Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch] Ano würde er manche gute Regel der Anordnunglernen. Anordnung in der Mahlerkunst. Kein Werk Man muß aber in dem Gemählde die dichterische Die poetische Anordnung bestimmt die Ordnung Demnach erfodert die Anordnung eines historischen Ano man die Hauptpersonen mit Mühe aus der Man-nigfaltigkeit der vorhandenen Gegenstände heraus suchen müßte. Besteht die Hauptgruppe aus meh- rern Personen, so muß die Hauptperson so gleich das Auge an sich ziehen. Dieses ist der Mittel- punkt, auf welchen alles übrige hingeführt wird. Man begreift leichte, daß der Mahler hierin Mit den Hauptpersonen müssen hernach die übri- Alle
[Spaltenumbruch] Ano wuͤrde er manche gute Regel der Anordnunglernen. Anordnung in der Mahlerkunſt. Kein Werk Man muß aber in dem Gemaͤhlde die dichteriſche Die poetiſche Anordnung beſtimmt die Ordnung Demnach erfodert die Anordnung eines hiſtoriſchen Ano man die Hauptperſonen mit Muͤhe aus der Man-nigfaltigkeit der vorhandenen Gegenſtaͤnde heraus ſuchen muͤßte. Beſteht die Hauptgruppe aus meh- rern Perſonen, ſo muß die Hauptperſon ſo gleich das Auge an ſich ziehen. Dieſes iſt der Mittel- punkt, auf welchen alles uͤbrige hingefuͤhrt wird. Man begreift leichte, daß der Mahler hierin Mit den Hauptperſonen muͤſſen hernach die uͤbri- Alle
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Durch jene<lb/> verſtehen wir die Ordnung, in welcher uns die<lb/> Perſonen und die Handlung vors Geſichte gelegt<lb/> werden; durch dieſe aber die Ordnung in den Maßen<lb/> des hellen und dunkeln, des Lichts und Schattens<lb/> in Abſicht auf die Haltung und Harmonie. Man<lb/> weiß, daß zu jeder beſondre Talente erfodert werden,<lb/> und daß Gemaͤhlde in Abſicht auf die eine Anord-<lb/> nung vollkommen ſeyn koͤnnen, wenn ſie wegen der<lb/> andern ſehr ſchwach ſind. Wir koͤnnen den <hi rendition="#fr">Panl<lb/> Veroneſe</hi> zum Beyſpiel anfuͤhren, der die dichteriſche<lb/> Anordnung in Gemaͤhlden, darin die mahleriſche An-<lb/> ordnung vollkommen iſt, ſehr ſchlecht beobachtet<lb/> hat. Seine Hochzeit zu Cana iſt voll Fehler.</p><lb/> <p>Die poetiſche Anordnung beſtimmt die Ordnung<lb/> der vorzuſtellenden Sache alſo, daß die ganze Vor-<lb/> ſtellung deutlich und lebhaft erkennt werde. Da man<lb/> aber keine Sache erkennen kann, als durch ihr We-<lb/> ſen, ſo muß in jedem Gemaͤhlde die Hauptſache,<lb/> der Grund der ganzen Vorſtellung zuerſt in die Au-<lb/> gen fallen. Denn nach dieſen muß alles andre<lb/> beurtheilet werden.</p><lb/> <p>Demnach erfodert die Anordnung eines hiſtoriſchen<lb/> Gemaͤhldes, daß die Hauptperſonen mit dem, was<lb/> ihre Handlung bezeichnet, zuerſt ins Auge fallen.<lb/> Sie muͤſſen von den Nebenperſonen durch beſondre<lb/> Gruppen, die das Auge gleich an ſich ziehen, unter-<lb/> ſchieden ſeyn. Dieſe vorſtechende Bezeichnung der<lb/> Hauptgruppe kann ſo wol durch die Groͤße der Fi-<lb/> guren, als durch die Zuſammenhaltung des Haupt-<lb/> lichts auf derſelben, und die vorzuͤgliche Stelle,<lb/> worauf ſie erſcheinen, erhalten werden. Es waͤre<lb/> ein ſehr großer Fehler gegen die Anordnung, wenn<lb/><cb/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Ano</hi></fw><lb/> man die Hauptperſonen mit Muͤhe aus der Man-<lb/> nigfaltigkeit der vorhandenen Gegenſtaͤnde heraus<lb/> ſuchen muͤßte. Beſteht die Hauptgruppe aus meh-<lb/> rern Perſonen, ſo muß die Hauptperſon ſo gleich<lb/> das Auge an ſich ziehen. Dieſes iſt der Mittel-<lb/> punkt, auf welchen alles uͤbrige hingefuͤhrt wird.</p><lb/> <p>Man begreift leichte, daß der Mahler hierin<lb/> nicht wol gluͤklich ſeyn koͤnne, wenn er nicht die Wuͤr-<lb/> kung ſeines Gemaͤhldes ſich auf das deutlichſte vor-<lb/> ſtellt. So lange er ſelbſt bey der Vorſtellung ſei-<lb/> nes Jnhalts nichts beſtimmtes empfindet, ſo wird<lb/> er auch nichts beſtimmtes ausdruͤken. Er muß<lb/> nothwendig die Geſchichte, die er vorſtellen will, in<lb/> einem gewiſſen Geſichtspunkt betrachten, und dem-<lb/> ſelben zufolge von einem beſtimmten Eindruk<lb/> als der Wuͤrkung dieſer Vorſtellung, geruͤhrt wer-<lb/> den. Die Handlung ſelbſt, oder die Hauptperſon,<lb/> muß durch ihren Charakter Ehrfurcht, oder Mit-<lb/> leiden, oder Unwillen, oder irgend eine andre Em-<lb/> pfindung erweken. Dieſe muß der Kuͤnſtler noth-<lb/> wendig |zuerſt fuͤhlen, und den Grund dieſes Ge-<lb/> fuͤhls in ſeiner eigenen Vorſtellung entdeken; denn<lb/> ſonſt wird er unmoͤglich ſeinen Jnhalt ſo vorſtellen,<lb/> daß er auf andre eine beſtimmte Wuͤrkung thue.<lb/> Jſt er aber ſeiner eigenen Empfindung gewiß, be-<lb/> merkt er, wodurch ſie in ihm entſteht; ſo wird er<lb/> auch ohne Muͤhe die Gegenſtaͤnde, welche ſie erre-<lb/> gen, gehoͤrig darſtellen.</p><lb/> <p>Mit den Hauptperſonen muͤſſen hernach die uͤbri-<lb/> gen ſo verbunden werden, daß ſie zu der einzigen<lb/> Hauptvorſtellung das ihrige mit beytragen, und<lb/> nicht anders, als Theile eines einzigen Gegenſtan-<lb/> des, und als Glieder eines einzigen Koͤrpers, er-<lb/> ſcheinen. 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Ano
Ano
wuͤrde er manche gute Regel der Anordnung
lernen.
Anordnung in der Mahlerkunſt. Kein Werk
des Geſchmaks kann ohne eine gute Anordnung
vollkommen ſchoͤn ſeyn, aber die Vollkommenheit
des Gemaͤhldes ſcheinet am unmittelbarſten von
derſelben abzuhangen. Wenn der Mahler darin
nicht gluͤklich geweſen, ſo bleibt ihm kaum noch ein
Mittel uͤbrig ſeine Vorſtellung recht begreiflich zu
machen. Ein uͤbel angeordnetes Gemaͤhlde laͤßt
uns entweder in einer gaͤnzlichen Unwiſſenheit ſeines
Jnhalts, oder giebt uns doch nur eine ganz unvoll-
kommene Vorſtellung deſſelben.
Man muß aber in dem Gemaͤhlde die dichteriſche
Anordnung von der mahleriſchen unterſcheiden;
jede hat ihre beſondre Beſchaffenheit. Durch jene
verſtehen wir die Ordnung, in welcher uns die
Perſonen und die Handlung vors Geſichte gelegt
werden; durch dieſe aber die Ordnung in den Maßen
des hellen und dunkeln, des Lichts und Schattens
in Abſicht auf die Haltung und Harmonie. Man
weiß, daß zu jeder beſondre Talente erfodert werden,
und daß Gemaͤhlde in Abſicht auf die eine Anord-
nung vollkommen ſeyn koͤnnen, wenn ſie wegen der
andern ſehr ſchwach ſind. Wir koͤnnen den Panl
Veroneſe zum Beyſpiel anfuͤhren, der die dichteriſche
Anordnung in Gemaͤhlden, darin die mahleriſche An-
ordnung vollkommen iſt, ſehr ſchlecht beobachtet
hat. Seine Hochzeit zu Cana iſt voll Fehler.
Die poetiſche Anordnung beſtimmt die Ordnung
der vorzuſtellenden Sache alſo, daß die ganze Vor-
ſtellung deutlich und lebhaft erkennt werde. Da man
aber keine Sache erkennen kann, als durch ihr We-
ſen, ſo muß in jedem Gemaͤhlde die Hauptſache,
der Grund der ganzen Vorſtellung zuerſt in die Au-
gen fallen. Denn nach dieſen muß alles andre
beurtheilet werden.
Demnach erfodert die Anordnung eines hiſtoriſchen
Gemaͤhldes, daß die Hauptperſonen mit dem, was
ihre Handlung bezeichnet, zuerſt ins Auge fallen.
Sie muͤſſen von den Nebenperſonen durch beſondre
Gruppen, die das Auge gleich an ſich ziehen, unter-
ſchieden ſeyn. Dieſe vorſtechende Bezeichnung der
Hauptgruppe kann ſo wol durch die Groͤße der Fi-
guren, als durch die Zuſammenhaltung des Haupt-
lichts auf derſelben, und die vorzuͤgliche Stelle,
worauf ſie erſcheinen, erhalten werden. Es waͤre
ein ſehr großer Fehler gegen die Anordnung, wenn
man die Hauptperſonen mit Muͤhe aus der Man-
nigfaltigkeit der vorhandenen Gegenſtaͤnde heraus
ſuchen muͤßte. Beſteht die Hauptgruppe aus meh-
rern Perſonen, ſo muß die Hauptperſon ſo gleich
das Auge an ſich ziehen. Dieſes iſt der Mittel-
punkt, auf welchen alles uͤbrige hingefuͤhrt wird.
Man begreift leichte, daß der Mahler hierin
nicht wol gluͤklich ſeyn koͤnne, wenn er nicht die Wuͤr-
kung ſeines Gemaͤhldes ſich auf das deutlichſte vor-
ſtellt. So lange er ſelbſt bey der Vorſtellung ſei-
nes Jnhalts nichts beſtimmtes empfindet, ſo wird
er auch nichts beſtimmtes ausdruͤken. Er muß
nothwendig die Geſchichte, die er vorſtellen will, in
einem gewiſſen Geſichtspunkt betrachten, und dem-
ſelben zufolge von einem beſtimmten Eindruk
als der Wuͤrkung dieſer Vorſtellung, geruͤhrt wer-
den. Die Handlung ſelbſt, oder die Hauptperſon,
muß durch ihren Charakter Ehrfurcht, oder Mit-
leiden, oder Unwillen, oder irgend eine andre Em-
pfindung erweken. Dieſe muß der Kuͤnſtler noth-
wendig |zuerſt fuͤhlen, und den Grund dieſes Ge-
fuͤhls in ſeiner eigenen Vorſtellung entdeken; denn
ſonſt wird er unmoͤglich ſeinen Jnhalt ſo vorſtellen,
daß er auf andre eine beſtimmte Wuͤrkung thue.
Jſt er aber ſeiner eigenen Empfindung gewiß, be-
merkt er, wodurch ſie in ihm entſteht; ſo wird er
auch ohne Muͤhe die Gegenſtaͤnde, welche ſie erre-
gen, gehoͤrig darſtellen.
Mit den Hauptperſonen muͤſſen hernach die uͤbri-
gen ſo verbunden werden, daß ſie zu der einzigen
Hauptvorſtellung das ihrige mit beytragen, und
nicht anders, als Theile eines einzigen Gegenſtan-
des, und als Glieder eines einzigen Koͤrpers, er-
ſcheinen. Erfodert die Erfindung des Gemaͤhldes
eine Mannigfaltigkeit der Perſonen und der unter-
geordneten Handlungen; ſo muͤſſen ſie nicht zufaͤllig
hingeſtellt werden, daß das Auge ungewiß wird,
worauf es in dieſer Verwirrung zu ſehen habe.
Was die Hauptvorſtellung am meiſten verſtaͤrket,
ſoll in einer Gruppe ſtehen, die zunaͤchſt mit der Haupt-
gruppe verbunden iſt, das andere immer entfernter,
ſo wie es das Jntereſſe bey der Handlung erfodert.
Von der beſondern Beſchaffenheit der Gruppen iſt
an einem andern Orte geſprochen worden. Hiebey
thut der Mahler wol, wenn er die allgemeine Re-
gel, die wir oben gegeben, wenig und große Haupt-
theile zu machen, vor Augen hat.
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