Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

[Spaltenumbruch]

Ana
womit seine scherzhaften Lieder aufgenommen worden,
hat eine Menge elender Nachfolger hervorgebracht,
welche eine Zeitlang den deutschen Parnaß, wie
ein Schwarm von Ungeziefer umgeben, und ver-
finstert haben.

Daß man an den allermeisten anakreontischen
Gedichten der Neuern den Geist des Anakreons,
sein scherzhaftes Wesen, und seinen feinen unge-
künstelten Wiz vermißt, ist nicht das einzige, das
man gegen diese Seuche einzuwenden hat. Die
meisten Neuern sind in dem Fall jenes Jünglings,
der den Philosophen Panätius gefragt hat, ob es
einem Weisen auch wol anstehe sich zu verlieben.
Die Antwort des Weisen enthält eine große Lehre.
Was dem Weisen geziemet, davon wollen wir ein-
ander mal sprechen: was mich und dich betrifft,
die beyde noch lange keine Weise sind, so schikt es
sich für uns nicht, uns damit abzugeben.
[Spaltenumbruch] (+)

Anatomie.
(Zeichnende Künste.)

Bedeutet in der Mahlerkunst eine Kenntniß der
äußeren und innern Theile des menschlichen Kör-
pers, in so weit sie zu richtiger Zeichnung der Figu-
ren in allerhand Stellungen und Bewegungen noth-
wendig ist. Es sind fürnehmlich zwey Umstände
welche die Anatomie einem Zeichner nothwendig
machen. Die Verhältnisse der Glieder ändern sich
wegen der Knochen in etwas ab, je nachdem die
Glieder eine Lage annehmen. So ist die Länge des
Arms von der Schulter bis an die Spize des kleinen
Fingers anders, wenn der Arm gerade ausgestrekt,
als wenn er gebogen ist. Dieses kommt von den Ge-
lenken der Knochen her, welche man deswegen
genan kennen muß, um dem Arm in allen Wen-
dungen das richtige Verhältniß zu geben. Von den
Muskeln ist bekannt, daß sie bisweilen rund und
wie aufgeblasen, bisweilen flach und schlaff sind,
nachdem sie in würklicher Verrichtung oder in Ruhe
sind. Daher kömmt es, daß eine Stelle des Kör-
pers bisweilen erhoben und heraus stehend, oder flach
und bisweilen vertieft ist. Hieraus ist klar, daß
jede Stellung und jede Bewegung ihre eigene Ver-
hältnisse und Umrisse hat, welche der Zeichner nicht
treffen kann, wenn er nicht eine hinlängliche Kennt-
[Spaltenumbruch]

And Anf
niß von der Lage der Muskeln, von ihrer Verrichtung
und von der eigentlichen Beschaffenheit der Knochen
hat. Fürnehmlich muß er die Anatomie des Ge-
sichts genau studiren, weil darin eine Menge klei-
ner Muskeln sind, welche in den verschiedenen Af-
fekten, die Gesichtszüge ändern.

Die Anatomie ist dem Zeichner um so viel nöthi-
ger, da es nicht möglich ist, den Mangel derselben
durch die academischen Zeichnungen nach der Natur
zu ersezen. Es kommen gar viel Stellungen vor,
welche man blos aus dem Kopfe zu machen
hat, wobey man ohne genaue Kenntniß der Anatomie
nothwendig in Fehler fällt. Der berühmte de Piles
hat zum Gebrauch der Künstler eine kurze Einleitung
zur Anatomie unter einem angenommenen Namen
herausgegeben. (*)

(*) Abrege
d' Anato-
mie par
Tortebat.

Es ist aber hiebey den Künstlern zu rathen, daß
sie ihre Kenntniß in diesem Stük nicht mißbrauchen.
Einige haben, um ihre Wissenschaft in der Anatomie
zu zeigen, die Muskeln so stark ausgedrükt, daß ihre
Figuren wie geschunden aussehen. Es muß in der
Zeichnung der Muskeln nichts übertriebenes seyn.

Andante.
(Musik.)

Bedeutet in der Musik einen Taktgang, der zwi-
schen dem Geschwinden und Langsamen die Mitte
hält. Jn dem Andante werden alle Töne deutlich
und von einander wol abgezeichnet angegeben.
Dieser Gang schiket sich also zu einem gelassenen,
ruhigen Jnhalt, ingleichem zu Aufzügen und Mär-
schen.

Anfang.
(Schöne Künste.)

Aristoteles welcher angemerkt hat, daß jeder Ge-
genstand, der ein schönes ganzes ausmacht einen
Anfang und ein Ende habe, sagt: der Anfang
sey dasjenige, dem in derselben Sache nichts
vorher gehen könne, und was allen andern Dingen
vorher gehen müsse. Der Anfang der Begebenheiten,
welche die ganze Handlung der Jlias ausmachen,
ist der Streit, zwischen Achilles und Agamemnon;
denn alles, was nachher geschehen ist, war eine
Folge dieses Streits: hingegen gehört das, was
diesem Streit vorher gegangen, nicht zu dieser Hand-

lung.
(+) De Sapiente videbimus: mihi et tibi qui adhuc a
Sapiente longe absumus, non est committendum, ut inci-
[Spaltenumbruch] damus in rem commotam, impotentem, alteri emancipa-
tam, vilem sibi. Senecae Ep. CXVI.

[Spaltenumbruch]

Ana
womit ſeine ſcherzhaften Lieder aufgenommen worden,
hat eine Menge elender Nachfolger hervorgebracht,
welche eine Zeitlang den deutſchen Parnaß, wie
ein Schwarm von Ungeziefer umgeben, und ver-
finſtert haben.

Daß man an den allermeiſten anakreontiſchen
Gedichten der Neuern den Geiſt des Anakreons,
ſein ſcherzhaftes Weſen, und ſeinen feinen unge-
kuͤnſtelten Wiz vermißt, iſt nicht das einzige, das
man gegen dieſe Seuche einzuwenden hat. Die
meiſten Neuern ſind in dem Fall jenes Juͤnglings,
der den Philoſophen Panaͤtius gefragt hat, ob es
einem Weiſen auch wol anſtehe ſich zu verlieben.
Die Antwort des Weiſen enthaͤlt eine große Lehre.
Was dem Weiſen geziemet, davon wollen wir ein-
ander mal ſprechen: was mich und dich betrifft,
die beyde noch lange keine Weiſe ſind, ſo ſchikt es
ſich fuͤr uns nicht, uns damit abzugeben.
[Spaltenumbruch] (†)

Anatomie.
(Zeichnende Kuͤnſte.)

Bedeutet in der Mahlerkunſt eine Kenntniß der
aͤußeren und innern Theile des menſchlichen Koͤr-
pers, in ſo weit ſie zu richtiger Zeichnung der Figu-
ren in allerhand Stellungen und Bewegungen noth-
wendig iſt. Es ſind fuͤrnehmlich zwey Umſtaͤnde
welche die Anatomie einem Zeichner nothwendig
machen. Die Verhaͤltniſſe der Glieder aͤndern ſich
wegen der Knochen in etwas ab, je nachdem die
Glieder eine Lage annehmen. So iſt die Laͤnge des
Arms von der Schulter bis an die Spize des kleinen
Fingers anders, wenn der Arm gerade ausgeſtrekt,
als wenn er gebogen iſt. Dieſes kommt von den Ge-
lenken der Knochen her, welche man deswegen
genan kennen muß, um dem Arm in allen Wen-
dungen das richtige Verhaͤltniß zu geben. Von den
Muſkeln iſt bekannt, daß ſie bisweilen rund und
wie aufgeblaſen, bisweilen flach und ſchlaff ſind,
nachdem ſie in wuͤrklicher Verrichtung oder in Ruhe
ſind. Daher koͤmmt es, daß eine Stelle des Koͤr-
pers bisweilen erhoben und heraus ſtehend, oder flach
und bisweilen vertieft iſt. Hieraus iſt klar, daß
jede Stellung und jede Bewegung ihre eigene Ver-
haͤltniſſe und Umriſſe hat, welche der Zeichner nicht
treffen kann, wenn er nicht eine hinlaͤngliche Kennt-
[Spaltenumbruch]

And Anf
niß von der Lage der Muſkeln, von ihrer Verrichtung
und von der eigentlichen Beſchaffenheit der Knochen
hat. Fuͤrnehmlich muß er die Anatomie des Ge-
ſichts genau ſtudiren, weil darin eine Menge klei-
ner Muſkeln ſind, welche in den verſchiedenen Af-
fekten, die Geſichtszuͤge aͤndern.

Die Anatomie iſt dem Zeichner um ſo viel noͤthi-
ger, da es nicht moͤglich iſt, den Mangel derſelben
durch die academiſchen Zeichnungen nach der Natur
zu erſezen. Es kommen gar viel Stellungen vor,
welche man blos aus dem Kopfe zu machen
hat, wobey man ohne genaue Kenntniß der Anatomie
nothwendig in Fehler faͤllt. Der beruͤhmte de Piles
hat zum Gebrauch der Kuͤnſtler eine kurze Einleitung
zur Anatomie unter einem angenommenen Namen
herausgegeben. (*)

(*) Abregé
d’ Anato-
mie par
Tortebat.

Es iſt aber hiebey den Kuͤnſtlern zu rathen, daß
ſie ihre Kenntniß in dieſem Stuͤk nicht mißbrauchen.
Einige haben, um ihre Wiſſenſchaft in der Anatomie
zu zeigen, die Muſkeln ſo ſtark ausgedruͤkt, daß ihre
Figuren wie geſchunden ausſehen. Es muß in der
Zeichnung der Muſkeln nichts uͤbertriebenes ſeyn.

Andante.
(Muſik.)

Bedeutet in der Muſik einen Taktgang, der zwi-
ſchen dem Geſchwinden und Langſamen die Mitte
haͤlt. Jn dem Andante werden alle Toͤne deutlich
und von einander wol abgezeichnet angegeben.
Dieſer Gang ſchiket ſich alſo zu einem gelaſſenen,
ruhigen Jnhalt, ingleichem zu Aufzuͤgen und Maͤr-
ſchen.

Anfang.
(Schoͤne Kuͤnſte.)

Ariſtoteles welcher angemerkt hat, daß jeder Ge-
genſtand, der ein ſchoͤnes ganzes ausmacht einen
Anfang und ein Ende habe, ſagt: der Anfang
ſey dasjenige, dem in derſelben Sache nichts
vorher gehen koͤnne, und was allen andern Dingen
vorher gehen muͤſſe. Der Anfang der Begebenheiten,
welche die ganze Handlung der Jlias ausmachen,
iſt der Streit, zwiſchen Achilles und Agamemnon;
denn alles, was nachher geſchehen iſt, war eine
Folge dieſes Streits: hingegen gehoͤrt das, was
dieſem Streit vorher gegangen, nicht zu dieſer Hand-

lung.
(†) De Sapiente videbimus: mihi et tibi qui adhuc a
Sapiente longe abſumus, non eſt committendum, ut inci-
[Spaltenumbruch] damus in rem commotam, impotentem, alteri emancipa-
tam, vilem ſibi. Senecae Ep. CXVI.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0062" n="50"/><cb/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Ana</hi></fw><lb/>
womit &#x017F;eine &#x017F;cherzhaften Lieder aufgenommen worden,<lb/>
hat eine Menge elender Nachfolger hervorgebracht,<lb/>
welche eine Zeitlang den deut&#x017F;chen Parnaß, wie<lb/>
ein Schwarm von Ungeziefer umgeben, und ver-<lb/>
fin&#x017F;tert haben.</p><lb/>
          <p>Daß man an den allermei&#x017F;ten anakreonti&#x017F;chen<lb/>
Gedichten der Neuern den Gei&#x017F;t des Anakreons,<lb/>
&#x017F;ein &#x017F;cherzhaftes We&#x017F;en, und &#x017F;einen feinen unge-<lb/>
ku&#x0364;n&#x017F;telten Wiz vermißt, i&#x017F;t nicht das einzige, das<lb/>
man gegen die&#x017F;e Seuche einzuwenden hat. Die<lb/>
mei&#x017F;ten Neuern &#x017F;ind in dem Fall jenes Ju&#x0364;nglings,<lb/>
der den Philo&#x017F;ophen Pana&#x0364;tius gefragt hat, ob es<lb/>
einem Wei&#x017F;en auch wol an&#x017F;tehe &#x017F;ich zu verlieben.<lb/>
Die Antwort des Wei&#x017F;en entha&#x0364;lt eine große Lehre.<lb/><hi rendition="#fr">Was dem Wei&#x017F;en geziemet, davon wollen wir ein-<lb/>
ander mal &#x017F;prechen: was mich und dich betrifft,<lb/>
die beyde noch lange keine Wei&#x017F;e &#x017F;ind, &#x017F;o &#x017F;chikt es<lb/>
&#x017F;ich fu&#x0364;r uns nicht, uns damit abzugeben.</hi> <cb/>
<note place="foot" n="(&#x2020;)"><hi rendition="#aq">De Sapiente videbimus: mihi et tibi qui adhuc a<lb/>
Sapiente longe ab&#x017F;umus, non e&#x017F;t committendum, ut inci-<lb/><cb/>
damus in rem commotam, impotentem, alteri emancipa-<lb/>
tam, vilem &#x017F;ibi. Senecae Ep. CXVI.</hi></note></p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#g">Anatomie.</hi><lb/>
(Zeichnende Ku&#x0364;n&#x017F;te.)</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">B</hi>edeutet in der Mahlerkun&#x017F;t eine Kenntniß der<lb/>
a&#x0364;ußeren und innern Theile des men&#x017F;chlichen Ko&#x0364;r-<lb/>
pers, in &#x017F;o weit &#x017F;ie zu richtiger Zeichnung der Figu-<lb/>
ren in allerhand Stellungen und Bewegungen noth-<lb/>
wendig i&#x017F;t. Es &#x017F;ind fu&#x0364;rnehmlich zwey Um&#x017F;ta&#x0364;nde<lb/>
welche die Anatomie einem Zeichner nothwendig<lb/>
machen. Die Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e der Glieder a&#x0364;ndern &#x017F;ich<lb/>
wegen der Knochen in etwas ab, je nachdem die<lb/>
Glieder eine Lage annehmen. So i&#x017F;t die La&#x0364;nge des<lb/>
Arms von der Schulter bis an die Spize des kleinen<lb/>
Fingers anders, wenn der Arm gerade ausge&#x017F;trekt,<lb/>
als wenn er gebogen i&#x017F;t. Die&#x017F;es kommt von den Ge-<lb/>
lenken der Knochen her, welche man deswegen<lb/>
genan kennen muß, um dem Arm in allen Wen-<lb/>
dungen das richtige Verha&#x0364;ltniß zu geben. Von den<lb/>
Mu&#x017F;keln i&#x017F;t bekannt, daß &#x017F;ie bisweilen rund und<lb/>
wie aufgebla&#x017F;en, bisweilen flach und &#x017F;chlaff &#x017F;ind,<lb/>
nachdem &#x017F;ie in wu&#x0364;rklicher Verrichtung oder in Ruhe<lb/>
&#x017F;ind. Daher ko&#x0364;mmt es, daß eine Stelle des Ko&#x0364;r-<lb/>
pers bisweilen erhoben und heraus &#x017F;tehend, oder flach<lb/>
und bisweilen vertieft i&#x017F;t. Hieraus i&#x017F;t klar, daß<lb/>
jede Stellung und jede Bewegung ihre eigene Ver-<lb/>
ha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e und Umri&#x017F;&#x017F;e hat, welche der Zeichner nicht<lb/>
treffen kann, wenn er nicht eine hinla&#x0364;ngliche Kennt-<lb/><cb/>
<fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">And Anf</hi></fw><lb/>
niß von der Lage der Mu&#x017F;keln, von ihrer Verrichtung<lb/>
und von der eigentlichen Be&#x017F;chaffenheit der Knochen<lb/>
hat. Fu&#x0364;rnehmlich muß er die Anatomie des Ge-<lb/>
&#x017F;ichts genau &#x017F;tudiren, weil darin eine Menge klei-<lb/>
ner Mu&#x017F;keln &#x017F;ind, welche in den ver&#x017F;chiedenen Af-<lb/>
fekten, die Ge&#x017F;ichtszu&#x0364;ge a&#x0364;ndern.</p><lb/>
          <p>Die Anatomie i&#x017F;t dem Zeichner um &#x017F;o viel no&#x0364;thi-<lb/>
ger, da es nicht mo&#x0364;glich i&#x017F;t, den Mangel der&#x017F;elben<lb/>
durch die academi&#x017F;chen Zeichnungen nach der Natur<lb/>
zu er&#x017F;ezen. Es kommen gar viel Stellungen vor,<lb/>
welche man blos aus dem Kopfe zu machen<lb/>
hat, wobey man ohne genaue Kenntniß der Anatomie<lb/>
nothwendig in Fehler fa&#x0364;llt. Der beru&#x0364;hmte <hi rendition="#aq">de Piles</hi><lb/>
hat zum Gebrauch der Ku&#x0364;n&#x017F;tler eine kurze Einleitung<lb/>
zur Anatomie unter einem angenommenen Namen<lb/>
herausgegeben. (*)</p>
          <note place="right">(*) <hi rendition="#aq">Abregé<lb/>
d&#x2019; Anato-<lb/>
mie par<lb/>
Tortebat.</hi></note><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t aber hiebey den Ku&#x0364;n&#x017F;tlern zu rathen, daß<lb/>
&#x017F;ie ihre Kenntniß in die&#x017F;em Stu&#x0364;k nicht mißbrauchen.<lb/>
Einige haben, um ihre Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft in der Anatomie<lb/>
zu zeigen, die Mu&#x017F;keln &#x017F;o &#x017F;tark ausgedru&#x0364;kt, daß ihre<lb/>
Figuren wie ge&#x017F;chunden aus&#x017F;ehen. Es muß in der<lb/>
Zeichnung der Mu&#x017F;keln nichts u&#x0364;bertriebenes &#x017F;eyn.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#g">Andante.</hi><lb/>
(Mu&#x017F;ik.)</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">B</hi>edeutet in der Mu&#x017F;ik einen Taktgang, der zwi-<lb/>
&#x017F;chen dem Ge&#x017F;chwinden und Lang&#x017F;amen die Mitte<lb/>
ha&#x0364;lt. Jn dem Andante werden alle To&#x0364;ne deutlich<lb/>
und von einander wol abgezeichnet angegeben.<lb/>
Die&#x017F;er Gang &#x017F;chiket &#x017F;ich al&#x017F;o zu einem gela&#x017F;&#x017F;enen,<lb/>
ruhigen Jnhalt, ingleichem zu Aufzu&#x0364;gen und Ma&#x0364;r-<lb/>
&#x017F;chen.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#g">Anfang.</hi><lb/>
(Scho&#x0364;ne Ku&#x0364;n&#x017F;te.)</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">A</hi><hi rendition="#fr">ri&#x017F;toteles</hi> welcher angemerkt hat, daß jeder Ge-<lb/>
gen&#x017F;tand, der ein &#x017F;cho&#x0364;nes ganzes ausmacht einen<lb/>
Anfang und ein Ende habe, &#x017F;agt: der Anfang<lb/>
&#x017F;ey dasjenige, dem in der&#x017F;elben Sache nichts<lb/>
vorher gehen ko&#x0364;nne, und was allen andern Dingen<lb/>
vorher gehen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e. Der Anfang der Begebenheiten,<lb/>
welche die ganze Handlung der <hi rendition="#fr">Jlias</hi> ausmachen,<lb/>
i&#x017F;t der Streit, zwi&#x017F;chen Achilles und Agamemnon;<lb/>
denn alles, was nachher ge&#x017F;chehen i&#x017F;t, war eine<lb/>
Folge die&#x017F;es Streits: hingegen geho&#x0364;rt das, was<lb/>
die&#x017F;em Streit vorher gegangen, nicht zu die&#x017F;er Hand-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">lung.</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[50/0062] Ana And Anf womit ſeine ſcherzhaften Lieder aufgenommen worden, hat eine Menge elender Nachfolger hervorgebracht, welche eine Zeitlang den deutſchen Parnaß, wie ein Schwarm von Ungeziefer umgeben, und ver- finſtert haben. Daß man an den allermeiſten anakreontiſchen Gedichten der Neuern den Geiſt des Anakreons, ſein ſcherzhaftes Weſen, und ſeinen feinen unge- kuͤnſtelten Wiz vermißt, iſt nicht das einzige, das man gegen dieſe Seuche einzuwenden hat. Die meiſten Neuern ſind in dem Fall jenes Juͤnglings, der den Philoſophen Panaͤtius gefragt hat, ob es einem Weiſen auch wol anſtehe ſich zu verlieben. Die Antwort des Weiſen enthaͤlt eine große Lehre. Was dem Weiſen geziemet, davon wollen wir ein- ander mal ſprechen: was mich und dich betrifft, die beyde noch lange keine Weiſe ſind, ſo ſchikt es ſich fuͤr uns nicht, uns damit abzugeben. (†) Anatomie. (Zeichnende Kuͤnſte.) Bedeutet in der Mahlerkunſt eine Kenntniß der aͤußeren und innern Theile des menſchlichen Koͤr- pers, in ſo weit ſie zu richtiger Zeichnung der Figu- ren in allerhand Stellungen und Bewegungen noth- wendig iſt. Es ſind fuͤrnehmlich zwey Umſtaͤnde welche die Anatomie einem Zeichner nothwendig machen. Die Verhaͤltniſſe der Glieder aͤndern ſich wegen der Knochen in etwas ab, je nachdem die Glieder eine Lage annehmen. So iſt die Laͤnge des Arms von der Schulter bis an die Spize des kleinen Fingers anders, wenn der Arm gerade ausgeſtrekt, als wenn er gebogen iſt. Dieſes kommt von den Ge- lenken der Knochen her, welche man deswegen genan kennen muß, um dem Arm in allen Wen- dungen das richtige Verhaͤltniß zu geben. Von den Muſkeln iſt bekannt, daß ſie bisweilen rund und wie aufgeblaſen, bisweilen flach und ſchlaff ſind, nachdem ſie in wuͤrklicher Verrichtung oder in Ruhe ſind. Daher koͤmmt es, daß eine Stelle des Koͤr- pers bisweilen erhoben und heraus ſtehend, oder flach und bisweilen vertieft iſt. Hieraus iſt klar, daß jede Stellung und jede Bewegung ihre eigene Ver- haͤltniſſe und Umriſſe hat, welche der Zeichner nicht treffen kann, wenn er nicht eine hinlaͤngliche Kennt- niß von der Lage der Muſkeln, von ihrer Verrichtung und von der eigentlichen Beſchaffenheit der Knochen hat. Fuͤrnehmlich muß er die Anatomie des Ge- ſichts genau ſtudiren, weil darin eine Menge klei- ner Muſkeln ſind, welche in den verſchiedenen Af- fekten, die Geſichtszuͤge aͤndern. Die Anatomie iſt dem Zeichner um ſo viel noͤthi- ger, da es nicht moͤglich iſt, den Mangel derſelben durch die academiſchen Zeichnungen nach der Natur zu erſezen. Es kommen gar viel Stellungen vor, welche man blos aus dem Kopfe zu machen hat, wobey man ohne genaue Kenntniß der Anatomie nothwendig in Fehler faͤllt. Der beruͤhmte de Piles hat zum Gebrauch der Kuͤnſtler eine kurze Einleitung zur Anatomie unter einem angenommenen Namen herausgegeben. (*) Es iſt aber hiebey den Kuͤnſtlern zu rathen, daß ſie ihre Kenntniß in dieſem Stuͤk nicht mißbrauchen. Einige haben, um ihre Wiſſenſchaft in der Anatomie zu zeigen, die Muſkeln ſo ſtark ausgedruͤkt, daß ihre Figuren wie geſchunden ausſehen. Es muß in der Zeichnung der Muſkeln nichts uͤbertriebenes ſeyn. Andante. (Muſik.) Bedeutet in der Muſik einen Taktgang, der zwi- ſchen dem Geſchwinden und Langſamen die Mitte haͤlt. Jn dem Andante werden alle Toͤne deutlich und von einander wol abgezeichnet angegeben. Dieſer Gang ſchiket ſich alſo zu einem gelaſſenen, ruhigen Jnhalt, ingleichem zu Aufzuͤgen und Maͤr- ſchen. Anfang. (Schoͤne Kuͤnſte.) Ariſtoteles welcher angemerkt hat, daß jeder Ge- genſtand, der ein ſchoͤnes ganzes ausmacht einen Anfang und ein Ende habe, ſagt: der Anfang ſey dasjenige, dem in derſelben Sache nichts vorher gehen koͤnne, und was allen andern Dingen vorher gehen muͤſſe. Der Anfang der Begebenheiten, welche die ganze Handlung der Jlias ausmachen, iſt der Streit, zwiſchen Achilles und Agamemnon; denn alles, was nachher geſchehen iſt, war eine Folge dieſes Streits: hingegen gehoͤrt das, was dieſem Streit vorher gegangen, nicht zu dieſer Hand- lung. (†) De Sapiente videbimus: mihi et tibi qui adhuc a Sapiente longe abſumus, non eſt committendum, ut inci- damus in rem commotam, impotentem, alteri emancipa- tam, vilem ſibi. Senecae Ep. CXVI.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/62
Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/62>, abgerufen am 24.11.2024.