jedes Werk sowol im Ganzen, als in einzeln Thei- len Schönheit haben; weil es sonst seines Zweks, den es in Absicht auf dem Jnhalt hat, ganz oder zum Theil verfehlt. Ein hoher Grad des Guten kann freylich die volle Würkung auf uns thun, wenn ihm gleich das Kleid des Schönen fehlet: aber es ist doch dem Zwek der schönen Künste gemäß, daß auch das Gute mit Schönheit bekleidet werde.
Diese Art der Kraft muß also in allen Theilen der Werke des Geschmaks liegen, so wie die Vollkom- menheit in allen Theilen, die sich auf die deutliche Kenntnis beziehen. Alles was gesagt, gezeichnet, gemahlt, oder auf irgend eine Art in den schönen Künsten dargestellt wird, muß eine Art der Schön- heit haben, wodurch es wenigstens gefällig wird. Also ist die in dem Schönen liegende Kraft die allge- meineste, die man in den Künsten überall antreffen muß. Alles Unangenehme, wodurch wir verleitet, würden einem Gegenstand unsre Aufmerksamkeit zu entziehen, muß darin vermieden werden.
Vorzügliche Schönheit aber, die einen höhern Grad des Wolgefallens oder Vergnügens an einem Gegenstand erweken, müssen die Theile haben, auf die das Wesentliche ankommt. Und vor allen Din- gen muß das Vollkommene und das Gute in vol- lem Reiz der Schönheit erscheinen, um dadurch noch angenehmer und erwünschter zu werden. Selbst das Böse, wofür der Künstler uns Abscheu erwe- ken will, muß sich, dem Aeusserlichen nach, in einer Gestalt zeigen, die unser Aug anloket, damit wir es lebhaft zu erkennen gezwungen werden. Wenn wir ihm unsre Aufmerksamkeit entzögen, ehe wir es ganz erkennt hätten, so würde der Künstler seines Zweks verfehlen. Darum muß auch das Laster mit den lebhaftesten Farben geschildert werden. Nicht daß ihm seine innere Häßlichkeit benommen werde; sondern, daß es für die Aufmerksamkeit, die nöthig ist, es kennen zu lernen, nichts abschreken- des habe. Darum hat Milton den bösesten Wesen, die er uns zum Abscheu schildert, noch die äussere Schönheit gelassen. Aber dem Laster ein durchaus reizendes Wesen zu geben, wie mehr als ein Dich- ter und Mahler gethan hat, heißt wieder den Haupt- zwek der schönen Künste handeln.
Die Kraft des Schönen bewürkt also zuerst ein Wolgefallen an der Vorstellung der Sache, und durch dieses wird schon ein Werk der Kunst in ge- wissem Sinn interessant, daß wir uns der Würkung [Spaltenumbruch]
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der übrigen darin liegenden Kräfte desto sicherer überlassen. Dieses ist der erste und allgemeineste Rutzen dieser Art der Kraft. Hernach hat das Schöne auch bey sonst gleichgültigen Gegenständen allemal noch eine vortheilhafte Würkung, daß es überhaupt unsre Art zu empfinden verfeinert. Man kann ohne feinen Geschmak ein Liebhaber des Wah- ren und des Guten seyn; aber mit Geschmak ist man es lebhafter. Der sonst gute Mensch, der roh und ohne Geschmak ist, verdienet unsre Hochachtung; aber er wird weit nützlicher und für sich selbst auch glüklicher, wenn diese guten Eigenschaften mit fei- nen Sitten und mit schönem Anstand begleitet sind. Dieses gehört unstreitig mit zu der menschlichen Voll- kommenheit.
Deswegen sind auch die blos angenehmen Werke der schönen Künste, die einen an sich gleichgültigen Stoff schön bearbeitet darstellen, schon schätzbar. Nur muß man sie mit den großen Hauptwerken, darin ein auch an sich wichtiger Stoff schön behandelt wird, nicht in einen Rang setzen. Ein schöner ge- sellschaftlicher Tanz, ist immer etwas artiges, und es kann seinen guten Nutzen haben, wo dergleichen mit Geschmak verbundene Lustbarkeiten vorkommen; aber man muß ihm nicht die Wichtigkeit eines feyer- lichen mit Musik begleiteten Aufzuges beylegen; und das schönste Blumenstük eines de Heem muß nicht mit einem historischen Gemählde Raphaels in eine Linie gesetzt werden.
Die dritte Art der ästhetischen Kraft liegt in dem Guten. Jn diesen Begriff schließen wir alles ein, was wir äusserlich, oder innerlich besitzen, in so fern es ein Mittel ist, das uns in den Stand setzet, die Absichten der Natur zu erfüllen, und unsre wahren Bedürfnisse zu befriedigen; oder alles, was unsre inneres und äusseres Vermögen, der Natur gemäß würksam zu seyn, befördert. Es läßt sich ohne Weit- läuftigkeit einsehen, daß die wichtigsten Güter des Menschen aus vorzüglicher Stärke aller Seelen- kräfte bestehen, was von aussen dazu kommen muß, dienet nur die Anwendung dieser Kräfte zu erleich- tern Der vollkommenste Mensch ist ohne Zweifel der Mensch von den höchsten Gaben des Geistes und Herzens. Alles was diese Gaben erhöhet, oder stärket, muß als wesentlich gut angesehen werden; und was von außen die Würksamkeit dieser innern Kräfte befördert, wird eben dadurch gut; wenn es gleich sonst gleichgültig wäre.
Jn
[Spaltenumbruch]
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jedes Werk ſowol im Ganzen, als in einzeln Thei- len Schoͤnheit haben; weil es ſonſt ſeines Zweks, den es in Abſicht auf dem Jnhalt hat, ganz oder zum Theil verfehlt. Ein hoher Grad des Guten kann freylich die volle Wuͤrkung auf uns thun, wenn ihm gleich das Kleid des Schoͤnen fehlet: aber es iſt doch dem Zwek der ſchoͤnen Kuͤnſte gemaͤß, daß auch das Gute mit Schoͤnheit bekleidet werde.
Dieſe Art der Kraft muß alſo in allen Theilen der Werke des Geſchmaks liegen, ſo wie die Vollkom- menheit in allen Theilen, die ſich auf die deutliche Kenntnis beziehen. Alles was geſagt, gezeichnet, gemahlt, oder auf irgend eine Art in den ſchoͤnen Kuͤnſten dargeſtellt wird, muß eine Art der Schoͤn- heit haben, wodurch es wenigſtens gefaͤllig wird. Alſo iſt die in dem Schoͤnen liegende Kraft die allge- meineſte, die man in den Kuͤnſten uͤberall antreffen muß. Alles Unangenehme, wodurch wir verleitet, wuͤrden einem Gegenſtand unſre Aufmerkſamkeit zu entziehen, muß darin vermieden werden.
Vorzuͤgliche Schoͤnheit aber, die einen hoͤhern Grad des Wolgefallens oder Vergnuͤgens an einem Gegenſtand erweken, muͤſſen die Theile haben, auf die das Weſentliche ankommt. Und vor allen Din- gen muß das Vollkommene und das Gute in vol- lem Reiz der Schoͤnheit erſcheinen, um dadurch noch angenehmer und erwuͤnſchter zu werden. Selbſt das Boͤſe, wofuͤr der Kuͤnſtler uns Abſcheu erwe- ken will, muß ſich, dem Aeuſſerlichen nach, in einer Geſtalt zeigen, die unſer Aug anloket, damit wir es lebhaft zu erkennen gezwungen werden. Wenn wir ihm unſre Aufmerkſamkeit entzoͤgen, ehe wir es ganz erkennt haͤtten, ſo wuͤrde der Kuͤnſtler ſeines Zweks verfehlen. Darum muß auch das Laſter mit den lebhafteſten Farben geſchildert werden. Nicht daß ihm ſeine innere Haͤßlichkeit benommen werde; ſondern, daß es fuͤr die Aufmerkſamkeit, die noͤthig iſt, es kennen zu lernen, nichts abſchreken- des habe. Darum hat Milton den boͤſeſten Weſen, die er uns zum Abſcheu ſchildert, noch die aͤuſſere Schoͤnheit gelaſſen. Aber dem Laſter ein durchaus reizendes Weſen zu geben, wie mehr als ein Dich- ter und Mahler gethan hat, heißt wieder den Haupt- zwek der ſchoͤnen Kuͤnſte handeln.
Die Kraft des Schoͤnen bewuͤrkt alſo zuerſt ein Wolgefallen an der Vorſtellung der Sache, und durch dieſes wird ſchon ein Werk der Kunſt in ge- wiſſem Sinn intereſſant, daß wir uns der Wuͤrkung [Spaltenumbruch]
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der uͤbrigen darin liegenden Kraͤfte deſto ſicherer uͤberlaſſen. Dieſes iſt der erſte und allgemeineſte Rutzen dieſer Art der Kraft. Hernach hat das Schoͤne auch bey ſonſt gleichguͤltigen Gegenſtaͤnden allemal noch eine vortheilhafte Wuͤrkung, daß es uͤberhaupt unſre Art zu empfinden verfeinert. Man kann ohne feinen Geſchmak ein Liebhaber des Wah- ren und des Guten ſeyn; aber mit Geſchmak iſt man es lebhafter. Der ſonſt gute Menſch, der roh und ohne Geſchmak iſt, verdienet unſre Hochachtung; aber er wird weit nuͤtzlicher und fuͤr ſich ſelbſt auch gluͤklicher, wenn dieſe guten Eigenſchaften mit fei- nen Sitten und mit ſchoͤnem Anſtand begleitet ſind. Dieſes gehoͤrt unſtreitig mit zu der menſchlichen Voll- kommenheit.
Deswegen ſind auch die blos angenehmen Werke der ſchoͤnen Kuͤnſte, die einen an ſich gleichguͤltigen Stoff ſchoͤn bearbeitet darſtellen, ſchon ſchaͤtzbar. Nur muß man ſie mit den großen Hauptwerken, darin ein auch an ſich wichtiger Stoff ſchoͤn behandelt wird, nicht in einen Rang ſetzen. Ein ſchoͤner ge- ſellſchaftlicher Tanz, iſt immer etwas artiges, und es kann ſeinen guten Nutzen haben, wo dergleichen mit Geſchmak verbundene Luſtbarkeiten vorkommen; aber man muß ihm nicht die Wichtigkeit eines feyer- lichen mit Muſik begleiteten Aufzuges beylegen; und das ſchoͤnſte Blumenſtuͤk eines de Heem muß nicht mit einem hiſtoriſchen Gemaͤhlde Raphaels in eine Linie geſetzt werden.
Die dritte Art der aͤſthetiſchen Kraft liegt in dem Guten. Jn dieſen Begriff ſchließen wir alles ein, was wir aͤuſſerlich, oder innerlich beſitzen, in ſo fern es ein Mittel iſt, das uns in den Stand ſetzet, die Abſichten der Natur zu erfuͤllen, und unſre wahren Beduͤrfniſſe zu befriedigen; oder alles, was unſre inneres und aͤuſſeres Vermoͤgen, der Natur gemaͤß wuͤrkſam zu ſeyn, befoͤrdert. Es laͤßt ſich ohne Weit- laͤuftigkeit einſehen, daß die wichtigſten Guͤter des Menſchen aus vorzuͤglicher Staͤrke aller Seelen- kraͤfte beſtehen, was von auſſen dazu kommen muß, dienet nur die Anwendung dieſer Kraͤfte zu erleich- tern Der vollkommenſte Menſch iſt ohne Zweifel der Menſch von den hoͤchſten Gaben des Geiſtes und Herzens. Alles was dieſe Gaben erhoͤhet, oder ſtaͤrket, muß als weſentlich gut angeſehen werden; und was von außen die Wuͤrkſamkeit dieſer innern Kraͤfte befoͤrdert, wird eben dadurch gut; wenn es gleich ſonſt gleichguͤltig waͤre.
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jedes Werk ſowol im Ganzen, als in einzeln Thei-
len Schoͤnheit haben; weil es ſonſt ſeines Zweks,
den es in Abſicht auf dem Jnhalt hat, ganz oder
zum Theil verfehlt. Ein hoher Grad des Guten
kann freylich die volle Wuͤrkung auf uns thun, wenn
ihm gleich das Kleid des Schoͤnen fehlet: aber es
iſt doch dem Zwek der ſchoͤnen Kuͤnſte gemaͤß, daß
auch das Gute mit Schoͤnheit bekleidet werde.
Dieſe Art der Kraft muß alſo in allen Theilen der
Werke des Geſchmaks liegen, ſo wie die Vollkom-
menheit in allen Theilen, die ſich auf die deutliche
Kenntnis beziehen. Alles was geſagt, gezeichnet,
gemahlt, oder auf irgend eine Art in den ſchoͤnen
Kuͤnſten dargeſtellt wird, muß eine Art der Schoͤn-
heit haben, wodurch es wenigſtens gefaͤllig wird.
Alſo iſt die in dem Schoͤnen liegende Kraft die allge-
meineſte, die man in den Kuͤnſten uͤberall antreffen
muß. Alles Unangenehme, wodurch wir verleitet,
wuͤrden einem Gegenſtand unſre Aufmerkſamkeit zu
entziehen, muß darin vermieden werden.
Vorzuͤgliche Schoͤnheit aber, die einen hoͤhern
Grad des Wolgefallens oder Vergnuͤgens an einem
Gegenſtand erweken, muͤſſen die Theile haben, auf
die das Weſentliche ankommt. Und vor allen Din-
gen muß das Vollkommene und das Gute in vol-
lem Reiz der Schoͤnheit erſcheinen, um dadurch noch
angenehmer und erwuͤnſchter zu werden. Selbſt
das Boͤſe, wofuͤr der Kuͤnſtler uns Abſcheu erwe-
ken will, muß ſich, dem Aeuſſerlichen nach, in einer
Geſtalt zeigen, die unſer Aug anloket, damit wir es
lebhaft zu erkennen gezwungen werden. Wenn
wir ihm unſre Aufmerkſamkeit entzoͤgen, ehe wir es
ganz erkennt haͤtten, ſo wuͤrde der Kuͤnſtler ſeines
Zweks verfehlen. Darum muß auch das Laſter
mit den lebhafteſten Farben geſchildert werden.
Nicht daß ihm ſeine innere Haͤßlichkeit benommen
werde; ſondern, daß es fuͤr die Aufmerkſamkeit, die
noͤthig iſt, es kennen zu lernen, nichts abſchreken-
des habe. Darum hat Milton den boͤſeſten Weſen,
die er uns zum Abſcheu ſchildert, noch die aͤuſſere
Schoͤnheit gelaſſen. Aber dem Laſter ein durchaus
reizendes Weſen zu geben, wie mehr als ein Dich-
ter und Mahler gethan hat, heißt wieder den Haupt-
zwek der ſchoͤnen Kuͤnſte handeln.
Die Kraft des Schoͤnen bewuͤrkt alſo zuerſt ein
Wolgefallen an der Vorſtellung der Sache, und
durch dieſes wird ſchon ein Werk der Kunſt in ge-
wiſſem Sinn intereſſant, daß wir uns der Wuͤrkung
der uͤbrigen darin liegenden Kraͤfte deſto ſicherer
uͤberlaſſen. Dieſes iſt der erſte und allgemeineſte
Rutzen dieſer Art der Kraft. Hernach hat das
Schoͤne auch bey ſonſt gleichguͤltigen Gegenſtaͤnden
allemal noch eine vortheilhafte Wuͤrkung, daß es
uͤberhaupt unſre Art zu empfinden verfeinert. Man
kann ohne feinen Geſchmak ein Liebhaber des Wah-
ren und des Guten ſeyn; aber mit Geſchmak iſt
man es lebhafter. Der ſonſt gute Menſch, der roh
und ohne Geſchmak iſt, verdienet unſre Hochachtung;
aber er wird weit nuͤtzlicher und fuͤr ſich ſelbſt auch
gluͤklicher, wenn dieſe guten Eigenſchaften mit fei-
nen Sitten und mit ſchoͤnem Anſtand begleitet ſind.
Dieſes gehoͤrt unſtreitig mit zu der menſchlichen Voll-
kommenheit.
Deswegen ſind auch die blos angenehmen Werke
der ſchoͤnen Kuͤnſte, die einen an ſich gleichguͤltigen
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Nur muß man ſie mit den großen Hauptwerken,
darin ein auch an ſich wichtiger Stoff ſchoͤn behandelt
wird, nicht in einen Rang ſetzen. Ein ſchoͤner ge-
ſellſchaftlicher Tanz, iſt immer etwas artiges, und
es kann ſeinen guten Nutzen haben, wo dergleichen
mit Geſchmak verbundene Luſtbarkeiten vorkommen;
aber man muß ihm nicht die Wichtigkeit eines feyer-
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das ſchoͤnſte Blumenſtuͤk eines de Heem muß nicht
mit einem hiſtoriſchen Gemaͤhlde Raphaels in eine
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Die dritte Art der aͤſthetiſchen Kraft liegt in dem
Guten. Jn dieſen Begriff ſchließen wir alles ein,
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Abſichten der Natur zu erfuͤllen, und unſre wahren
Beduͤrfniſſe zu befriedigen; oder alles, was unſre
inneres und aͤuſſeres Vermoͤgen, der Natur gemaͤß
wuͤrkſam zu ſeyn, befoͤrdert. Es laͤßt ſich ohne Weit-
laͤuftigkeit einſehen, daß die wichtigſten Guͤter des
Menſchen aus vorzuͤglicher Staͤrke aller Seelen-
kraͤfte beſtehen, was von auſſen dazu kommen muß,
dienet nur die Anwendung dieſer Kraͤfte zu erleich-
tern Der vollkommenſte Menſch iſt ohne Zweifel
der Menſch von den hoͤchſten Gaben des Geiſtes und
Herzens. Alles was dieſe Gaben erhoͤhet, oder
ſtaͤrket, muß als weſentlich gut angeſehen werden;
und was von außen die Wuͤrkſamkeit dieſer innern
Kraͤfte befoͤrdert, wird eben dadurch gut; wenn es
gleich ſonſt gleichguͤltig waͤre.
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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 604. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/39>, abgerufen am 21.11.2024.
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