas impulit audax
Ut verſus ſacerem.
(*)
(*) Epiſt.
II.
2.

Er aͤußert hier im Vorbeygang ſeine Gedanken
uͤber den buͤrgerlichen Krieg, auf eine Weiſe, die
uns nicht erlaubet, es ihm uͤbel zu nehmen, daß er
ſich mit dem Caͤſar nusgeſoͤhnt hat. Er geſieht ihm
hier nur eine uͤberwiegende Macht zu, die er ſtill-
ſchweigend der gerechten Sache der andern Parthey
entgegen ſetzt. Man kann den beherzteſten Mann
nicht tadeln, daß er der entſchiedenen Uebermacht
nachgiebt, wenn er nur den Maͤchtigern nicht zu-
gleich fuͤr den rechtmaͤßigen Herrn haͤlt.

Man wuͤrde ſich ſehr irren, wenn man aus den
letzten Worten dieſer Stelle ſchließen wollte, daß
ihn der Hunger gezwungen habe ein Dichter zu wer-
den, um ſein Leben mit dem Gewinnſt von ſeinen
Gedichten zu erhalten. Er will blos ſagen, daß die
Beraubung ſeiner Guͤter und die Verbannung alle
Wuͤrkſamkeit fuͤr Geſchaͤfte bey ihm unmoͤglich ge-
macht und ihn gezwungen haben, einem andern
Hange zu folgen.

Seine erſten Verſuche in der Dichtkunſt waren
die Satyren, wozu er durch das Beyſpiel des Luci-
lius aufgemuntert worden. Es war ſehr natuͤrlich,
daß ein ſo groß denkender Mann ſeinen Unwillen
gegen die Thorheit und das Laſter ausließ. Dieſer
Unwillen war ſeine Muſe, nicht der Kuͤtzel, als ein
Pyet ſich einen Namen zu machen. Darum machte
er anfaͤnglich gar keinen Anſpruch auf den Namen
eines Dichters;

Ego me illorum, dederim quibus eſſe poetas,
Excerpam numero.
(*)
(*) Serm.
I.
4.

Darum gab er ſich auch keine Muͤh als Dichter ge-
lobt zu werden. Damals hatten die ſchoͤnen Geiſter,
wie noch itzt, ihre eigenen Methoden, ſich Beyfall zu
erwerben und ſich ruͤhmen zu laſſen. Aber dieſe
Schliche ſtuhnden ihm nicht an.

Non ego nobilium ſcriptorum auditor er ultor
Grammaticas ambire tribus et pulpita dignor.
(*)
(*) Epiſt.
I.
19.

Er ſchrieb, weil es ihm nicht moͤglich war uͤber die
Thorheiten und Laſter zu ſchweigen.

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[549/0561] Hor Hor Seinen Lehren danket er es, daß er ſich nicht von dem Strohm der Laſter hat hinreißen laſſen: — Inſuevit pater optimus hoc me, Ur ſugerem, exemplis vitiorum quaeque notando. (*) Er hatte verſchiedene Lehrer und Aufſeher; aber dieſer rechtſchaffene Vater verließ ſich nicht auf ſie, er war ſelbſt der beſte Aufſeher: Ipſe mihi cuſtos incorruptiſſimus omnes Circum doctores aderat. (*) Nachdem er in Rom eine ſo gute Erziehung genoſſen, und, nach der damaligen Art, auch in den ſchoͤnen Wiſſenſchaften unterrichtet worden, reiſte er nach Athen, wo er in der Schule der Academiker das Studium der Philoſophie trieb. Jndem er ſich da aufhielt, brach der buͤrgerliche Krieg aus, durch den Brutus die roͤmiſche Republik zu retten ſuchte. Ho- raz nahm die Parthey der Freyheit, aus patrio- tiſchen Geſinnungen und aus Hochachtung und Freundfchaft gegen den Brutus, dem er in Grie- chenland bekannt worden. Dieſer einzige Umſtand, daß er vor dem Umſturz der Republik, mit dem Haͤuptern des Staates bekannt geweſen, und von ſo großen Maͤnnern zur Vertheidigung der Freyheit mit gebraucht worden, (denn es wurd ihm eine Le- gion anvertraut) muß uns einen vortheilhaften Be- griff von ihm geben. Er hatte Urſach auch nach- her ſich deſſen zu ruͤhmen. Die Art, wie er da- von ſpricht, Me primis urbis, belli placuiſſe domique. (*) — Cum magnis vixiſſe invita ſatebitur usque Invidia (*) zeiget deutlich, daß er mit den groͤßten Maͤnnern der ſterbenden Republik, ſo wol vor, als in dem Krieg ſelbſt, in vertrautem Umgange gelebt habe. Darum wurd er auch, als eines der Haͤupter der Freyheit, nach der Schlacht bey Philippi in die Acht erklaͤret, und verlohr ſeine Guͤter. Dieſes zwang ihn zu einem ruhigen Leben, und weil er nun nichts mehr fuͤr die Freyheit thun konnte, warf er ſich in die Aerme der Muſen, ſo wie vor ihm Cicero in aͤhnlichen Umſtaͤnden, ſich ganz dem Studio der Phi- loſophie ergeben hatte. Alle dieſe Umſtaͤnde erzaͤhlt er ſelbſt, mit der ihm ganz eigenen Kuͤrze: Romae nut iri mihi contigit, atque doceri Iratus Grajis quautum nocuiſſet Achilles: Adjecere bonae paulo plus artis Athenae; Scilicet ut. poſſem curvo dignoſcere rectum, Atque inter ſylvas Academi quaerere verum. Dura ſed emovere loco me tempora grato; Civilisque rudem belli tulit aeſtus in arma, Caeſaris Auguſti non reſponſura lacertis. Unde ſimul primum me dimiſere Philippi Deciſis humilem pennis, inopemque paterni Et laris et ſundi, paupertas impulit audax Ut verſus ſacerem. (*) Er aͤußert hier im Vorbeygang ſeine Gedanken uͤber den buͤrgerlichen Krieg, auf eine Weiſe, die uns nicht erlaubet, es ihm uͤbel zu nehmen, daß er ſich mit dem Caͤſar nusgeſoͤhnt hat. Er geſieht ihm hier nur eine uͤberwiegende Macht zu, die er ſtill- ſchweigend der gerechten Sache der andern Parthey entgegen ſetzt. Man kann den beherzteſten Mann nicht tadeln, daß er der entſchiedenen Uebermacht nachgiebt, wenn er nur den Maͤchtigern nicht zu- gleich fuͤr den rechtmaͤßigen Herrn haͤlt. Man wuͤrde ſich ſehr irren, wenn man aus den letzten Worten dieſer Stelle ſchließen wollte, daß ihn der Hunger gezwungen habe ein Dichter zu wer- den, um ſein Leben mit dem Gewinnſt von ſeinen Gedichten zu erhalten. Er will blos ſagen, daß die Beraubung ſeiner Guͤter und die Verbannung alle Wuͤrkſamkeit fuͤr Geſchaͤfte bey ihm unmoͤglich ge- macht und ihn gezwungen haben, einem andern Hange zu folgen. Seine erſten Verſuche in der Dichtkunſt waren die Satyren, wozu er durch das Beyſpiel des Luci- lius aufgemuntert worden. Es war ſehr natuͤrlich, daß ein ſo groß denkender Mann ſeinen Unwillen gegen die Thorheit und das Laſter ausließ. Dieſer Unwillen war ſeine Muſe, nicht der Kuͤtzel, als ein Pyet ſich einen Namen zu machen. Darum machte er anfaͤnglich gar keinen Anſpruch auf den Namen eines Dichters; — Ego me illorum, dederim quibus eſſe poetas, Excerpam numero. (*) Darum gab er ſich auch keine Muͤh als Dichter ge- lobt zu werden. Damals hatten die ſchoͤnen Geiſter, wie noch itzt, ihre eigenen Methoden, ſich Beyfall zu erwerben und ſich ruͤhmen zu laſſen. Aber dieſe Schliche ſtuhnden ihm nicht an. Non ego nobilium ſcriptorum auditor er ultor Grammaticas ambire tribus et pulpita dignor. (*) Er ſchrieb, weil es ihm nicht moͤglich war uͤber die Thorheiten und Laſter zu ſchweigen. — Seu Z z z 3

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 549. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/561>, abgerufen am 24.11.2024.