Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.[Spaltenumbruch] Oßi ein Saal, wo die Fremden bewirthet werden, wodie Wassen der Krieger und die Harpfen der Barden aufgehängt sind. Jeder dieser Gegenstände wird in den wenigsten Worten, aber durch meisterhafte und mahlerische Zeichnung, uns ganz nahe vors Aug gebracht; so daß wir selbst uns weit länger dabey verweilen, als der Dichter, und weit mehr sehen, als er sagt. Eben diese Sparsamkeit der Worte beobachtet der Dichter auch, wenn er seine Perso- nen sprechen läßt. Alle Homerische Personen bis auf ein Paar, sind Redner, oder gar Schwäzer, die Oßianischen eilen so viel möglich über das Reden weg zum handeln; kein Beurtheilen, kein Beweisen, kein umständliches Erzählen, sondern kurze Eröffnung dessen, was man denkt und empfindet. Eine der wichtigsten Botschaften, die ein Griech mit sehr viel schönen Worten und in künstlichen Perioden würde vorgebracht haben, wird hier in überaus wenig Worten, aber nachdrüklich und vollständig abgelsgt. Der Herold, der dem feindlichen Heerführer vor der Schlacht den Frieden anbiethen soll, erscheint, und sagt, ohne weitere Ehrenanrede, kurz und gut: -- Ergreif ihn den Frieden von Swaran, Dieses ist eine der längsten Reden bey Gesandschaf- Sag es ihm, jenem Herzen des Stolzes, dem Herrscher Bey Botschaften, deren Jnhalt und Antwort man Oßi sprechen. Cairbar ein Heerführer sendet den Bar-den Olla (diese sind insgemein die Herolde) um nach der Gewohnheit dieser Völker den Oscar, einem feindlichen Heerführer, zum Fest einzuladen. Aber weder Cairbar, noch der Dichter legen dem Herold eine Red in den Mund. Der Dichter sagt: Jzo kam Olla mit seinem Gesang: Zum Feste Cairbars Die feyerlichsten Feste, werden in zwey Worten Aber die Seite von Mora sieht izo die Führer zum Diese Kürze herrscht überall, es sey daß der Dich- Man nihmt überhaupt bey Oßians Epopöe wahr, sie (+) [Spaltenumbruch]
Fingal II. Buch. Jch führe die Stellen nach des P. Denis Uebersezung an, die freylich durchgehends et- [Spaltenumbruch] was weniger kurz ist, als Macphersons Prose. (*) Cucul- lins Ge- mahlin. (*) Sein Hund. (++) Das Getränk, das aus Muscheln getrunken ward.
[Spaltenumbruch] Oßi ein Saal, wo die Fremden bewirthet werden, wodie Waſſen der Krieger und die Harpfen der Barden aufgehaͤngt ſind. Jeder dieſer Gegenſtaͤnde wird in den wenigſten Worten, aber durch meiſterhafte und mahleriſche Zeichnung, uns ganz nahe vors Aug gebracht; ſo daß wir ſelbſt uns weit laͤnger dabey verweilen, als der Dichter, und weit mehr ſehen, als er ſagt. Eben dieſe Sparſamkeit der Worte beobachtet der Dichter auch, wenn er ſeine Perſo- nen ſprechen laͤßt. Alle Homeriſche Perſonen bis auf ein Paar, ſind Redner, oder gar Schwaͤzer, die Oßianiſchen eilen ſo viel moͤglich uͤber das Reden weg zum handeln; kein Beurtheilen, kein Beweiſen, kein umſtaͤndliches Erzaͤhlen, ſondern kurze Eroͤffnung deſſen, was man denkt und empfindet. Eine der wichtigſten Botſchaften, die ein Griech mit ſehr viel ſchoͤnen Worten und in kuͤnſtlichen Perioden wuͤrde vorgebracht haben, wird hier in uͤberaus wenig Worten, aber nachdruͤklich und vollſtaͤndig abgelsgt. Der Herold, der dem feindlichen Heerfuͤhrer vor der Schlacht den Frieden anbiethen ſoll, erſcheint, und ſagt, ohne weitere Ehrenanrede, kurz und gut: — Ergreif ihn den Frieden von Swaran, Dieſes iſt eine der laͤngſten Reden bey Geſandſchaf- Sag es ihm, jenem Herzen des Stolzes, dem Herrſcher Bey Botſchaften, deren Jnhalt und Antwort man Oßi ſprechen. Cairbar ein Heerfuͤhrer ſendet den Bar-den Olla (dieſe ſind insgemein die Herolde) um nach der Gewohnheit dieſer Voͤlker den Oſcar, einem feindlichen Heerfuͤhrer, zum Feſt einzuladen. Aber weder Cairbar, noch der Dichter legen dem Herold eine Red in den Mund. Der Dichter ſagt: Jzo kam Olla mit ſeinem Geſang: Zum Feſte Cairbars Die feyerlichſten Feſte, werden in zwey Worten Aber die Seite von Mora ſieht izo die Fuͤhrer zum Dieſe Kuͤrze herrſcht uͤberall, es ſey daß der Dich- Man nihmt uͤberhaupt bey Oßians Epopoͤe wahr, ſie (†) [Spaltenumbruch]
Fingal II. Buch. Jch fuͤhre die Stellen nach des P. Denis Ueberſezung an, die freylich durchgehends et- [Spaltenumbruch] was weniger kurz iſt, als Macpherſons Proſe. (*) Cucul- lins Ge- mahlin. (*) Sein Hund. (††) Das Getraͤnk, das aus Muſcheln getrunken ward.
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Oßi
Oßi
ein Saal, wo die Fremden bewirthet werden, wo
die Waſſen der Krieger und die Harpfen der Barden
aufgehaͤngt ſind. Jeder dieſer Gegenſtaͤnde wird in
den wenigſten Worten, aber durch meiſterhafte und
mahleriſche Zeichnung, uns ganz nahe vors Aug
gebracht; ſo daß wir ſelbſt uns weit laͤnger dabey
verweilen, als der Dichter, und weit mehr ſehen,
als er ſagt. Eben dieſe Sparſamkeit der Worte
beobachtet der Dichter auch, wenn er ſeine Perſo-
nen ſprechen laͤßt. Alle Homeriſche Perſonen bis
auf ein Paar, ſind Redner, oder gar Schwaͤzer,
die Oßianiſchen eilen ſo viel moͤglich uͤber das Reden
weg zum handeln; kein Beurtheilen, kein Beweiſen,
kein umſtaͤndliches Erzaͤhlen, ſondern kurze Eroͤffnung
deſſen, was man denkt und empfindet. Eine der
wichtigſten Botſchaften, die ein Griech mit ſehr viel
ſchoͤnen Worten und in kuͤnſtlichen Perioden wuͤrde
vorgebracht haben, wird hier in uͤberaus wenig
Worten, aber nachdruͤklich und vollſtaͤndig abgelsgt.
Der Herold, der dem feindlichen Heerfuͤhrer vor der
Schlacht den Frieden anbiethen ſoll, erſcheint, und
ſagt, ohne weitere Ehrenanrede, kurz und gut:
— Ergreif ihn den Frieden von Swaran,
Welchen er Koͤnigen giebt, wenn Voͤlker ihn huldi-
gen! Ullins
Liebliche Flaͤchen begehrt er und deine Gemahlin, die
Dogge mit Fuͤßen des Windes.
Gieb ihm dieſen Beweis von deinem unmaͤnnlichen
Arme,
Fuͤhrer und lebe forthin dem Winke von Swaran ge-
horſam (†).
Dieſes iſt eine der laͤngſten Reden bey Geſandſchaf-
ten. Noch kuͤrzer iſt die Antwort:
Sag es ihm, jenem Herzen des Stolzes, dem Herrſcher
von Lochlin.
Cucullin weicht nicht! Jch bieth ihm die dunkelblau-
lichte Ruͤkfahrt
Ueber den Orean, oder hier Graͤber fuͤr all ſein Ge-
leit an.
Nie ſoll ein Fromder den reizenden Strahl von
Dunscaich (*) beſizen!
Niemal ein Rehe durch Berge von Lochlin dem haſti-
gen Fuße
Meines Luaths (*) enteilen.
Bey Botſchaften, deren Jnhalt und Antwort man
errathen kann, laͤßt der Dichter insgemein gar nicht
ſprechen. Cairbar ein Heerfuͤhrer ſendet den Bar-
den Olla (dieſe ſind insgemein die Herolde) um
nach der Gewohnheit dieſer Voͤlker den Oſcar, einem
feindlichen Heerfuͤhrer, zum Feſt einzuladen. Aber
weder Cairbar, noch der Dichter legen dem Herold
eine Red in den Mund. Der Dichter ſagt:
Jzo kam Olla mit ſeinem Geſang: Zum Feſte Cairbars
machte mein Oſcar ſich auf.
Die feyerlichſten Feſte, werden in zwey Worten
beſchrieben. Nach einem großen Sieg gab Fingal
ein Feſt. Die ganze Beſchreibung hiervon iſt fol-
gende:
Aber die Seite von Mora ſieht izo die Fuͤhrer zum
Mahle
Alle verſammelt. Es lodert zum Himmel die Flamme
von tauſend
Eichen. Es wandelt die Kraft der Muſcheln (††) ins
Runde. Den Kriegern
Glaͤnzet die Seele von Luſt.
Dieſe Kuͤrze herrſcht uͤberall, es ſey daß der Dich-
ter ſelbſt ſpreche, oder daß er andere reden laſſe.
Und darin iſt der Vortrag mehr lyriſch, als home-
riſch-epiſch. Denn ſogar viel zur Handlung noth-
wendig gehoͤrige Dinge, werden, wo man ſie er-
rathen und ſelbſt hinzudenken kann, uͤbergangen; da-
her oft ein ſchneller, wahrhaftig lyriſcher Ueber-
gang von einem Theil der Handlung auf den fol-
genden.
Man nihmt uͤberhaupt bey Oßians Epopoͤe wahr,
daß es dem Barden nicht ſo wol um die umſtaͤndli-
che, als um eine nachdruͤkliche Schilderung, der
Haupthandlung ſelbſt, und des Einzelen, zu thun
war. Sein Zwek iſt allein die Schilderung ſeiner
Helden; dies war des Barden Amt: Homer laͤßt
ſich in tauſend Dinge ein, die aus andern Abſichten
da ſind. Daher entſteht meines Erachtens der
groͤßte Unterſchied in der Manier beyder Dichter.
Oßians Epopoͤe, als ein vor unſern Augen liegen-
des Gemaͤhlde betrachtet, iſt unendlich weniger
reich an Gegenſtaͤnden, und an Mannigfaltigkeit
der Farben, als die Homeriſche; aber die Zeichnung
iſt dort kuͤhner, Licht und Schatten, bey ſehr gu-
ter Haltung, abſtechender. Die ganze Epopoͤe des
Barden beſteht aus wenig und gegen die Homeriſche
vergliechen, ſehr einfachen Gruppen, und ſo mußte
ſie
(†)
Fingal II. Buch. Jch fuͤhre die Stellen nach des
P. Denis Ueberſezung an, die freylich durchgehends et-
was weniger kurz iſt, als Macpherſons Proſe.
(*) Cucul-
lins Ge-
mahlin.
(*) Sein
Hund.
(††) Das Getraͤnk, das aus Muſcheln getrunken ward.
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