tiges Ansehen zu geben. Beyspiehle der Schwulst, die blos im Ausdruk liegt, sind folgende. Wenn man im gemeinen Umgang wo man blos sagen will: es wird Abend, anstatt des gewöhnlichen Ausdruks sagte: schon nähert sich die Sonne dem Horizonte; oder wenn man anstatt von einem Menschen zu sa- gen: er fängt an grau zu werden, wie jedermann im täglichen Umgang spricht; dieses poetisch sagte: das Eis der Jahre zeiget sich auf seinem Haupte. Schwulst von beygemischten Gedanken, zeiget sich durch prahlende Beywörter, die weit über die Würde der Begriffe sind, die die Hauptwörter erweken, wie wenn man sagte: die erhabene Corinna; die göttliche Sappho; auch dadurch, daß man gemei- nen Gedanken eine hohe Wendung giebt, oder sie durch Zusätze gleichsam mit Gewalt und wieder ihre Natur groß vorstellen will, wie wenn junge Ver- liebte ihre im Grund ganz gemeine Leidenschaft, als ein himmlisches Feuer, das ewig brennen soll, vorstellen.
Wir haben schon in andern Artikeln von den ver- schiedenen Arten des Großen und des Erhabenen ge- sprochen, und daraus erkennet man, daß es auch eben so viel Arten des falschen Großen und Erha- benen gebe. Nämlich wie es eine wahre Größe, die der Gegenstand des Verstandes ist, giebt, so giebt es auch eine falsche Größe die den Verstand zu täu- schen sucht. Diese ist eine mystische Schwulst die dunkele unverständliche Wörter braucht, die den Schein haben, als bedeuteten sie etwas Großes und Erhabenes, dergleichen man nicht selten von phan- tastischen geistlichen Rednern höret. Dem Erhabe- nen und Großen der Phantasie steht auch seine eigene Schwulst zur Seite, das sogenannte Phöbus oder die schimmernde Pracht einer bilderreichen Schreib- art, die im Grund der Einbildungskraft bloße Schat- tenbilder, ohne würklichen Körper, vormahlet. So giebt es endlich auch eine Schwulst, die in einer fal- schen Größe der Gesinnungen und Empfindungen besteht, dergleichen man nicht selten in den älteren Romanen antrifft.
Die Schwulst entstehet entweder aus einem un- zeitigen Bestreben, oder aus Unvermögen etwas Großes zu sagen; in beyden Fällen aber zeiget sich Mangel der Beurtheilung.
Unzeitig ist das Bestreben nach dem Großen, wenn entweder der Gegenstand seiner Natur nach keine Größe hat, oder wenn er schon in seiner natürlichen [Spaltenumbruch]
Schw
Einfalt groß ist. Es giebt schwache Köpfe, die sich einbilden, daß in der Beredsamkeit und Dichtkunst alles beständig groß seyn müsse; daß deswegen jeder einzele Gedanken, jedes Bild, jedes Wort, es sey nach dem Sinn, oder nach dem Klang, etwas Großes haben müsse. Daher sind sie immer gleich- sam außer Athem, wollen immer in Begeisterung seyn, sich immer gedankenreich, prächtig oder pathe- tisch zeigen. Hieraus entstehet denn nothwendig die Schwulst, die die gemeinesten Sachen mit großen Worten sagt; den gemeinesten Gedanken gegen ihre Natur etwas Großes anklebet, und sehr gewöhnli- chen Empfindungen eine abentheuerliche Größe und Stärke beylegt.
Dieser unglükliche Hang zur Schwulst hat eine Unempfindlichkeit für feinere Schönheit zum Grund. So wie Menschen von unempfindlichen, oder schon abgenuzten Werkzeugen des körperlichen Geruchs und Geschmaks durch diese Sinnen nichts empfin- den, als was einen beißenden und gleichsam äzen- den Geruch und Geschmak hat; so ist bey jenen schwülstigen der Geschmak am Schönen zu grob, um von feinerer Wahrheit, Vollkommenheit und Schönheit gerührt zu werden; sie sind nicht empfind- sam genug durch stillere, obgleich tief in empfindsame Herzen eindringende Leidenschaften, gerührt zu wer- den; alles muß pochen und poltern, wenn es sie zur Empfindung reizen soll. Ein stiller Schmerz ist für sie nichts; er muß sich durch Heulen und Ver- zweiflung erst fühlbar machen. Bescheidene Groß- muth ist ihnen nicht merkbar; sondern nur die, die sich durch äußeres Gepräng ankündiget u. s. f.
Aber etwas ähnliches kann doch auch bey sonst guten Köpfen und bey Gemüthern, denen es an Empfindsamkeit nicht fehlet, aus Mangel an Erfah- rung, aus noch unreifer Beurtheilung und nicht hinlänglich geübtem Geschmak herkommen. Wer überhaupt von den in den Werken der schönen Kün- ste liegenden feineren Kräften, sie würken auf den Verstand, auf die Phantasie, oder auf das Herz, gehörig gerührt werden soll, muß entweder von Na- tur ein sehr glükliches und scharfes Gefühl, oder lange Uebung haben. Daher kommt es, daß junge Künstler, deren Urtheil und Gefühl noch nicht fein genug ist, am leichtesten in die Schwulst fallen.
Darum ist auch das beste Mittel sich dafür zu be- wahren, daß man bey Zeiten seinen Geschmak durch fleißiges Lesen der Redner und Dichter, die sich durch
Einfalt
Zweyter Theil. Q q q q q q
[Spaltenumbruch]
Schw
tiges Anſehen zu geben. Beyſpiehle der Schwulſt, die blos im Ausdruk liegt, ſind folgende. Wenn man im gemeinen Umgang wo man blos ſagen will: es wird Abend, anſtatt des gewoͤhnlichen Ausdruks ſagte: ſchon naͤhert ſich die Sonne dem Horizonte; oder wenn man anſtatt von einem Menſchen zu ſa- gen: er faͤngt an grau zu werden, wie jedermann im taͤglichen Umgang ſpricht; dieſes poetiſch ſagte: das Eis der Jahre zeiget ſich auf ſeinem Haupte. Schwulſt von beygemiſchten Gedanken, zeiget ſich durch prahlende Beywoͤrter, die weit uͤber die Wuͤrde der Begriffe ſind, die die Hauptwoͤrter erweken, wie wenn man ſagte: die erhabene Corinna; die goͤttliche Sappho; auch dadurch, daß man gemei- nen Gedanken eine hohe Wendung giebt, oder ſie durch Zuſaͤtze gleichſam mit Gewalt und wieder ihre Natur groß vorſtellen will, wie wenn junge Ver- liebte ihre im Grund ganz gemeine Leidenſchaft, als ein himmliſches Feuer, das ewig brennen ſoll, vorſtellen.
Wir haben ſchon in andern Artikeln von den ver- ſchiedenen Arten des Großen und des Erhabenen ge- ſprochen, und daraus erkennet man, daß es auch eben ſo viel Arten des falſchen Großen und Erha- benen gebe. Naͤmlich wie es eine wahre Groͤße, die der Gegenſtand des Verſtandes iſt, giebt, ſo giebt es auch eine falſche Groͤße die den Verſtand zu taͤu- ſchen ſucht. Dieſe iſt eine myſtiſche Schwulſt die dunkele unverſtaͤndliche Woͤrter braucht, die den Schein haben, als bedeuteten ſie etwas Großes und Erhabenes, dergleichen man nicht ſelten von phan- taſtiſchen geiſtlichen Rednern hoͤret. Dem Erhabe- nen und Großen der Phantaſie ſteht auch ſeine eigene Schwulſt zur Seite, das ſogenannte Phoͤbus oder die ſchimmernde Pracht einer bilderreichen Schreib- art, die im Grund der Einbildungskraft bloße Schat- tenbilder, ohne wuͤrklichen Koͤrper, vormahlet. So giebt es endlich auch eine Schwulſt, die in einer fal- ſchen Groͤße der Geſinnungen und Empfindungen beſteht, dergleichen man nicht ſelten in den aͤlteren Romanen antrifft.
Die Schwulſt entſtehet entweder aus einem un- zeitigen Beſtreben, oder aus Unvermoͤgen etwas Großes zu ſagen; in beyden Faͤllen aber zeiget ſich Mangel der Beurtheilung.
Unzeitig iſt das Beſtreben nach dem Großen, wenn entweder der Gegenſtand ſeiner Natur nach keine Groͤße hat, oder wenn er ſchon in ſeiner natuͤrlichen [Spaltenumbruch]
Schw
Einfalt groß iſt. Es giebt ſchwache Koͤpfe, die ſich einbilden, daß in der Beredſamkeit und Dichtkunſt alles beſtaͤndig groß ſeyn muͤſſe; daß deswegen jeder einzele Gedanken, jedes Bild, jedes Wort, es ſey nach dem Sinn, oder nach dem Klang, etwas Großes haben muͤſſe. Daher ſind ſie immer gleich- ſam außer Athem, wollen immer in Begeiſterung ſeyn, ſich immer gedankenreich, praͤchtig oder pathe- tiſch zeigen. Hieraus entſtehet denn nothwendig die Schwulſt, die die gemeineſten Sachen mit großen Worten ſagt; den gemeineſten Gedanken gegen ihre Natur etwas Großes anklebet, und ſehr gewoͤhnli- chen Empfindungen eine abentheuerliche Groͤße und Staͤrke beylegt.
Dieſer ungluͤkliche Hang zur Schwulſt hat eine Unempfindlichkeit fuͤr feinere Schoͤnheit zum Grund. So wie Menſchen von unempfindlichen, oder ſchon abgenuzten Werkzeugen des koͤrperlichen Geruchs und Geſchmaks durch dieſe Sinnen nichts empfin- den, als was einen beißenden und gleichſam aͤzen- den Geruch und Geſchmak hat; ſo iſt bey jenen ſchwuͤlſtigen der Geſchmak am Schoͤnen zu grob, um von feinerer Wahrheit, Vollkommenheit und Schoͤnheit geruͤhrt zu werden; ſie ſind nicht empfind- ſam genug durch ſtillere, obgleich tief in empfindſame Herzen eindringende Leidenſchaften, geruͤhrt zu wer- den; alles muß pochen und poltern, wenn es ſie zur Empfindung reizen ſoll. Ein ſtiller Schmerz iſt fuͤr ſie nichts; er muß ſich durch Heulen und Ver- zweiflung erſt fuͤhlbar machen. Beſcheidene Groß- muth iſt ihnen nicht merkbar; ſondern nur die, die ſich durch aͤußeres Gepraͤng ankuͤndiget u. ſ. f.
Aber etwas aͤhnliches kann doch auch bey ſonſt guten Koͤpfen und bey Gemuͤthern, denen es an Empfindſamkeit nicht fehlet, aus Mangel an Erfah- rung, aus noch unreifer Beurtheilung und nicht hinlaͤnglich geuͤbtem Geſchmak herkommen. Wer uͤberhaupt von den in den Werken der ſchoͤnen Kuͤn- ſte liegenden feineren Kraͤften, ſie wuͤrken auf den Verſtand, auf die Phantaſie, oder auf das Herz, gehoͤrig geruͤhrt werden ſoll, muß entweder von Na- tur ein ſehr gluͤkliches und ſcharfes Gefuͤhl, oder lange Uebung haben. Daher kommt es, daß junge Kuͤnſtler, deren Urtheil und Gefuͤhl noch nicht fein genug iſt, am leichteſten in die Schwulſt fallen.
Darum iſt auch das beſte Mittel ſich dafuͤr zu be- wahren, daß man bey Zeiten ſeinen Geſchmak durch fleißiges Leſen der Redner und Dichter, die ſich durch
Einfalt
Zweyter Theil. Q q q q q q
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0488"n="1059[1041]"/><cb/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Schw</hi></fw><lb/>
tiges Anſehen zu geben. Beyſpiehle der Schwulſt,<lb/>
die blos im Ausdruk liegt, ſind folgende. Wenn<lb/>
man im gemeinen Umgang wo man blos ſagen will:<lb/><hirendition="#fr">es wird Abend,</hi> anſtatt des gewoͤhnlichen Ausdruks<lb/>ſagte: <hirendition="#fr">ſchon naͤhert ſich die Sonne dem Horizonte;</hi><lb/>
oder wenn man anſtatt von einem Menſchen zu ſa-<lb/>
gen: <hirendition="#fr">er faͤngt an grau zu werden,</hi> wie jedermann<lb/>
im taͤglichen Umgang ſpricht; dieſes poetiſch ſagte:<lb/><hirendition="#fr">das Eis der Jahre zeiget ſich auf ſeinem Haupte.</hi><lb/>
Schwulſt von beygemiſchten Gedanken, zeiget ſich<lb/>
durch prahlende Beywoͤrter, die weit uͤber die Wuͤrde<lb/>
der Begriffe ſind, die die Hauptwoͤrter erweken,<lb/>
wie wenn man ſagte: <hirendition="#fr">die erhabene Corinna; die<lb/>
goͤttliche Sappho;</hi> auch dadurch, daß man gemei-<lb/>
nen Gedanken eine hohe Wendung giebt, oder ſie<lb/>
durch Zuſaͤtze gleichſam mit Gewalt und wieder ihre<lb/>
Natur groß vorſtellen will, wie wenn junge Ver-<lb/>
liebte ihre im Grund ganz gemeine Leidenſchaft,<lb/>
als ein himmliſches Feuer, das ewig brennen ſoll,<lb/>
vorſtellen.</p><lb/><p>Wir haben ſchon in andern Artikeln von den ver-<lb/>ſchiedenen Arten des Großen und des Erhabenen ge-<lb/>ſprochen, und daraus erkennet man, daß es auch<lb/>
eben ſo viel Arten des falſchen Großen und Erha-<lb/>
benen gebe. Naͤmlich wie es eine wahre Groͤße, die<lb/>
der Gegenſtand des Verſtandes iſt, giebt, ſo giebt<lb/>
es auch eine falſche Groͤße die den Verſtand zu taͤu-<lb/>ſchen ſucht. Dieſe iſt eine <hirendition="#fr">myſtiſche</hi> Schwulſt die<lb/>
dunkele unverſtaͤndliche Woͤrter braucht, die den<lb/>
Schein haben, als bedeuteten ſie etwas Großes und<lb/>
Erhabenes, dergleichen man nicht ſelten von phan-<lb/>
taſtiſchen geiſtlichen Rednern hoͤret. Dem Erhabe-<lb/>
nen und Großen der Phantaſie ſteht auch ſeine eigene<lb/>
Schwulſt zur Seite, das ſogenannte <hirendition="#fr">Phoͤbus</hi> oder<lb/>
die ſchimmernde Pracht einer bilderreichen Schreib-<lb/>
art, die im Grund der Einbildungskraft bloße Schat-<lb/>
tenbilder, ohne wuͤrklichen Koͤrper, vormahlet. So<lb/>
giebt es endlich auch eine Schwulſt, die in einer fal-<lb/>ſchen Groͤße der Geſinnungen und Empfindungen<lb/>
beſteht, dergleichen man nicht ſelten in den aͤlteren<lb/>
Romanen antrifft.</p><lb/><p>Die Schwulſt entſtehet entweder aus einem un-<lb/>
zeitigen Beſtreben, oder aus Unvermoͤgen etwas<lb/>
Großes zu ſagen; in beyden Faͤllen aber zeiget ſich<lb/>
Mangel der Beurtheilung.</p><lb/><p>Unzeitig iſt das Beſtreben nach dem Großen, wenn<lb/>
entweder der Gegenſtand ſeiner Natur nach keine<lb/>
Groͤße hat, oder wenn er ſchon in ſeiner natuͤrlichen<lb/><cb/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Schw</hi></fw><lb/>
Einfalt groß iſt. Es giebt ſchwache Koͤpfe, die ſich<lb/>
einbilden, daß in der Beredſamkeit und Dichtkunſt<lb/>
alles beſtaͤndig groß ſeyn muͤſſe; daß deswegen jeder<lb/>
einzele Gedanken, jedes Bild, jedes Wort, es ſey<lb/>
nach dem Sinn, oder nach dem Klang, etwas<lb/>
Großes haben muͤſſe. Daher ſind ſie immer gleich-<lb/>ſam außer Athem, wollen immer in Begeiſterung<lb/>ſeyn, ſich immer gedankenreich, praͤchtig oder pathe-<lb/>
tiſch zeigen. Hieraus entſtehet denn nothwendig die<lb/>
Schwulſt, die die gemeineſten Sachen mit großen<lb/>
Worten ſagt; den gemeineſten Gedanken gegen ihre<lb/>
Natur etwas Großes anklebet, und ſehr gewoͤhnli-<lb/>
chen Empfindungen eine abentheuerliche Groͤße und<lb/>
Staͤrke beylegt.</p><lb/><p>Dieſer ungluͤkliche Hang zur Schwulſt hat eine<lb/>
Unempfindlichkeit fuͤr feinere Schoͤnheit zum Grund.<lb/>
So wie Menſchen von unempfindlichen, oder ſchon<lb/>
abgenuzten Werkzeugen des koͤrperlichen Geruchs<lb/>
und Geſchmaks durch dieſe Sinnen nichts empfin-<lb/>
den, als was einen beißenden und gleichſam aͤzen-<lb/>
den Geruch und Geſchmak hat; ſo iſt bey jenen<lb/>ſchwuͤlſtigen der Geſchmak am Schoͤnen zu grob,<lb/>
um von feinerer Wahrheit, Vollkommenheit und<lb/>
Schoͤnheit geruͤhrt zu werden; ſie ſind nicht empfind-<lb/>ſam genug durch ſtillere, obgleich tief in empfindſame<lb/>
Herzen eindringende Leidenſchaften, geruͤhrt zu wer-<lb/>
den; alles muß pochen und poltern, wenn es ſie<lb/>
zur Empfindung reizen ſoll. Ein ſtiller Schmerz iſt<lb/>
fuͤr ſie nichts; er muß ſich durch Heulen und Ver-<lb/>
zweiflung erſt fuͤhlbar machen. Beſcheidene Groß-<lb/>
muth iſt ihnen nicht merkbar; ſondern nur die, die<lb/>ſich durch aͤußeres Gepraͤng ankuͤndiget u. ſ. f.</p><lb/><p>Aber etwas aͤhnliches kann doch auch bey ſonſt<lb/>
guten Koͤpfen und bey Gemuͤthern, denen es an<lb/>
Empfindſamkeit nicht fehlet, aus Mangel an Erfah-<lb/>
rung, aus noch unreifer Beurtheilung und nicht<lb/>
hinlaͤnglich geuͤbtem Geſchmak herkommen. Wer<lb/>
uͤberhaupt von den in den Werken der ſchoͤnen Kuͤn-<lb/>ſte liegenden feineren Kraͤften, ſie wuͤrken auf den<lb/>
Verſtand, auf die Phantaſie, oder auf das Herz,<lb/>
gehoͤrig geruͤhrt werden ſoll, muß entweder von Na-<lb/>
tur ein ſehr gluͤkliches und ſcharfes Gefuͤhl, oder<lb/>
lange Uebung haben. Daher kommt es, daß junge<lb/>
Kuͤnſtler, deren Urtheil und Gefuͤhl noch nicht fein<lb/>
genug iſt, am leichteſten in die Schwulſt fallen.</p><lb/><p>Darum iſt auch das beſte Mittel ſich dafuͤr zu be-<lb/>
wahren, daß man bey Zeiten ſeinen Geſchmak durch<lb/>
fleißiges Leſen der Redner und Dichter, die ſich durch<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#fr">Zweyter Theil.</hi> Q q q q q q</fw><fwplace="bottom"type="catch">Einfalt</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[1059[1041]/0488]
Schw
Schw
tiges Anſehen zu geben. Beyſpiehle der Schwulſt,
die blos im Ausdruk liegt, ſind folgende. Wenn
man im gemeinen Umgang wo man blos ſagen will:
es wird Abend, anſtatt des gewoͤhnlichen Ausdruks
ſagte: ſchon naͤhert ſich die Sonne dem Horizonte;
oder wenn man anſtatt von einem Menſchen zu ſa-
gen: er faͤngt an grau zu werden, wie jedermann
im taͤglichen Umgang ſpricht; dieſes poetiſch ſagte:
das Eis der Jahre zeiget ſich auf ſeinem Haupte.
Schwulſt von beygemiſchten Gedanken, zeiget ſich
durch prahlende Beywoͤrter, die weit uͤber die Wuͤrde
der Begriffe ſind, die die Hauptwoͤrter erweken,
wie wenn man ſagte: die erhabene Corinna; die
goͤttliche Sappho; auch dadurch, daß man gemei-
nen Gedanken eine hohe Wendung giebt, oder ſie
durch Zuſaͤtze gleichſam mit Gewalt und wieder ihre
Natur groß vorſtellen will, wie wenn junge Ver-
liebte ihre im Grund ganz gemeine Leidenſchaft,
als ein himmliſches Feuer, das ewig brennen ſoll,
vorſtellen.
Wir haben ſchon in andern Artikeln von den ver-
ſchiedenen Arten des Großen und des Erhabenen ge-
ſprochen, und daraus erkennet man, daß es auch
eben ſo viel Arten des falſchen Großen und Erha-
benen gebe. Naͤmlich wie es eine wahre Groͤße, die
der Gegenſtand des Verſtandes iſt, giebt, ſo giebt
es auch eine falſche Groͤße die den Verſtand zu taͤu-
ſchen ſucht. Dieſe iſt eine myſtiſche Schwulſt die
dunkele unverſtaͤndliche Woͤrter braucht, die den
Schein haben, als bedeuteten ſie etwas Großes und
Erhabenes, dergleichen man nicht ſelten von phan-
taſtiſchen geiſtlichen Rednern hoͤret. Dem Erhabe-
nen und Großen der Phantaſie ſteht auch ſeine eigene
Schwulſt zur Seite, das ſogenannte Phoͤbus oder
die ſchimmernde Pracht einer bilderreichen Schreib-
art, die im Grund der Einbildungskraft bloße Schat-
tenbilder, ohne wuͤrklichen Koͤrper, vormahlet. So
giebt es endlich auch eine Schwulſt, die in einer fal-
ſchen Groͤße der Geſinnungen und Empfindungen
beſteht, dergleichen man nicht ſelten in den aͤlteren
Romanen antrifft.
Die Schwulſt entſtehet entweder aus einem un-
zeitigen Beſtreben, oder aus Unvermoͤgen etwas
Großes zu ſagen; in beyden Faͤllen aber zeiget ſich
Mangel der Beurtheilung.
Unzeitig iſt das Beſtreben nach dem Großen, wenn
entweder der Gegenſtand ſeiner Natur nach keine
Groͤße hat, oder wenn er ſchon in ſeiner natuͤrlichen
Einfalt groß iſt. Es giebt ſchwache Koͤpfe, die ſich
einbilden, daß in der Beredſamkeit und Dichtkunſt
alles beſtaͤndig groß ſeyn muͤſſe; daß deswegen jeder
einzele Gedanken, jedes Bild, jedes Wort, es ſey
nach dem Sinn, oder nach dem Klang, etwas
Großes haben muͤſſe. Daher ſind ſie immer gleich-
ſam außer Athem, wollen immer in Begeiſterung
ſeyn, ſich immer gedankenreich, praͤchtig oder pathe-
tiſch zeigen. Hieraus entſtehet denn nothwendig die
Schwulſt, die die gemeineſten Sachen mit großen
Worten ſagt; den gemeineſten Gedanken gegen ihre
Natur etwas Großes anklebet, und ſehr gewoͤhnli-
chen Empfindungen eine abentheuerliche Groͤße und
Staͤrke beylegt.
Dieſer ungluͤkliche Hang zur Schwulſt hat eine
Unempfindlichkeit fuͤr feinere Schoͤnheit zum Grund.
So wie Menſchen von unempfindlichen, oder ſchon
abgenuzten Werkzeugen des koͤrperlichen Geruchs
und Geſchmaks durch dieſe Sinnen nichts empfin-
den, als was einen beißenden und gleichſam aͤzen-
den Geruch und Geſchmak hat; ſo iſt bey jenen
ſchwuͤlſtigen der Geſchmak am Schoͤnen zu grob,
um von feinerer Wahrheit, Vollkommenheit und
Schoͤnheit geruͤhrt zu werden; ſie ſind nicht empfind-
ſam genug durch ſtillere, obgleich tief in empfindſame
Herzen eindringende Leidenſchaften, geruͤhrt zu wer-
den; alles muß pochen und poltern, wenn es ſie
zur Empfindung reizen ſoll. Ein ſtiller Schmerz iſt
fuͤr ſie nichts; er muß ſich durch Heulen und Ver-
zweiflung erſt fuͤhlbar machen. Beſcheidene Groß-
muth iſt ihnen nicht merkbar; ſondern nur die, die
ſich durch aͤußeres Gepraͤng ankuͤndiget u. ſ. f.
Aber etwas aͤhnliches kann doch auch bey ſonſt
guten Koͤpfen und bey Gemuͤthern, denen es an
Empfindſamkeit nicht fehlet, aus Mangel an Erfah-
rung, aus noch unreifer Beurtheilung und nicht
hinlaͤnglich geuͤbtem Geſchmak herkommen. Wer
uͤberhaupt von den in den Werken der ſchoͤnen Kuͤn-
ſte liegenden feineren Kraͤften, ſie wuͤrken auf den
Verſtand, auf die Phantaſie, oder auf das Herz,
gehoͤrig geruͤhrt werden ſoll, muß entweder von Na-
tur ein ſehr gluͤkliches und ſcharfes Gefuͤhl, oder
lange Uebung haben. Daher kommt es, daß junge
Kuͤnſtler, deren Urtheil und Gefuͤhl noch nicht fein
genug iſt, am leichteſten in die Schwulſt fallen.
Darum iſt auch das beſte Mittel ſich dafuͤr zu be-
wahren, daß man bey Zeiten ſeinen Geſchmak durch
fleißiges Leſen der Redner und Dichter, die ſich durch
Einfalt
Zweyter Theil. Q q q q q q
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1059[1041]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/488>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.