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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Ord
dicht von sehr geringhaltigem Stoff, das durchaus
einerley Vers hat. Dem schwachen Stoff muß
schon durch eine künstlichere Ordnung, darin ein
Rhythmus ist, etwas aufgeholfen werden. (*) Da-
durch bekommen Gebäude, die sonst gar nichts be-
merkenswürdiges an sich haben, bisweilen ein sehr
artiges Ansehen; dadurch werden Tonstüke, Tänze,
auch wol bisweilen kleine lyrische Gedichte, die man
ohne diese Zierde, die sie der Ordnung zu danken
haben, gar nicht achten würde, ziemlich angenehm.

Das wichtigste was der Künstler in Absicht auf
die Ordnung, die, so wie wir sie hier ansehen,
allemal die Form seines Werks betrifft, zu beden-
ken hat, ist, daß dasjenige, was von Ordnung
herkommt, dem Materiellen des Werks vollkommen
angemessen sey, damit einem schwachen Stoff durch
das Reizende der Ordnung aufgeholfen werde, einem
wichtigen aber durch das schimmernde der Ordnung
kein Nachtheil geschehe. Der Baumeister, dem es
gelungen wäre für eine prächtige Cathedralkirche eine
große Form zu erfinden, würde durch die schönste
und verwikeltste Eurythmie viel kleiner Theile, den
Haupteindruk, den das Gebäude machen sollte,
schwächen. Wo die Empfindung schon stark getrof-
fen worden, da muß die Phantasie nicht mehr ge-
reizt werden. Vielleicht ist es aus diesem Grunde
geschehen, daß der feine Geschmak der Griechen für
den Hymnus, wo das Herz blos von Andacht und
Bewundrung sollte gerührt werden, keine von den
künstlichen lyrischen Versarten, sondern den einfa-
chen Hexameter gewählt hat.

Eine verwikelte Ordnung hat mehr Reiz, als die
einfachere, aber dieser Reiz ist blos für die Phan-
tasie, und er kann sogar die Eindrüke auf den Ver-
stand und auf das Herz schwächen. Außer dem ist
das verwikelte auch nicht so leicht im Gedächtniß zu
behalten, als das einfachere. Wo es also darum
zu thun ist, daß das Materielle eines Werks fest in
den Gemüthern zurük bleibe, da ist die einfacheste
Ordnung, der verwikelten vorzuziehen. Jedermann
wird finden, daß unsere ehemahlige sehr einfache
lyrische Versarten bequämer sind, als die künstli-
chern Griechischen, um ein Lied oder eine Ode im
Gedächtnis zu behalten. Aus eben dem Grund fin-
det man in der Musik, daß die Melodien, die zum
Tanzen gemacht werden, wo es nöthig ist, sie leicht
ins Ohr zu fassen, allemal einen weit einfacheren
Rhythmus haben, als Stüke von demselben Cha-
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Ord
rakter, die blos zum Spiehlen für das Clavier ge-
sezt sind.

Ordnung; Säulenordnung.
(Baukunst.)

Die Griechen, die wir in der Baukunst zu unsern
Lehrern angenommen haben, bauten ihre Tempel
und andere öffentliche Gebäude so, daß meist allezeit
die Theile, welche Unterstüzung nöthig haben, durch
eine oder mehrere Reyhen von Säulen, an den
Außenseiten, oder inwendig, getragen wurden.
Nach dem Charakter und dem Geschmak, der in
dem Gebäude herrschen sollte, waren die Säulen
von besonderer Form, von besondern Verziehrungen
und Verhältnissen, und nach Berschiedenheit der
Säulen, wurden auch die über die Säulen gelegten
Theile, die man das Gebälk nennt, (*) in Ver-
hältnis und Verziehrung abgeändert. Die besondere
Art der Säule und des dazu gehörigen Gebälkes ist
das, was man eine Säulenordnung, oder schlechtweg
eine Ordnung nennt. Zu einer solchen Ordnung ge-
höret also die Säule, und das über ihr liegende Ge-
bälke, welches für jede besondere Art der Säule, auch
eine besondere Beschaffenheit hat, wodurch sich, so
gut als durch die Säule selbst, jede Ordnung von
den andern auszeichnet.

Jn der neuern Baukunst werden überhaupt viel
weniger Säulen an die Gebäude gesezt, als in der
alten Baukunst gebräuchlich gewesen, und man sieht
izt keine Gebäude mehr, die, wie viele griechische,
ringsherum mit einer, oder mehr Reyhen von Säu-
len umgeben wären, wo nicht etwa zur Seltenheit
etwa ein Lustgebäude nach antiken Geschmak im klei-
nen aufgeführt wird. Doch ist selten ein Pallast,
eine große Kirche, wo nicht von außen, oder inn-
wendig an einzelen Theilen Säulen angebracht wer-
den. Man siehet also noch immer die genaue Kenntnis
und den guten Geschmak in den Säulenordnungen
als einen sehr wesentlichen Theil dessen an, was ein
guter Baumeister besizen muß.

Die Griechen hatten nicht mehr, als drey Ord-
nungen, die nach den Völkern, die sie erfunden
hatten, die dorische, jonische und corinthische ge-
nennt worden. Die römischen Baumeister nahmen
sie auch an, und erfanden überdem eine neue Ord-
nung, die man die römische, oder Zusammenge-
sezte
nennt. Und weil die Hetrurier auch ihre be-
sondere Ordnung hatten, welche die Römer von

ihnen
(*) S.
Metrisch.
(*) S.
Gebälk.

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Ord
dicht von ſehr geringhaltigem Stoff, das durchaus
einerley Vers hat. Dem ſchwachen Stoff muß
ſchon durch eine kuͤnſtlichere Ordnung, darin ein
Rhythmus iſt, etwas aufgeholfen werden. (*) Da-
durch bekommen Gebaͤude, die ſonſt gar nichts be-
merkenswuͤrdiges an ſich haben, bisweilen ein ſehr
artiges Anſehen; dadurch werden Tonſtuͤke, Taͤnze,
auch wol bisweilen kleine lyriſche Gedichte, die man
ohne dieſe Zierde, die ſie der Ordnung zu danken
haben, gar nicht achten wuͤrde, ziemlich angenehm.

Das wichtigſte was der Kuͤnſtler in Abſicht auf
die Ordnung, die, ſo wie wir ſie hier anſehen,
allemal die Form ſeines Werks betrifft, zu beden-
ken hat, iſt, daß dasjenige, was von Ordnung
herkommt, dem Materiellen des Werks vollkommen
angemeſſen ſey, damit einem ſchwachen Stoff durch
das Reizende der Ordnung aufgeholfen werde, einem
wichtigen aber durch das ſchimmernde der Ordnung
kein Nachtheil geſchehe. Der Baumeiſter, dem es
gelungen waͤre fuͤr eine praͤchtige Cathedralkirche eine
große Form zu erfinden, wuͤrde durch die ſchoͤnſte
und verwikeltſte Eurythmie viel kleiner Theile, den
Haupteindruk, den das Gebaͤude machen ſollte,
ſchwaͤchen. Wo die Empfindung ſchon ſtark getrof-
fen worden, da muß die Phantaſie nicht mehr ge-
reizt werden. Vielleicht iſt es aus dieſem Grunde
geſchehen, daß der feine Geſchmak der Griechen fuͤr
den Hymnus, wo das Herz blos von Andacht und
Bewundrung ſollte geruͤhrt werden, keine von den
kuͤnſtlichen lyriſchen Versarten, ſondern den einfa-
chen Hexameter gewaͤhlt hat.

Eine verwikelte Ordnung hat mehr Reiz, als die
einfachere, aber dieſer Reiz iſt blos fuͤr die Phan-
taſie, und er kann ſogar die Eindruͤke auf den Ver-
ſtand und auf das Herz ſchwaͤchen. Außer dem iſt
das verwikelte auch nicht ſo leicht im Gedaͤchtniß zu
behalten, als das einfachere. Wo es alſo darum
zu thun iſt, daß das Materielle eines Werks feſt in
den Gemuͤthern zuruͤk bleibe, da iſt die einfacheſte
Ordnung, der verwikelten vorzuziehen. Jedermann
wird finden, daß unſere ehemahlige ſehr einfache
lyriſche Versarten bequaͤmer ſind, als die kuͤnſtli-
chern Griechiſchen, um ein Lied oder eine Ode im
Gedaͤchtnis zu behalten. Aus eben dem Grund fin-
det man in der Muſik, daß die Melodien, die zum
Tanzen gemacht werden, wo es noͤthig iſt, ſie leicht
ins Ohr zu faſſen, allemal einen weit einfacheren
Rhythmus haben, als Stuͤke von demſelben Cha-
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Ord
rakter, die blos zum Spiehlen fuͤr das Clavier ge-
ſezt ſind.

Ordnung; Saͤulenordnung.
(Baukunſt.)

Die Griechen, die wir in der Baukunſt zu unſern
Lehrern angenommen haben, bauten ihre Tempel
und andere oͤffentliche Gebaͤude ſo, daß meiſt allezeit
die Theile, welche Unterſtuͤzung noͤthig haben, durch
eine oder mehrere Reyhen von Saͤulen, an den
Außenſeiten, oder inwendig, getragen wurden.
Nach dem Charakter und dem Geſchmak, der in
dem Gebaͤude herrſchen ſollte, waren die Saͤulen
von beſonderer Form, von beſondern Verziehrungen
und Verhaͤltniſſen, und nach Berſchiedenheit der
Saͤulen, wurden auch die uͤber die Saͤulen gelegten
Theile, die man das Gebaͤlk nennt, (*) in Ver-
haͤltnis und Verziehrung abgeaͤndert. Die beſondere
Art der Saͤule und des dazu gehoͤrigen Gebaͤlkes iſt
das, was man eine Saͤulenordnung, oder ſchlechtweg
eine Ordnung nennt. Zu einer ſolchen Ordnung ge-
hoͤret alſo die Saͤule, und das uͤber ihr liegende Ge-
baͤlke, welches fuͤr jede beſondere Art der Saͤule, auch
eine beſondere Beſchaffenheit hat, wodurch ſich, ſo
gut als durch die Saͤule ſelbſt, jede Ordnung von
den andern auszeichnet.

Jn der neuern Baukunſt werden uͤberhaupt viel
weniger Saͤulen an die Gebaͤude geſezt, als in der
alten Baukunſt gebraͤuchlich geweſen, und man ſieht
izt keine Gebaͤude mehr, die, wie viele griechiſche,
ringsherum mit einer, oder mehr Reyhen von Saͤu-
len umgeben waͤren, wo nicht etwa zur Seltenheit
etwa ein Luſtgebaͤude nach antiken Geſchmak im klei-
nen aufgefuͤhrt wird. Doch iſt ſelten ein Pallaſt,
eine große Kirche, wo nicht von außen, oder inn-
wendig an einzelen Theilen Saͤulen angebracht wer-
den. Man ſiehet alſo noch immer die genaue Kenntnis
und den guten Geſchmak in den Saͤulenordnungen
als einen ſehr weſentlichen Theil deſſen an, was ein
guter Baumeiſter beſizen muß.

Die Griechen hatten nicht mehr, als drey Ord-
nungen, die nach den Voͤlkern, die ſie erfunden
hatten, die doriſche, joniſche und corinthiſche ge-
nennt worden. Die roͤmiſchen Baumeiſter nahmen
ſie auch an, und erfanden uͤberdem eine neue Ord-
nung, die man die roͤmiſche, oder Zuſammenge-
ſezte
nennt. Und weil die Hetrurier auch ihre be-
ſondere Ordnung hatten, welche die Roͤmer von

ihnen
(*) S.
Metriſch.
(*) S.
Gebaͤlk.
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[856[838]/0273] Ord Ord dicht von ſehr geringhaltigem Stoff, das durchaus einerley Vers hat. Dem ſchwachen Stoff muß ſchon durch eine kuͤnſtlichere Ordnung, darin ein Rhythmus iſt, etwas aufgeholfen werden. (*) Da- durch bekommen Gebaͤude, die ſonſt gar nichts be- merkenswuͤrdiges an ſich haben, bisweilen ein ſehr artiges Anſehen; dadurch werden Tonſtuͤke, Taͤnze, auch wol bisweilen kleine lyriſche Gedichte, die man ohne dieſe Zierde, die ſie der Ordnung zu danken haben, gar nicht achten wuͤrde, ziemlich angenehm. Das wichtigſte was der Kuͤnſtler in Abſicht auf die Ordnung, die, ſo wie wir ſie hier anſehen, allemal die Form ſeines Werks betrifft, zu beden- ken hat, iſt, daß dasjenige, was von Ordnung herkommt, dem Materiellen des Werks vollkommen angemeſſen ſey, damit einem ſchwachen Stoff durch das Reizende der Ordnung aufgeholfen werde, einem wichtigen aber durch das ſchimmernde der Ordnung kein Nachtheil geſchehe. Der Baumeiſter, dem es gelungen waͤre fuͤr eine praͤchtige Cathedralkirche eine große Form zu erfinden, wuͤrde durch die ſchoͤnſte und verwikeltſte Eurythmie viel kleiner Theile, den Haupteindruk, den das Gebaͤude machen ſollte, ſchwaͤchen. Wo die Empfindung ſchon ſtark getrof- fen worden, da muß die Phantaſie nicht mehr ge- reizt werden. Vielleicht iſt es aus dieſem Grunde geſchehen, daß der feine Geſchmak der Griechen fuͤr den Hymnus, wo das Herz blos von Andacht und Bewundrung ſollte geruͤhrt werden, keine von den kuͤnſtlichen lyriſchen Versarten, ſondern den einfa- chen Hexameter gewaͤhlt hat. Eine verwikelte Ordnung hat mehr Reiz, als die einfachere, aber dieſer Reiz iſt blos fuͤr die Phan- taſie, und er kann ſogar die Eindruͤke auf den Ver- ſtand und auf das Herz ſchwaͤchen. Außer dem iſt das verwikelte auch nicht ſo leicht im Gedaͤchtniß zu behalten, als das einfachere. Wo es alſo darum zu thun iſt, daß das Materielle eines Werks feſt in den Gemuͤthern zuruͤk bleibe, da iſt die einfacheſte Ordnung, der verwikelten vorzuziehen. Jedermann wird finden, daß unſere ehemahlige ſehr einfache lyriſche Versarten bequaͤmer ſind, als die kuͤnſtli- chern Griechiſchen, um ein Lied oder eine Ode im Gedaͤchtnis zu behalten. Aus eben dem Grund fin- det man in der Muſik, daß die Melodien, die zum Tanzen gemacht werden, wo es noͤthig iſt, ſie leicht ins Ohr zu faſſen, allemal einen weit einfacheren Rhythmus haben, als Stuͤke von demſelben Cha- rakter, die blos zum Spiehlen fuͤr das Clavier ge- ſezt ſind. Ordnung; Saͤulenordnung. (Baukunſt.) Die Griechen, die wir in der Baukunſt zu unſern Lehrern angenommen haben, bauten ihre Tempel und andere oͤffentliche Gebaͤude ſo, daß meiſt allezeit die Theile, welche Unterſtuͤzung noͤthig haben, durch eine oder mehrere Reyhen von Saͤulen, an den Außenſeiten, oder inwendig, getragen wurden. Nach dem Charakter und dem Geſchmak, der in dem Gebaͤude herrſchen ſollte, waren die Saͤulen von beſonderer Form, von beſondern Verziehrungen und Verhaͤltniſſen, und nach Berſchiedenheit der Saͤulen, wurden auch die uͤber die Saͤulen gelegten Theile, die man das Gebaͤlk nennt, (*) in Ver- haͤltnis und Verziehrung abgeaͤndert. Die beſondere Art der Saͤule und des dazu gehoͤrigen Gebaͤlkes iſt das, was man eine Saͤulenordnung, oder ſchlechtweg eine Ordnung nennt. Zu einer ſolchen Ordnung ge- hoͤret alſo die Saͤule, und das uͤber ihr liegende Ge- baͤlke, welches fuͤr jede beſondere Art der Saͤule, auch eine beſondere Beſchaffenheit hat, wodurch ſich, ſo gut als durch die Saͤule ſelbſt, jede Ordnung von den andern auszeichnet. Jn der neuern Baukunſt werden uͤberhaupt viel weniger Saͤulen an die Gebaͤude geſezt, als in der alten Baukunſt gebraͤuchlich geweſen, und man ſieht izt keine Gebaͤude mehr, die, wie viele griechiſche, ringsherum mit einer, oder mehr Reyhen von Saͤu- len umgeben waͤren, wo nicht etwa zur Seltenheit etwa ein Luſtgebaͤude nach antiken Geſchmak im klei- nen aufgefuͤhrt wird. Doch iſt ſelten ein Pallaſt, eine große Kirche, wo nicht von außen, oder inn- wendig an einzelen Theilen Saͤulen angebracht wer- den. Man ſiehet alſo noch immer die genaue Kenntnis und den guten Geſchmak in den Saͤulenordnungen als einen ſehr weſentlichen Theil deſſen an, was ein guter Baumeiſter beſizen muß. Die Griechen hatten nicht mehr, als drey Ord- nungen, die nach den Voͤlkern, die ſie erfunden hatten, die doriſche, joniſche und corinthiſche ge- nennt worden. Die roͤmiſchen Baumeiſter nahmen ſie auch an, und erfanden uͤberdem eine neue Ord- nung, die man die roͤmiſche, oder Zuſammenge- ſezte nennt. Und weil die Hetrurier auch ihre be- ſondere Ordnung hatten, welche die Roͤmer von ihnen (*) S. Metriſch. (*) S. Gebaͤlk.

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 856[838]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/273>, abgerufen am 28.11.2024.