Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

Bild:
<< vorherige Seite

[Spaltenumbruch]

Oßi
ein Saal, wo die Fremden bewirthet werden, wo
die Wassen der Krieger und die Harpfen der Barden
aufgehängt sind. Jeder dieser Gegenstände wird in
den wenigsten Worten, aber durch meisterhafte und
mahlerische Zeichnung, uns ganz nahe vors Aug
gebracht; so daß wir selbst uns weit länger dabey
verweilen, als der Dichter, und weit mehr sehen,
als er sagt. Eben diese Sparsamkeit der Worte
beobachtet der Dichter auch, wenn er seine Perso-
nen sprechen läßt. Alle Homerische Personen bis
auf ein Paar, sind Redner, oder gar Schwäzer,
die Oßianischen eilen so viel möglich über das Reden
weg zum handeln; kein Beurtheilen, kein Beweisen,
kein umständliches Erzählen, sondern kurze Eröffnung
dessen, was man denkt und empfindet. Eine der
wichtigsten Botschaften, die ein Griech mit sehr viel
schönen Worten und in künstlichen Perioden würde
vorgebracht haben, wird hier in überaus wenig
Worten, aber nachdrüklich und vollständig abgelsgt.
Der Herold, der dem feindlichen Heerführer vor der
Schlacht den Frieden anbiethen soll, erscheint, und
sagt, ohne weitere Ehrenanrede, kurz und gut:

-- Ergreif ihn den Frieden von Swaran,
Welchen er Königen giebt, wenn Völker ihn huldi-
gen! Ullins
Liebliche Flächen begehrt er und deine Gemahlin, die
Dogge mit Füßen des Windes.
Gieb ihm diesen Beweis von deinem unmännlichen
Arme,
Führer und lebe forthin dem Winke von Swaran ge-
horsam (+).

Dieses ist eine der längsten Reden bey Gesandschaf-
ten. Noch kürzer ist die Antwort:

Sag es ihm, jenem Herzen des Stolzes, dem Herrscher
von Lochlin.
Cucullin weicht nicht! Jch bieth ihm die dunkelblau-
lichte Rükfahrt
Ueber den Orean, oder hier Gräber für all sein Ge-
leit an.
Nie soll ein Fromder den reizenden Strahl von
Dunscaich (*) besizen!
Niemal ein Rehe durch Berge von Lochlin dem hasti-
gen Fuße
Meines Luaths (*) enteilen.

Bey Botschaften, deren Jnhalt und Antwort man
errathen kann, läßt der Dichter insgemein gar nicht
[Spaltenumbruch]

Oßi
sprechen. Cairbar ein Heerführer sendet den Bar-
den Olla (diese sind insgemein die Herolde) um
nach der Gewohnheit dieser Völker den Oscar, einem
feindlichen Heerführer, zum Fest einzuladen. Aber
weder Cairbar, noch der Dichter legen dem Herold
eine Red in den Mund. Der Dichter sagt:

Jzo kam Olla mit seinem Gesang: Zum Feste Cairbars
machte mein Oscar sich auf.

Die feyerlichsten Feste, werden in zwey Worten
beschrieben. Nach einem großen Sieg gab Fingal
ein Fest. Die ganze Beschreibung hiervon ist fol-
gende:

Aber die Seite von Mora sieht izo die Führer zum
Mahle
Alle versammelt. Es lodert zum Himmel die Flamme
von tausend
Eichen. Es wandelt die Kraft der Muscheln (++) ins
Runde. Den Kriegern
Glänzet die Seele von Lust.

Diese Kürze herrscht überall, es sey daß der Dich-
ter selbst spreche, oder daß er andere reden lasse.
Und darin ist der Vortrag mehr lyrisch, als home-
risch-episch. Denn sogar viel zur Handlung noth-
wendig gehörige Dinge, werden, wo man sie er-
rathen und selbst hinzudenken kann, übergangen; da-
her oft ein schneller, wahrhaftig lyrischer Ueber-
gang von einem Theil der Handlung auf den fol-
genden.

Man nihmt überhaupt bey Oßians Epopöe wahr,
daß es dem Barden nicht so wol um die umständli-
che, als um eine nachdrükliche Schilderung, der
Haupthandlung selbst, und des Einzelen, zu thun
war. Sein Zwek ist allein die Schilderung seiner
Helden; dies war des Barden Amt: Homer läßt
sich in tausend Dinge ein, die aus andern Absichten
da sind. Daher entsteht meines Erachtens der
größte Unterschied in der Manier beyder Dichter.
Oßians Epopöe, als ein vor unsern Augen liegen-
des Gemählde betrachtet, ist unendlich weniger
reich an Gegenständen, und an Mannigfaltigkeit
der Farben, als die Homerische; aber die Zeichnung
ist dort kühner, Licht und Schatten, bey sehr gu-
ter Haltung, abstechender. Die ganze Epopöe des
Barden besteht aus wenig und gegen die Homerische
vergliechen, sehr einfachen Gruppen, und so mußte

sie
(+) [Spaltenumbruch]
Fingal II. Buch. Jch führe die Stellen nach des
P. Denis Uebersezung an, die freylich durchgehends et-
[Spaltenumbruch] was weniger kurz ist, als Macphersons Prose.
(*) Cucul-
lins Ge-
mahlin.
(*) Sein
Hund.
(++) Das Getränk, das aus Muscheln getrunken ward.

[Spaltenumbruch]

Oßi
ein Saal, wo die Fremden bewirthet werden, wo
die Waſſen der Krieger und die Harpfen der Barden
aufgehaͤngt ſind. Jeder dieſer Gegenſtaͤnde wird in
den wenigſten Worten, aber durch meiſterhafte und
mahleriſche Zeichnung, uns ganz nahe vors Aug
gebracht; ſo daß wir ſelbſt uns weit laͤnger dabey
verweilen, als der Dichter, und weit mehr ſehen,
als er ſagt. Eben dieſe Sparſamkeit der Worte
beobachtet der Dichter auch, wenn er ſeine Perſo-
nen ſprechen laͤßt. Alle Homeriſche Perſonen bis
auf ein Paar, ſind Redner, oder gar Schwaͤzer,
die Oßianiſchen eilen ſo viel moͤglich uͤber das Reden
weg zum handeln; kein Beurtheilen, kein Beweiſen,
kein umſtaͤndliches Erzaͤhlen, ſondern kurze Eroͤffnung
deſſen, was man denkt und empfindet. Eine der
wichtigſten Botſchaften, die ein Griech mit ſehr viel
ſchoͤnen Worten und in kuͤnſtlichen Perioden wuͤrde
vorgebracht haben, wird hier in uͤberaus wenig
Worten, aber nachdruͤklich und vollſtaͤndig abgelsgt.
Der Herold, der dem feindlichen Heerfuͤhrer vor der
Schlacht den Frieden anbiethen ſoll, erſcheint, und
ſagt, ohne weitere Ehrenanrede, kurz und gut:

— Ergreif ihn den Frieden von Swaran,
Welchen er Koͤnigen giebt, wenn Voͤlker ihn huldi-
gen! Ullins
Liebliche Flaͤchen begehrt er und deine Gemahlin, die
Dogge mit Fuͤßen des Windes.
Gieb ihm dieſen Beweis von deinem unmaͤnnlichen
Arme,
Fuͤhrer und lebe forthin dem Winke von Swaran ge-
horſam (†).

Dieſes iſt eine der laͤngſten Reden bey Geſandſchaf-
ten. Noch kuͤrzer iſt die Antwort:

Sag es ihm, jenem Herzen des Stolzes, dem Herrſcher
von Lochlin.
Cucullin weicht nicht! Jch bieth ihm die dunkelblau-
lichte Ruͤkfahrt
Ueber den Orean, oder hier Graͤber fuͤr all ſein Ge-
leit an.
Nie ſoll ein Fromder den reizenden Strahl von
Dunscaich (*) beſizen!
Niemal ein Rehe durch Berge von Lochlin dem haſti-
gen Fuße
Meines Luaths (*) enteilen.

Bey Botſchaften, deren Jnhalt und Antwort man
errathen kann, laͤßt der Dichter insgemein gar nicht
[Spaltenumbruch]

Oßi
ſprechen. Cairbar ein Heerfuͤhrer ſendet den Bar-
den Olla (dieſe ſind insgemein die Herolde) um
nach der Gewohnheit dieſer Voͤlker den Oſcar, einem
feindlichen Heerfuͤhrer, zum Feſt einzuladen. Aber
weder Cairbar, noch der Dichter legen dem Herold
eine Red in den Mund. Der Dichter ſagt:

Jzo kam Olla mit ſeinem Geſang: Zum Feſte Cairbars
machte mein Oſcar ſich auf.

Die feyerlichſten Feſte, werden in zwey Worten
beſchrieben. Nach einem großen Sieg gab Fingal
ein Feſt. Die ganze Beſchreibung hiervon iſt fol-
gende:

Aber die Seite von Mora ſieht izo die Fuͤhrer zum
Mahle
Alle verſammelt. Es lodert zum Himmel die Flamme
von tauſend
Eichen. Es wandelt die Kraft der Muſcheln (††) ins
Runde. Den Kriegern
Glaͤnzet die Seele von Luſt.

Dieſe Kuͤrze herrſcht uͤberall, es ſey daß der Dich-
ter ſelbſt ſpreche, oder daß er andere reden laſſe.
Und darin iſt der Vortrag mehr lyriſch, als home-
riſch-epiſch. Denn ſogar viel zur Handlung noth-
wendig gehoͤrige Dinge, werden, wo man ſie er-
rathen und ſelbſt hinzudenken kann, uͤbergangen; da-
her oft ein ſchneller, wahrhaftig lyriſcher Ueber-
gang von einem Theil der Handlung auf den fol-
genden.

Man nihmt uͤberhaupt bey Oßians Epopoͤe wahr,
daß es dem Barden nicht ſo wol um die umſtaͤndli-
che, als um eine nachdruͤkliche Schilderung, der
Haupthandlung ſelbſt, und des Einzelen, zu thun
war. Sein Zwek iſt allein die Schilderung ſeiner
Helden; dies war des Barden Amt: Homer laͤßt
ſich in tauſend Dinge ein, die aus andern Abſichten
da ſind. Daher entſteht meines Erachtens der
groͤßte Unterſchied in der Manier beyder Dichter.
Oßians Epopoͤe, als ein vor unſern Augen liegen-
des Gemaͤhlde betrachtet, iſt unendlich weniger
reich an Gegenſtaͤnden, und an Mannigfaltigkeit
der Farben, als die Homeriſche; aber die Zeichnung
iſt dort kuͤhner, Licht und Schatten, bey ſehr gu-
ter Haltung, abſtechender. Die ganze Epopoͤe des
Barden beſteht aus wenig und gegen die Homeriſche
vergliechen, ſehr einfachen Gruppen, und ſo mußte

ſie
(†) [Spaltenumbruch]
Fingal II. Buch. Jch fuͤhre die Stellen nach des
P. Denis Ueberſezung an, die freylich durchgehends et-
[Spaltenumbruch] was weniger kurz iſt, als Macpherſons Proſe.
(*) Cucul-
lins Ge-
mahlin.
(*) Sein
Hund.
(††) Das Getraͤnk, das aus Muſcheln getrunken ward.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0285" n="868[850]"/><cb/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Oßi</hi></fw><lb/>
ein Saal, wo die Fremden bewirthet werden, wo<lb/>
die Wa&#x017F;&#x017F;en der Krieger und die Harpfen der Barden<lb/>
aufgeha&#x0364;ngt &#x017F;ind. Jeder die&#x017F;er Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde wird in<lb/>
den wenig&#x017F;ten Worten, aber durch mei&#x017F;terhafte und<lb/>
mahleri&#x017F;che Zeichnung, uns ganz nahe vors Aug<lb/>
gebracht; &#x017F;o daß wir &#x017F;elb&#x017F;t uns weit la&#x0364;nger dabey<lb/>
verweilen, als der Dichter, und weit mehr &#x017F;ehen,<lb/>
als er &#x017F;agt. Eben die&#x017F;e Spar&#x017F;amkeit der Worte<lb/>
beobachtet der Dichter auch, wenn er &#x017F;eine Per&#x017F;o-<lb/>
nen &#x017F;prechen la&#x0364;ßt. Alle Homeri&#x017F;che Per&#x017F;onen bis<lb/>
auf ein Paar, &#x017F;ind Redner, oder gar Schwa&#x0364;zer,<lb/>
die Oßiani&#x017F;chen eilen &#x017F;o viel mo&#x0364;glich u&#x0364;ber das Reden<lb/>
weg zum handeln; kein Beurtheilen, kein Bewei&#x017F;en,<lb/>
kein um&#x017F;ta&#x0364;ndliches Erza&#x0364;hlen, &#x017F;ondern kurze Ero&#x0364;ffnung<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en, was man denkt und empfindet. Eine der<lb/>
wichtig&#x017F;ten Bot&#x017F;chaften, die ein Griech mit &#x017F;ehr viel<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;nen Worten und in ku&#x0364;n&#x017F;tlichen Perioden wu&#x0364;rde<lb/>
vorgebracht haben, wird hier in u&#x0364;beraus wenig<lb/>
Worten, aber nachdru&#x0364;klich und voll&#x017F;ta&#x0364;ndig abgelsgt.<lb/>
Der Herold, der dem feindlichen Heerfu&#x0364;hrer vor der<lb/>
Schlacht den Frieden anbiethen &#x017F;oll, er&#x017F;cheint, und<lb/>
&#x017F;agt, ohne weitere Ehrenanrede, kurz und gut:</p><lb/>
          <cit>
            <quote><hi rendition="#et">&#x2014; Ergreif ihn den Frieden von Swaran,</hi><lb/>
Welchen er Ko&#x0364;nigen giebt, wenn Vo&#x0364;lker ihn huldi-<lb/><hi rendition="#et">gen! Ullins</hi><lb/>
Liebliche Fla&#x0364;chen begehrt er und deine Gemahlin, die<lb/><hi rendition="#et">Dogge mit Fu&#x0364;ßen des Windes.</hi><lb/>
Gieb ihm die&#x017F;en Beweis von deinem unma&#x0364;nnlichen<lb/><hi rendition="#et">Arme,</hi><lb/>
Fu&#x0364;hrer und lebe forthin dem Winke von Swaran ge-<lb/><hi rendition="#et">hor&#x017F;am <note place="foot" n="(&#x2020;)"><cb/><lb/>
Fingal <hi rendition="#aq">II.</hi> Buch. Jch fu&#x0364;hre die Stellen nach des<lb/>
P. Denis Ueber&#x017F;ezung an, die freylich durchgehends et-<lb/><cb/>
was weniger kurz i&#x017F;t, als Macpher&#x017F;ons Pro&#x017F;e.</note>.</hi></quote>
          </cit><lb/>
          <p>Die&#x017F;es i&#x017F;t eine der la&#x0364;ng&#x017F;ten Reden bey Ge&#x017F;and&#x017F;chaf-<lb/>
ten. Noch ku&#x0364;rzer i&#x017F;t die Antwort:</p><lb/>
          <cit>
            <quote>Sag es ihm, jenem Herzen des Stolzes, dem Herr&#x017F;cher<lb/><hi rendition="#et">von Lochlin.</hi><lb/>
Cucullin weicht nicht! Jch bieth ihm die dunkelblau-<lb/><hi rendition="#et">lichte Ru&#x0364;kfahrt</hi><lb/>
Ueber den Orean, oder hier Gra&#x0364;ber fu&#x0364;r all &#x017F;ein Ge-<lb/><hi rendition="#et">leit an.</hi><lb/>
Nie &#x017F;oll ein Fromder den reizenden Strahl von<lb/><hi rendition="#et">Dunscaich</hi> <note place="foot" n="(*)">Cucul-<lb/>
lins Ge-<lb/>
mahlin.</note> be&#x017F;izen!<lb/>
Niemal ein Rehe durch Berge von Lochlin dem ha&#x017F;ti-<lb/><hi rendition="#et">gen Fuße</hi><lb/>
Meines Luaths <note place="foot" n="(*)">Sein<lb/>
Hund.</note> enteilen.</quote>
          </cit><lb/>
          <p>Bey Bot&#x017F;chaften, deren Jnhalt und Antwort man<lb/>
errathen kann, la&#x0364;ßt der Dichter insgemein gar nicht<lb/><cb/>
<fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Oßi</hi></fw><lb/>
&#x017F;prechen. Cairbar ein Heerfu&#x0364;hrer &#x017F;endet den Bar-<lb/>
den Olla (die&#x017F;e &#x017F;ind insgemein die Herolde) um<lb/>
nach der Gewohnheit die&#x017F;er Vo&#x0364;lker den O&#x017F;car, einem<lb/>
feindlichen Heerfu&#x0364;hrer, zum Fe&#x017F;t einzuladen. Aber<lb/>
weder Cairbar, noch der Dichter legen dem Herold<lb/>
eine Red in den Mund. Der Dichter &#x017F;agt:</p><lb/>
          <cit>
            <quote>Jzo kam Olla mit &#x017F;einem Ge&#x017F;ang: Zum Fe&#x017F;te Cairbars<lb/><hi rendition="#et">machte mein O&#x017F;car &#x017F;ich auf.</hi></quote>
          </cit><lb/>
          <p>Die feyerlich&#x017F;ten Fe&#x017F;te, werden in zwey Worten<lb/>
be&#x017F;chrieben. Nach einem großen Sieg gab Fingal<lb/>
ein Fe&#x017F;t. Die ganze Be&#x017F;chreibung hiervon i&#x017F;t fol-<lb/>
gende:</p><lb/>
          <cit>
            <quote>Aber die Seite von Mora &#x017F;ieht izo die Fu&#x0364;hrer zum<lb/><hi rendition="#et">Mahle</hi><lb/>
Alle ver&#x017F;ammelt. Es lodert zum Himmel die Flamme<lb/><hi rendition="#et">von tau&#x017F;end</hi><lb/>
Eichen. Es wandelt die Kraft der Mu&#x017F;cheln <note place="foot" n="(&#x2020;&#x2020;)">Das Getra&#x0364;nk, das aus Mu&#x017F;cheln getrunken ward.</note> ins<lb/><hi rendition="#et">Runde. Den Kriegern</hi><lb/>
Gla&#x0364;nzet die Seele von Lu&#x017F;t.</quote>
          </cit><lb/>
          <p>Die&#x017F;e Ku&#x0364;rze herr&#x017F;cht u&#x0364;berall, es &#x017F;ey daß der Dich-<lb/>
ter &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;preche, oder daß er andere reden la&#x017F;&#x017F;e.<lb/>
Und darin i&#x017F;t der Vortrag mehr lyri&#x017F;ch, als home-<lb/>
ri&#x017F;ch-epi&#x017F;ch. Denn &#x017F;ogar viel zur Handlung noth-<lb/>
wendig geho&#x0364;rige Dinge, werden, wo man &#x017F;ie er-<lb/>
rathen und &#x017F;elb&#x017F;t hinzudenken kann, u&#x0364;bergangen; da-<lb/>
her oft ein &#x017F;chneller, wahrhaftig lyri&#x017F;cher Ueber-<lb/>
gang von einem Theil der Handlung auf den fol-<lb/>
genden.</p><lb/>
          <p>Man nihmt u&#x0364;berhaupt bey Oßians Epopo&#x0364;e wahr,<lb/>
daß es dem Barden nicht &#x017F;o wol um die um&#x017F;ta&#x0364;ndli-<lb/>
che, als um eine nachdru&#x0364;kliche Schilderung, der<lb/>
Haupthandlung &#x017F;elb&#x017F;t, und des Einzelen, zu thun<lb/>
war. Sein Zwek i&#x017F;t allein die Schilderung &#x017F;einer<lb/>
Helden; dies war des Barden Amt: Homer la&#x0364;ßt<lb/>
&#x017F;ich in tau&#x017F;end Dinge ein, die aus andern Ab&#x017F;ichten<lb/>
da &#x017F;ind. Daher ent&#x017F;teht meines Erachtens der<lb/>
gro&#x0364;ßte Unter&#x017F;chied in der Manier beyder Dichter.<lb/>
Oßians Epopo&#x0364;e, als ein vor un&#x017F;ern Augen liegen-<lb/>
des Gema&#x0364;hlde betrachtet, i&#x017F;t unendlich weniger<lb/>
reich an Gegen&#x017F;ta&#x0364;nden, und an Mannigfaltigkeit<lb/>
der Farben, als die Homeri&#x017F;che; aber die Zeichnung<lb/>
i&#x017F;t dort ku&#x0364;hner, Licht und Schatten, bey &#x017F;ehr gu-<lb/>
ter Haltung, ab&#x017F;techender. Die ganze Epopo&#x0364;e des<lb/>
Barden be&#x017F;teht aus wenig und gegen die Homeri&#x017F;che<lb/>
vergliechen, &#x017F;ehr einfachen Gruppen, und &#x017F;o mußte<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ie</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[868[850]/0285] Oßi Oßi ein Saal, wo die Fremden bewirthet werden, wo die Waſſen der Krieger und die Harpfen der Barden aufgehaͤngt ſind. Jeder dieſer Gegenſtaͤnde wird in den wenigſten Worten, aber durch meiſterhafte und mahleriſche Zeichnung, uns ganz nahe vors Aug gebracht; ſo daß wir ſelbſt uns weit laͤnger dabey verweilen, als der Dichter, und weit mehr ſehen, als er ſagt. Eben dieſe Sparſamkeit der Worte beobachtet der Dichter auch, wenn er ſeine Perſo- nen ſprechen laͤßt. Alle Homeriſche Perſonen bis auf ein Paar, ſind Redner, oder gar Schwaͤzer, die Oßianiſchen eilen ſo viel moͤglich uͤber das Reden weg zum handeln; kein Beurtheilen, kein Beweiſen, kein umſtaͤndliches Erzaͤhlen, ſondern kurze Eroͤffnung deſſen, was man denkt und empfindet. Eine der wichtigſten Botſchaften, die ein Griech mit ſehr viel ſchoͤnen Worten und in kuͤnſtlichen Perioden wuͤrde vorgebracht haben, wird hier in uͤberaus wenig Worten, aber nachdruͤklich und vollſtaͤndig abgelsgt. Der Herold, der dem feindlichen Heerfuͤhrer vor der Schlacht den Frieden anbiethen ſoll, erſcheint, und ſagt, ohne weitere Ehrenanrede, kurz und gut: — Ergreif ihn den Frieden von Swaran, Welchen er Koͤnigen giebt, wenn Voͤlker ihn huldi- gen! Ullins Liebliche Flaͤchen begehrt er und deine Gemahlin, die Dogge mit Fuͤßen des Windes. Gieb ihm dieſen Beweis von deinem unmaͤnnlichen Arme, Fuͤhrer und lebe forthin dem Winke von Swaran ge- horſam (†). Dieſes iſt eine der laͤngſten Reden bey Geſandſchaf- ten. Noch kuͤrzer iſt die Antwort: Sag es ihm, jenem Herzen des Stolzes, dem Herrſcher von Lochlin. Cucullin weicht nicht! Jch bieth ihm die dunkelblau- lichte Ruͤkfahrt Ueber den Orean, oder hier Graͤber fuͤr all ſein Ge- leit an. Nie ſoll ein Fromder den reizenden Strahl von Dunscaich (*) beſizen! Niemal ein Rehe durch Berge von Lochlin dem haſti- gen Fuße Meines Luaths (*) enteilen. Bey Botſchaften, deren Jnhalt und Antwort man errathen kann, laͤßt der Dichter insgemein gar nicht ſprechen. Cairbar ein Heerfuͤhrer ſendet den Bar- den Olla (dieſe ſind insgemein die Herolde) um nach der Gewohnheit dieſer Voͤlker den Oſcar, einem feindlichen Heerfuͤhrer, zum Feſt einzuladen. Aber weder Cairbar, noch der Dichter legen dem Herold eine Red in den Mund. Der Dichter ſagt: Jzo kam Olla mit ſeinem Geſang: Zum Feſte Cairbars machte mein Oſcar ſich auf. Die feyerlichſten Feſte, werden in zwey Worten beſchrieben. Nach einem großen Sieg gab Fingal ein Feſt. Die ganze Beſchreibung hiervon iſt fol- gende: Aber die Seite von Mora ſieht izo die Fuͤhrer zum Mahle Alle verſammelt. Es lodert zum Himmel die Flamme von tauſend Eichen. Es wandelt die Kraft der Muſcheln (††) ins Runde. Den Kriegern Glaͤnzet die Seele von Luſt. Dieſe Kuͤrze herrſcht uͤberall, es ſey daß der Dich- ter ſelbſt ſpreche, oder daß er andere reden laſſe. Und darin iſt der Vortrag mehr lyriſch, als home- riſch-epiſch. Denn ſogar viel zur Handlung noth- wendig gehoͤrige Dinge, werden, wo man ſie er- rathen und ſelbſt hinzudenken kann, uͤbergangen; da- her oft ein ſchneller, wahrhaftig lyriſcher Ueber- gang von einem Theil der Handlung auf den fol- genden. Man nihmt uͤberhaupt bey Oßians Epopoͤe wahr, daß es dem Barden nicht ſo wol um die umſtaͤndli- che, als um eine nachdruͤkliche Schilderung, der Haupthandlung ſelbſt, und des Einzelen, zu thun war. Sein Zwek iſt allein die Schilderung ſeiner Helden; dies war des Barden Amt: Homer laͤßt ſich in tauſend Dinge ein, die aus andern Abſichten da ſind. Daher entſteht meines Erachtens der groͤßte Unterſchied in der Manier beyder Dichter. Oßians Epopoͤe, als ein vor unſern Augen liegen- des Gemaͤhlde betrachtet, iſt unendlich weniger reich an Gegenſtaͤnden, und an Mannigfaltigkeit der Farben, als die Homeriſche; aber die Zeichnung iſt dort kuͤhner, Licht und Schatten, bey ſehr gu- ter Haltung, abſtechender. Die ganze Epopoͤe des Barden beſteht aus wenig und gegen die Homeriſche vergliechen, ſehr einfachen Gruppen, und ſo mußte ſie (†) Fingal II. Buch. Jch fuͤhre die Stellen nach des P. Denis Ueberſezung an, die freylich durchgehends et- was weniger kurz iſt, als Macpherſons Proſe. (*) Cucul- lins Ge- mahlin. (*) Sein Hund. (††) Das Getraͤnk, das aus Muſcheln getrunken ward.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/285
Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 868[850]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/285>, abgerufen am 14.08.2024.