nium saeculi nennen kann, geben. Gegen diese nicht sichtbar würkenden Ursachen, vermögen Vorschläge, wenn sie gleich von der reinesten, gesundesten Vernunft gethan werden, sehr wenig. Aber man kann sich nicht enthalten das Muster der Vollkommenheit so bald man es entdeket aufzustellen, und eine Sache, die durch den Strohm der Vorurtheile und des schlech- ten Geschmaks umgerissen und verunstaltet worden, wenigstens in der Einbildung, schön zu sehen, und in ihrer Vollkommenheit zu genießen.
Der festeste Grund um die Oper, als ein präch- tiges und herrliches Gebäude daraufzusezen, wär ihre genaue Verbindung mit dem Nationalinteresse eines ganzen Volks. Aber daran ist in unsern Zei- ten nicht zu denken. Denn die Staaten haben sich niemals weiter, als izt, von dem Geist entfernt, der ehemals in Athen und Rom geherrscht, und durch den die öffentlichen Schauspiehle, besonders die griechische Tragödie, die im Grund eine würkli- che Oper war, (*) zu wesentlichen Stüken politischer und gottesdienstlicher Feyerlichkeiten geworden sind. Ohne so hoch in die unabsehbaren Gegenden der süßen Phantasien zu fliegen, wollen wir nur von den Ver- besserungen sprechen, die man der Oper nach der gegenwärtigen Lage der schönen Künste und der poli- tischen Anordnungen, geben könnte. Dazu würde, wie der Graf Algarotti richtig anmerkt, nothwendig erfodert, daß ein von den Musen geliebter großer Fürst, die ganze Veranstaltung dessen, was zu die- sem Schauspiehl gehöret, einem Mann gäbe, der mit dem guten Willen und viel Geschmak, ein vor- zügliches Ansehen besäße, wodurch er den Dichter, Tonsezer und alle zur Oper nothwendige Virtuosen, nach seinem Gefallen zu lenken vermöchte. Die Fo- derung ist schweer genug, um uns alle Gedanken zu benehmen, sie höher zu treiben.
Die Hauptsache käme nun auf den Dichter an. Dieser müßte, ohne Rüksicht auf die Sänger und ohne die vorher erwähnten Betrachtungen, die ihn gegenwärtig in so viel Ungereimtheiten verleiten, blos dieses zum Grundsaz nehmen, "ein Trauerspiehl zu verfertigen, dessen Jnhalt und Gang sich für die Hoheit, oder wenigstens das Empfindungsvolle des lyrischen Tones schikte." Dazu ist in Wahrheit je- der tragische Stoff schiklich, wenn nur dieses einzige dabey statt haben kann, daß die Handlung einen nicht eilfertigen Gang, und keine schweeren Ver- wiklungen habe. Eilfertig kann der Gang nicht [Spaltenumbruch]
Ope
seyn; weil dieses der Natur des Gesanges zuwider ist, der ein Verweilen auf den Empfindungen, aus denen die singende Laune entsteht, voraussezet. (*) Schweere Verwiklungen verträgt er noch weniger, weil dabey mehr der Verstand, als die Empfindung beschäftiget wird. Wo man Anschläge macht, Plane verabredet, sich berathschlaget, da ist man von dem Singen am weitesten entfernt.
Also würde der Operndichter von dem tragischen vornehmlich darin abgehen, daß er nicht, wie die- ser, eine Handlung vom Anfang bis zum Ende mit allen Verwiklungen, Anschlägen, Unterhandlungen und Jntrigen und Vorfällen, sondern blos das, was man dabey empfindet, und was mit verweilen- der Empfindung, dabey geredt oder gethan wird, vorstellte. Um dieses kurz und gut durch ein Bey- spiel zu erläutern, wollen wir Klopstoks Bardiet oder Hermanns Schlacht anführen, die viel Aehn- lichkeit mit der Oper hat, wie unser Jdeal sie zeiget. Der Dichter stellt, wie leicht zu erachten, nicht die Schlacht selbst, sondern die empfindungsvollen Aeus- serungen einer wolausgesuchten Anzahl merkwürdi- ger Personen, vor und während und nach der Schlacht vor. Darum fehlt es seinem Drama doch nicht an Handlung, noch an Verwiklung, noch an wahrem dramatischen Ausgang.
Man därf nur obenhin Oßians Fingal oder Te- mora lesen, um zu sehen, wie auch daraus wahrer Opernstoff zu schöpfen wäre. Wir wollen nur eines einzigen erwähnen. Jn dem Gedichte Temora sieht Fingal, von einigen Barden umgeben, der Schlacht von einem Hügel zu. Nachdem die Sachen sich wenden, schiket er von da Bothen an die Häupter des Heeres, oder empfängt Bothschaften von ihnen. Weil insgemein vor der Schlacht die Barden Gefänge anstimmten, so kann sich jeder leicht vorstellen, wie natürlich die Handlung hier mit Gesang anfieng. Jhr Fortgang, ihre mannigfaltigen Abwechslungen und Verwiklungen würden von Personen, die so we- sentlich dabey intereßirt sind, und so mancherley ab- wechselnde Leidenschaften dabey fühlen, in dem wah- ren lyrischen Ton, bald in Recitativen, bald in Arien, Liedern, oder Chören geschildert werden. Nach Endigung der Schlacht folgen Triumphlieder, und, wie wir sie bey Oßian im angezogenen Ge- dichte würklich finden, sehr mannigfaltig abwech- selnde, wahrhaftig lyrische Erzählungen von beson- dern Vorfällen; episodische Geschichten in dem höch-
sten
(*) S. Tragödie.
(*) S. Gesang.
[Spaltenumbruch]
Ope
nium ſæculi nennen kann, geben. Gegen dieſe nicht ſichtbar wuͤrkenden Urſachen, vermoͤgen Vorſchlaͤge, wenn ſie gleich von der reineſten, geſundeſten Vernunft gethan werden, ſehr wenig. Aber man kann ſich nicht enthalten das Muſter der Vollkommenheit ſo bald man es entdeket aufzuſtellen, und eine Sache, die durch den Strohm der Vorurtheile und des ſchlech- ten Geſchmaks umgeriſſen und verunſtaltet worden, wenigſtens in der Einbildung, ſchoͤn zu ſehen, und in ihrer Vollkommenheit zu genießen.
Der feſteſte Grund um die Oper, als ein praͤch- tiges und herrliches Gebaͤude daraufzuſezen, waͤr ihre genaue Verbindung mit dem Nationalintereſſe eines ganzen Volks. Aber daran iſt in unſern Zei- ten nicht zu denken. Denn die Staaten haben ſich niemals weiter, als izt, von dem Geiſt entfernt, der ehemals in Athen und Rom geherrſcht, und durch den die oͤffentlichen Schauſpiehle, beſonders die griechiſche Tragoͤdie, die im Grund eine wuͤrkli- che Oper war, (*) zu weſentlichen Stuͤken politiſcher und gottesdienſtlicher Feyerlichkeiten geworden ſind. Ohne ſo hoch in die unabſehbaren Gegenden der ſuͤßen Phantaſien zu fliegen, wollen wir nur von den Ver- beſſerungen ſprechen, die man der Oper nach der gegenwaͤrtigen Lage der ſchoͤnen Kuͤnſte und der poli- tiſchen Anordnungen, geben koͤnnte. Dazu wuͤrde, wie der Graf Algarotti richtig anmerkt, nothwendig erfodert, daß ein von den Muſen geliebter großer Fuͤrſt, die ganze Veranſtaltung deſſen, was zu die- ſem Schauſpiehl gehoͤret, einem Mann gaͤbe, der mit dem guten Willen und viel Geſchmak, ein vor- zuͤgliches Anſehen beſaͤße, wodurch er den Dichter, Tonſezer und alle zur Oper nothwendige Virtuoſen, nach ſeinem Gefallen zu lenken vermoͤchte. Die Fo- derung iſt ſchweer genug, um uns alle Gedanken zu benehmen, ſie hoͤher zu treiben.
Die Hauptſache kaͤme nun auf den Dichter an. Dieſer muͤßte, ohne Ruͤkſicht auf die Saͤnger und ohne die vorher erwaͤhnten Betrachtungen, die ihn gegenwaͤrtig in ſo viel Ungereimtheiten verleiten, blos dieſes zum Grundſaz nehmen, „ein Trauerſpiehl zu verfertigen, deſſen Jnhalt und Gang ſich fuͤr die Hoheit, oder wenigſtens das Empfindungsvolle des lyriſchen Tones ſchikte.“ Dazu iſt in Wahrheit je- der tragiſche Stoff ſchiklich, wenn nur dieſes einzige dabey ſtatt haben kann, daß die Handlung einen nicht eilfertigen Gang, und keine ſchweeren Ver- wiklungen habe. Eilfertig kann der Gang nicht [Spaltenumbruch]
Ope
ſeyn; weil dieſes der Natur des Geſanges zuwider iſt, der ein Verweilen auf den Empfindungen, aus denen die ſingende Laune entſteht, vorausſezet. (*) Schweere Verwiklungen vertraͤgt er noch weniger, weil dabey mehr der Verſtand, als die Empfindung beſchaͤftiget wird. Wo man Anſchlaͤge macht, Plane verabredet, ſich berathſchlaget, da iſt man von dem Singen am weiteſten entfernt.
Alſo wuͤrde der Operndichter von dem tragiſchen vornehmlich darin abgehen, daß er nicht, wie die- ſer, eine Handlung vom Anfang bis zum Ende mit allen Verwiklungen, Anſchlaͤgen, Unterhandlungen und Jntrigen und Vorfaͤllen, ſondern blos das, was man dabey empfindet, und was mit verweilen- der Empfindung, dabey geredt oder gethan wird, vorſtellte. Um dieſes kurz und gut durch ein Bey- ſpiel zu erlaͤutern, wollen wir Klopſtoks Bardiet oder Hermanns Schlacht anfuͤhren, die viel Aehn- lichkeit mit der Oper hat, wie unſer Jdeal ſie zeiget. Der Dichter ſtellt, wie leicht zu erachten, nicht die Schlacht ſelbſt, ſondern die empfindungsvollen Aeuſ- ſerungen einer wolausgeſuchten Anzahl merkwuͤrdi- ger Perſonen, vor und waͤhrend und nach der Schlacht vor. Darum fehlt es ſeinem Drama doch nicht an Handlung, noch an Verwiklung, noch an wahrem dramatiſchen Ausgang.
Man daͤrf nur obenhin Oßians Fingal oder Te- mora leſen, um zu ſehen, wie auch daraus wahrer Opernſtoff zu ſchoͤpfen waͤre. Wir wollen nur eines einzigen erwaͤhnen. Jn dem Gedichte Temora ſieht Fingal, von einigen Barden umgeben, der Schlacht von einem Huͤgel zu. Nachdem die Sachen ſich wenden, ſchiket er von da Bothen an die Haͤupter des Heeres, oder empfaͤngt Bothſchaften von ihnen. Weil insgemein vor der Schlacht die Barden Gefaͤnge anſtimmten, ſo kann ſich jeder leicht vorſtellen, wie natuͤrlich die Handlung hier mit Geſang anfieng. Jhr Fortgang, ihre mannigfaltigen Abwechslungen und Verwiklungen wuͤrden von Perſonen, die ſo we- ſentlich dabey intereßirt ſind, und ſo mancherley ab- wechſelnde Leidenſchaften dabey fuͤhlen, in dem wah- ren lyriſchen Ton, bald in Recitativen, bald in Arien, Liedern, oder Choͤren geſchildert werden. Nach Endigung der Schlacht folgen Triumphlieder, und, wie wir ſie bey Oßian im angezogenen Ge- dichte wuͤrklich finden, ſehr mannigfaltig abwech- ſelnde, wahrhaftig lyriſche Erzaͤhlungen von beſon- dern Vorfaͤllen; epiſodiſche Geſchichten in dem hoͤch-
ſten
(*) S. Tragoͤdie.
(*) S. Geſang.
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[846[828]/0263]
Ope
Ope
nium ſæculi nennen kann, geben. Gegen dieſe nicht
ſichtbar wuͤrkenden Urſachen, vermoͤgen Vorſchlaͤge,
wenn ſie gleich von der reineſten, geſundeſten Vernunft
gethan werden, ſehr wenig. Aber man kann ſich
nicht enthalten das Muſter der Vollkommenheit ſo
bald man es entdeket aufzuſtellen, und eine Sache,
die durch den Strohm der Vorurtheile und des ſchlech-
ten Geſchmaks umgeriſſen und verunſtaltet worden,
wenigſtens in der Einbildung, ſchoͤn zu ſehen, und in
ihrer Vollkommenheit zu genießen.
Der feſteſte Grund um die Oper, als ein praͤch-
tiges und herrliches Gebaͤude daraufzuſezen, waͤr
ihre genaue Verbindung mit dem Nationalintereſſe
eines ganzen Volks. Aber daran iſt in unſern Zei-
ten nicht zu denken. Denn die Staaten haben ſich
niemals weiter, als izt, von dem Geiſt entfernt,
der ehemals in Athen und Rom geherrſcht, und
durch den die oͤffentlichen Schauſpiehle, beſonders
die griechiſche Tragoͤdie, die im Grund eine wuͤrkli-
che Oper war, (*) zu weſentlichen Stuͤken politiſcher
und gottesdienſtlicher Feyerlichkeiten geworden ſind.
Ohne ſo hoch in die unabſehbaren Gegenden der ſuͤßen
Phantaſien zu fliegen, wollen wir nur von den Ver-
beſſerungen ſprechen, die man der Oper nach der
gegenwaͤrtigen Lage der ſchoͤnen Kuͤnſte und der poli-
tiſchen Anordnungen, geben koͤnnte. Dazu wuͤrde,
wie der Graf Algarotti richtig anmerkt, nothwendig
erfodert, daß ein von den Muſen geliebter großer
Fuͤrſt, die ganze Veranſtaltung deſſen, was zu die-
ſem Schauſpiehl gehoͤret, einem Mann gaͤbe, der
mit dem guten Willen und viel Geſchmak, ein vor-
zuͤgliches Anſehen beſaͤße, wodurch er den Dichter,
Tonſezer und alle zur Oper nothwendige Virtuoſen,
nach ſeinem Gefallen zu lenken vermoͤchte. Die Fo-
derung iſt ſchweer genug, um uns alle Gedanken zu
benehmen, ſie hoͤher zu treiben.
Die Hauptſache kaͤme nun auf den Dichter an.
Dieſer muͤßte, ohne Ruͤkſicht auf die Saͤnger und
ohne die vorher erwaͤhnten Betrachtungen, die ihn
gegenwaͤrtig in ſo viel Ungereimtheiten verleiten,
blos dieſes zum Grundſaz nehmen, „ein Trauerſpiehl
zu verfertigen, deſſen Jnhalt und Gang ſich fuͤr die
Hoheit, oder wenigſtens das Empfindungsvolle des
lyriſchen Tones ſchikte.“ Dazu iſt in Wahrheit je-
der tragiſche Stoff ſchiklich, wenn nur dieſes einzige
dabey ſtatt haben kann, daß die Handlung einen
nicht eilfertigen Gang, und keine ſchweeren Ver-
wiklungen habe. Eilfertig kann der Gang nicht
ſeyn; weil dieſes der Natur des Geſanges zuwider
iſt, der ein Verweilen auf den Empfindungen, aus
denen die ſingende Laune entſteht, vorausſezet. (*)
Schweere Verwiklungen vertraͤgt er noch weniger,
weil dabey mehr der Verſtand, als die Empfindung
beſchaͤftiget wird. Wo man Anſchlaͤge macht, Plane
verabredet, ſich berathſchlaget, da iſt man von dem
Singen am weiteſten entfernt.
Alſo wuͤrde der Operndichter von dem tragiſchen
vornehmlich darin abgehen, daß er nicht, wie die-
ſer, eine Handlung vom Anfang bis zum Ende mit
allen Verwiklungen, Anſchlaͤgen, Unterhandlungen
und Jntrigen und Vorfaͤllen, ſondern blos das,
was man dabey empfindet, und was mit verweilen-
der Empfindung, dabey geredt oder gethan wird,
vorſtellte. Um dieſes kurz und gut durch ein Bey-
ſpiel zu erlaͤutern, wollen wir Klopſtoks Bardiet
oder Hermanns Schlacht anfuͤhren, die viel Aehn-
lichkeit mit der Oper hat, wie unſer Jdeal ſie zeiget.
Der Dichter ſtellt, wie leicht zu erachten, nicht die
Schlacht ſelbſt, ſondern die empfindungsvollen Aeuſ-
ſerungen einer wolausgeſuchten Anzahl merkwuͤrdi-
ger Perſonen, vor und waͤhrend und nach der
Schlacht vor. Darum fehlt es ſeinem Drama doch
nicht an Handlung, noch an Verwiklung, noch an
wahrem dramatiſchen Ausgang.
Man daͤrf nur obenhin Oßians Fingal oder Te-
mora leſen, um zu ſehen, wie auch daraus wahrer
Opernſtoff zu ſchoͤpfen waͤre. Wir wollen nur eines
einzigen erwaͤhnen. Jn dem Gedichte Temora ſieht
Fingal, von einigen Barden umgeben, der Schlacht
von einem Huͤgel zu. Nachdem die Sachen ſich
wenden, ſchiket er von da Bothen an die Haͤupter
des Heeres, oder empfaͤngt Bothſchaften von ihnen.
Weil insgemein vor der Schlacht die Barden Gefaͤnge
anſtimmten, ſo kann ſich jeder leicht vorſtellen, wie
natuͤrlich die Handlung hier mit Geſang anfieng.
Jhr Fortgang, ihre mannigfaltigen Abwechslungen
und Verwiklungen wuͤrden von Perſonen, die ſo we-
ſentlich dabey intereßirt ſind, und ſo mancherley ab-
wechſelnde Leidenſchaften dabey fuͤhlen, in dem wah-
ren lyriſchen Ton, bald in Recitativen, bald in
Arien, Liedern, oder Choͤren geſchildert werden.
Nach Endigung der Schlacht folgen Triumphlieder,
und, wie wir ſie bey Oßian im angezogenen Ge-
dichte wuͤrklich finden, ſehr mannigfaltig abwech-
ſelnde, wahrhaftig lyriſche Erzaͤhlungen von beſon-
dern Vorfaͤllen; epiſodiſche Geſchichten in dem hoͤch-
ſten
(*) S.
Tragoͤdie.
(*) S.
Geſang.
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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 846[828]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/263>, abgerufen am 27.11.2024.
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