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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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[Spaltenumbruch]

Oßi
sie seyn, um durch blos mündliches Ueberliefern auf
die Nachwelt zu kommen.

Auch darin zeichnet der Caledonier sich von dem
jonischen Sänger sehr merklich aus, daß er sehr oft
lyrische Anfälle bekommt, denen er sich überläßt,
weil er wegen des geringen Reichthums im Stoffe
selbst, weniger nöthig hatte sich an die Erzählung zu
halten. Ofte kommt man auf Stellen von ziem-
licher Länge, die nicht so wol für epische Beschrei-
bungen oder Erzählungen dessen sind, was der Barde
gesehen, als lyrische, Oden- oder Elegienmäßige
Aeußerungen dessen, das er dabey empfunden hat.
Nicht selten tritt er aus seiner Erzählung heraus, um
mit sich selbst zu sprechen. Aber eben dieses giebt
dem Gedicht große Lebhaftigkeit.

Ein sehr beträchtlicher Unterschied in der Anlage,
zwischen der Homerischen und Oßianischen Epopöe
befindet sich darin, daß in dieser das Jntresse der
ganzen Handlung weder so groß ist, noch uns so be-
ständig vor Augen schwebt, als in jener. Hier ist
es nicht um weit aussehende Unternehmungen, nicht
um Eroberung großer Länder, oder Zerstöhrung
großer Städte und ganzer Staaten zu thun, der-
gleichen Jntresse konnte bey so kleinen Völkern nicht
statt haben; sondern darum, daß ein plözlich ein-
fallender Feind, durch eine einzige Schlacht zurük
getrieben werde. Man wird also dabey weniger,
als beym Homer angestrengt, sich die Lage der Sa-
chen in Absicht auf das Ganze vorzustellen, man-
cherley Anschlägen durch ihre Ausführung zu folgen,
und die Politik der Helden zu beobachten; der Ver-
stand hat wenig dabey zu thun, aber das Herz wird
mehr beschäftiget. Darum endiget sich die Hand-
lung auch mit keiner wichtigen Catastrophe; der
Feind ist überwunden, und nun sind Handlung und
Gedicht zu Ende.

Der National Unterschied zeiget sich eben so stark
in den Charakteren. Man findet bey Oßians Hel-
den keine Spuhr von dem hizigen und im Zorn bru-
talen griechischen Temperament. Hier sind gesezte,
kalte, aber darum doch unüberwindliche, und ohne
Hiz überall durchdringende Helden, und, was man
bey den Griechen nicht findet, bis zum Erhabenen
edle und menschlich gesinnte Charaktere. Der Griech
ist fast allezeit auf seinen Feind erbittert, und im
Streit giebt diese Erbitterung ihm Kräfte; die Ca-
ledonischen Helden sind fast durchgehends gelassen
und streiten, ohne alle Erbitterung, um den Vor-
[Spaltenumbruch]

Oßi
zug der Stärke und der Tapferkeit. Man wird
schweerlich, weder in Gedichten noch in der Ge-
schichte, einen edlern Heldencharakter antreffen, als
des Fingals. Jch kann der Begierde, die reizen-
den Züge desselben hier anzuführen, nicht wieder-
stehen. Auch für die, denen Oßian wol bekannt ist,
wird es Wollust seyn, die Züge dieses großen Cha-
rakters hier wieder zu finden.

Jch sagte, Fingal sey der bessere Achilles. Denn
er führte überall wo er hinkam den Sieg mit sich,
und wenn schon alles verlohren war, wurd durch ihn
alles wieder gut gemacht; jeder der stärksten und küh-
nesten ward von ihm überwunden, und nie vermochte
ein Feind ihm zu wiederstehen: dabey war er der beste
Mensch. Wie groß sein Kriegesruhm gewesen sey und
was für Schreken seine Gegenwart dem Feind einge-
präget habe, kann man aus folgender Stelle abneh-
men, die zugleich von Fingals Größe und von seines
Sohnes Genie, sie zu schildern, zeuget. Jn der
Schlacht, die den Stoff der Epopöe Temora ausmacht,
sah der König, nach Gewohnheit seiner Zeit, dem Streit
von einer Höhe zu. Die Feinde waren außeror-
dentlich tapfer und Fillan Fingals Sohn, der der
Hauptanführer war, fiel unter dem Schwerdt des
feindlichen Heerführers, als eben die Nacht die bey-
den Heere vom Streit abrufte. Der König ent-
schließt sich nun selbst in die Schlacht zu gehen, und
thut diesen Schluß nach damaliger Kriegesart da-
durch kund, daß er mit dem Speer dreymal an sein
Schild klopfet. Dieses Zeichen wird von seinem
und dem feindlichen Heere wol verstanden, und der
Dichter beschreibet uns die Würkung davon also:

Geister entwiechen von jeglicher Seite; (+) sie rollten(*) Die
Celten
glaubten
die Luft sey
voll von
Geistern
verstorbe-
ner Helden
die einen
Körpet von
sehr feiner
Nebelma-
terie hät-
ten.

im Winde
Jhre Gestallten zusammen; die Stimmen des Todes
erfüllten
Dreymal das schlänglichte Thal, und ohne den Finger
der Barden
Bebte von jeglicher Harfe den Hügel hinüber ein Weh-
laut.
Aber der Schild klang wieder. Da träumten die
Männer von Morven
Eitel Gefechte, da glänzte der weit sich wälzende Blut-
strauß
Ueber ihr ganzes Gemüthe Blauschildige Könige stiegen
Nieder zur Schlacht. Es blikten Geschwadet im Flie-
hen zurüke.
Endlich erhub sich das dritte Getön, und von Höhlen
der Berge
Sprang
P p p p p 2

[Spaltenumbruch]

Oßi
ſie ſeyn, um durch blos muͤndliches Ueberliefern auf
die Nachwelt zu kommen.

Auch darin zeichnet der Caledonier ſich von dem
joniſchen Saͤnger ſehr merklich aus, daß er ſehr oft
lyriſche Anfaͤlle bekommt, denen er ſich uͤberlaͤßt,
weil er wegen des geringen Reichthums im Stoffe
ſelbſt, weniger noͤthig hatte ſich an die Erzaͤhlung zu
halten. Ofte kommt man auf Stellen von ziem-
licher Laͤnge, die nicht ſo wol fuͤr epiſche Beſchrei-
bungen oder Erzaͤhlungen deſſen ſind, was der Barde
geſehen, als lyriſche, Oden- oder Elegienmaͤßige
Aeußerungen deſſen, das er dabey empfunden hat.
Nicht ſelten tritt er aus ſeiner Erzaͤhlung heraus, um
mit ſich ſelbſt zu ſprechen. Aber eben dieſes giebt
dem Gedicht große Lebhaftigkeit.

Ein ſehr betraͤchtlicher Unterſchied in der Anlage,
zwiſchen der Homeriſchen und Oßianiſchen Epopoͤe
befindet ſich darin, daß in dieſer das Jntreſſe der
ganzen Handlung weder ſo groß iſt, noch uns ſo be-
ſtaͤndig vor Augen ſchwebt, als in jener. Hier iſt
es nicht um weit ausſehende Unternehmungen, nicht
um Eroberung großer Laͤnder, oder Zerſtoͤhrung
großer Staͤdte und ganzer Staaten zu thun, der-
gleichen Jntreſſe konnte bey ſo kleinen Voͤlkern nicht
ſtatt haben; ſondern darum, daß ein ploͤzlich ein-
fallender Feind, durch eine einzige Schlacht zuruͤk
getrieben werde. Man wird alſo dabey weniger,
als beym Homer angeſtrengt, ſich die Lage der Sa-
chen in Abſicht auf das Ganze vorzuſtellen, man-
cherley Anſchlaͤgen durch ihre Ausfuͤhrung zu folgen,
und die Politik der Helden zu beobachten; der Ver-
ſtand hat wenig dabey zu thun, aber das Herz wird
mehr beſchaͤftiget. Darum endiget ſich die Hand-
lung auch mit keiner wichtigen Cataſtrophe; der
Feind iſt uͤberwunden, und nun ſind Handlung und
Gedicht zu Ende.

Der National Unterſchied zeiget ſich eben ſo ſtark
in den Charakteren. Man findet bey Oßians Hel-
den keine Spuhr von dem hizigen und im Zorn bru-
talen griechiſchen Temperament. Hier ſind geſezte,
kalte, aber darum doch unuͤberwindliche, und ohne
Hiz uͤberall durchdringende Helden, und, was man
bey den Griechen nicht findet, bis zum Erhabenen
edle und menſchlich geſinnte Charaktere. Der Griech
iſt faſt allezeit auf ſeinen Feind erbittert, und im
Streit giebt dieſe Erbitterung ihm Kraͤfte; die Ca-
ledoniſchen Helden ſind faſt durchgehends gelaſſen
und ſtreiten, ohne alle Erbitterung, um den Vor-
[Spaltenumbruch]

Oßi
zug der Staͤrke und der Tapferkeit. Man wird
ſchweerlich, weder in Gedichten noch in der Ge-
ſchichte, einen edlern Heldencharakter antreffen, als
des Fingals. Jch kann der Begierde, die reizen-
den Zuͤge deſſelben hier anzufuͤhren, nicht wieder-
ſtehen. Auch fuͤr die, denen Oßian wol bekannt iſt,
wird es Wolluſt ſeyn, die Zuͤge dieſes großen Cha-
rakters hier wieder zu finden.

Jch ſagte, Fingal ſey der beſſere Achilles. Denn
er fuͤhrte uͤberall wo er hinkam den Sieg mit ſich,
und wenn ſchon alles verlohren war, wurd durch ihn
alles wieder gut gemacht; jeder der ſtaͤrkſten und kuͤh-
neſten ward von ihm uͤberwunden, und nie vermochte
ein Feind ihm zu wiederſtehen: dabey war er der beſte
Menſch. Wie groß ſein Kriegesruhm geweſen ſey und
was fuͤr Schreken ſeine Gegenwart dem Feind einge-
praͤget habe, kann man aus folgender Stelle abneh-
men, die zugleich von Fingals Groͤße und von ſeines
Sohnes Genie, ſie zu ſchildern, zeuget. Jn der
Schlacht, die den Stoff der Epopoͤe Temora ausmacht,
ſah der Koͤnig, nach Gewohnheit ſeiner Zeit, dem Streit
von einer Hoͤhe zu. Die Feinde waren außeror-
dentlich tapfer und Fillan Fingals Sohn, der der
Hauptanfuͤhrer war, fiel unter dem Schwerdt des
feindlichen Heerfuͤhrers, als eben die Nacht die bey-
den Heere vom Streit abrufte. Der Koͤnig ent-
ſchließt ſich nun ſelbſt in die Schlacht zu gehen, und
thut dieſen Schluß nach damaliger Kriegesart da-
durch kund, daß er mit dem Speer dreymal an ſein
Schild klopfet. Dieſes Zeichen wird von ſeinem
und dem feindlichen Heere wol verſtanden, und der
Dichter beſchreibet uns die Wuͤrkung davon alſo:

Geiſter entwiechen von jeglicher Seite; (†) ſie rollten(*) Die
Celten
glaubten
die Luft ſey
voll von
Geiſtern
verſtorbe-
ner Helden
die einen
Koͤrpet von
ſehr feiner
Nebelma-
terie haͤt-
ten.

im Winde
Jhre Geſtallten zuſammen; die Stimmen des Todes
erfuͤllten
Dreymal das ſchlaͤnglichte Thal, und ohne den Finger
der Barden
Bebte von jeglicher Harfe den Huͤgel hinuͤber ein Weh-
laut.
Aber der Schild klang wieder. Da traͤumten die
Maͤnner von Morven
Eitel Gefechte, da glaͤnzte der weit ſich waͤlzende Blut-
ſtrauß
Ueber ihr ganzes Gemuͤthe Blauſchildige Koͤnige ſtiegen
Nieder zur Schlacht. Es blikten Geſchwadet im Flie-
hen zuruͤke.
Endlich erhub ſich das dritte Getoͤn, und von Hoͤhlen
der Berge
Sprang
P p p p p 2
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[869[851]/0286] Oßi Oßi ſie ſeyn, um durch blos muͤndliches Ueberliefern auf die Nachwelt zu kommen. Auch darin zeichnet der Caledonier ſich von dem joniſchen Saͤnger ſehr merklich aus, daß er ſehr oft lyriſche Anfaͤlle bekommt, denen er ſich uͤberlaͤßt, weil er wegen des geringen Reichthums im Stoffe ſelbſt, weniger noͤthig hatte ſich an die Erzaͤhlung zu halten. Ofte kommt man auf Stellen von ziem- licher Laͤnge, die nicht ſo wol fuͤr epiſche Beſchrei- bungen oder Erzaͤhlungen deſſen ſind, was der Barde geſehen, als lyriſche, Oden- oder Elegienmaͤßige Aeußerungen deſſen, das er dabey empfunden hat. Nicht ſelten tritt er aus ſeiner Erzaͤhlung heraus, um mit ſich ſelbſt zu ſprechen. Aber eben dieſes giebt dem Gedicht große Lebhaftigkeit. Ein ſehr betraͤchtlicher Unterſchied in der Anlage, zwiſchen der Homeriſchen und Oßianiſchen Epopoͤe befindet ſich darin, daß in dieſer das Jntreſſe der ganzen Handlung weder ſo groß iſt, noch uns ſo be- ſtaͤndig vor Augen ſchwebt, als in jener. Hier iſt es nicht um weit ausſehende Unternehmungen, nicht um Eroberung großer Laͤnder, oder Zerſtoͤhrung großer Staͤdte und ganzer Staaten zu thun, der- gleichen Jntreſſe konnte bey ſo kleinen Voͤlkern nicht ſtatt haben; ſondern darum, daß ein ploͤzlich ein- fallender Feind, durch eine einzige Schlacht zuruͤk getrieben werde. Man wird alſo dabey weniger, als beym Homer angeſtrengt, ſich die Lage der Sa- chen in Abſicht auf das Ganze vorzuſtellen, man- cherley Anſchlaͤgen durch ihre Ausfuͤhrung zu folgen, und die Politik der Helden zu beobachten; der Ver- ſtand hat wenig dabey zu thun, aber das Herz wird mehr beſchaͤftiget. Darum endiget ſich die Hand- lung auch mit keiner wichtigen Cataſtrophe; der Feind iſt uͤberwunden, und nun ſind Handlung und Gedicht zu Ende. Der National Unterſchied zeiget ſich eben ſo ſtark in den Charakteren. Man findet bey Oßians Hel- den keine Spuhr von dem hizigen und im Zorn bru- talen griechiſchen Temperament. Hier ſind geſezte, kalte, aber darum doch unuͤberwindliche, und ohne Hiz uͤberall durchdringende Helden, und, was man bey den Griechen nicht findet, bis zum Erhabenen edle und menſchlich geſinnte Charaktere. Der Griech iſt faſt allezeit auf ſeinen Feind erbittert, und im Streit giebt dieſe Erbitterung ihm Kraͤfte; die Ca- ledoniſchen Helden ſind faſt durchgehends gelaſſen und ſtreiten, ohne alle Erbitterung, um den Vor- zug der Staͤrke und der Tapferkeit. Man wird ſchweerlich, weder in Gedichten noch in der Ge- ſchichte, einen edlern Heldencharakter antreffen, als des Fingals. Jch kann der Begierde, die reizen- den Zuͤge deſſelben hier anzufuͤhren, nicht wieder- ſtehen. Auch fuͤr die, denen Oßian wol bekannt iſt, wird es Wolluſt ſeyn, die Zuͤge dieſes großen Cha- rakters hier wieder zu finden. Jch ſagte, Fingal ſey der beſſere Achilles. Denn er fuͤhrte uͤberall wo er hinkam den Sieg mit ſich, und wenn ſchon alles verlohren war, wurd durch ihn alles wieder gut gemacht; jeder der ſtaͤrkſten und kuͤh- neſten ward von ihm uͤberwunden, und nie vermochte ein Feind ihm zu wiederſtehen: dabey war er der beſte Menſch. Wie groß ſein Kriegesruhm geweſen ſey und was fuͤr Schreken ſeine Gegenwart dem Feind einge- praͤget habe, kann man aus folgender Stelle abneh- men, die zugleich von Fingals Groͤße und von ſeines Sohnes Genie, ſie zu ſchildern, zeuget. Jn der Schlacht, die den Stoff der Epopoͤe Temora ausmacht, ſah der Koͤnig, nach Gewohnheit ſeiner Zeit, dem Streit von einer Hoͤhe zu. Die Feinde waren außeror- dentlich tapfer und Fillan Fingals Sohn, der der Hauptanfuͤhrer war, fiel unter dem Schwerdt des feindlichen Heerfuͤhrers, als eben die Nacht die bey- den Heere vom Streit abrufte. Der Koͤnig ent- ſchließt ſich nun ſelbſt in die Schlacht zu gehen, und thut dieſen Schluß nach damaliger Kriegesart da- durch kund, daß er mit dem Speer dreymal an ſein Schild klopfet. Dieſes Zeichen wird von ſeinem und dem feindlichen Heere wol verſtanden, und der Dichter beſchreibet uns die Wuͤrkung davon alſo: Geiſter entwiechen von jeglicher Seite; (†) ſie rollten im Winde Jhre Geſtallten zuſammen; die Stimmen des Todes erfuͤllten Dreymal das ſchlaͤnglichte Thal, und ohne den Finger der Barden Bebte von jeglicher Harfe den Huͤgel hinuͤber ein Weh- laut. Aber der Schild klang wieder. Da traͤumten die Maͤnner von Morven Eitel Gefechte, da glaͤnzte der weit ſich waͤlzende Blut- ſtrauß Ueber ihr ganzes Gemuͤthe Blauſchildige Koͤnige ſtiegen Nieder zur Schlacht. Es blikten Geſchwadet im Flie- hen zuruͤke. Endlich erhub ſich das dritte Getoͤn, und von Hoͤhlen der Berge Sprang P p p p p 2

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 869[851]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/286>, abgerufen am 30.11.2024.