lich ist es, daß eine alte Matrone sich wie ein jun- ges Mädchen kleide.
Jn Werken der Kunst muß das Schikliche überall mit Sorgfalt und guter Beurtheilung gesucht, und eben so sorgfältig alles Unschikliche vermieden wer- den. Denn außer den besondern Absichten in de- nen solche Werke gemacht werden, müssen sie über- haupt auch dienen unsern Geschmak feiner und rich- tiger zu bilden. Zu dem ist ein Werk das untadel- haft wäre, wo aber Dinge, die schiklich gewesen wären, weggelassen worden, nie so vollkommen, als das, wo diese noch vorhanden sind. Da noch über dem der Künstler sich in allem, was er macht, als einen scharfsinnigen und sehr verständigen Mann zeigen muß; so gehört es auch zur Kunst, daß er genau überlege, nicht nur, ob in seinem Werke nichts Unschikliches sey, sondern ob auch nichts Schikliches darin fehle.
So muß der Baumeister sich nicht blos vor der Unschiklichkeit in Acht nehmen, an dem Haus eines Privatmannes, nichts anzubringen, was sich nur für Palläste schiket; sondern auch überlegen, ob er dem Gebäude, das er entwirft, alles Schikliche würklich gegeben habe. Denn ganz schiklich ist es, daß jede Art der Gebäude, durch das, was sich vor- züglich dazu schiket, sich von andern Arten auszeichnen. So ist es schiklich, daß an einem Zeughaus Kriegstro- phäen, an einer Kirche hingegen Zierrathen, die an- dächtige Vorstellungen erweken, angebracht werden.
Die Beobachtung des Schiklichen und Vermei- dung alles Unschiklichen ist eine Gabe, die nur den ersten Künstlern in jeder Art gegeben ist, die, außer dem nothwendigen Kunstgenie, auch den allgemei- nen Menschen-Verstand und allgemeine Beurthei- lungskraft in einem vorzüglichen Grad besizen. Zur Vermeidung des Unschiklichen giebt Horaz dem Dich- ter viel fürtrefliche Regeln, und seine Ars poetica sollte, auch blos in dieser Absicht, das tägliche Hand- buch jedes Dichters seyn.
Die größte Sorgfalt über diesen Punkt erfodert die Behandlung der Sitten im epischen und drama- tischen Gedicht, besonders, wenn der Dichter fremde Sitten zu schildern hat. Es wird mehr, als glük- liche Einbildungskraft, erfodert, jeden Menschen gerade so handeln und sprechen zu lassen, wie es sich für seinen Gemüthscharakter, seinen Stand, sein Alter und für die Umstände, darin er sich be- findet, schiket.
[Spaltenumbruch]
Schl
Schlagschatten. (Mahlerey.)
Der Schatten, den wol erleuchtete Körper auf einen hellen Grund werfen. Nicht jeder Schatten ist Schlagschatten, sondern nur der, der sich auf dem Grund auf den er fällt, bestimmt abschneidet, des- sen Größe, Lage und Umriß nach den Regeln der Perspektiv können bestimmt werden, welches allemal angeht, wenn die Schatten von einem bestimmten Licht, als von der Sonne, oder dem durch eine Oeffnung einfallenden Tageslicht, verursachet wer- den. Daher wird die Zeichnung der Schlagschatten in der Perspektiv gelehret, deren Grundsäze man nothwendig wissen muß, um in diesem Stük nicht zu fehlen. Es ist ganz leicht die Lage, Form und Größe der Schlagschatten auf einer Grundfläche zu bestimmen, so bald man die eigentliche Höhe und Richtung des Lichtes bestimmt anzugeben weiß; aber diese Schatten müssen hernach, so wie jede auf der Grundfläche liegende Figur nach den Regeln der Perspektiv auf den Grund des Gemähldes gezeich- net werden. Wer sich angewöhnet nach den Regeln der freyen Perspektiv, die Hr. Lambert gegeben hat (*), zu arbeiten, hat diese doppelte Zeichnung nicht nöthig, und kann sich durch die sehr leichten Regeln, die der scharfsinnige Mann in seiner Anlei- tung zur perspektivischen Zeichnung gegeben hat, leicht helfen.
Schluß. (Musik.)
Durch dieses Wort verstehen wir die Cadenz, wo- durch ein ganzes Tonstük geendiget wird. Von den Cadenzen überhaupt, und den verschiedenen Arten derselben ist bereits in einem besondern Ar- tikel gesprochen worden (*), so daß hier blos das- jenige in Betrachtung kommt, was die so ge- nannte Finalcadenz, oder der Hauptschluß beson- deres hat.
Weil der Schluß eine gänzliche Befriedigung des Gehörs und völlige Ruhe herstellen soll, so muß die Cadenz allemal in die Tonica des Stüks geschehen. Sollte aber auf das Stük entweder unmittelbar, oder bald hernach noch ein anderes neues Stük fol- gen; so gieng es eben deswegen an, daß der Schluß des vorhergehenden Stüks in die Dominante der Tonica des folgenden Stüks geschähe.
Da
(*) S. Per- spektiv.
(*) Cadenz
[Spaltenumbruch]
Schi
lich iſt es, daß eine alte Matrone ſich wie ein jun- ges Maͤdchen kleide.
Jn Werken der Kunſt muß das Schikliche uͤberall mit Sorgfalt und guter Beurtheilung geſucht, und eben ſo ſorgfaͤltig alles Unſchikliche vermieden wer- den. Denn außer den beſondern Abſichten in de- nen ſolche Werke gemacht werden, muͤſſen ſie uͤber- haupt auch dienen unſern Geſchmak feiner und rich- tiger zu bilden. Zu dem iſt ein Werk das untadel- haft waͤre, wo aber Dinge, die ſchiklich geweſen waͤren, weggelaſſen worden, nie ſo vollkommen, als das, wo dieſe noch vorhanden ſind. Da noch uͤber dem der Kuͤnſtler ſich in allem, was er macht, als einen ſcharfſinnigen und ſehr verſtaͤndigen Mann zeigen muß; ſo gehoͤrt es auch zur Kunſt, daß er genau uͤberlege, nicht nur, ob in ſeinem Werke nichts Unſchikliches ſey, ſondern ob auch nichts Schikliches darin fehle.
So muß der Baumeiſter ſich nicht blos vor der Unſchiklichkeit in Acht nehmen, an dem Haus eines Privatmannes, nichts anzubringen, was ſich nur fuͤr Pallaͤſte ſchiket; ſondern auch uͤberlegen, ob er dem Gebaͤude, das er entwirft, alles Schikliche wuͤrklich gegeben habe. Denn ganz ſchiklich iſt es, daß jede Art der Gebaͤude, durch das, was ſich vor- zuͤglich dazu ſchiket, ſich von andern Arten auszeichnen. So iſt es ſchiklich, daß an einem Zeughaus Kriegstro- phaͤen, an einer Kirche hingegen Zierrathen, die an- daͤchtige Vorſtellungen erweken, angebracht werden.
Die Beobachtung des Schiklichen und Vermei- dung alles Unſchiklichen iſt eine Gabe, die nur den erſten Kuͤnſtlern in jeder Art gegeben iſt, die, außer dem nothwendigen Kunſtgenie, auch den allgemei- nen Menſchen-Verſtand und allgemeine Beurthei- lungskraft in einem vorzuͤglichen Grad beſizen. Zur Vermeidung des Unſchiklichen giebt Horaz dem Dich- ter viel fuͤrtrefliche Regeln, und ſeine Ars poetica ſollte, auch blos in dieſer Abſicht, das taͤgliche Hand- buch jedes Dichters ſeyn.
Die groͤßte Sorgfalt uͤber dieſen Punkt erfodert die Behandlung der Sitten im epiſchen und drama- tiſchen Gedicht, beſonders, wenn der Dichter fremde Sitten zu ſchildern hat. Es wird mehr, als gluͤk- liche Einbildungskraft, erfodert, jeden Menſchen gerade ſo handeln und ſprechen zu laſſen, wie es ſich fuͤr ſeinen Gemuͤthscharakter, ſeinen Stand, ſein Alter und fuͤr die Umſtaͤnde, darin er ſich be- findet, ſchiket.
[Spaltenumbruch]
Schl
Schlagſchatten. (Mahlerey.)
Der Schatten, den wol erleuchtete Koͤrper auf einen hellen Grund werfen. Nicht jeder Schatten iſt Schlagſchatten, ſondern nur der, der ſich auf dem Grund auf den er faͤllt, beſtimmt abſchneidet, deſ- ſen Groͤße, Lage und Umriß nach den Regeln der Perſpektiv koͤnnen beſtimmt werden, welches allemal angeht, wenn die Schatten von einem beſtimmten Licht, als von der Sonne, oder dem durch eine Oeffnung einfallenden Tageslicht, verurſachet wer- den. Daher wird die Zeichnung der Schlagſchatten in der Perſpektiv gelehret, deren Grundſaͤze man nothwendig wiſſen muß, um in dieſem Stuͤk nicht zu fehlen. Es iſt ganz leicht die Lage, Form und Groͤße der Schlagſchatten auf einer Grundflaͤche zu beſtimmen, ſo bald man die eigentliche Hoͤhe und Richtung des Lichtes beſtimmt anzugeben weiß; aber dieſe Schatten muͤſſen hernach, ſo wie jede auf der Grundflaͤche liegende Figur nach den Regeln der Perſpektiv auf den Grund des Gemaͤhldes gezeich- net werden. Wer ſich angewoͤhnet nach den Regeln der freyen Perſpektiv, die Hr. Lambert gegeben hat (*), zu arbeiten, hat dieſe doppelte Zeichnung nicht noͤthig, und kann ſich durch die ſehr leichten Regeln, die der ſcharfſinnige Mann in ſeiner Anlei- tung zur perſpektiviſchen Zeichnung gegeben hat, leicht helfen.
Schluß. (Muſik.)
Durch dieſes Wort verſtehen wir die Cadenz, wo- durch ein ganzes Tonſtuͤk geendiget wird. Von den Cadenzen uͤberhaupt, und den verſchiedenen Arten derſelben iſt bereits in einem beſondern Ar- tikel geſprochen worden (*), ſo daß hier blos das- jenige in Betrachtung kommt, was die ſo ge- nannte Finalcadenz, oder der Hauptſchluß beſon- deres hat.
Weil der Schluß eine gaͤnzliche Befriedigung des Gehoͤrs und voͤllige Ruhe herſtellen ſoll, ſo muß die Cadenz allemal in die Tonica des Stuͤks geſchehen. Sollte aber auf das Stuͤk entweder unmittelbar, oder bald hernach noch ein anderes neues Stuͤk fol- gen; ſo gieng es eben deswegen an, daß der Schluß des vorhergehenden Stuͤks in die Dominante der Tonica des folgenden Stuͤks geſchaͤhe.
Da
(*) S. Per- ſpektiv.
(*) Cadenz
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[1033[1015]/0462]
Schi
Schl
lich iſt es, daß eine alte Matrone ſich wie ein jun-
ges Maͤdchen kleide.
Jn Werken der Kunſt muß das Schikliche uͤberall
mit Sorgfalt und guter Beurtheilung geſucht, und
eben ſo ſorgfaͤltig alles Unſchikliche vermieden wer-
den. Denn außer den beſondern Abſichten in de-
nen ſolche Werke gemacht werden, muͤſſen ſie uͤber-
haupt auch dienen unſern Geſchmak feiner und rich-
tiger zu bilden. Zu dem iſt ein Werk das untadel-
haft waͤre, wo aber Dinge, die ſchiklich geweſen
waͤren, weggelaſſen worden, nie ſo vollkommen,
als das, wo dieſe noch vorhanden ſind. Da noch
uͤber dem der Kuͤnſtler ſich in allem, was er macht,
als einen ſcharfſinnigen und ſehr verſtaͤndigen Mann
zeigen muß; ſo gehoͤrt es auch zur Kunſt, daß er
genau uͤberlege, nicht nur, ob in ſeinem Werke
nichts Unſchikliches ſey, ſondern ob auch nichts
Schikliches darin fehle.
So muß der Baumeiſter ſich nicht blos vor der
Unſchiklichkeit in Acht nehmen, an dem Haus eines
Privatmannes, nichts anzubringen, was ſich nur
fuͤr Pallaͤſte ſchiket; ſondern auch uͤberlegen, ob er
dem Gebaͤude, das er entwirft, alles Schikliche
wuͤrklich gegeben habe. Denn ganz ſchiklich iſt es,
daß jede Art der Gebaͤude, durch das, was ſich vor-
zuͤglich dazu ſchiket, ſich von andern Arten auszeichnen.
So iſt es ſchiklich, daß an einem Zeughaus Kriegstro-
phaͤen, an einer Kirche hingegen Zierrathen, die an-
daͤchtige Vorſtellungen erweken, angebracht werden.
Die Beobachtung des Schiklichen und Vermei-
dung alles Unſchiklichen iſt eine Gabe, die nur den
erſten Kuͤnſtlern in jeder Art gegeben iſt, die, außer
dem nothwendigen Kunſtgenie, auch den allgemei-
nen Menſchen-Verſtand und allgemeine Beurthei-
lungskraft in einem vorzuͤglichen Grad beſizen. Zur
Vermeidung des Unſchiklichen giebt Horaz dem Dich-
ter viel fuͤrtrefliche Regeln, und ſeine Ars poetica
ſollte, auch blos in dieſer Abſicht, das taͤgliche Hand-
buch jedes Dichters ſeyn.
Die groͤßte Sorgfalt uͤber dieſen Punkt erfodert
die Behandlung der Sitten im epiſchen und drama-
tiſchen Gedicht, beſonders, wenn der Dichter fremde
Sitten zu ſchildern hat. Es wird mehr, als gluͤk-
liche Einbildungskraft, erfodert, jeden Menſchen
gerade ſo handeln und ſprechen zu laſſen, wie es
ſich fuͤr ſeinen Gemuͤthscharakter, ſeinen Stand,
ſein Alter und fuͤr die Umſtaͤnde, darin er ſich be-
findet, ſchiket.
Schlagſchatten.
(Mahlerey.)
Der Schatten, den wol erleuchtete Koͤrper auf einen
hellen Grund werfen. Nicht jeder Schatten iſt
Schlagſchatten, ſondern nur der, der ſich auf dem
Grund auf den er faͤllt, beſtimmt abſchneidet, deſ-
ſen Groͤße, Lage und Umriß nach den Regeln der
Perſpektiv koͤnnen beſtimmt werden, welches allemal
angeht, wenn die Schatten von einem beſtimmten
Licht, als von der Sonne, oder dem durch eine
Oeffnung einfallenden Tageslicht, verurſachet wer-
den. Daher wird die Zeichnung der Schlagſchatten
in der Perſpektiv gelehret, deren Grundſaͤze man
nothwendig wiſſen muß, um in dieſem Stuͤk nicht
zu fehlen. Es iſt ganz leicht die Lage, Form und
Groͤße der Schlagſchatten auf einer Grundflaͤche zu
beſtimmen, ſo bald man die eigentliche Hoͤhe und
Richtung des Lichtes beſtimmt anzugeben weiß; aber
dieſe Schatten muͤſſen hernach, ſo wie jede auf der
Grundflaͤche liegende Figur nach den Regeln der
Perſpektiv auf den Grund des Gemaͤhldes gezeich-
net werden. Wer ſich angewoͤhnet nach den Regeln
der freyen Perſpektiv, die Hr. Lambert gegeben
hat (*), zu arbeiten, hat dieſe doppelte Zeichnung
nicht noͤthig, und kann ſich durch die ſehr leichten
Regeln, die der ſcharfſinnige Mann in ſeiner Anlei-
tung zur perſpektiviſchen Zeichnung gegeben hat,
leicht helfen.
Schluß.
(Muſik.)
Durch dieſes Wort verſtehen wir die Cadenz, wo-
durch ein ganzes Tonſtuͤk geendiget wird. Von
den Cadenzen uͤberhaupt, und den verſchiedenen
Arten derſelben iſt bereits in einem beſondern Ar-
tikel geſprochen worden (*), ſo daß hier blos das-
jenige in Betrachtung kommt, was die ſo ge-
nannte Finalcadenz, oder der Hauptſchluß beſon-
deres hat.
Weil der Schluß eine gaͤnzliche Befriedigung des
Gehoͤrs und voͤllige Ruhe herſtellen ſoll, ſo muß die
Cadenz allemal in die Tonica des Stuͤks geſchehen.
Sollte aber auf das Stuͤk entweder unmittelbar,
oder bald hernach noch ein anderes neues Stuͤk fol-
gen; ſo gieng es eben deswegen an, daß der Schluß
des vorhergehenden Stuͤks in die Dominante der
Tonica des folgenden Stuͤks geſchaͤhe.
Da
(*) S. Per-
ſpektiv.
(*) Cadenz
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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1033[1015]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/462>, abgerufen am 24.11.2024.
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