Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch] Ank heit und Einfalt sind die zwey Eigenschaften, dieHoraz zur Ankündigung fodert. Nec sic incipies, ut Scriptor cyclicus olim: Die dramatische Ankündigung hat Schwierig- Plautus, der, wie in manchem andern Stük, Die Griechen, so wie die meisten Neuern, haben Ank Anl gewißheit über die Veranlassung und über die Naturder Handlung bleibet. Jm Trauerspiel sollte man aus den ersten Reden Man kann den Anfang des Oedipus in Theben Von der Ankündigung des Jnhalts der Rede, Nothwendiger ist es vielleicht dieses zu erinnern, Anlage. (Schöne Künste.) Die Darstellung der wesentlichsten Theile eines Rede
[Spaltenumbruch] Ank heit und Einfalt ſind die zwey Eigenſchaften, dieHoraz zur Ankuͤndigung fodert. Nec ſic incipies, ut Scriptor cyclicus olim: Die dramatiſche Ankuͤndigung hat Schwierig- Plautus, der, wie in manchem andern Stuͤk, Die Griechen, ſo wie die meiſten Neuern, haben Ank Anl gewißheit uͤber die Veranlaſſung und uͤber die Naturder Handlung bleibet. Jm Trauerſpiel ſollte man aus den erſten Reden Man kann den Anfang des Oedipus in Theben Von der Ankuͤndigung des Jnhalts der Rede, Nothwendiger iſt es vielleicht dieſes zu erinnern, Anlage. (Schoͤne Kuͤnſte.) Die Darſtellung der weſentlichſten Theile eines Rede
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Da der Dichter<lb/> nicht ſelbſt ſpricht, und es unnatuͤrlich waͤre einer<lb/> handelnden Perſon die Ankuͤndigung gerade zu in<lb/> den Mund zu legen, ſo muß ſie durch Umwege ge-<lb/> ſchehen. Dazu kommt noch, daß man gar bald<lb/> zu viel von der Sache entdekt, deren Ungewißheit<lb/> den Zuſchauer in beſtaͤndiger Erwartung erhalten<lb/><note place="left">(*) <hi rendition="#aq">Pars<lb/> Argumen-<lb/> ti explica-<lb/> tur, pars<lb/> reticetur<lb/> ad populi<lb/> expectatio-<lb/> nem te-<lb/> nendam.<lb/><hi rendition="#i">Donatus.</hi></hi></note>muß. (*)</p><lb/> <p><hi rendition="#fr">Plautus,</hi> der, wie in manchem andern Stuͤk,<lb/> alſo auch hier, ſich an keine Regel band, hat ohne<lb/> Umſchweif durch ſeine Prologen die Ankuͤndigung<lb/> gemacht. Die meiſten Dichter aber haben dieſe<lb/> Art, weil ſie außer der Handlung liegt, nicht ohne<lb/> Grund verworfen: nur die engliſche Buͤhne hat<lb/> die Prologen beybehalten.</p><lb/> <p>Die Griechen, ſo wie die meiſten Neuern, haben<lb/> den Jnhalt der Handlung durch den Anfang der<lb/> Handlung ſelbſt anzukuͤndigen geſucht. <hi rendition="#fr">Sophokles</hi><lb/> iſt darin am gluͤklichſten geweſen; dem <hi rendition="#fr">Euripides</hi><lb/> aber hat es damit ſelten gegluͤkt. Die Sache hat<lb/> in der That große Schwierigkeit. Denn da natuͤr-<lb/> licher Weiſe keine der handelnden Perſonen vorher<lb/> ſehen kann, was fuͤr eine Wendung, viel weniger,<lb/> was fuͤr einen Ausgang die Sachen nehmen werden,<lb/> ſo koͤnnen ſie die Handlung auch nicht beſtimmt<lb/> ankuͤndigen. Hier iſt ſie eine noch zufaͤllige kuͤnf-<lb/> tige Sache, da ſie in der epiſchen Ankuͤndigung,<lb/> als eine ſchon vergangene Sache erſcheint. 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Je genauer die Ver-<lb/> wiklung der Sachen, die Schwierigkeiten, und Ge-<lb/> fahren, die der Fortgang der Handlung heran brin-<lb/> gen wird, durch die Ankuͤndigung erkennt werden,<lb/> je gewiſſer wird die Aufmerkſamkeit gereizt. Auch<lb/> iſt es ſehr wichtig, daß dem Zuſchauer durch die<lb/> Ankuͤndigung gleich die Hauptperſonen, von einer<lb/> intereſſanten Seite vorgeſtellt werden.</p><lb/> <p>Man kann den Anfang des <hi rendition="#fr">Oedipus in Theben<lb/> von Sophokles,</hi> als ein vollkommenes Muſter der<lb/> Ankuͤndigung anpreiſen.</p><lb/> <p>Von der Ankuͤndigung des Jnhalts der Rede,<lb/> die gleich nach dem Eingange folget, (<hi rendition="#aq">Propoſitio</hi>)<lb/> iſt unnoͤthig viel zu ſagen. Sie hat fuͤr einen<lb/> wuͤrklich beredten Mann wenig Schwierigkeit.<lb/> Das was dabey zu bedenken iſt, beſonders, ob man<lb/> den Schluß der Rede vorher anzeigen, oder ver-<lb/> bergen ſoll, entdekt ſich einem Mann von gutem<lb/> Urtheil gar bald. 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Ank
Ank Anl
heit und Einfalt ſind die zwey Eigenſchaften, die
Horaz zur Ankuͤndigung fodert.
Nec ſic incipies, ut Scriptor cyclicus olim:
Fortunam Priami cantabo, et nobile bellum.
Quid dignum tanto feret hic promiſſor hiatu?
Parturiunt montes: naſcetur ridiculus mus.
Quanto rectius hic, qui nil molitur inepte?
„Dic mihi, Muſa, virum, captae poſt tempora Trojae,
„Qui mores hominum multorum vidit et urbes.
Non fumum ex fulgore, ſed ex ſumo dare lucem.
Cogitat. (*)
Die dramatiſche Ankuͤndigung hat Schwierig-
keiten von mehr, als einer Art. Da der Dichter
nicht ſelbſt ſpricht, und es unnatuͤrlich waͤre einer
handelnden Perſon die Ankuͤndigung gerade zu in
den Mund zu legen, ſo muß ſie durch Umwege ge-
ſchehen. Dazu kommt noch, daß man gar bald
zu viel von der Sache entdekt, deren Ungewißheit
den Zuſchauer in beſtaͤndiger Erwartung erhalten
muß. (*)
(*) Pars
Argumen-
ti explica-
tur, pars
reticetur
ad populi
expectatio-
nem te-
nendam.
Donatus.
Plautus, der, wie in manchem andern Stuͤk,
alſo auch hier, ſich an keine Regel band, hat ohne
Umſchweif durch ſeine Prologen die Ankuͤndigung
gemacht. Die meiſten Dichter aber haben dieſe
Art, weil ſie außer der Handlung liegt, nicht ohne
Grund verworfen: nur die engliſche Buͤhne hat
die Prologen beybehalten.
Die Griechen, ſo wie die meiſten Neuern, haben
den Jnhalt der Handlung durch den Anfang der
Handlung ſelbſt anzukuͤndigen geſucht. Sophokles
iſt darin am gluͤklichſten geweſen; dem Euripides
aber hat es damit ſelten gegluͤkt. Die Sache hat
in der That große Schwierigkeit. Denn da natuͤr-
licher Weiſe keine der handelnden Perſonen vorher
ſehen kann, was fuͤr eine Wendung, viel weniger,
was fuͤr einen Ausgang die Sachen nehmen werden,
ſo koͤnnen ſie die Handlung auch nicht beſtimmt
ankuͤndigen. Hier iſt ſie eine noch zufaͤllige kuͤnf-
tige Sache, da ſie in der epiſchen Ankuͤndigung,
als eine ſchon vergangene Sache erſcheint. Es
kann alſo in Drama weiter nichts angekuͤndiget
werden, als die Veranlaſſung und der Anfang der
Handlung, ihre Wichtigkeit, nebſt einigen dun-
keln Vermuthungen ihres Ausganges. Dabey
kann jeder die Schwierigkeit der Sache empfinden.
Die meiſten Neuern behandeln die Ankuͤndigung
ſo ſchlecht, daß man lange in Verwirrung und Un-
gewißheit uͤber die Veranlaſſung und uͤber die Natur
der Handlung bleibet.
Jm Trauerſpiel ſollte man aus den erſten Reden
der Perſonen ſo gleich erkennen, daß man am An-
fang einer wichtigen Handlung iſt, deren Ausgang
zwar ungewiß iſt, aber, von welcher Seite er kommen
moͤge, merkwuͤrdig ſeyn muß. Je genauer die Ver-
wiklung der Sachen, die Schwierigkeiten, und Ge-
fahren, die der Fortgang der Handlung heran brin-
gen wird, durch die Ankuͤndigung erkennt werden,
je gewiſſer wird die Aufmerkſamkeit gereizt. Auch
iſt es ſehr wichtig, daß dem Zuſchauer durch die
Ankuͤndigung gleich die Hauptperſonen, von einer
intereſſanten Seite vorgeſtellt werden.
Man kann den Anfang des Oedipus in Theben
von Sophokles, als ein vollkommenes Muſter der
Ankuͤndigung anpreiſen.
Von der Ankuͤndigung des Jnhalts der Rede,
die gleich nach dem Eingange folget, (Propoſitio)
iſt unnoͤthig viel zu ſagen. Sie hat fuͤr einen
wuͤrklich beredten Mann wenig Schwierigkeit.
Das was dabey zu bedenken iſt, beſonders, ob man
den Schluß der Rede vorher anzeigen, oder ver-
bergen ſoll, entdekt ſich einem Mann von gutem
Urtheil gar bald. Einiges Nachdenken uͤber die
verſchiedenen Ankuͤndigungen, wie ſie vom Demoſt-
henes oder Cicero behandelt worden, wird wenig
Ungewißheit in der Sache laſſen.
Nothwendiger iſt es vielleicht dieſes zu erinnern,
daß in der Rede ofte die Ankuͤndigung eines beſon-
dern Theils derſelben, der auf die Abhandlung
eines vorher gegangenen Theiles folget, noth-
wendig wird. Dieſes nennt Cicero: Propoſitio
quid ſis dicturus, et ab eo quod eſt dictum, ſeiun-
ctio. (*) Jn dieſen beſondern Ankuͤndigungen
ſind unter den Neuern die franzoͤſiſchen Schrift-
ſteller die beſten Muſter. Winkelmann hat auch
in dem blos dogmatiſchen Vortrag verſucht, die
alte griechiſche Art: So viel hievon; — nun davon,
wieder einzufuͤhren, welches nicht zu verwerfen iſt.
Nur fuͤr foͤrmliche Reden iſt dieſe Formel zu kurz.
(*) De O-
rat. L. III.
Anlage.
(Schoͤne Kuͤnſte.)
Die Darſtellung der weſentlichſten Theile eines
Werks, wodurch es im ganzen beſtimmt wird.
Jedes groͤßere Werk der Kunſt erfodert eine drey-
fache Arbeit. Die Anlage, von welcher hier die
Rede
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