Aber gewiß hat der Dichter den feyerlichen Klang dieser Verse nicht gesucht; er ist ihm von seiner eige- nen Empfindung eingegeben worden.
Dergleichen leidenschaftliche Schilderungen ma- chen einen ganz andern Eindruk, als wenn ohne Lei- denschaft natürliche Dinge geschildert werden. Ue- brigens verdienet über diesen Artikel die schöne Ab- handlung des Hr. Schlegels von der Harmonie des Verses nachgelesen zu werden. (*)
Lebhaft. (Schöne Künste.)
Dieses Wort wird in den schönen Künsten oft und in mancherley Bedeutungen gebraucht, die allemal eine gute Eigenschaft anzeigen. Lebhaft ist, was viel Leben hat; das Leben aber besteht überhaupt in einer innern oder eigenthümlichen würkenden Kraft der Dinge. Aber es scheinet, daß nicht die Größe, sondern die schnelle Aeusserung dieser Kraft den Na- men der Lebhaftigkeit bekomme. Es giebt Menschen von kalter Sinnesart, die mit ausnehmend starker, und doch gelassener Kraft würken, aber deswegen nicht unter die lebhaften gezählt werden. Also schei- net der Begriff des Lebhaften etwas schnellwürken- des anzuzeigen, oder einen geringern Grad des Feurigen.
Lebhafte Farben sind helle Farben, die zugleich das Aug stark rühren, und etwas glänzendes haben. Lebhaft in der Musik, und in dem Ton der Rede, ist das, was stark und zugleich schnell vorgetragen wird. Lebhaft ist der Geist, der schnell faßt, und dabey schnell von einem Begriff auf den andern kommt; aber diese Schnelligkeit ohne Deutlichkeit der Vorstellung, scheinet blos Flüchtigkeit zu seyn. Lebhaft ist das Gemüth, das stark, aber zugleich schnell empfindet, und und eben so schnell von einer Empfindung zur andern übergeht. Aus diesen bey- den Begriffen läßt sich bestimmen, was der lebhafte Charakter des Menschen sey.
Dem Lebhaften ist zwar das Träge, auch das Kalte gerad entgegengesetzt; doch scheinet auch das [Spaltenumbruch]
Leb
Sanfte, Gefällige und Einschmeichelnde ihm einiger- maaßen entgegen zu stehen; jenes wiederspricht dem Lebhaften ganz, und mißfällt meistentheils. Dieses macht einen gefälligen Gegensatz, und ist noch in seiner Art angenehm. Jn den schönen Künsten ge- fällt das Lebhafte eben so gut, als das Sanfte; je- des an seinem Orte und in der genauen Ueberein- stimmung mit dem Charakter des Ganzen. Der Künstler muß sanft oder lebhaft seyn, nach Beschaf- fenheit des Gegenstandes, den er behandelt, oder der Vorstellung und Empfindung, die er zu erwe- ken hat.
Die Lebhaftigkeit hat an sich selbst, ohne Rük- sicht auf ihre Ursachen oder Würkungen etwas, das gefällt. Denn wie wir überhaupt Leben und Be- wegung der Ruhe vorziehen, so gefällt es uns auch wenn in dem Leben und in der Thätigkeit bisweilen einige lebhafte Augenblike vorkommen. Jndessen scheinet es doch, daß die Lebhaftigkeit sowol in dem Fortgange des Lebens, als in den Gegenständen des Geschmaks eigentlich nur als eine Würze zur Erhöhung der gewöhnlichen Vorstellungen diene. Jn dem gesellschaftlichen Umgange der Menschen würd' eine anhaltende Lebhaftigkeit ermüden. Kom- men aber bisweilen zwischen die gewöhnlichen Sce- nen des Lebens, einige von grösserer Lebhaftigkeit, so geben sie dem Geist und dem Gemüthe einen neuen Schwung und neue Kräfte. Aber eine lang- anhaltende Lebhaftigkeit ermüdet zu sehr, hem- met die Würkungen einer ruhigen Vernunft, und hindert den Menschen zu der Gründlichkeit und Standhaftigkeit zu kommen, der er sonst fähig wäre. Man kann bey ganzen Völkern, wie bey einzelen Menschen die Beobachtung machen, daß eine allge- meine und anhaltende Lebhaftigkeit sie nicht zu der Größe des Geistes und Herzens kommen läßt, der die Menschen überhaupt fähig sind.
Hieraus ziehen wir die Folge, daß in Werken des Geschmaks das, was man vorzüglich lebhaft nennet, ohne Nachtheil nicht allgemein werden därf. Es scheinet, daß die neuern französischen Kunstrichter die Lebhaftigkeit, für die erste und fürnehmste Eigen- schaft eines guten Schriftstellers halten; das erste Lob, das sie den Schriften, die ihnen gefallen, ge- ben, ziehlt meistentheils dahin ab; eine hinreißende feurige Schreibart, ist allemal das, was sie vor- züglich loben; aber es ist gerade das, was man bey
den
(*)Aene- id. L. IV.
(*) Jm zweyten Th. seiner Ueberse- zung des Batteux.
Zweyter Theil. Pp pp
[Spaltenumbruch]
Leb
Anſtalten, welche die Dido zu ihrem Tode macht, auf folgende Verſe kommt:
Aber gewiß hat der Dichter den feyerlichen Klang dieſer Verſe nicht geſucht; er iſt ihm von ſeiner eige- nen Empfindung eingegeben worden.
Dergleichen leidenſchaftliche Schilderungen ma- chen einen ganz andern Eindruk, als wenn ohne Lei- denſchaft natuͤrliche Dinge geſchildert werden. Ue- brigens verdienet uͤber dieſen Artikel die ſchoͤne Ab- handlung des Hr. Schlegels von der Harmonie des Verſes nachgeleſen zu werden. (*)
Lebhaft. (Schoͤne Kuͤnſte.)
Dieſes Wort wird in den ſchoͤnen Kuͤnſten oft und in mancherley Bedeutungen gebraucht, die allemal eine gute Eigenſchaft anzeigen. Lebhaft iſt, was viel Leben hat; das Leben aber beſteht uͤberhaupt in einer innern oder eigenthuͤmlichen wuͤrkenden Kraft der Dinge. Aber es ſcheinet, daß nicht die Groͤße, ſondern die ſchnelle Aeuſſerung dieſer Kraft den Na- men der Lebhaftigkeit bekomme. Es giebt Menſchen von kalter Sinnesart, die mit ausnehmend ſtarker, und doch gelaſſener Kraft wuͤrken, aber deswegen nicht unter die lebhaften gezaͤhlt werden. Alſo ſchei- net der Begriff des Lebhaften etwas ſchnellwuͤrken- des anzuzeigen, oder einen geringern Grad des Feurigen.
Lebhafte Farben ſind helle Farben, die zugleich das Aug ſtark ruͤhren, und etwas glaͤnzendes haben. Lebhaft in der Muſik, und in dem Ton der Rede, iſt das, was ſtark und zugleich ſchnell vorgetragen wird. Lebhaft iſt der Geiſt, der ſchnell faßt, und dabey ſchnell von einem Begriff auf den andern kommt; aber dieſe Schnelligkeit ohne Deutlichkeit der Vorſtellung, ſcheinet blos Fluͤchtigkeit zu ſeyn. Lebhaft iſt das Gemuͤth, das ſtark, aber zugleich ſchnell empfindet, und und eben ſo ſchnell von einer Empfindung zur andern uͤbergeht. Aus dieſen bey- den Begriffen laͤßt ſich beſtimmen, was der lebhafte Charakter des Menſchen ſey.
Dem Lebhaften iſt zwar das Traͤge, auch das Kalte gerad entgegengeſetzt; doch ſcheinet auch das [Spaltenumbruch]
Leb
Sanfte, Gefaͤllige und Einſchmeichelnde ihm einiger- maaßen entgegen zu ſtehen; jenes wiederſpricht dem Lebhaften ganz, und mißfaͤllt meiſtentheils. Dieſes macht einen gefaͤlligen Gegenſatz, und iſt noch in ſeiner Art angenehm. Jn den ſchoͤnen Kuͤnſten ge- faͤllt das Lebhafte eben ſo gut, als das Sanfte; je- des an ſeinem Orte und in der genauen Ueberein- ſtimmung mit dem Charakter des Ganzen. Der Kuͤnſtler muß ſanft oder lebhaft ſeyn, nach Beſchaf- fenheit des Gegenſtandes, den er behandelt, oder der Vorſtellung und Empfindung, die er zu erwe- ken hat.
Die Lebhaftigkeit hat an ſich ſelbſt, ohne Ruͤk- ſicht auf ihre Urſachen oder Wuͤrkungen etwas, das gefaͤllt. Denn wie wir uͤberhaupt Leben und Be- wegung der Ruhe vorziehen, ſo gefaͤllt es uns auch wenn in dem Leben und in der Thaͤtigkeit bisweilen einige lebhafte Augenblike vorkommen. Jndeſſen ſcheinet es doch, daß die Lebhaftigkeit ſowol in dem Fortgange des Lebens, als in den Gegenſtaͤnden des Geſchmaks eigentlich nur als eine Wuͤrze zur Erhoͤhung der gewoͤhnlichen Vorſtellungen diene. Jn dem geſellſchaftlichen Umgange der Menſchen wuͤrd’ eine anhaltende Lebhaftigkeit ermuͤden. Kom- men aber bisweilen zwiſchen die gewoͤhnlichen Sce- nen des Lebens, einige von groͤſſerer Lebhaftigkeit, ſo geben ſie dem Geiſt und dem Gemuͤthe einen neuen Schwung und neue Kraͤfte. Aber eine lang- anhaltende Lebhaftigkeit ermuͤdet zu ſehr, hem- met die Wuͤrkungen einer ruhigen Vernunft, und hindert den Menſchen zu der Gruͤndlichkeit und Standhaftigkeit zu kommen, der er ſonſt faͤhig waͤre. Man kann bey ganzen Voͤlkern, wie bey einzelen Menſchen die Beobachtung machen, daß eine allge- meine und anhaltende Lebhaftigkeit ſie nicht zu der Groͤße des Geiſtes und Herzens kommen laͤßt, der die Menſchen uͤberhaupt faͤhig ſind.
Hieraus ziehen wir die Folge, daß in Werken des Geſchmaks das, was man vorzuͤglich lebhaft nennet, ohne Nachtheil nicht allgemein werden daͤrf. Es ſcheinet, daß die neuern franzoͤſiſchen Kunſtrichter die Lebhaftigkeit, fuͤr die erſte und fuͤrnehmſte Eigen- ſchaft eines guten Schriftſtellers halten; das erſte Lob, das ſie den Schriften, die ihnen gefallen, ge- ben, ziehlt meiſtentheils dahin ab; eine hinreißende feurige Schreibart, iſt allemal das, was ſie vor- zuͤglich loben; aber es iſt gerade das, was man bey
den
(*)Aene- id. L. IV.
(*) Jm zweyten Th. ſeiner Ueberſe- zung des Batteux.
Zweyter Theil. Pp pp
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0100"n="683[665]"/><cb/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Leb</hi></fw><lb/>
Anſtalten, welche die Dido zu ihrem Tode macht,<lb/>
auf folgende Verſe kommt:</p><lb/><cit><quote><hirendition="#aq">Stant aræ circum, et crines effuſa ſacerdos,<lb/>
Tercentum tonat ore Deos, Erebumque chaosque<lb/>
Tergeminamque Hecaten</hi>—<noteplace="foot"n="(*)"><hirendition="#aq">Aene-<lb/>
id. L. IV.</hi></note></quote></cit><lb/><p>Aber gewiß hat der Dichter den feyerlichen Klang<lb/>
dieſer Verſe nicht geſucht; er iſt ihm von ſeiner eige-<lb/>
nen Empfindung eingegeben worden.</p><lb/><p>Dergleichen leidenſchaftliche Schilderungen ma-<lb/>
chen einen ganz andern Eindruk, als wenn ohne Lei-<lb/>
denſchaft natuͤrliche Dinge geſchildert werden. Ue-<lb/>
brigens verdienet uͤber dieſen Artikel die ſchoͤne Ab-<lb/>
handlung des Hr. Schlegels von der Harmonie des<lb/>
Verſes nachgeleſen zu werden. <noteplace="foot"n="(*)">Jm<lb/>
zweyten<lb/>
Th. ſeiner<lb/>
Ueberſe-<lb/>
zung des<lb/>
Batteux.</note></p></div><lb/><divn="2"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Lebhaft.</hi></hi><lb/>
(Schoͤne Kuͤnſte.)</head><lb/><p><hirendition="#in">D</hi>ieſes Wort wird in den ſchoͤnen Kuͤnſten oft und<lb/>
in mancherley Bedeutungen gebraucht, die allemal<lb/>
eine gute Eigenſchaft anzeigen. Lebhaft iſt, was<lb/>
viel Leben hat; das Leben aber beſteht uͤberhaupt in<lb/>
einer innern oder eigenthuͤmlichen wuͤrkenden Kraft<lb/>
der Dinge. Aber es ſcheinet, daß nicht die Groͤße,<lb/>ſondern die ſchnelle Aeuſſerung dieſer Kraft den Na-<lb/>
men der Lebhaftigkeit bekomme. Es giebt Menſchen<lb/>
von kalter Sinnesart, die mit ausnehmend ſtarker,<lb/>
und doch gelaſſener Kraft wuͤrken, aber deswegen<lb/>
nicht unter die lebhaften gezaͤhlt werden. Alſo ſchei-<lb/>
net der Begriff des Lebhaften etwas ſchnellwuͤrken-<lb/>
des anzuzeigen, oder einen geringern Grad des<lb/>
Feurigen.</p><lb/><p>Lebhafte Farben ſind helle Farben, die zugleich<lb/>
das Aug ſtark ruͤhren, und etwas glaͤnzendes haben.<lb/>
Lebhaft in der Muſik, und in dem Ton der Rede,<lb/>
iſt das, was ſtark und zugleich ſchnell vorgetragen<lb/>
wird. Lebhaft iſt der Geiſt, der ſchnell faßt, und<lb/>
dabey ſchnell von einem Begriff auf den andern<lb/>
kommt; aber dieſe Schnelligkeit ohne Deutlichkeit<lb/>
der Vorſtellung, ſcheinet blos Fluͤchtigkeit zu ſeyn.<lb/>
Lebhaft iſt das Gemuͤth, das ſtark, aber zugleich<lb/>ſchnell empfindet, und und eben ſo ſchnell von einer<lb/>
Empfindung zur andern uͤbergeht. Aus dieſen bey-<lb/>
den Begriffen laͤßt ſich beſtimmen, was der lebhafte<lb/>
Charakter des Menſchen ſey.</p><lb/><p>Dem Lebhaften iſt zwar das Traͤge, auch das<lb/>
Kalte gerad entgegengeſetzt; doch ſcheinet auch das<lb/><cb/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Leb</hi></fw><lb/>
Sanfte, Gefaͤllige und Einſchmeichelnde ihm einiger-<lb/>
maaßen entgegen zu ſtehen; jenes wiederſpricht dem<lb/>
Lebhaften ganz, und mißfaͤllt meiſtentheils. Dieſes<lb/>
macht einen gefaͤlligen Gegenſatz, und iſt noch in<lb/>ſeiner Art angenehm. Jn den ſchoͤnen Kuͤnſten ge-<lb/>
faͤllt das Lebhafte eben ſo gut, als das Sanfte; je-<lb/>
des an ſeinem Orte und in der genauen Ueberein-<lb/>ſtimmung mit dem Charakter des Ganzen. Der<lb/>
Kuͤnſtler muß ſanft oder lebhaft ſeyn, nach Beſchaf-<lb/>
fenheit des Gegenſtandes, den er behandelt, oder<lb/>
der Vorſtellung und Empfindung, die er zu erwe-<lb/>
ken hat.</p><lb/><p>Die Lebhaftigkeit hat an ſich ſelbſt, ohne Ruͤk-<lb/>ſicht auf ihre Urſachen oder Wuͤrkungen etwas, das<lb/>
gefaͤllt. Denn wie wir uͤberhaupt Leben und Be-<lb/>
wegung der Ruhe vorziehen, ſo gefaͤllt es uns auch<lb/>
wenn in dem Leben und in der Thaͤtigkeit bisweilen<lb/>
einige lebhafte Augenblike vorkommen. Jndeſſen<lb/>ſcheinet es doch, daß die Lebhaftigkeit ſowol in dem<lb/>
Fortgange des Lebens, als in den Gegenſtaͤnden<lb/>
des Geſchmaks eigentlich nur als eine Wuͤrze zur<lb/>
Erhoͤhung der gewoͤhnlichen Vorſtellungen diene.<lb/>
Jn dem geſellſchaftlichen Umgange der Menſchen<lb/>
wuͤrd’ eine anhaltende Lebhaftigkeit ermuͤden. Kom-<lb/>
men aber bisweilen zwiſchen die gewoͤhnlichen Sce-<lb/>
nen des Lebens, einige von groͤſſerer Lebhaftigkeit,<lb/>ſo geben ſie dem Geiſt und dem Gemuͤthe einen<lb/>
neuen Schwung und neue Kraͤfte. Aber eine lang-<lb/>
anhaltende Lebhaftigkeit ermuͤdet zu ſehr, hem-<lb/>
met die Wuͤrkungen einer ruhigen Vernunft, und<lb/>
hindert den Menſchen zu der Gruͤndlichkeit und<lb/>
Standhaftigkeit zu kommen, der er ſonſt faͤhig waͤre.<lb/>
Man kann bey ganzen Voͤlkern, wie bey einzelen<lb/>
Menſchen die Beobachtung machen, daß eine allge-<lb/>
meine und anhaltende Lebhaftigkeit ſie nicht zu der<lb/>
Groͤße des Geiſtes und Herzens kommen laͤßt, der<lb/>
die Menſchen uͤberhaupt faͤhig ſind.</p><lb/><p>Hieraus ziehen wir die Folge, daß in Werken des<lb/>
Geſchmaks das, was man vorzuͤglich lebhaft nennet,<lb/>
ohne Nachtheil nicht allgemein werden daͤrf. Es<lb/>ſcheinet, daß die neuern franzoͤſiſchen Kunſtrichter<lb/>
die Lebhaftigkeit, fuͤr die erſte und fuͤrnehmſte Eigen-<lb/>ſchaft eines guten Schriftſtellers halten; das erſte<lb/>
Lob, das ſie den Schriften, die ihnen gefallen, ge-<lb/>
ben, ziehlt meiſtentheils dahin ab; eine hinreißende<lb/>
feurige Schreibart, iſt allemal das, was ſie vor-<lb/>
zuͤglich loben; aber es iſt gerade das, was man bey<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#fr">Zweyter Theil.</hi> Pp pp</fw><fwplace="bottom"type="catch">den</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[683[665]/0100]
Leb
Leb
Anſtalten, welche die Dido zu ihrem Tode macht,
auf folgende Verſe kommt:
Stant aræ circum, et crines effuſa ſacerdos,
Tercentum tonat ore Deos, Erebumque chaosque
Tergeminamque Hecaten — (*)
Aber gewiß hat der Dichter den feyerlichen Klang
dieſer Verſe nicht geſucht; er iſt ihm von ſeiner eige-
nen Empfindung eingegeben worden.
Dergleichen leidenſchaftliche Schilderungen ma-
chen einen ganz andern Eindruk, als wenn ohne Lei-
denſchaft natuͤrliche Dinge geſchildert werden. Ue-
brigens verdienet uͤber dieſen Artikel die ſchoͤne Ab-
handlung des Hr. Schlegels von der Harmonie des
Verſes nachgeleſen zu werden. (*)
Lebhaft.
(Schoͤne Kuͤnſte.)
Dieſes Wort wird in den ſchoͤnen Kuͤnſten oft und
in mancherley Bedeutungen gebraucht, die allemal
eine gute Eigenſchaft anzeigen. Lebhaft iſt, was
viel Leben hat; das Leben aber beſteht uͤberhaupt in
einer innern oder eigenthuͤmlichen wuͤrkenden Kraft
der Dinge. Aber es ſcheinet, daß nicht die Groͤße,
ſondern die ſchnelle Aeuſſerung dieſer Kraft den Na-
men der Lebhaftigkeit bekomme. Es giebt Menſchen
von kalter Sinnesart, die mit ausnehmend ſtarker,
und doch gelaſſener Kraft wuͤrken, aber deswegen
nicht unter die lebhaften gezaͤhlt werden. Alſo ſchei-
net der Begriff des Lebhaften etwas ſchnellwuͤrken-
des anzuzeigen, oder einen geringern Grad des
Feurigen.
Lebhafte Farben ſind helle Farben, die zugleich
das Aug ſtark ruͤhren, und etwas glaͤnzendes haben.
Lebhaft in der Muſik, und in dem Ton der Rede,
iſt das, was ſtark und zugleich ſchnell vorgetragen
wird. Lebhaft iſt der Geiſt, der ſchnell faßt, und
dabey ſchnell von einem Begriff auf den andern
kommt; aber dieſe Schnelligkeit ohne Deutlichkeit
der Vorſtellung, ſcheinet blos Fluͤchtigkeit zu ſeyn.
Lebhaft iſt das Gemuͤth, das ſtark, aber zugleich
ſchnell empfindet, und und eben ſo ſchnell von einer
Empfindung zur andern uͤbergeht. Aus dieſen bey-
den Begriffen laͤßt ſich beſtimmen, was der lebhafte
Charakter des Menſchen ſey.
Dem Lebhaften iſt zwar das Traͤge, auch das
Kalte gerad entgegengeſetzt; doch ſcheinet auch das
Sanfte, Gefaͤllige und Einſchmeichelnde ihm einiger-
maaßen entgegen zu ſtehen; jenes wiederſpricht dem
Lebhaften ganz, und mißfaͤllt meiſtentheils. Dieſes
macht einen gefaͤlligen Gegenſatz, und iſt noch in
ſeiner Art angenehm. Jn den ſchoͤnen Kuͤnſten ge-
faͤllt das Lebhafte eben ſo gut, als das Sanfte; je-
des an ſeinem Orte und in der genauen Ueberein-
ſtimmung mit dem Charakter des Ganzen. Der
Kuͤnſtler muß ſanft oder lebhaft ſeyn, nach Beſchaf-
fenheit des Gegenſtandes, den er behandelt, oder
der Vorſtellung und Empfindung, die er zu erwe-
ken hat.
Die Lebhaftigkeit hat an ſich ſelbſt, ohne Ruͤk-
ſicht auf ihre Urſachen oder Wuͤrkungen etwas, das
gefaͤllt. Denn wie wir uͤberhaupt Leben und Be-
wegung der Ruhe vorziehen, ſo gefaͤllt es uns auch
wenn in dem Leben und in der Thaͤtigkeit bisweilen
einige lebhafte Augenblike vorkommen. Jndeſſen
ſcheinet es doch, daß die Lebhaftigkeit ſowol in dem
Fortgange des Lebens, als in den Gegenſtaͤnden
des Geſchmaks eigentlich nur als eine Wuͤrze zur
Erhoͤhung der gewoͤhnlichen Vorſtellungen diene.
Jn dem geſellſchaftlichen Umgange der Menſchen
wuͤrd’ eine anhaltende Lebhaftigkeit ermuͤden. Kom-
men aber bisweilen zwiſchen die gewoͤhnlichen Sce-
nen des Lebens, einige von groͤſſerer Lebhaftigkeit,
ſo geben ſie dem Geiſt und dem Gemuͤthe einen
neuen Schwung und neue Kraͤfte. Aber eine lang-
anhaltende Lebhaftigkeit ermuͤdet zu ſehr, hem-
met die Wuͤrkungen einer ruhigen Vernunft, und
hindert den Menſchen zu der Gruͤndlichkeit und
Standhaftigkeit zu kommen, der er ſonſt faͤhig waͤre.
Man kann bey ganzen Voͤlkern, wie bey einzelen
Menſchen die Beobachtung machen, daß eine allge-
meine und anhaltende Lebhaftigkeit ſie nicht zu der
Groͤße des Geiſtes und Herzens kommen laͤßt, der
die Menſchen uͤberhaupt faͤhig ſind.
Hieraus ziehen wir die Folge, daß in Werken des
Geſchmaks das, was man vorzuͤglich lebhaft nennet,
ohne Nachtheil nicht allgemein werden daͤrf. Es
ſcheinet, daß die neuern franzoͤſiſchen Kunſtrichter
die Lebhaftigkeit, fuͤr die erſte und fuͤrnehmſte Eigen-
ſchaft eines guten Schriftſtellers halten; das erſte
Lob, das ſie den Schriften, die ihnen gefallen, ge-
ben, ziehlt meiſtentheils dahin ab; eine hinreißende
feurige Schreibart, iſt allemal das, was ſie vor-
zuͤglich loben; aber es iſt gerade das, was man bey
den
(*) Aene-
id. L. IV.
(*) Jm
zweyten
Th. ſeiner
Ueberſe-
zung des
Batteux.
Zweyter Theil. Pp pp
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 683[665]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/100>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.